Fernverkehr
Im September 2018 gelang es zum dritten Mal, mit einer Schnellfahrt auf die Entwicklungspotenziale im Bahnverkehr zwischen Berlin und Polen hinzuweisen (siehe auch SIGNAL 5/2016 und 4/2017). Ziel der Sonderzugfahrt waren die nächsten polnischen Großstädte hinter der deutsch-polnischen Grenze: Zielona Góra (Grünberg) mit 139 000 und Gorzów Wielkopolski (Landsberg an der Warthe) mit 124 000 Einwohnern, beide in der Wojewodschaft Lubuskie (Lebus) gelegen.
15. Jan 2019
Grünberg ist die polnische Großstadt, die mit der Bahn von Berlin aus am schlechtesten zu erreichen ist. Es gibt täglich nur eine Verbindung mit einem Regionalzug, der hinter der polnischen Grenze an jeder „Milchkanne“ hält und gegen 11 Uhr dort ankommt. Um 16.31 Uhr muss man mit der letzten Verbindung nach Frankfurt (Oder) wieder zurückfahren. Zu wenig Zeit für einen ordentlichen Tagesausflug mit einem gemütlichen Essen. Dabei hat Grünberg Interessantes zu bieten: eine nicht so stark zerstörte Altstadt mit historischer Bausubstanz und Weinanbau.
Seit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember 2018 gibt es eine kleine Verbesserung: Der Nachtzug von Berlin nach Wien mit Sitzplatzwagen nach Przemyśl hält in Grünberg. Wegen seiner Fahrplanlage (morgens nach Berlin, abends zurück) nutzt er allerdings nur den polnischen Bürgern, die eine Tagesfahrt nach Berlin machen möchten. Für die Berliner und Brandenburg fehlt weiterhin eine ordentliche Tagesrandverbindung.
Zwischen Berlin und Grünberg gibt es eine durchgehend zweigleisige und elektrifizierte Bahnstrecke. Der Abschnitt Erkner—Rzepin (Reppen) ist mit 160 km/h befahrbar
(demnächst auch ab Berlin-Köpenick). Im anschließenden Abschnitt Reppen—Grünberg wurde durch umfangreiche Ausbaumaßnahmen die Höchstgeschwindigkeit von 70 auf 120 km/h angehoben. Fast alle Langsamfahrstellen sind beseitigt und der modernisierte Bahnhof Grünberg ist sogar barrierefrei mit Aufzügen ausgestattet.
Die Bahnverbindung Berlin—Grünberg ist ein gutes Beispiel, dass es nicht reicht, nur auf die Verbesserung der Schieneninfrastruktur zu orientieren. Diesen Fehler machen oft die EU Kommission und die nationalen Verkehrsministerien, und vernachlässigen dabei das Problem der Fahrzeugbeschaffung. Denn es gibt fast keine elektrischen Schienenfahrzeuge, die mit dem polnischen und deutschen Zugsicherungssystem (SHP und INDUSI) ausgestattet sind.
Nur die PKP Intercity verfügt über neun Lokomotiven (Siemens „Husar“), die aber alle für den Verkehr nach Warschau, Russland und Tschechien benötigt werden. Alle Eisenbahnverkehrsunternehmen scheuen die teuren Anschaffungen dieser Spezialfahrzeuge mit Mehrkosten von 0,6 bis 0,8 Mio. Euro pro Fahrzeug.
Am 15. September 2018 haben wir (Veranstalter waren die AG Polen und der Fachausschuss Mobilität der SPD Berlin) mit einem Sonderzug eine Dreiecksfahrt Berlin—Grünberg—Landsberg—Berlin angeboten, um auf die Probleme und die Hintergründe des deutsch-polnischen Bahnverkehrs aufmerksam zu machen. Unter den 95 Teilnehmern waren Politiker, Verkehrsexperten, Vertreter von Fahrgastverbänden, IHK-Vertreter, Journalisten, an Polen interessierte Bürger und sogar eine Delegation der Sozialisten aus Paris.
Bei der Organisation mitgeholfen haben auch Jacek Jeremicz (vielen sicherlich bekannt von der „Ostbahn-Initiative“) und die polnischen Sozialdemokraten (SLD) in Lubuskie.
Da DB Regio derzeit überhaupt keine Fahrzeuge für Sonderzüge mit Zulassung für Polen zur Verfügung hat, mussten wir auf ein 140 km/h schnelles PESA-Fahrzeug der Niederbarnimer Eisenbahn zurückgreifen. Zwischen Erkner und Reppen konnten erstmals die zugelassenen 140 km/h ausgefahren werden.
Die Fahrt führte zuerst zum traditionellen Grünberger Weinfest und Umzug. Gleich nach der Ankunft des Sonderzuges gab es eine erste Pressekonferenz. Die Berliner Abgeordnete Ülker Radziwill (Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD) berichtete vor deutschen und polnischen Medienvertreter über die Probleme und Lösungsmöglichkeiten. Ihr Fazit: Wir brauchen dringend einen betreiberneutralen deutsch-polnischen Fahrzeugpool, wie er in anderen Grenzregionen üblich und erfolgreich ist.
