Fernverkehr
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD enthält zur deutschen Verkehrspolitik nur wenige neue Akzente
14. Mai 2018
Ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl gelang CDU, CSU und SPD die Bildung einer neuen Regierungskoalition. Ihr Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 enthält zum Schienenverkehr zwar viele Ziele, die bereits seit langem von Fahrgast- und Umweltverbänden gefordert werden, doch die meisten sind derart unpräzise und ambitionslos formuliert worden, dass auch in den nächsten vier Jahren in Deutschland keine Verkehrswende zu erwarten ist. Die Wettbewerbsverzerrungen werden bleiben und nennenswerte Verlagerungen des Verkehrs von der Straße auf die Schiene wird es nicht geben. Somit wird der Verkehrsbereich auch keinen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele leisten. Nicht infrage gestellt wird von der Koalition der integrierte Konzern Deutsche Bahn AG.
Mit dem Koalitionsvertrag erfolgte ein Bekenntnis, die Steigerung der Verkehrsinvestitionen auf Rekordniveau fortzuführen. Für die Planungs- und Finanzierungssicherheit wird die Überjährigkeit der zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel dauerhaft sichergestellt. Hierbei zeigt sich aber auch ein erstes Problem des Koalitionsvertrages: Es erfolgt leider keinerlei Differenzierung nach Verkehrsträgern. Um die Klimaschutzziele tatsächlich endlich umzusetzen, muss die Bereitstellung von Investitionsmitteln jedoch vorzugsweise für Maßnahmen der Verkehrswende und damit für den zügigen Ausbau des umweltschonenden Schienenverkehrs erfolgen!
Erfreulich ist immerhin die klare Terminierung der Bewertung der im Bundesverkehrswegeplan 2030 gelisteten Schienenprojekte des sogenannten potenziellen Bedarfs: Diese längst überfällige Maßnahme soll endlich bis zum dritten Quartal 2018 abgeschlossen werden.
Als Reaktion auf die teilweise inakzeptabel langen Planungs- bzw. Genehmigungszeiten von Infrastrukturmaßnahmen soll ein
Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz verabschiedet werden. Die Änderungen bei den rechtlichen Vorgaben sollen sich dabei u. a. an den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit orientieren.
Für ausgewählte Projekte von übergeordnetem Interesse sollen nicht nur die Planungs- und Genehmigungszeiten verkürzt, sondern auch die Verwaltungsgerichtsverfahren auf eine Instanz beschränkt werden. An insgesamt fünf Projekten soll ein Baurecht durch Maßnahmengesetze erprobt werden.
Die Erfahrung mit Änderungen beim Planungs- und Baurecht zeigt allerdings, dass diese zumindest am Anfang eher zu Verzögerungen führen, weil sich alle Beteiligten umstellen bzw. einarbeiten müssen.
Für den Schienenverkehr soll ein umfassendes Förderprogramm zur Elektrifizierung von Strecken aufgelegt werden. Bis zum Jahr 2025 sollen 70 Prozent des Bundesschienennetzes in Deutschland elektrifiziert sein. Derzeit sind es rund 60 Prozent.
Um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen, ist letztlich oben benanntes Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz von erheblicher Bedeutung (siehe hierzu auch SIGNAL 5/17). Aussicht auf Erfolg gibt es aber nur dann, wenn eine Elektrifizierung nicht länger als wesentliche Änderung einer Strecke behandelt wird, so dass planungsrechtlich der Bestandsschutz verloren geht und erhebliche zusätzliche Investitionskosten notwendig sind, die nichts mit der Elektrifizierung zu tun haben.
Für Brennstoffzellen-Hybrid-Triebwagen sind Investitionszuschüsse geplant. Bestandteil der Förderung ist auch der Bau und Betrieb von Wasserstofftankstellen.
Gemäß Koalitionsvertrag soll die Zahl der Bahnkunden im Personenverkehr bis 2030 verdoppelt werden – ein äußerst ehrgeiziges Ziel. Entsprechend den vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes beförderte der Verkehrsträger Eisenbahn 2017 rund 2,7 Milliarden Fahrgäste im Regional- und S-Bahn-Verkehr, darüber hinaus 142 Millionen Fahrgäste im Fernverkehr.
Weiterhin soll „mehr“ Güterverkehr auf die umweltfreundliche Schiene verlagert werden. Dieses Ziel, dass letztlich nicht neu ist, aber bislang regelmäßig auch nicht umgesetzt wurde, ist leider nur sehr unpräzise formuliert. Es fehlt ein klares, verbindliches und nachprüfbares Ziel, wie sich der Modal-Split im Güterverkehr stufenweise bis 2020 bzw. 2030 ändern soll.
