Titelthema i2030
Erbitterte Auseinandersetzungen zwischen S-Bahn- und Regionalbahn-Befürwortern haben dazu geführt, dass das Havelland auch 29 Jahre nach dem Mauerfall noch immer keine S-Bahn hat, sondern nur Regionalzüge, die oft unpünktlich und überlastet sind.
15. Jan 2019
Immer neue Konzepte wurden entwickelt, um die S-Bahn-Kritiker zu überzeugen – und umgekehrt. Seiten davon füllen mittlerweile auch das SIGNAL-Archiv (schauen Sie doch mal rein). Doch geändert hat sich nichts: Das Land Berlin bevorzugt die S-Bahn und das Land Brandenburg die Regionalzüge. Alles nicht neu. Bis jetzt. Denn ein Paradigmenwechsel deutet sich an. Kathrin Schneider, Brandenburgs Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung, stellte im Oktober 2017 in einer Pressemitteilung klar: „Wir müssen aufhören darüber zu diskutieren, ob die S- Bahn oder die Regionalbahn die richtige Lösung ist. Wir werden beide Systeme brauchen, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.“
Bravo! Endlich kommt Bewegung in die Sache. Denn eines ist klar: Die Regionalzüge (2 Regionalexpress- und 2 Regionalbahn-Linien) alleine sind nicht mehr in der Lage, den boomenden Pendlerverkehr zu bewältigen. Die Trassenkapazitäten sind erschöpft, für noch mehr Züge ist kein Platz – nicht zuletzt aufgrund der Fehlplanung beim Bahnhof Spandau als Folgeschaden der einstigen Transrapid-Träume. Er ist der berühmte Flaschenhals im Westen der Stadt. Ein seit geraumer Zeit von Brandenburg gefordertes drittes Streckengleis für zusätzliche Regionalzüge wird wegen der fehlenden Kapazitäten im Fernbahnhof die Situation keinesfalls entspannen, sondern weiter verschärfen. Bei der S-Bahn hingegen sind noch Kapazitäten frei. Würde sie neben der Hamburger Bahn fortgeführt, könnte die Feinerschließung des Umlandes von ihr übernommen
werden. Die kleinen Zwischenhalte auf den Fernbahngleisen könnten entfallen und der Regional- sowie Fernverkehr erheblich beschleunigt werden. Ja, auch der Fernverkehr spielt bei den Pendlern eine wichtige Rolle. Nach Hamburg pendeln aus Berlin gegenwärtig über 8600 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, etwa 20 bis 25 Prozent davon mit der Bahn.
Nun ist die i2030-Teilprojekt-Gruppe West angetreten, aus den zahlreichen Voruntersuchungen die beste Lösung herauszufinden und bis zum Spatenstich durchzuplanen. Dabei ist die klassische Forderung einer S-Bahn bis Falkensee keinesfalls neu. Bis zum Mauerbau 1961 gab es die bereits. Also scheint es naheliegend, den Status Quo von einst wieder herzustellen. Doch das würde RE und Fernbahn nur bedingt entlasten, da die Regionalbahnen RB 10 und RB 14 weiterhin nach Nauen verkehren und die Trassen auf der Hamburger Bahn blockieren würden. Also müsste die S-Bahn bis Nauen verlängert werden. In der Voruntersuchung der Stadt-Umland-Verkehre wurden ein 20-Minuten-Takt bis Nauen und ein Verstärkertakt bis zum nördlich der Gartenstadt Staaken neu zu errichtenden Bahnhof Hackbuschstraße angenommen – in den neueren Überlegungen etwas östlich verschoben an den Klosterbuschweg. Neben ihm und den klassischen Regio-Halten käme noch ein neuer Bahnhof an der Nauener Straße hinzu. Albrechtshof und Seegefeld wurden zu einem Halt zusammengefasst. Die Querschnittsberechnungen des Mitfalls ergaben für dieses Konzept, dass an der Stadtgrenze bei Albrechtshof durch das neue attraktive Verkehrsangebot die Fahrgastzahlen gegenüber dem Nullfall um 4300 auf 27 200 steigen würden. Hinzu kämen noch zusätzlich über 8000 Fahrten mit der S-Bahn auf dem Berliner Stadtgebiet bis Spandau, was eine enorme Entlastungswirkung auf das Busnetz im Raum Spandau/Staaken/Falkenhagener Feld hätte.
