Titelthema urbane Seilbahnen

Kurioses in Kiel, Weltrekord in La Paz, sturmsicher in New York

Urbane Seilbahnen weltweit


Jan Gympel

7. Mär 2017

Seilbahnen als innerstädtisches Personenbeförderungsmittel erwartet man natürlich am ehesten in bergigen oder zumindest hügeligen Regionen. Entsprechend ungewöhnlich war, womit Kiel von 1974 an für anderthalb Jahrzehnte aufwarten konnte: Die Seilbahn des damaligen Kaufhauses Weipert verband das Geschäftsgebäude mit dem Parkhaus des Unternehmens auf der anderen Seite des Bootshafens. In 18 Metern Höhe verkehrten zwei Gondeln auf einer 143 Meter langen Strecke.

Eine noch immer existierende Attraktion ist hingegen die Seilbahn in Köln, die 2017 ihren sechzigsten Geburtstag feiern kann. Über den Rhein hinweg überspannt die Mitte der sechziger Jahre leicht veränderte Anlage, die heute den Kölner Verkehrs-Betrieben gehört, eine Entfernung von 935 Metern. Entstanden war sie für die vierte Bundesgartenschau 1957.

Im Herbst 2013 wurde die Seilbahn in Wrocław (Breslau) eröffnet. Sie verbindet das Hauptgelände der Technischen Universität mit dem neuen Forschungs- und Bildungszentrum „Geo-Centrum“ auf der anderen Seite der Oder. 373 Meter lang, besitzt die „Polinka“ genannte Anlage zwei hin- und her pendelnde Kabinen für je 15 Passagiere. Damit kann sie pro Stunde 366 Personen transportieren. Sie wird von der Hochschule betrieben, ist aber öffentlich zugänglich. Kostenlos befördert werden jedoch nur die rund 34 000 Studenten und über 4000 Mitarbeiter der TU. Foto: Frank Lammers, Okt. 2016

Für solche Veranstaltungen Seilbahnen zu bauen, wie es nun auch in Berlin geschehen ist, ist seither nichts Besonderes mehr. Oft wurden sie aber nach dem Ende der Gartenschau demontiert, so in Hamburg oder in Rostock. Noch immer in Betrieb ist hingegen die zur BUGA 2011 errichtete Seilbahn in Koblenz, die ebenfalls den Rhein überquert. Da dieser hier zum Welterbe Oberes Mittelrheintal gehört, musste die UNESCO ihre Zustimmung zum Weiterbetrieb geben: Er wurde genehmigt bis zum Ende der technisch längstmöglichen Betriebsdauer im Jahre 2026. Als Deutschlands erste Dreiseilumlaufbahn kann die Anlage 7600 Personen pro Stunde befördern und gilt damit als die leistungsfähigste der Welt.

Womöglich liegt es an der dennoch vergleichsweise geringen Transportkapazität, dass Seilbahnen nur selten auch Funktionen

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im „alltäglichen“ öffentlichen Personennahverkehr erfüllen sollen. Dies gilt selbst für Kommunen mit großen Höhenunterschieden im Stadtgebiet und nicht nur für Gondelbahnen: Auch die Standseilbahnen in Stuttgart und Dresden haben kaum Nachahmer gefunden.

Dementsprechend eher eine Ausnahme ist das aktuell diskutierte, heftig umstrittene Projekt einer Wuppertaler Gondelbahn vom Hauptbahnhof auf die Südhöhen, insbesondere zur Anbindung der Universität. Ungewöhnlich ist dabei auch, dass damit der umfangreiche Busverkehr auf dieser Verbindung reduziert werden soll. Gemeinhin wird ebenjene Überwindung von Höhendifferenzen über Straßen bevorzugt.

Die „Roosevelt Island Tramway“ in New York verläuft parallel zur Queensboro Bridge. Die beiden Kabinen fahren unabhängig voneinander auf eigener Bahn und können aufgrund von je zwei Tragseilen im Abstand von 4,2 Metern auch bei Windgeschwindigkeiten über 80 km/h stabil fahren. Jede Kabine fasst 110 Fahrgäste und einen Fahrer. Foto: Reinhard Dietrich/Wikipedia

Anders in Portland im Nordwesten der USA, wo die Oregon Health and Science University bereits seit 2006 Seilbahnanschluss besitzt: Zwischen dem Kern der Stadt und einem oberhalb von ihr gelegenen Viertel überwindet die 1033 Meter lange Anlage 145 Meter Höhenunterschied und bietet eine Alternative zur engen, gewundenen Straße. Übrigens gibt es in den Vereinigten Staaten nur eine weitere innerstädtische Luftseilbahn: In New York dient sie seit 1975 der Anbindung von Roosevelt Island, einer schmalen, im East River neben Manhattan gelegenen Insel, die damals in ein Wohngebiet umgewandelt wurde. Ursprünglich war die Seilbahn nur als Provisorium gedacht, bis die geplante U-Bahn fertig war.