Die Hauptstadtfunktionen der Wojewodschaft Lebus sind auf die Städte Grünberg und Landsberg aufgeteilt. Daher hatten wir am frühen Nachmittag die Gelegenheit, mit unserem Sonderzug auch den Zustand dieser Verbindung zu erkunden. Bis Zbąszynek (Neu Bentschen) führt der Weg über die elektrifizierte Hauptstrecke, auf der auch IC-Züge nach Warschau verkehren.
Vor wenigen Jahren mussten die Züge in Czerwieńsk (Rothenburg) die Fahrtrichtung wechseln. Dies hatte historische Gründe, dann das Eisenbahnnetz war auf Leipzig orientiert (Hauptstrecke Posen—Guben—Cottbus—Leipzig). Die Fahrzeit konnte durch den Neubau einer Verbindungskurve um über 20 Minuten verkürzt werden. Die Strecke ist mit 100 bis 20 km/h befahrbar.
Beindruckend ist der Bahnhof Neu Bentschen, der nach dem 1919 abgeschlossenen Friedensvertrag von Versailles als moderner deutscher Grenzbahnhof mit großen Gebäuden für die Pass- und Zollkontrolle ausgebaut wurde. Dabei musste das gesamte Eisenbahnnetz umstrukturiert werden, denn die Strecken aus Berlin, Leipzig und Landsberg liefen vorher im benachbarten Bentschen (heute Zbąszyń) zusammen, das aber nach dem Ersten Weltkrieg auf polnischem Territorium lag.
Weiter ging es auf einer Nebenstrecke über Międzyrzecz (Meseritz) nach Landsberg. Die Strecke verfügt über zahlreiche Kreuzungsmöglichkeiten auch für Güterzüge. Die Höchstgeschwindigkeit lag in den 1990er Jahren noch bei 50 km/h. Sie wurde auf 80 bis 100 km/h angehoben. In Meseritz, Partnerstadt des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf, gab es einen Empfang durch eine Folklore-Gruppe (organisiert von der SLD). Bei einem kurzen Halt in Skwierzyna (Schwerin/Warthe) erläuterte Jacek Jeremicz seine Initiative zur kommunalen Nutzung und Sanierung des Bahnhofsgebäudes, die er als kommunaler Abgeordneter angestoßen hat.
In Landsberg werden derzeit das gesamte Straßenbahnnetz, der Bahnhof und das Viadukt der Ostbahn saniert und modernisiert. Der frühere Stadtdirektor Jacek Jeremicz hatte sich in seiner Amtszeit für den Erhalt der Straßenbahn und Ersatzbeschaffung von deutschen Städten engagiert. Er erläuterte uns in einem sauberen Hybridbus der Stadtwerke (MPK) die wichtigsten Vorhaben der Erweiterung und Modernisierung des Straßenbahnnetzes und der Stadtentwicklung.
Durch eine spätere Abfahrt in Landsberg um 22.46 Uhr gab es keine Zugkreuzungen. So konnten wir „simulieren“, welch attraktive Fahrzeiten für einen Regionalexpress schon heute möglich wären, wenn das 1946 von der Roten Armee demontierte zweite Gleis zwischen Berlin und Küstrin wiederaufgebaut würde. Auf der polnischen Seite ist die Ostbahn zweigleisig und mit 120 km/h befahrbar.
Durch die spätere Abfahrt gab es genug Zeit, alle Fahrgäste im neuen Bürgerhaus des Dorfes Janczewo (6 km von Gorzów) durch ein traditionell polnisches Abendessen zu verwöhnen, das die örtlichen Landfrauen vorbereitet hatten.
Trotz Halten in Kostrzyn und Seelow-Gusow konnten wir in nur 94 Minuten nach Berlin-Lichtenberg zurückkehren. Diese Fahrzeit war sogar um einige Minuten kürzer als die Fahrtzeit der Schnellzüge aus Richtung Königsberg in den 1930er Jahren.
Wir haben mit dem Sonderzug auch an das Jubiläum der Zweiten Polnischen Republik erinnert, bei deren Gründung die Ostbahn eine wichtige Rolle spielte. Nach der deutschen Novemberrevolution 1918 wurde der spätere Staatschef Józef Piłsudski aus der Festungshaft in Magdeburg entlassen. Am 10. November 1918 wurde er in einem Sonderzug der neuen SPD/USPD-Regierung unter Phillip Scheidemann über die Ostbahn und Thorn nach Warschau gebracht, wo er am 11. November die Republik Polen ausrufen konnte.
Dr. Jürgen Murach Stv. Vorsitzender des Fachausschusses Mobilität der SPD Berlin
aus SIGNAL 5-06/2018 (Dezember 2018/Januar 2019), Seite 53-54