Stadtverkehr

Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet

Die Berliner ÖPNV-Großbaustellen-Koordinierungsrunde


IGEB Stadtverkehr

14. Mai 2018

Wir schreiben die 1990er Jahre, ganz Berlin ist eine Baustelle im Zuge der Wiedervereinigungs-Euphorie. Alle freuen sich, es geht voran, die Bürgermeister können im Jahrestakt neue Strecken eröffnen und die Bauindustrie lebt wie die Made im Speck. Alle freuen sich? Nein, etliche Fahrgäste haben von den ewigen Schienenersatzverkehren langsam die Nase voll und beginnen sich zu wehren. Insbesondere das unkoordinierte nebeneinander Bauen bei den verschiedenen Verkehrsmitteln nervt, weil dadurch öfter einmal ganze Stadtviertel von der Außenwelt abgeschnitten werden.

Die BauKo-Runde entsteht …

„Das hat es so noch nicht gegeben: Der Südwesten der Stadt wird im Sommer wochenlang weitgehend vom Schnellbahn-Netz abgekoppelt“, meldete der Tagesspiegel am 17. Februar 2001. „Den Anfang macht die S-Bahn-Linie S 1, die zwölf Wochen lang in zwei Etappen total gesperrt wird. (…) Ein Ausweichen auf die U-Bahn-Linie U 1 [die heutige U 3] wird auch nicht immer möglich sein.“ Denn zwischen Breitenbachplatz und Krumme Lanke fuhren wegen Bauarbeiten der Senatsbauverwaltung und der BVG auch keine Züge.

Der Fahrgastverband IGEB forderte: Wenn der ÖPNV ein Teil der Daseinsvorsorge ist wie Wasser und Strom, dann darf der Senat nicht zulassen,

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dass er so vollständig ausfällt. Vielmehr müsse er seine Rolle als Aufgabenträger ausfüllen und für die von ihm bestellten Leistungen eine sinnvolle Koordinierung gewährleisten.

Daraufhin hat die Senatsverkehrsverwaltung ein Gremium zur Koordinierung von Großbaustellen, kurz: die BauKo-Runde, eingeführt. Dort treffen sich zweimal im Jahr die DB (für ihre Konzerntöchter S-Bahn und Regio) und die BVG unter Moderation des Landes Berlin und stimmen Großbaustellen mit längeren Streckensperrungen zeitlich aufeinander ab. Dabei sollte idealerweise keiner der Beteiligten schon feste Termine haben, damit ausgewogene Kompromisse gefunden werden können. Darum werden die zu besprechenden Baustellen in der Regel mit einem Jahr Vorlaufzeit eingebracht. So können dann die Bauaufträge für die abgestimmten Termine ausgeschrieben werden.

… und wird marginalisiert

Die erste Sitzung einer BauKo-Runde fand 2002 statt, und für die nächsten Jahre war erkennbar, dass hier kundengerecht gedacht und geplant wird. Das größte Lob für eine funktionierende Verwaltung ist ja, wenn alles so reibungslos läuft, dass deren Arbeit gar nicht bemerkt wird. Das mag zwar manchmal für die Beteiligten frustrierend sein, weil ihre Leistungen nicht gewürdigt werden, aber dieses Los teilen sie mit den allermeisten Büromenschen.

Schienenersatzverkehr – das Schreckenswort für Bahnfahrgäste, hier am Bahnhof Lichtenberg. Foto: Frank Lammers

Doch in den letzten Jahren war eine schleichende Verschlechterung bei der Abstimmung der Bauplanungen festzustellen, und auch die Interventionsmöglichkeiten des Fahrgastverbandes IGEB, der in den BauKo-Runden seine Meinung äußern darf, wurden immer geringer. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe:

