Titelthema i2030
Dieses Projekt stellt eine Besonderheit dar, denn im Gegensatz zu den anderen geht es hier überwiegend um Infrastruktur, für die nicht DB Netz verantwortlich zeichnet, sondern die Niederbarnimer Eisenbahn AG (NEB).
15. Jan 2019
Einst startete die im Volksmund „Heidekrautbahn“ genannte Strecke vom Bahnhof Reinickendorf-Rosenthal und fuhr über Basdorf nach Liebenwalde bzw. Groß Schönebeck. Mit dem Mauerbau 1961 wurde die Personenbeförderung auf dem Streckenabschnitt Wilhelmsruh—Schönwalde eingestellt.
Seit der Wende ist es erklärtes Ziel, die alte 14 km lange Stammstrecke zwischen Abzweig Schönwalde und Berlin-Wilhelmsruh komplett zu reaktivieren, und es wurden seitens der NEB bereits zahlreiche Anstrengungen dafür unternommen. Der Großteil der Strecke existiert noch heute und wird für Zubringerfahrten zum Werk Stadler Pankow genutzt. Für einen zügigen Regionalverkehr muss diese jedoch ertüchtigt werden, da die aktuell fahrbaren 30 km/h allenfalls für den Rangierverkehr zum Werk und den historischen Ausflugsverkehr der Berliner Eisenbahnfreunde ausreichen. Ferner war die Verbindung zur Nordbahn abgebaut worden und muss nun komplett neu errichtet werden, wie auch ein neuer Regionalbahnhof am heutigen S-Bahnhof Berlin-Wilhelmsruh. Für diesen Bahnhof liegt bereits ein Planfeststellungsbeschluss vor (s. Abb. auf Seite 18).
Die NEB könnte theoretisch „morgen“ schon loslegen – vorausgesetzt, dass die Länder Berlin und Brandenburg Regionalzugverkehr über die neue Verbindung bestellen, denn niemand möchte Kosten in Höhe von 22,1 Millionen Euro verantworten, die dann nahezu ungenutzt abgeschrieben werden müssten.
Es gibt allerdings noch eine weitere Hürde. Zwar hatte Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther nach dem Lenkungskreis am 18. Juni 2018 erklärt: „Auch die Planung
für eine Reaktivierung der Heidekrautbahn läuft an, zunächst geht es dabei um die Teilstrecke bis Wilhelmsruh, perspektivisch bis Gesundbrunnen. Das ist eine gute Nachricht für Pendler im Norden Berlins und darüber hinaus.“
Den Beweis, dass auf die gute Nachricht auch gute Taten folgen, muss die Senatorin allerdings noch liefern, denn seit dem Mauerfall hat ihre Verwaltung kaum eine Regionalbahnstrecke so konsequent ausgebremst wie die Heidekrautbahn. Deshalb wäre es nicht überraschend, wenn ihre für die Planfeststellung auf dem Berliner Abschnitt zuständige Landeseisenbahnbehörde ein Planfeststellungsverfahren für die Streckenertüchtigung ebenso wie für die Haltepunkte fordern würde, auch dort, wo es sich um den Wiederaufbau ehemaliger Stationen handelt. Als Begründung für wesentliche Veränderungen ließen sich die Streckenausrüstung, die neue Entwässerung, die Kabelkanäle, die Geschwindigkeitserhöhung, der Schallschutz und vielleicht auch der Baulärm anführen. Wenn man etwas nicht will, findet man immer Gründe. Da hat die Senatsverkehrsverwaltung schon in der Vergangenheit Großes geleistet.
Mit der Forderung nach einem Planfeststellungsverfahren wäre eine Wiederinbetriebnahme der Heidekrautbahn bis Wilhelmsruh in nur wenigen Jahren natürlich unmöglich. Und die von der NEB geschätzten Kosten könnten sich schnell verdoppeln.