Die Ernsthaftigkeit dieses Ziels muss deshalb bezweifelt werden. So wurde beispielsweise in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (Fortschrittsbericht 2012) als Zielwert seinerzeit noch ein Anteil des Schienenverkehrs an der Güterbeförderungsleistung von 25 Prozent für das Jahr 2015 (!) genannt. Tatsächlich liegt der Anteil derzeit bei knapp 18 Prozent.
Die Koalition ist offensichtlich nicht interessiert, das Ziel „Mehr Güter auf die Schiene“ auch zu erreichen.
Die Aussage im Koalitionsvertrag „Wir wollen den Kombinierten Verkehr weiter stärken“ ist zu wenig. Notwendig wäre vielmehr die Formulierung konkreter Ziele, wie diese „Stärkung“ realisiert werden soll. Hierzu zählen beispielsweise konkrete Angaben zum (deutlichen) Kapazitätsausbau bzw. zu den Zielmengen für die Verlagerung von Lkw-Transporten, u. a. auch im Transitverkehr. Nicht zuletzt ist auch für eine möglichst zeitnahe Erweiterung von Umschlaganlagen das bereits benannte Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz notwendig.
Stattdessen will die Koalition den Lkw-Verkehr durch den Ausbau des Parkplatzangebotes auf den Rastanlagen der Bundesautobahnen sogar noch weiter fördern! Hinzu kommen die geplanten Ausbaumaßnahmen des Fernstraßennetzes. Mit derartig attraktivitätssteigernden Maßnahmen wird eine Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene nicht zu erreichen sein!
Auch die Dieselsubventionen werden nicht angerührt. Eine wirksame Klimapolitik müsste dagegen angesichts der negativen Auswirkungen auf die Umwelt endlich die schrittweise Abschaffung des ermäßigten Dieselsteuersatzes beinhalten und mindestens das Niveau des Benzinsteuersatzes vorsehen. Allein im Jahr 2014 summierte sich die Energiesteuervergünstigung in Deutschland von Dieselkraftstoff auf 7,757 Milliarden Euro!
Der Koalitionsvertrag enthält kaum wirksame Maßnahmen zur verkehrsträgerübergreifenden Gleichbehandlung bei der Nutzung der Bundesverkehrswege.
Bezüglich der Bemautung des Lkw-Verkehrs sieht der Koalitionsvertrag lediglich die Ausdehnung für alle Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen nun auch auf Bundesstraßen vor. Auf Grundlage eines neuen Wegekostengutachtens soll eine durchschnittliche Mauthöhe für Lkw auf allen Bundesfernstraßen festgelegt werden.
Unverständlich: Ausgenommen von der Maut ist weiterhin der Fernbusverkehr. Die daraus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten speziell des Schienenpersonenfernverkehrs sollen also bestehen bleiben.
Zur Kostenentlastung und Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs soll „die Senkung der Trassenpreise konsequent weiterverfolgt“ werden. Auch dieses Ziel bleibt auf dem Niveau einer Sprechblase.
Ein konkretes Ziel muss demgegenüber sein, die hohen Trassenpreise im Schienenverkehr endlich auf die europarechtlich zulässige Höhe der Grenzkostenbepreisung abzusenken und auf diese Weise eine Abkehr von der bestehenden Vollkostenbepreisung zu erreichen.
Der Handlungsbedarf ist mittlerweile erheblich: Für das Jahr 2019 sind bereits die höchsten Trassenpreissteigerungen schwerpunktmäßig im Schienenpersonenfernverkehr seit Einführung im Zuge der Bahnreform vorgesehen!
Auch zum Einzelwagenverkehr finden sich im Koalitionsvertrag keinerlei konkrete Maßnahmen. Aussagen wie „Wir werden prüfen, wie Einzelwagenverkehre wirtschaftlich betrieben werden“ sind nicht konkret und dienen letztlich nur dem Ziel, Zeit zu gewinnen und Probleme „auszusitzen“.
Die Maßnahmen des Masterplans Schienengüterverkehr sollen dauerhaft umgesetzt werden. Im Gegensatz zu anderen unverbindlichen Zielen wurde die Realisierung der priorisierten Maßnahmen des 740-Meter-Netzes für Güterzüge bis zum Jahr 2020 konkret benannt.
