Tarife
Alle Jahre wieder. Auch zum 1. Januar 2017 gibt es für die Fahrgäste der Bahnen und Busse in Berlin und Brandenburg eine Tariferhöhung. Sie erfolgt zum dritten Mal auf der Grundlage eines Indexes, der dieses Mal 0,56 Prozent beträgt. Doch dieser relativ geringe Wert ändert nichts an den strukturellen Mängeln dieses Verfahrens.
1. Jan 2017
Positiv und nachvollziehbar ist die Wahl der Kriterien, anhand derer dieser Index ermittelt wird: zu 83 Prozent durch die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und zu je 8,5 Prozent durch die Entwicklung der Kraftstoff- bzw. Strompreise. Negativ ist, dass es für niemanden außerhalb des VBB nachvollziehbar ist, wie die Umrechnung auf die einzelnen Fahrpreise erfolgt. Wie werden die einzelnen Tarife gewichtet, um am Ende auf einen Durchschnittswert von 1,84 Prozent zu kommen? Welche Annahmen werden der Berechnung zugrunde gelegt hinsichtlich erhöhter oder verminderter Nachfrage nach einem Tarifangebot? Werden erhöhte Erlöse durch mehr Fahrgäste berücksichtigt? Hierzu gibt der VBB keine Antwort.
Diese IGEB-Kritik konnten Sie fast wortgleich bereits 2014 und 2015 im SIGNAL lesen. Leider ist sie auch 2016 noch aktuell.
Wie intransparent das Verfahren ist und wie wenig aussagekräftig der Index ist, wird bei der Tariferhöhung zum 1.1.2017 sogar noch deutlicher. „Eine Ausnahme bildet das Tarifgebiet Potsdam AB. Hier beträgt die durchschnittliche Tarifanpassungsrate vier Prozent“, schreibt der VBB in seiner Presseinformation vom 29. September 2016. Damit hat der VBB das ausgesprochen, was in den Vorjahren beispielsweise für die Berliner Stammkunden-Tarife galt: Wenn der Index den Verkehrsunternehmen zu niedrig ist, wird er als Bemessungsmaßstab einfach außer Kraft gesetzt.
Selbst der Vier-Prozent-Wert für die Potsdamer Tarifzone AB beschönigt noch, was tatsächlich auf die Fahrgäste der Landeshauptstadt zukommt, zum Beispiel die Nutzer des Kurzstreckentarifs. Denn dieser wird nicht nur von 1,40 auf 1,50 Euro angehoben, was allein schon einer Erhöhung um 7,1 Prozent entspricht, sondern die Reichweite des Tickets wird um ein Drittel reduziert! Ab 2017 kann der Fahrgast in Potsdam nicht mehr sechs Haltestellen weit fahren, sondern nur noch vier. Will er weiterhin sechs Stationen fahren, muss er eine Einzelfahrkarte Potsdam AB für dann 2,10 Euro kaufen. Das entspricht einer Teuerung um 50 Prozent gegenüber der bisherigen Kurzstrecke!
Es kann aber noch teurer kommen. Zu kritisieren ist nicht nur die Leistungskürzung an sich, sondern auch die dann unterschiedliche Handhabung vergleichbarer Angebote innerhalb des VBB. Denn die Berliner Kurzstreckenfahrkarte berechtigt weiterhin zu einer Nutzung für Distanzen bis zu sechs Haltestellen bei Bus oder Straßenbahn. Es kann also schnell passieren, dass die Fahrt 60 Euro für ein „Erhöhtes Beförderungsentgelt“ kostet, wenn man unwissentlich den vierten Halt überfährt!
Potsdamer, die auf eine Umweltkarte wechseln, können den Preisanstieg zwar dämpfen, aber zum Beispiel 16 Euro zusätzlich für die Jahreskarte Potsdam AB (+4,1 Prozent) sind auch eine beträchtliche Verteuerung.
Auch die Tageskarte Potsdam AB wird 5 Prozent teurer. Für einen Teil der Fahrgäste relativiert sich das aber, weil künftig nicht nur der Inhaber selbst, sondern zusätzlich bis zu drei Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren mitfahren können. Ein Verwandtschaftsverhältnis zu den Kindern muss laut Ankündigung nicht bestehen. Es gilt jedoch die Bedingung, dass der Fahrscheininhaber über 14 Jahre alt sein muss. Wenn also vier „clevere Freunde“ unter 15 sich eine Erwachsenentageskarte kaufen, gilt die kostenfreie Mitnahme nicht.
Aber Achtung: Die Mitnahme soll nur für die Tageskarte Potsdam AB gelten. Für die Tageskarten Potsdam BC und ABC ist diese Regelung nicht angekündigt worden! Wer eines dieser beiden Tickets benutzt, muss für die Kleinen separate Fahrkarten lösen. Hier besteht also noch Nachbesserungsbedarf bei der Beseitigung dieser „Schwarzfahrerfallen“.
Die familienfreundliche Kindermitnahmeregelung gilt ab 1. Januar 2017 ebenfalls für die Tageskarten Berlin AB, BC und ABC. Anders als in Potsdam müssen die Berliner Fahrgäste also nicht auf die Tarifzonenwahl achten. Für die Stadtgebiete Brandenburg a. d. Havel, Frankfurt (Oder) sowie Cottbus ist auch weiterhin für jedes Kind eine eigene Fahrkarte erforderlich – und das bei einer Verteuerung um 9,1 Prozent in allen drei Städten.
Bei einigen Tageskarten wird also die langjährige IGEB-Forderung nach strukturellen Verbesserungen beim VBB-Tarif umgesetzt, aber die Uneinheitlichkeit im Verbundgebiet schmälert die Freude erheblich.
Die Berliner Koalitionsvereinbarung weckt Hoffnungen, dass in einem Jahr nicht schon wieder eine solche Grundsatzkritik am VBB-Tarif erforderlich ist, wie in diesem und früheren Signal-Artikeln.
Entscheidend ist, dass der Berliner Senat eine umfassende und seriöse Untersuchung des VBB-Tarifs in Auftrag gibt und dann auch Konsequenzen zieht, die sich nicht länger allein an den betriebswirtschaftlichen Interessen der Verkehrsunternehmen orientieren, sondern der verkehrs-, sozial- und umweltpolitischen Bedeutung des öffentlichen Verkehrs Rechnung tragen. Wenn dabei dann auch höhere Zuschüsse zum Beispiel an die BVG erforderlich werden, damit diese die wachsende Zahl von Fahrgästen bewältigen kann, so muss der Senat das tun.
Doch die Sicht vieler Verkehrsunternehmen, weniger, aber gut zahlende Fahrgäste sind besser als viele, aber wenig zahlende Fahrgäste, muss endlich der Vergangenheit angehören. Und das gelingt nur, wenn die VBB-Tarife nicht länger von den Verkehrsunternehmen, sondern von den Aufgabenträgern bestimmt werden, also den Ländern und Landkreisen. (BfVst)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 6/2016 (Dezember 2016/Januar 2017), Seite 15