Würde man jedoch die S-Bahn-Verlängerung ad acta legen und eine Verstärkung der Regionalbahnen durch eine zusätzliche Linie um einen Zug pro Stunde vornehmen, so würde das die Zahl der Regionalbahn-Fahrgäste im Querschnitt an der Stadtgrenze nur um 2300 steigern, brächte aber keine verkehrliche Entlastung auf dem Berliner Gebiet. In dem Fall benötigte man ein drittes Gleis für den Regionalverkehr und eine fünfte Bahnsteigkante am Bahnhof Spandau (am Umfahrungsgleis außerhalb der Bahnhofshalle). Dennoch würde das Kreuzen im Gleisvorfeld die Verkehrslage im „Spandauer Hauptbahnhof“ weiter verschärfen.
Bereits beim Bau des Fernbahnhofes wurde ein S-Bahn-Gleis an der Abstellanlage vorbei hinter der heute verlassenen Stadtbibliothek entlang geführt, das dann an der Staakener Straße endet. Diese ist eines der Hindernisse für eine Verlängerung, denn sie liegt so dicht an den Fernbahngleisen, dass sie entweder aufwendig überbaut oder bis auf einen Gehweg verschmälert werden muss. Eine verkehrlich erforderliche Verbindungsfunktion hat diese Straße allerdings nicht, so dass das kurze Stück entbehrlich wäre. Da in den drei Hausaufgängen jedoch sicherlich nicht nur S-Bahn-Fans wohnen, ist mit langjährigem Widerstand zu rechnen. Will man die S-Bahn in diesem Bereich sogar zweigleisig verlängern, so wird man kaum um den Abriss des verlassenen Gebäudes an der Abstellanlage herumkommen. An die Gebäude Staakener Straße 8 bis 9 würde die Trasse sehr nah heranrücken.
Für die weitere Streckenführung stehen genügend Bahnflächen zur Verfügung. Neben der zweigleisigen Strecke in Richtung Nauen könnte hinter dem neuen S-Bahnhof an der Nauener Straße eine eingleisige Anbindung an das bestehende Gütergleis in Richtung Johannesstift erfolgen, um das Falkenhagener Feld mit einem Halt an der Falkenseer Chaussee zu erschließen. Da ein niveaugleiches Queren dieser verkehrsreichen Straße zu enormen Beeinträchtigungen und eine Über- oder Unterfahrung zu sehr hohen Kosten führen würde, sollte der Endbahnhof südlich der Straße gebaut werden. Ob dann aber nur 5 Minuten fußläufig entfernt ein Zwischenhalt nördlich der Seegefelder Straße von Nöten ist, sollte genau geprüft werden. Die Prüfung muss aber sehr schnell erfolgen, denn es gibt Überlegungen, die bestehenden Gleisanlagen zu entwidmen und als Bauland unwiderruflich dem Schienenverkehr zu entreißen.
Entgegengesetzt zu den Voruntersuchungen, die nur entweder Nauen/Falkensee oder Falkenseer Chaussee betracht haben, werden nun auch Varianten mit beiden S-Bahn-Streckenästen untersucht (siehe Kasten). So könnte die S 9 im 20-Minuten-Takt ihre Fahrgäste zum Großen Spektesee und zur Falkenseer Chaussee bringen, während die S 3 alle 10 Minuten nach Falkensee und jeder zweite Zug dann weiter bis Nauen fährt. Da somit zwei Regionalbahn-Trassen frei würden und durch entfallende Regio-Halte die Streckengeschwindigkeit sowie -kapazität erhöht würden, könnte unter anderem der Fernverkehr die stark nachgefragte Relation Berlin—Hamburg mit zusätzlichen ICE-Zügen verstärken, und der VBB könnte den RE2-Takt nach Wittenberge verdoppeln.
Mit der Rückführung des Bahnhofes Nauen in den Tarifbereich C (wie alle S-Bahnhöfe im Berliner Umland) könnte das ganze Konzept abgerundet werden. Eine Variante, bei der alle Fahrgäste nah und fern gewinnen.
Das klappt aber nur, wenn jetzt alle an einem Strang ziehen und bereit sind, auch unpopuläre Entscheidungen (z. B. Abriss) zu treffen. Und auch das ist dann erst der Anfang, denn es müssen Planfeststellungsverfahren folgen und die für den Bau und den Betrieb erforderlichen Gelder bereitgestellt werden. Vielleicht heißt es dann wirklich einmal: „Zur S 3 nach Nauen einsteigen bitte!“
„Alle an einem Strang ziehen“ – das ist natürlich auch dann erforderlich, wenn die umfangreichen Variantenuntersuchungen wider Erwarten zu ganz anderen Ergebnissen kommen sollten. Denn nichts wäre schlimmer für die Fahrgäste im Havelland, wenn am Ende wieder gar nichts passiert.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 5-06/2018 (Dezember 2018/Januar 2019), Seite 11-13