Richtigerweise soll in Wilhelmsruh nicht Schluss sein. Denn die meisten Fahrgäste wollen schnell in die verschiedensten Ecken von Berlin gelangen. Dafür bietet die Verlängerung auf der Nordbahn bis Berlin Gesundbrunnen mit den dort zahlreichen Anschlussmöglichkeiten beste Voraussetzungen. Aber muss, um dort hinzukommen, die Stammstrecke wieder aufgebaut werden? Schließlich fahren schon heute einzelne Züge der RB 27 in der Berufsverkehrszeit am Bahnhof Berlin-Karow vorbei bis nach Berlin Gesundbrunnen, während die Gesamtkosten für die Reaktivierung der Stammstrecke inklusive Gesundbrunnen-Anschluss auf mindestens 28 Millionen Euro geschätzt werden.
Vieles spricht dafür. Zum einen ist die Stettiner Bahn auf dem Abschnitt Gesundbrunnen—Karow bereits gut ausgelastet, zum anderen würden durch die neue Streckenführung neue Gebiete deutlich besser erschlossen. Dazu gehören das Gewerbegebiet PankowPark, Rosenthal Nord und das östliche Märkische Viertel, die Stadtrandsiedlung Blankenfelde, Schildow sowie Mühlenbeck mit einem eigenen Halt direkt vor der Haustür des Berufsbildungswerkes Berlin-Brandenburg. Mit einem Halbstundentakt könnte eine S-Bahn-ähnliche Versorgung gewährleistet werden. Insbesondere der künftige Halt am Wilhelmsruher Damm bietet schon heute sehr gute Anschlussmöglichkeiten im Norden Berlins durch einen Busknoten und zur Straßenbahn in Richtung Niederschönhausen, Pankow und Prenzlauer Berg.
Die Länder Berlin und Brandenburg sahen für die Heidekrautbahn lange Zeit keinen Bedarf oder sorgten sich, dass die Züge vom und zum Märkischen Viertel überfüllt wären. Inzwischen stehen die Chancen dieser Strecke im Vordergrund, denn für die circa 15 000 Einwohner des Mühlenbecker Landes würden sich mit dem Neubau völlig neue, vor allem schnellere Wege nach Berlin erschließen.
Langfristig könnte das Verkehrsaufkommen aus Brandenburg nach Berlin sogar noch mehr steigen, da im aktuellen Entwurf für den Landesentwicklungsplan für die Hauptstadtregion der sogenannte Siedlungsstern, an dessen Achsen die Umlandbebauung konzentriert werden soll, um den Siedlungsbereich Wandlitz erweitert wurde. Das heißt, hier könnten künftig mehr „Großstadtflüchlinge“ angesiedelt werden, so dass die Gemeinden entlang der Heidekrautbahn rasant wachsen würden – und dementsprechend die Pendlerzahlen.
Aber die Zeit drängt hier im besonderen Maße: Der Planfeststellungsbeschluss für den Regionalbahnhof Wilhelmsruh von 2011 wird 2021 verfallen, wenn die NEB nicht zuvor mit den Bauarbeiten beginnt. Dann müsste das ganze bürokratische Verfahren erneut eröffnet werden. Auch dieser Erkenntnis geschuldet hat der i2030-Lenkungskreis am 18. Juni 2018 das Teilprojekt als vorrangig deklariert.
Auch nach Wiederinbetriebnahme der Stammstrecke soll die heutige Verbindung von Basdorf nach Karow erhalten bleiben, künftig aber mit einem neuen Halt „Karower Kreuz“ als Ersatz für Karow und einer regelmäßigen Weiterfahrt bis Gesundbrunnen.
Während bei den i2030-Untersuchungen richtigerweise davon ausgegangen wird, dass auch schon der Vorlaufbetrieb nach Wilhelmsruh, ebenso wie die spätere Durchbindung bis Gesundbrunnen, im 30-Minuten-Takt gefahren werden muss, werden für die Strecke bis Karow (und später über Karower Kreuz bis Gesundbrunnen) alternativ ein 30- und ein 60-Minuten-Takt untersucht. Ein Stundentakt entspricht dem derzeitigen Entwurf zum Deutschland-Takt. Aber die Option für eine spätere Verdichtung auf einen Halbstundentakt darf nicht verbaut werden.
