Zweigleisig und elektrifiziert

Die Ostbahn muss endlich ausgebaut werden!

Trotz des Bekenntnisses der Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD, mehr Verkehre auf die Schiene zu verlagern, sieht die Praxis in der Regel leider anders aus. Der erforderliche Ausbau der Schieneninfrastruktur erfolgt zu langsam oder gar nicht. Doch nur mit einem deutlich aufnahmefähigeren Bahnnetz kann der Verkehrsträger Schiene einen nennenswerten Beitrag zur Verkehrswende bzw. zum Erreichen der Ziele entsprechend dem Klimaschutzprogramm 2030 leisten.


DBV und IGEB Fernverkehr

1. Jun 2020

Ab Dezember 2020 beginnt der dringend notwendige Ersatzneubau der Brücken über die Odervorflut (hier im Bild) und die Oder. Zu den vorbereitenden Arbeiten gehört u. a. die bereits laufende Kampfmittelräumung. Foto: Christian Schultz

So führen auch viele grenzüberschreitende Strecken zwischen Deutschland und Polen völlig zu Unrecht weiterhin ein Schattendasein. Angesichts der Lkw-Kolonnen allein auf der Autobahn A 12 (Berliner Ring—Frankfurt (Oder)—Grenze Deutschland/Polen) ist eine Verlagerung, beispielsweise mittels des Kombinierten Verkehrs Schiene-Straße, dringend erforderlich und auch realisierbar.

Wenn die Verkehrspolitik das Ziel der Verlagerung tatsächlich ernst nehmen würde, müssten die Kapazitäten auf der Schiene gerade auch auf diesem wichtigen West-Ost- Korridor vordringlich ausgebaut werden.

Bahnstrecke Berlin—Frankfurt (Oder) erreicht Kapazitätsgrenze

Die mittlerweile (abgesehen vom Bahnhof Berlin-Köpenick) ausgebaute Bahnstrecke Berlin—Frankfurt (Oder) stößt zunehmend an Kapazitätsgrenzen.

Derzeit verkehren hier neben dem Reisezugverkehr durchschnittlich 60 bis 70 Güterzüge pro Tag. Die sehr wünschenswerten Schienengüterverkehre im Rahmen der TESLA-Ansiedlung in Grünheide werden zusätzlich Kapazitäten binden. Ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2022 wird die Regionalexpress-Linie RE 1 zwischen Brandenburg an der Havel und Frankfurt (Oder) in der Hauptverkehrszeit endlich auf drei statt derzeit zwei Fahrten pro Stunde und Richtung verdichtet. Auch das Angebot der

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EuroCity-Verbindung Berlin—Warschau soll in den nächsten Jahren auf sieben Zugpaare pro Tag erhöht werden. Trassenkonflikte sind somit nicht zu vermeiden.

Ein attraktives Angebot im Schienengüterverkehr mit kurzen Transportzeiten lässt sich jedoch nicht dadurch erreichen, dass die Züge wiederholt auf Überholgleisen stehen, um den Reisezugverkehr nicht zu behindern.

Um ausreichende Kapazitäten im Schienenverkehr zu erreichen, rückt damit bereits seit längerem die Notwendigkeit des Ausbaus der einstigen Preußischen Ostbahn Berlin—Kostrzyn (Küstrin)—Bydgoszcz (Bromberg) als Bypass in den Fokus.

Leider hat die deutsche Verkehrspolitik im Rahmen der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans 2030 auch in diesem Fall nicht weitsichtig gehandelt. Als Grund für die Nicht-Berücksichtigung des auch von DBV und IGEB wiederholt geforderten Ausbaus der Ostbahnstrecke wurde argumentiert: „Kein Nutzen für den Schienenpersonenfernverkehr und den Schienengüterverkehr angesichts vorteilhafterer Alternativstrecken in der Umgebung“.

Wie kann ausgerechnet die Strecke Berlin— Frankfurt (Oder), auf der – siehe oben – die Trassenkonflikte schon jetzt absehbar sind, vom Bundesverkehrsministerium als „vorteilhaftere Alternativstrecke“ eingestuft werden? Desinteresse beschreibt den Sachverhalt wohl treffender.

Dagegen wurde auch seitens des Geschäftsbereichs DB Netz AG in jüngster Vergangenheit betont, dass großes Interesse an einem zweigleisigen Ausbau und einer Elektrifizierung des Abschnitts Berlin—Grenze Deutschland/Polen—Kostrzyn besteht.

