Nur ein Dauerprovisorium?

Ausbau der Lehrter Stammbahnstrecke ist gefährdet

Gerade erst hatten wir die Planungen zum Ausbau der Lehrter Stammbahn vorgestellt – siehe SIGNAL 3/2019. Doch diese sind plötzlich gefährdet, stattdessen droht ein unzulängliches Dauerprovisorium.


DBV und IGEB Fernverkehr

1. Jun 2020

Lehrter Stammbahnstrecke: Mit dem Ausbau dieser Strecke (nicht elektrifizierte Gleise links im Bild) wird neben der Trennung von Hochgeschwindigkeits- und Regionalverkehr auch die Reaktivierung des Bahnhofs Groß Behnitz für den Personenverkehr möglich. Derzeit scheint die Bundesregierung allerdings das Ziel, den Abschnitt Rathenow—Berlin komplett zweigleisig auszubauen, in Frage zu stellen. Das wäre fatal, denn für das angestrebte Wachstum des Schienenverkehrs ist es unbedingt erforderlich, dass jeweils zwei eigene Gleise für den Regional- bzw. Güterverkehr und zwei eigene Gleise ausschließlich für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zur Verfügung stehen. (Bahnhof Groß Behnitz) Foto: Christian Schultz

Das jedenfalls muss man angesichts der Antwort der Landesregierung Brandenburg auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke befürchten (siehe auch Drucksache 7/381 vomDezember 2019).

Die parallel zur Schnellfahrstrecke Hannover—Berlin liegende Strecke der Lehrter Stammbahn wurde zwischen Vorsfelde, Oebisfelde und dem Berliner Außenring seinerzeit nur auf vergleichsweise kurzen Streckenabschnitten zweigleisig für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h ausgebaut und elektrifiziert. Im aktuellen Bundesverkehrswegeplan 2030 bzw. im Anhang des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) wurde diese Strecke aber in den „Vordringlichen Bedarf“ (VB) eingestuft.

Ziel der Maßnahme ist die Kapazitätserweiterung dieses wichtigen Ost-WestKorridors u. a. für den Güterverkehr. In diesem Zusammenhang soll auch der heute bestehende Engpass im Bereich des Trappenschutzgebietes „Havelländisches Luch“ endlich beseitigt werden. Im Rahmen des Baus der Schnellbahnverbindung Hannover—Berlin war die Stammstrecke der Lehrter Bahn in diesem Abschnitt (Abzweigstelle Bamme—Abzweigstelle Ribbeck) zwar zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert worden, aber die Höchstgeschwindigkeit ist hier auf 200 km/h begrenzt. Separate Gleise für 250 km/h, d.h. für die Schnellfahrstrecke, fehlen hier bis heute.

Bei dem nun geplanten Ausbau müssen jedoch aktuelle verkehrspolitische Ziele berücksichtigt werden. So ist im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und

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SPD vom 12. März 2018 eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Schienenverkehr bis 2030 vereinbart worden. Eine Maßnahme hierfür ist die Umsetzung des geplanten Deutschland-Takts – verbunden mit einer deutlichen Angebotsausweitung. Auch sollen und müssen zur Erreichung der Klimaschutzziele deutlich mehrGütertransporte von der Straße auf die ressourcenschonende und energieeffiziente Schiene verlagert werden.

Darüber hinausist es ein Ziel des brandenburgischen Landesnahverkehrsplans von 2018, zwischen Berlin und Rathenow im Regionalzugverkehr zumindest in der Hauptverkehrszeit künftig einen 30-Minuten-Takt anzubieten.

Um in Zukunft in dieser wichtigen OstWest-Relation ausreichend Kapazitäten zur Verfügung zu haben und vor allem einen stabilen, fahrplanmäßigen Betrieb zu gewährleisten, ist eine strikte Trennung von Hochgeschwindigkeitsverkehr (ICE) einerseits und Regional- bzw. Güterverkehr andererseits, betrieblich geboten.Dazu gehört in dem oben benannten Abschnitt die Ergänzung der Lehrter Stammbahn um zwei Gleise für eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h für den ICE-Verkehr. Entsprechend dem Arbeitsstand vom Oktober 2018 zum Deutschland-Takt ist seitens der Gutachter eine Ertüchtigung der Schnellfahrstrecke zwischen Wolfsburg und Berlin sogar für 300 km/h vorgesehen.

Diese sehr sinnvolle Verbesserungsmaßnahme zur Kapazitätserweiterung will der Bund entsprechend der Antwort auf die obige Kleine Anfrage aber offensichtlich blockieren. Stattdessen soll in dem heute zweigleisigen Abschnitt zwischen den Abzweigstellen Ribbeck und Bamme lediglich ein zusätzliches Gleis und damit eine Minimalvariante realisiert werden.

Der Deutsche Bahnkunden-Verband (DBV) und der Berliner Fahrgastverband IGEB fordern deshalb, dass im Rahmen der ohnehin nur langfristig realisierbaren Baumaßnahmen der gesamte Abschnitt Rathenow—Wustermark—Elstal(—Berlin) der Lehrter Stammbahn komplett zweigleisig geplant und ausgeführt wird, so dass im Endzustand (auch im Bereich des Trappenschutzgebiets)jeweilszwei eigeneGleise für den Regional- bzw. Güterverkehr und zwei eigene Gleise ausschließlich für den Hochgeschwindigkeitsverkehrzur Verfügung stehen. Dies ist wesentlich für ein erweitertes und stabilesAngebotfür die Kunden sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr.

DBV und IGEB Fernverkehr

aus SIGNAL 2/2020 (Juni 2020), Seite 7