Bahnhöfe des Jahres
Lutherstadt Wittenberg und Bayerisch Eisenstein
Mit dem Wettbewerb „Bahnhof des Jahres“ prämiert die Allianz pro Schiene bereits seit 2004 die kundenfreundlichsten Bahnhöfe in Deutschland. Auch 2017 hat die Jury nach etlichen Testreisen ihr Urteil gefällt: Die grundlegende Umgestaltung von Lutherstadt Wittenberg Hauptbahnhof in Sachsen-Anhalt überzeugte in der Kategorie „Alltagsmobilität“, der Bahnhof Bayerisch Eisenstein gewann in der Kategorie „Tourismusbahnhof“.
5. Okt 2017
Lutherstadt Wittenberg Hauptbahnhof wurde seit Frühjahr 1996 in mehreren Bauabschnitten grundlegend umgestaltet. Bestandteil der Maßnahmen war nicht nur der Neubau der Bahnsteige und des Fußgängertunnels im Zuge des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit (VDE) 8.3 (Leipzig/Halle—Berlin), sondern auch die Anlage eines großzügigen Vorplatzes auf der Westseite der Gleisanlagen. Architektonisch markant ist hier das Membrandach, das auf dem Vorplatz einen umfassenden Witterungsschutz gewährleistet. Der ebenfalls neue Busbahnhof ist mit kurzen Umsteigewegen erreichbar.
Mitte 2015 wurde auf dem neuen Vorplatz auch mit dem Neubau des Empfangsgebäudes (Bruttogrundfläche Erdgeschoss 658 Quadratmeter) begonnen, Ende 2015 dagegen das noch aus dem Jahr 1877 stammende alte Empfangsgebäude abgerissen. Am 9. Dezember 2016 wurde der Neubau eingeweiht und ist – nach dem nordrheinwestfälischen Horrem – der zweite „grüne
Bahnhof“ in Deutschland. Mit Photovoltaikanlage, Regenwasseraufbereitung und Geothermie wird ein kohlendioxid-neutraler Betrieb realisiert.
In dem neuen Empfangsgebäude stehen den Reisenden eine Bahnhofbuchhandlung, eine Bäckerei und ein Reisezentrum zur Verfügung. Ergänzt wird das Serviceangebot durch einen offenen Wartebereich mit 24 bequemen Sitzmöglichkeiten. Zudem können Reisende Lademöglichkeiten für Elektrogeräte und einen WLAN-Hotspot im Gebäude nutzen. Auch Gepäckschließfächer sind vorhanden. An die lange Tradition des Bahnhofs wird ebenfalls erinnert: Ein Kachelmosaik zeigt entsprechende Höhepunkte aus der Eisenbahngeschichte Wittenbergs.
Für E-Autos und E-Bikes gibt es auf dem Vorplatz zudem, entsprechend dem Gesamtkonzept, eine Stromtankstelle.
Die Beschilderung ist vorbildlich, so dass die Reisenden verständlich geleitet werden. Ein neu gepflasterter Weg führt – für Rollkoffer geeignet und mit Blindenleitstreifen versehen – ins Zentrum der Stadt.
Fazit: Ein für Bahnkunden und Besucher attraktives Bahnhofskonzept ist an diesem Standort entwickelt und umgesetzt worden, das Vorbildcharakter hat.
Verbesserungspotenzial bietet der zurzeit (noch?) sehr karg gestaltete Fußgängertunnel: Die Stadt wurde geprägt durch die lutherische Reformationsbewegung, eine entsprechende thematische Gestaltung der gefliesten Wände würde daher den Bahnhof nochmals aufwerten.
Dieser Doppelbahnhof steht zur Hälfte in Bayern, zur Hälfte liegt er in Tschechien. Wo früher der Eiserne Vorhang trennte, ist die Wiedervereinigung der beiden Bahnhofshälften überzeugend gelungen. Die Grenze ist nunmehr auf Steinmarkierungen im Fußboden geschrumpft.
