Stadtverkehr
U-Bahnhof Rathaus Steglitz, am Nachmittag eines völlig beliebigen Werktags, in diesem Fall im Dezember: Der Bahnsteig ist voll von Menschen. Also das vertraute Bild.
14. Mai 2018
Der Blick auf die Anzeigetafel zaubert ein Lächeln ins Gesicht: „Osloer Straße in 3 min“ Wie erwartet kommt nach vier Minuten dann auch die vertraute Ansage vom Computer: „Sehr geehrte Fahrgäste. Der Zugverkehr auf der U-Bahn-Linie 9 ist zurzeit unregelmäßig. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Aber klar doch. Davon haben wir schließlich fast so viel wie Geld für die jahrelang – natürlich nach streng wissenschaftlichen, absolut objektiven Kriterien – steigenden Fahrpreise. Und es wird einem ja auch einiges geboten. Zum Beispiel eben auf der U 9.
„Das ist wegen der Weihnachtseinkäufe“, meint eine ältere Frau belustigt, die diese Linie offenkundig selten nutzt und daher denkt, die BVG, die uns erklärtermaßen liebt, bräuchte irgendeinen besonderen Grund, um auf einer fast geradlinig und vollständig unterirdisch verlaufenden U-Bahn-Strecke ohne Verzweigungen oder Kreuzungen keinen
geregelten Verkehr hinzubekommen. „Das ist jeden Tag so“, erwidert eine junge Frau mit fremdländischem Akzent, die womöglich noch nicht lange in Berlin, aber mit den hiesigen Gepflogenheiten anscheinend bereits bestens vertraut ist.
Menschen, die es nicht sind, geben sich dadurch zu erkennen, dass sie immer wieder auf die Anzeigetafel blicken, in dem naiven Glauben, was dort zu lesen ist, hätte irgend etwas mit dem Geschehen auf dem Gleis zu tun. Wie ich aus dem Augenwinkel sehen konnte, wurde ein bis zwei Minuten lang durch Blinken behauptet, am Bahnsteig stünde gerade ein Zug abfahrbereit. Jetzt soll dies mal wieder in drei Minuten der Fall sein. Darüber hinaus werden wir wie üblich über Wichtiges informiert: das Rauchverbot und dass wieder mal „Girl´s Day“ ist.
Das mit der Abfahrt in drei Minuten erscheint realistisch, denn da kommt auch schon unser Zug. Auf der Gegenseite. Erfahrene Nutzer wissen: der muss jetzt nur noch entleert werden, dann jenseits der Bahnsteighalle kehren, und schon geht es los in Richtung Osloer Straße. Zehn Minuten Warten bis zum nächsten Zug auf einer stark frequentierten U-Bahn-Linie mitten im Berufsverkehr ist doch nun wirklich Berliner Tempo.
Zudem tut die BVG etwas dafür, dass die Hauptstädter einander näherkommen. Denn in diesen Zug, als er denn endlich abfahrbereit ist, drängen sich natürlich so viele Fahrgäste, wie eigentlich auf zwei bis drei Züge hätten verteilt werden sollen. So fördert die BVG nicht nur zwischenmenschliche Kontakte der als besonders höflich und rücksichtsvoll bekannten Berliner, sondern auch das Gewerbe der Taschendiebe. Und das, obwohl es ihr selbst gar nicht gut geht – wie groß nach all den Jahren des Optimierens und Sanierens die Fahrzeugnot ist, erkennt man unter anderem daran, dass einige Wagen dieses Zuges großflächig beschmiert sind. Sollten so zugerichtete Fahrzeuge dereinst nicht im Depot bleiben? Das ist lange her. Bei dem mittlerweile herrschenden Wagenmangel darf man dankbar sein, wenn man in der Stoßzeit nicht in einen Kurzzug gequetscht wird.
Womöglich sind ja auch die Dauerprobleme auf der U 9, die schon seit weit über einem Jahr andauern und sich an manchen Tagen bis in den Abend hinziehen, auf das Wirken kluger Politiker, Manager und anderer Angehöriger unserer Bildungselite zurückzuführen. Sind vielleicht auch die Kehranlagen an den Endstationen dieser Linie nicht mehr so in Ordnung und damit so leistungsfähig, wie sie es in jenen schauderhaften Zeiten waren, bevor der segensreiche Neoliberalismus über uns kam? Wohlweislich habe auch ich mich in den überfüllten Zug Richtung Osloer Straße gequetscht und nicht auf den nächsten gewartet. Denn der ist zwar längst eingetroffen, steht aber, als meiner abfährt, noch immer an der gegenüberliegenden Bahnsteigkante, statt in die Kehranlage einzurücken.
Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, und vielleicht wird sich die BVG eines Tages auch mal der alltäglichen Sorgen und Nöte ihrer Kunden annehmen können. Einstweilen scheint sie mehr damit beschäftigt, Auszeichnungen einzusammeln – nicht für ihren Verkehr, sondern für tolle Werbekampagnen und drollige Videos, in denen sie sich über die eigenen Dauerprobleme lustig macht. Und über Fahrgäste, die sich über diese zu beklagen wagen.
Weshalb ich auch nicht als Nörgler, Querulant und feindlich-negatives Element erscheinen möchte, indem ich erwarte, für mein Fahrgeld eine ordentliche Leistung zu bekommen. Bitte, liebe BVG, akzeptiere es doch als freundlich-konstruktiven Vorschlag, der dir sicherlich auch Kosten sparen könnte, wenn ich dir rate: Lass auf deinen U-Bahn-Linien nur noch dann Durchsagen laufen, wenn der Zugverkehr mal regelmäßig ist.
Jan Gympel
aus SIGNAL 2/2018 (Mai/Juni 2018), Seite 10