Im Hinblick auf die Klimaschutzziele 2020, 2030 und 2050 sind die im Koalitionsvertrag formulierten Maßnahmen zum Güterverkehr vollkommen unzureichend. Im Widerspruch dazu verpflichten sich die Koalitionäre jedoch, die ohnehin bereits entstandene Handlungslücke bezüglich der Erreichung des Klimaschutzziels 2020 durch entsprechende Maßnahmenpakete so schnell wie möglich zu schließen! Das Minderungsziel 2030 soll nun auf jeden Fall erreicht werden.
Solange aber die Verlagerungsmöglichkeiten im Rahmen des Kombinierten Verkehrs, aber auch des Einzelwagenverkehrs, nicht ansatzweise genutzt werden, und der Infrastrukturausbau (z. B. Ausbau der Knoten, Ergänzung, ggf. auch Wiederaufbau zweiter Gleise) nicht endlich vorangetrieben wird, solange wird der Verkehrsbereich die Erreichung der Klimaschutzziele nicht nur nicht befördern, sondern er wird sie verhindern.
Zur Attraktivitätssteigerung gerade kleinerer Bahnhöfe soll, unter Einbeziehung der Bahnanlagen und des Bahnhofsumfelds, ein „Tausend-Bahnhöfe“-Förderprogramm aufgelegt werden. Angesichts der teilweise erheblichen qualitativen Mängel speziell kleiner Zugangsstellen ist dieses Vorhaben zu begrüßen bzw. überfällig.
Erfreulich ist des Weiteren die Erhöhung der Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) bis 2021 auf jährlich eine Milliarde Euro. Hierbei handelt es sich allerdings nur um das Bundesprogramm. Ein Fortsetzung der gemäß Entflechtungsgesetz an die Länder ausgereichten Mittel über 2019 hinaus scheint nicht vorgesehen zu sein.
Eine weitere Verlagerung von Pendlerverkehren auf die Schiene soll auch durch den Ausbau des Park+Ride-Systems erreicht werden.
Der Gewährleistungsauftrag des Bundes für ein Grundangebot im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) ist in Artikel 87 e Absatz 4 Grundgesetz (GG) geregelt. Das in diesem Artikel benannte Bundesgesetz, das die Daseinsvorsorge regelt, gibt es allerdings bis heute nicht. Die wiederholt vorgetragene Darstellung des Bundes, er nehme diese grundgesetzliche Verantwortung bereits durch die Bereitstellung von Investitionsmitteln für die Bundesschienenwege in ausreichendem Maße wahr, entspricht dabei keineswegs dem Anliegen der benannten gesetzlichen Regelung.
An diesem Missstand wollen CDU, CSU und SPD offensichtlich auch künftig nichts ändern, denn der Koalitionsvertrag enthält hierzu keine Aussage, obwohl das Schienenpersonenfernverkehrsgesetz überfällig ist!
Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde bereits Anfang 2017 seitens des Bundesrats beim Bundestag eingebracht (siehe SIGNAL 2/17), jedoch in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht mehr behandelt. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 23. März 2018 allerdings beschlossen, den Entwurf des Schienenpersonenfernverkehrsgesetzes beim Deutschen Bundestag nun erneut einzubringen.
Die Umsetzung des „Deutschlandtaktes“, also eines bundesweiten integralen Taktfahrplanes, soll gemäß Koalitionsvertrag „vorangetrieben“ werden. Die dafür notwendigen Aus- und Neubaumaßnahmen sollen bevorzugt umgesetzt werden. Konkreter wird die Koalition leider nicht.
Ziel ist es auch, das Fernverkehrsangebot auszuweiten und auf diese Weise mehr Direktverbindungen zu schaffen.
Mit den im Koalitionsvertrag gelisteten Maßnahmen dürfte ein deutliches Umsteuern in der Verkehrspolitik bzw. eine Verkehrswende wohl kaum zu erreichen sein. Vielmehr wird einmal mehr nach dem Motto „Weiter so wie bisher“ geplant, verbunden mit einigen wenigen Korrekturen. Die Aufstockung der Mittel für die Förderung von Maßnahmen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ist dabei einer der wenigen positiven Akzente des Koalitionsvertrages.
Aber die großen Ziele „Abbau der den Schienenverkehr benachteiligenden Wettbewerbsverzerrungen“ und „Verlagerung von Personen- und Güterverkehr auf die Schiene“ werden mit diesem Koalitionsvertrag auch in den nächsten vier Jahren nicht erreicht werden. Und somit sind auch die deutschen Klimaschutzziele nur Makulatur.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV) und IGEB Fernverkehr
aus SIGNAL 2/2018 (Mai/Juni 2018), Seite 24-26