Baubeginn des Empfangsgebäudes war 1877, die Fertigstellung erfolgte bereits im Jahr 1878. Der im Besitz der Deutschen Bahn befindliche Gebäudeteil wurde am 25. September 2006 an den „Naturpark Bayerischer Wald e. V.“ veräußert. Dieser Verkauf hat sich letztlich als Glücksfall erwiesen. Im Gebäude sind heute mehrere Museen bzw. Ausstellungen untergebracht: Im Untergeschoss das Europäische Fledermausmuseum, im Erdgeschoss eine interaktive Ausstellung zum Arber (dem König des Bayerwaldes), im 1. Obergeschoss ein Skimuseum und im 2. Obergeschoss eine Ausstellung zur Eisenbahngeschichte vom Bau der Strecke in den Jahren 1872 bis 1877. Selbst das Dachgeschoss wird genutzt: Hier befindet sich eine rund 100 Quadratmeter große Modellbahnanlage.
Im früheren, heute ebenfalls umfassend renovierten Wartesaal der ersten Klasse ist auf bayerischer Seite ein Restaurant untergekommen. Im Gebäude befindet sich des Weiteren ein Warteraum für die Reisenden, der vertraglich der DB Station & Service AG gehört.
Der Bahnhof ist damit mittlerweile selbst zu einem lohnenden Ausflugsziel geworden. Im Gegensatz zu vielen, heute leider verwaisten Empfangsgebäuden ist in Bayerisch Eisenstein ein umfassendes Nutzungskonzept entwickelt und sehr erfolgreich umgesetzt worden. Voraussetzung für solche erfreulichen Konzepte ist dabei natürlich stets, dass Land, Kommune und Bahn engagiert zusammenarbeiten. Auch in vielen anderen Regionen wäre ein vergleichbares Engagement nicht nur wünschenswert, sondern erforderlich.
Mit Bayerisch Eisenstein hat Bayern jetzt bereits den fünften Siegerbahnhof hervorgebracht.
Auch bei den Tests 2017 zeigte sich leider wieder, dass etliche der für die Prämierung vorgeschlagenen und seitens der Jury geprüften Stationen die Qualitätsmerkmale nur teilweise erfüllen. Insbesondere die im Rahmen der Jury-Qualitätschecks angetroffenen Verschmutzungen auf Bahnsteigen, in Bahnsteigtunneln, speziell auch von sanitären Anlagen und im direkten Umfeld des Bahnhofs haben teilweise ein derart inakzeptables Ausmaß, dass eine Prämierung in vielen Fällen nicht in Frage kam.
Brandenburg Hauptbahnhof und leider auch der bereits erwähnte „grüne Bahnhof“ Horrem seien an dieser Stelle beispielhaft genannt. Die bei vielen Bahnhöfen getätigten hohen Investitionen für die umfassende Modernisierung bleiben aber letztlich Stückwerk, wenn in der Folgezeit an einer kontinuierlichen Pflege bzw. Instandhaltung gespart wird!
Die Jury, welche die Bahnhöfe jährlich prüft und bewertet, besteht aus Vertretern der Allianz pro Schiene, des Deutschen Bahnkunden-Verbandes (DBV), von Pro Bahn, des Auto Club Europas (ACE), des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC).
Um touristische Qualitäten zu bewerten, sind an der Entscheidung auch Verkehrsexperten des „Deutschen Tourismusverbandes“ (DTV), der „NaturFreunde Deutschlands“ und der Kooperation „Fahrtziel Natur“ beteiligt.
Ausgezeichnet werden grundsätzlich nur Bahnhöfe, die nach einer festen Kriterienliste am besten auf Bedürfnisse von Besuchern bzw. Bahnkunden eingehen und Vorbildfunktion für andere Projekte zur vielfach leider überfälligen Revitalisierung von Bahnhöfen haben. Objektive Erfordernisse wie Kundeninformation, Sauberkeit, Integration in die Stadt und die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln sind dabei ebenso entscheidend wie ein eher subjektiver Wohlfühlfaktor. K.O.-Kriterien sind dagegen u. a.: Kein Service-Personal vor Ort, fehlende Barrierefreiheit, Sicherheitsmängel z. B. an Bahnsteigbelägen oder schmutzige/defekte Toiletten.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV)
aus SIGNAL 4/2017 (Oktober 2017), Seite 28-30