Bei Verlängerung der Stammstrecke von Wilhelmsruh bis Gesundbrunnen nutzt die Heidekrautbahn die Nordbahn, ebenso wie der Prignitz-Express auf dem Abschnitt von Schönholz bis Gesundbrunnen. Deshalb müssen die Planungen für die Verlängerung der Heidekrautbahn abgestimmt werden mit den Planungen für die Durchbindung des Prignitz-Expresses nach Berlin Gesundbrunnen und der langfristigen Reaktivierung einer elektrifizierten Nordbahn über Frohnau nach Birkenwerder für Fern- und Regionalzüge. Auch wenn der Bundesverkehrsminister eine Wiederinbetriebnahme der Nordbahn derzeit als entbehrlich einschätzt (s.u.), muss sie im Hinblick auf künftige Streckenkapazitäten unbedingt berücksichtigt werden – zweigleisig und elektrifiziert. Die Planung und Realisierung dieses Abschnitts ist aber nicht Aufgabe der NEB, sondern betrifft die Infrastruktur von DB Netz.
Allerdings ist die Nordbahn kein eigenes i2030-Teilprojekt. Einst ging diese vom ehemaligen Nordbahnhof an der Bernauer-/Eberswalder Straße (heutiger Mauerpark am Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion) entlang der S 1 über Oranienburg, Fürstenberg (Havel) nach Rostock bzw. Stralsund. Seit der Teilung Deutschlands 1961 wird der Fernund Regionalverkehr ab Birkenwerder auf dem Berliner Güteraußenring über Karower Kreuz umgeleitet. Nach der Wiedervereinigung fand nur ein S-Bahn-Lückenschluss zwischen Frohnau und Hohen Neuendorf für die S 1 nach Oranienburg statt.
Neben dem Ausbau der gesamten Strecke zur Ertüchtigung auf 160 km/h sah der Bundesverkehrswegeplan auch einen Wiederaufbau des Berliner Abschnittes vor, jedoch bescheinigte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer dem Vorhaben am 6. November 2018 eine niedere Priorität und verweigerte dementsprechend Planungsmittel. Begründet wurde der Entschluss damit, dass die Investitionsmaßnahmen nur geringe Fahrzeitverkürzungen, insbesondere in Bezug auf den Deutschland-Takt, brächten.
Deshalb wird im Rahmen des i2030-Projektes lediglich eine Maßnahme zur Fahrplanstabilisierung durch eine Entflechtung von Regional- und S-Bahn im Bahnhof Birkenwerder geplant – und hoffentlich umgesetzt. In Birkenwerder teilen sich derzeit die RB 20 und die S-Bahn-Linien S 1 sowie S 8 einen Bahnsteig. Das führt immer wieder zu Trassenkonflikten der RB 20 zum einen mit der S-Bahn, zum anderen wegen der niveaugleichen Ein- und Ausfädelungen mit Zügen auf den Fernbahngleisen. Um die wechselseitigen Störeinwirkungen zu reduzieren, soll ein separater Regionalbahnsteig für die RB 20, die Oranienburg und Potsdam über den nordwestlichen Berliner Güteraußenring miteinander verbindet, geplant werden. Die Trennung der beiden Verkehre ist unstrittig zwingend erforderlich. Kritische Stimmen stellen jedoch die Kosten-Nutzen- Frage bezüglich eines neuen Regionalbahnsteiges, wenn bei Durchfahrung von Birkenwerder in nur zwei Minuten Entfernung ohnehin der Umsteigeknoten im regionalen Oberzentrum Oranienburg zur Verfügung steht.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 5-06/2018 (Dezember 2018/Januar 2019), Seite 17-20