Ebenfalls über einen breiten Fluss hinweg führt die nach ihrem Sponsor benannte „Emirates Air Line“ im Osten von London, die zwischen Greenwich und den Docklands die Themse überquert. Die mit 34 Gondeln für je zehn Fahrgäste und zwei Fahrräder ausgestattete Anlage, die auch rollstuhlgeeignet ist, wurde zu den Olympischen Spielen 2012 eröffnet. Obwohl der Bau wesentlich von Transport for London finanziert wurde und die Verkehrsgesellschaft die Seilbahn auch betreibt, gilt für diese ein Sondertarif.

Ganz andere Dimensionen, auch hinsichtlich der Aufgaben, die sie im städtischen ÖPNV erfüllt, besitzt die Wolga-Seilbahn in Nischni Nowgorod. Sie verbindet die zentralrussische Millionenstadt mit einem auf der anderen Seite des Stroms gelegenen Vorort. Obwohl dieser ein wichtiger Industriestandort ist, gibt es keine direkte Straßen- oder Eisenbahnverbindung über die Wolga hinweg, die beiden einzigen Brücken sind rund sieben Kilometer entfernt. Bei der Eröffnung 2012 besaß die 3661 Meter lange Seilbahn 28 Kabinen für je acht Personen, inzwischen ist die Zahl der Gondeln wie vorgesehen verdoppelt worden. Damit können nun je Stunde und Richtung 1000 Menschen befördert werden, und dies übrigens bei Außentemperaturen bis hinab zu minus 30 Grad Celsius.

Waren die beiden Anlagen in ihren Ländern jeweils die erste Luftseilbahn für den ÖPNV, so ist dieses Verkehrsmittel in Algerien seit langem üblich. Beispielsweise verfügt Algier gleich über fünf davon: Die älteste wurde 1956, als die Stadt noch Teil Frankreichs war, zur Anbindung neuer Wohnviertel gebaut, drei weitere folgten in den achtziger Jahren, die jüngste und mit drei Kilometern längste ging 2014 in Betrieb. Mit 57 Gondeln ausgestattet, überwindet sie eine Höhendifferenz von mehr als 300 Metern. Weitere Seilbahnen sind geplant. In der algerischen Küstengroßstadt Annaba, unweit der Grenze zu Tunesien, schafft eine vier Kilometer lange Gondelbahn eine Verbindung zu einem Vorort, der sonst nur über eine 13 Kilometer lange Bergstraße zu erreichen ist. Auch in anderen algerischen Städten setzt man auf diese Form des ÖPNV.

Im bolivischen La Paz hat man die Seilbahn als urbanes Verkehrsmittel entdeckt und überschwebt so das Verkehrschaos auf den Straßen. Foto: TheGamerJediPro/Wikipedia
La Paz hat bisher drei Seilbahnlinien in Betrieb (rote, gelbe und grüne Linie) mit zusammen zehn Stationen und 443 Kabinen. Weitere sechs Linien sind im Bau. Grafik: Michael F. Schönitzer/Wikipedia

Allerdings geschieht dies nirgends auf der Welt stärker als in der bolivianischen Kapitale La Paz. Rechnet man deren inzwischen eigenständig gewordenen Vorort El Alto (der mittlerweile mehr Einwohner zählt als La Paz) ein, so erstreckt sie sich auf einer Höhe von etwa 3200 bis 4100 Metern über dem Meeresspiegel – im faktischen Stadtgebiet gibt es also eine Höhendifferenz von rund 1000 Metern. Die Topographie behindert erheblich den Verkehr, der ÖPNV wurde vor allem von Minibussen und Sammeltaxis bewältigt, bis 2012 ein Vertrag über die Errichtung eines ganzen Netzes von Seilbahnen geschlossen wurde – wenig überraschend mit der österreichischen Firma Doppelmayr, ist diese doch Weltmarktführer im Seilbahnbau. Die ersten drei Linien gingen 2014 in Betrieb. Insgesamt 443 Kabinen, die jeweils zehn Personen Platz bieten, verkehren auf 9788 Metern Strecke mit zehn Stationen. Sechs weitere Linien werden derzeit gebaut. Bis 2019 soll so ein Netz von fast 30 Kilometern Länge entstehen, das größte urbane weltweit.

Jan Gympel

aus SIGNAL 1/2017 (März 2017), Seite 7-8