  1. Die Bauplanungen werden immer länger, und deshalb ist die Vorlaufzeit von einem Jahr oft schon zu kurz, um noch Termine ändern zu können. Die Deutsche Bahn zum Beispiel plant ihre Großbaustellen oft schon drei Jahre im Voraus! Sie begründet das mit den weltweit gebundenen Spezialisten für Aufgaben wie die Programmierung elektronischer Stellwerke. Für ein Unternehmen wie die BVG, die bis vor kurzem immer nur ein Jahr im Voraus planen konnte, weil der Haushaltsplan des Senats nicht weiter reicht, ist dann keine Einflussnahme mehr möglich.
  2. Bauarbeiten werden kaum noch „unter rollendem Rad”, also ohne Streckensperrung durchgeführt. Früher konnte die IGEB manchmal eine andere Baumethode vorschlagen und damit einen Ersatzverkehr per Bus noch verhindern. Die heutigen Vorschriften zur Absicherung einer Bahnbaustelle vom laufenden Betrieb lassen leider viele früher mögliche Bauverfahren nicht mehr zu.
  3. Die Beteiligten sehen eine fahrgastfreundliche Lösung nicht immer als ihre Aufgabe an. Die im deutschen ÖPNV gültige Vertragslandschaft ermuntert die Verkehrsbetriebe, nicht die Fahrgäste, sondern nur noch die Aufgabenträger als Kunden zu sehen – von denen kommt schließlich das Geld (insbesondere bei Bruttoverträgen, bei denen der Verkehrsbetrieb seine Fahrgelderlöse vollständig an den Aufgabenträger weiterreicht). Wenn dann dem Aufgabenträger die Kompetenz oder schlicht die Motivation fehlt, gegen zu steuern, dann wird am runden Tisch die Terminüberschneidung nur noch „mit Bedauern” zur Kenntnis genommen und weiter geht es in der Tagesordnung.
  4. Die gute Idee, in einer Großbaustelle viele Arbeiten zu bündeln, um nicht mehrmals Löcher zu buddeln und wieder zu zu schütten, erfordert einen hohen Koordinationsaufwand. Wenn dann eine der betroffenen Firmen (zum Beispiel die Wasserbetriebe mit ihren Leitungen), nicht in dem angestrebten Zeitraum bauen kann, dann war dieser Aufwand umsonst.
  5. Die beste Planung nützt nichts, wenn etwas im Bauablauf dazwischen kommt und die Bauzeit überschritten wird oder eine vorher nicht geplante Sperrung zusätzlich nötig wird (Rastatt 2017 lässt grüßen). Damit sich verschiedene Bauvorhaben, die fahrgastfreundlich zeitlich versetzt geplant wurden, dann nicht doch noch überschneiden, sollten bei anspruchsvollen Projekten auch Pufferzeiten eingeplant werden – was aber durch die Vielzahl der erforderlichen Baustellen oft unrealistisch ist.

Alle diese Gründe führen zu ständig mehr Stress und Abstimmungsbedarf für die Bauplaner bei zugleich schlechteren Ergebnissen und damit letztlich auch zu einer gewissen Frustration und Demotivation.

Die Ergebnisse dieses Prozesses zeigen sich nun sehr deutlich, als Fahrgast könnte man zurzeit denken, dass es die Bau-Koordinierungsrunde gar nicht mehr gibt. Einige Beispiele.

Kein Schienenverkehr im Berliner Süden

Vom 19. März bis 9. April waren der Südring der S-Bahn und die U-Bahn-Linie 7 im selben Bereich unterbrochen und nur per SEV zu benutzen. Die U-Bahn zwischen Hermannplatz und Möckernbrücke, die S-Bahn zwischen Südkreuz und Hermannstraße (siehe Skizze aus der Fahrgast-Informationsbroschüre). Genau diese Abschnitte der beiden betroffenen Strecken dienen sonst gegenseitig als Ausweichroute.

Ärgerlich war diese gleichzeitige Sperrung auch deshalb, weil es kaum eine andere Stelle im Berliner Schnellbahnnetz gibt, wo sich S- und U-Bahn gegenseitig so gut aushelfen können. Lediglich das Linienpaar U 3 und S 5 ist diesbezüglich noch besser nutzbar. Also sollte an eben diesen Strecken besonders auf eine gute Baustellen-Koordination geachtet werden.

Bauarbeiten während der U5-Sperrung

Die Verlängerung der U 5 zum Hauptbahnhof ist DAS Großprojekt der Berliner Verkehrsbetriebe und dementsprechend auch bei allen anderen Verkehrsunternehmen bekannt. Nachdem genau diese U-Bahn-Linie wegen ihrer Quasi-Parallelität zur S 5 jahrelang von der DB als S-Bahn-Ersatzverkehr genutzt wurde, legte die DB Netz AG zweimal genau die S-Bahn-Strecken still, die im Zeitraum einer lange angekündigten Sperrung der U 5 als Ausweichrouten für die betroffenen BVG-Fahrgäste dienen.

