Fernverkehr
Vorbildliche Einbeziehung der Fahrgastverbände
6. Aug 2017
Mit dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2016 haben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ihr Angebot klassischer Nachtreisezuglinien um sechs Linien ausgeweitet, die unter dem Markennamen „Nightjet“ vermarktet werden:
Insgesamt neun weitere Linien, darunter Wien—Hamburg und Wien—Düsseldorf, werden als „Nightjet“ unverändert weiter angeboten.
Zugleich beendete die Deutsche Bahn ihre Aktivitäten in diesem Geschäftsbereich und verkaufte 42 Schlaf- und 15 Liegewagen an die ÖBB. Die DB beschränkt sich nun nur noch auf wenige Nacht-Intercity- bzw. Nacht-ICE-Verbindungen.
Die ÖBB modernisieren die erworbenen Wagen zurzeit umfangreich. Sie erhalten ein neues Außendesign. Die Technik wird harmonisiert, die Abteile werden neu gestaltet und die Betten erneuert.
Der Kauf und die Modernisierung ermöglichten den ÖBB die genannten Angebotsausweitungen und die Ausmusterung älterer Schlafwagen.
Im Gegensatz zur Deutschen Bahn gelingt es den Österreichischen Bundesbahnen, die
Nachtreisezüge profitabel zu betreiben! Erfreulich ist dies besonders vor dem Hintergrund, dass es in Deutschland unverändert massive Wettbewerbsnachteile für den Schienenverkehr gibt.
So beinhaltet der Preis für ein internationales Nachtzugticket noch immer den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent, während für eine Hotelübernachtung (denn diese wird durch eine Nachtzugfahrt ja ersetzt) der Steuersatz lediglich 7 Prozent beträgt. Und ein Flugreisender auf internationalen Routen, z. B. in der auch für den Nachtreisezugverkehr interessanten Relation Berlin—Paris, zahlt sogar keinerlei Mehrwertsteuer für sein Ticket.
Schlimmer noch: Die Fluggesellschaften zahlen für den Treibstoff auch keine Kerosinsteuer, wobei diese unnötige Subvention allein schon angesichts der Treibhausgas- und Schadstoffemissionen des Luftverkehrs nicht zu rechtfertigen ist. Für den umweltschonenden Schienenverkehr wurde dagegen z. B. die EEG-Umlage Anfang 2015 sogar noch deutlich angehoben.
Ein weiterer Nachteil: Während auch für die Nachtreisezüge hohe Trassenentgelte fällig sind, müssen die Fernbusse im Gegensatz dazu keine Maut bezahlen.
Es gibt in Deutschland also massive Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Schiene. All das ist seit langem bekannt, und doch hat die Politik nichts unternommen, die Benachteiligung des umweltfreundlichsten Verkehrs zu beenden. In dieser Hinsicht ist die verkehrspolitische Bilanz der CDU-/CSU-/SPD-Koalition ein Desaster.
Um den Komfort im Nachtreisezugverkehr weiter zu steigern, wird seitens der ÖBB bereits an der nächsten Generation von Schlaf- und Liegewagen gearbeitet, die ab dem Jahr 2020 zum Einsatz kommen soll. Geplant ist die Beschaffung von insgesamt dreizehn Nachtzuggarnituren für den Italieneinsatz. Auf Grund verschärfter Brandschutzbestimmungen ist hier der Ersatz des Bestandsmaterials spätestens ab 2021 erforderlich.
Im Rahmen eines Workshops haben die ÖBB im Mai 2017 Vertretern der bundesweit tätigen Fahrgastverbände diese neuen Fahrzeugkonzepte erläutert.
Bereits im Frühjahr 2016 war der Öffentlichkeit das neue Mini-Suite-Konzept vorgestellt worden. Hierbei handelt es sich um einen Entwurf des Designbüros Studio-SYN, der seinerzeit noch von der Deutschen Bahn in Auftrag gegeben wurde. Von Vorteil bei diesem innovativen Liegewagen-Konzept sind neben dem höheren Komfort die einzeln abschließbaren Kojen anstelle von Vierer- oder Sechserabteilen. Speziell für Einzelreisende wird so die gewünschte Privatsphäre gewährleistet bzw. auf häufige Kritik am bisherigen Nachtzugkonzept reagiert.
Inzwischen wurden seitens der Österreichischen Bundesbahnen zwei weitere Designstudien bzw. Mockups vorgestellt. Es handelt sich hierbei jeweils um ein Liegewagen- und ein Schlafwagenabteil. Beide Entwürfe stammen vom britischen Designbüro Priestman-Goode. Das Liegewagenabteil verfügt über vier Liegen, welche vergleichbar der Inneneinrichtung bisheriger Fahrzeuge quer zur Fahrtrichtung angeordnet sind. Es ist dabei gewährleistet, dass man auf der unteren Liege auch aufrecht sitzen kann. Zwischen den Bettpaaren ist ein Tisch angeordnet, der als Ablage genutzt werden kann. Zur Ausstattung gehören Anschlussmöglichkeiten für Ladegeräte und Leseleuchten. Die in den Musterabteilen eingebauten Versionen der Leuchten sind jedoch recht empfindlich und werden bei der künftigen Fahrzeugserie durch ein stabileres Modell ersetzt.
Das Schlafwagenabteil verfügt über zwei Betten, die im Gegensatz zu den bislang üblichen Fahrzeugkonzepten in Längsrichtung entlang des Fensters angeordnet sind. An das untere Bett schließt eine Sitzfläche für zwei Personen an. Zum Abteil gehört auch eine Toilette mit Waschgelegenheit und Duschmöglichkeit. Bislang nicht recht zufriedenstellend ist die Erreichbarkeit des oberen Betts. Im Rahmen des Workshops wurde jedoch seitens der ÖBB-Vertreter versichert, dass bei der Serienbeschaffung eine andere, geeignetere Leiterkonstruktion zum Einsatz kommen wird.
Beide Entwürfe der Abteile sind aber im Wesentlichen überzeugend, zeichnen sich durch ein hohes Maß an Gemütlichkeit aus und machen die Bahnreise zu einem angenehmen Reiseerlebnis. Die ÖBB setzen damit zweifellos neue Akzente im Nachtreisezugverkehr.
Vorbildlich zu bewerten ist in diesem Zusammenhang auch die Einbindung von Bahnkunden und Fahrgastverbänden in den laufenden Entwicklungsprozess. Mit den aus Kundenbefragungen gewonnenen Erkenntnissen werden die Abteile nun bis zur Serienreife weiter optimiert.
Auf Langstrecken schließt der Nachtzug trotz Hochgeschwindigkeitszügen auch künftig eine wichtige Angebotslücke im Schienenpersonenfernverkehr. Es ist daher überfällig, dass nun die deutsche Politik endlich ihre „Hausaufgaben“ erledigt und durch Abbau der Wettbewerbsverzerrungen geeignete Rahmenbedingungen für weitere Ergänzungen des Nachtzugliniennetzes schafft.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und IGEB Fernverkehr
aus SIGNAL 3/2017 (August 2017), Seite 26-28