Berlin
Regierender Bürgermeister und Verkehrssenatorin auf Abwegen
6. Aug 2017
Tunnelbau ist extrem teuer und erfordert sehr viel Zeit. Aktuelle Beispiele sind die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof und die sogenannte S 21, der zweite Nordsüd-Tunnel für die Berliner S-Bahn.
Während die U 5-Verlängerung nach einem 20-jährigen Planungs- und Bauzeitraum voraussichtlich Ende 2020 in Betrieb genommen werden kann, ist für die S 21 noch keine Fertigstellung in Sicht, nicht einmal für den im Bau befindlichen nördlichen Abschnitt vom Nordring zum Hauptbahnhof. Für den mittleren Abschnitt zwischen Hauptbahnhof und Potsdamer Platz ist lediglich klar, dass eine Fertigstellung erst nach 2030 realistisch ist.
Vor diesem Hintergrund war es konsequent, dass der Berliner Senat seit zwei Jahrzehnten über die U 5-Verlängerung hinaus keine konkreten U-Bahn-Projekte verfolgt hat – gleich welche Parteien den Senat gebildet haben. Niemals gab es ein grundsätzliches Votum gegen die U-Bahn, sondern es gab Entscheidungen zugunsten anderer Prioritäten.
Besonders konsequent ist in dieser Hinsicht die Koalitionsvereinbarung 2016 des aktuellen rot-rot-grünen Senats: Klare Aussagen zum Ausbau des Straßennetzes, keine Aussage zum U-Bahn-Netz.
Natürlich gibt es in Berlin auch noch sinnvolle Projekte zur Erweiterung des U-Bahn-Netzes, aber der extrem hohe Finanz- und Zeitbedarf sind gute Gründe für andere Prioritäten. Dass diese Politik lebhaft diskutiert wird, ist verständlich.
Nicht verständlich aber ist, dass auch der rot-rot-grüne Senat intensiv über U-Bahn-Bau diskutiert und damit die Koalitionsvereinbarung in Frage stellt. Die von
den Grünen eingesetzte Verkehrssenatorin Regine Günther geht hier mit schlechtem Beispiel voran. Aber auch in der SPD hat so mancher seine Liebe zum U-Bahn-Bau entdeckt, allen voran der Regierende Bürgermeister Michael Müller.
Im Protokoll der Senatssitzung vom 21. März 2017 heißt es: „Der Regierende Bürgermeister hält es für überlegenswert, ungeachtet der Konzentration des Ausbaus des schienengebundenen Nahverkehrs auf die Straßenbahn auch verkehrlich sehr wirksame U-Bahn-Erweiterungen im Blickfeld zu haben. Hierzu zählen nach seiner Ansicht eine Verlängerung der U 8 in das Märkische Viertel und die Prüfung einer Anbindung des BER durch eine Verlängerung der U 7. Darüber hinaus sollten die vorhandenen Vorratsbauten für U-Bahn-Strecken auf eine Verwendung geprüft werden.“
Es ist kaum zu glauben: Statt alle Personalkapazitäten auf das ehrgeizige Straßenbahnprogramm zu konzentrieren, soll nun also ausgerechnet unter diesem Senat verstärkt der U-Bahn-Bau geprüft werden.
Dabei gibt es gute Gründe, warum U-Bahn-Neubau-Projekte nicht aufgegeben, aber seit Jahren auf unbestimmte Zeit zurückgestellt wurden. So steht beispielsweise in der „Mitteilung zur Kenntnisnahme“ zum Stadtentwicklungsplans Verkehr (StEP Verkehr) vom 16. Juli 2003 (Abgeordnetenhaus-Drucksache 15/1920): „Verlängerung U 7 bis Rudow Süd und/oder bis Schönefeld: Bei hohen Investitionskosten und zusätzlichen Betriebskosten ist weder durch eine Verlängerung bis Rudow Süd noch bis zum Flughafen Schönefeld ein signifikanter verkehrlicher Nutzen zu erzielen. (Die Einrichtung einer Express-U-Bahn nach Schönefeld scheidet aus technischen und betrieblichen Gründen aus.) Ein Verzicht auf die Darstellung wird empfohlen.“ Verantwortlich dafür waren der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (beide SPD). Und Michael Müller war SPD-Fraktionsvorsitzender.
Natürlich kann man ein 14 Jahre altes Prüfergebnis wieder in Frage stellen. Aber an den Rahmenbedingungen, dass ein Kilometer U-Bahn-Bau das Zehnfache von einem Kilometer Straßenbahnbau kostet und deutlich länger dauert, hat sich nichts geändert. Deshalb sollten sich der Regierende Bürgermeister und die Verkehrssenatorin endlich darauf konzentrieren, die ehrgeizige Koalitionsvereinbarung vom 16. November 2016 (s. SIGNAL 6/2016) umzusetzen.
Zur Erinnerung, darin steht: „Die Koalition will den Ausbau der Straßenbahn vorantreiben. Unter Beteiligung der Öffentlichkeit wird sie innerhalb der nächsten fünf Jahre ein Zielnetz für den Ausbau der Straßenbahn festlegen, dieses in den StEP Verkehr einarbeiten und im Flächennutzungsplan verankern.“ Um diese Zusage einzulösen, darf der Senat sein knappes Fachpersonal nicht länger mit U-Bahn-Untersuchungen belasten – jedenfalls nicht in dieser Legislaturperiode.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 3/2017 (August 2017), Seite 15