Die Sperrung der U-Bahn dauerte vom 8. Januar bis zum 8. April 2018, und die S-Bahn war in diesem Zeitraum sowohl für ein Wochenende zwischen Alexanderplatz und Ostbahnhof gesperrt als auch an einem weiteren Wochenende zwischen Ostkreuz und Karlshorst. Das scheint vernachlässigbar, aber wenn man bedenkt, dass es bei der S-Bahn nicht um teure, unaufschiebbare Spezialarbeiten ging und andererseits gerade in Berlin auch am Wochenende genauso viel Nachfrage herrscht wie an Werktagen, dann wird die unnötige Belastung für die Kunden deutlich.

Noch deutlicher wird die dahinterstehende Haltung zur zahlenden Kundschaft, wenn man weiß, dass es schon im Jahr 2017 zeitgleiche Sperrungen von Stadtbahn und U 5 östlich des Alexanderplatzes gab, den Verantwortlichen dieser Konflikt also schon hätte bekannt sein müssen. Damals wurde diese Doppelbaustelle sogar eingerichtet, obwohl die für den Ersatzverkehr nötigen Straßen zu dieser Zeit ebenfalls gesperrt waren! Nur darum gelang es Senat und IGEB, die beiden Verkehrsunternehmen zu einem gemeinsamen SEV zu bewegen, der wegen der Straßensperrungen als Ringlinie in nur einer Richtung gefahren werden musste.

Der Ersatzverkehr nach Karlshorst hat nur auf den ersten Blick nichts mit der U 5 zu tun. Die Straßenbahnen Köpenick/Schöneweide einerseits und Hohenschönhausen/Weißensee andererseits erweitern das Einzugsgebiet aller S-Bahn-Linien der Stadtbahn (3, 5, 7 und 75) und der U 5 und dienen zugleich als universeller Zubringer zu den drei Umsteigestationen Karlshorst, Tierpark und Friedrichsfelde Ost – zumal viele der Umsteiger ohnehin erst mit der Straßenbahn zu einem dieser Schnellbahnhöfe fahren müssen und dann bei Streckensperrungen von einer der betroffenen Linien kein Problem damit haben, ein paar Haltestellen weiter oder in die andere Richtung mit der Tram zu fahren, um ins Stadtzentrum zu kommen. Wenn aber – siehe oben – gleich zwei der drei in Frage kommenden Strecken unterbrochen sind, dann ist das für die Fahrgäste erträgliche Maß eindeutig unterschritten.

Was können die Verantwortlichen tun?

Die Beispiele stehen stellvertretend für weitere, die immer ärgerlich und ein Ausdruck mangelhafter Kundenorientierung sind. Dabei kommt es dem Fahrgastverband IGEB darauf an, dass mehr als nur die Basisleistungen eines Ersatzverkehrs oder einer nicht-parallelen Baustelle erfüllt sind. Am Beispiel U 5 und Karlshorst ist gut zu sehen, dass die Kundensicht und die teilweise komplexen Verkehrsbeziehungen in einem Netz wie dem in Berlin erst wieder zur Geltung gebracht werden muss. Zwar gibt es einen (tariflichen) Verkehrsverbund, aber sämtliche Informationsunterlagen werden in Berlin noch auf der Ebene der einzelnen Verkehrsbetriebe herausgegeben.

Zumindest bei S- und U-Bahn werden die großen Baustellen seit etwa einem Jahr auch beim jeweils anderen Unternehmen angezeigt, aber das ist zum Beispiel angesichts der wachsenden Rolle des Regionalverkehrs im engeren Verflechtungsraum um Berlin oder bei der herausragenden Stellung der Straßenbahn im weitgehend U-Bahn-freien Osten Berlins nicht genug!

Die BauKo-Runde muss also die einzelnen abzustimmenden Maßnahmen wesentlich früher besprechen, alle beteiligten Infrastrukturbetreiber müssen zu Verschiebungen und Kompromissen bereit und in der Lage sein und der Senat von Berlin oder der VBB müssen bei nicht mehr verschiebbaren Doppelbaustellen nicht nur auf die Einhaltung der Formalien achten (Bedienung aller betroffenen Stationen, gleiche oder bessere Taktfolge usw), sondern auch fahrgastorientiert in komplexen Wegeketten denken und so den ÖPNV-Kunden während dieser Härteprüfungen Ersatzlösungen mit Mehrwert anbieten.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 2/2018 (Mai/Juni 2018), Seite 12-13