Zu den vorbereitenden Arbeiten für die Brücken-Neubauten über Odervorflut bzw. Oder und der damit verbundenen Streckensperrung gehört auch der Neubau eines Park+Ride-Platzes am Bahnhof Küstrin-Kietz. Foto: Christian Schultz

Polen handelt: Voruntersuchung zum Ausbau der Ostbahn

Im Gegensatz zur deutschen hat man auf polnischer Seite die Zeichen der Zeit erfreulicherweise erkannt. Derzeit erfolgt eine Voruntersuchung für eine grundlegende Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Ostbahn im Abschnitt Bydgoszcz (Bromberg)—Piła (Schneidemühl)—Krzyż (Kreuz)—Gorzów (Landsberg an der Warthe)—Kostrzyn (Küstrin), bei der auch dem Schienengüterverkehr der notwendig hohe Stellenwert beigemessen wird.

Für den Personenverkehr soll der Abschnitt Bydgoszcz—Pila dabei für eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h ausgebaut werden und der anschließende Abschnitt bis Kostrzyn für 160 km/h. Güterzüge sollen mit einer Maximalgeschwindigkeit von 120 km/h verkehren können. Überholgleise in den Bahnhöfen werden mit einer Mindestlänge von 750 Metern, und damit mit der heutigen europäischen Standard-Zuglänge, geplant.

Die Gesamtstrecke soll elektrifiziert werden bzw. die Oberleitungsanlagen im Abschnitt Bydgoszcz—Pila sollen modernisiert/ erneuert werden.

Die Voruntersuchung soll Mitte September 2020 abgeschlossen werden.

Klar ist aber auch: Die Nutzen-Kosten- Rechnungen für Investitionen auf polnischer Seite verschlechtern sich für diese international wichtige Strecke deutlich, wenn entsprechende Maßnahmen einschließlich der Elektrifizierung auf dem deutschen Abschnitt der Strecke unterbleiben! Es besteht somit auch das Risiko, dass es in Polen für dieses Projekt schlimmstenfalls keine finanzielle Unterstützung seitens der Europäischen Union gibt.

Erinnert sei daran, dass im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018 vereinbart wurde, dass bis zum Jahr 2025 insgesamt 70 Prozent des Bundesschienenwegenetzes elektrifiziert sein sollen. Auch die Ostbahnstrecke würde dazu beitragen, dieses wichtige Ziel zu erreichen.

Die Karte zeigt die einstige Preußische Ostbahn und verdeutlicht, dass nur ein kleiner Abschnitt der auszubauenden Strecke Berlin—Kostrzyn (Küstrin)—Bydgoszcz (Bromberg) auf deutschem Gebiet liegt. Doch das Gelingen dieses europäischen Projektes hängt davon ab, dass Deutschland mitmacht. Eine ausgebaute Ostbahnstrecke würde in der wichtigen Ost-West-Relation mehr Schienenverkehr ermöglichen und die stark befahrene Strecke über Frankfurt (Oder) entlasten. So beträgt beispielsweise die Entfernung Berlin—Poznań (Posen) über Frankfurt (Oder) 250 km, über Kostrzyn und Krzyz (Kreuz) sind es mit 272 km nur wenig mehr. Karte: OSM, Markierungen: IGEB

Neue Oderbrücken zwischen Küstrin- Kietz und Kostrzyn

Unabhängig von weiteren Planungen zum Ausbau der Ostbahnstrecke erfolgt ab Dezember 2020 der dringend erforderliche Ersatzneubau der Oderbrücken zwischen den Bahnhöfen Küstrin-Kietz und Kostrzyn, für die seit 9. April 2020 der Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes für das Vorhaben „Ersatzneubau Eisenbahnüberführung Oder und Eisenbahnüberführung Odervorflut“, Bahn-km 81,772 bis 82,800, Strecke 6078 Berlin—Küstrin, vorliegt.

Für den Zeitraum von zwei Jahren wird dieser Abschnitt daher komplett gesperrt. Es wird ein Schienenersatzverkehr (SEV) eingerichtet. Zu den zwischenzeitlich angelaufenen vorbereitenden Arbeiten gehört neben der Kampfmittelräumung im Baubereich auch der Neubau eines Pendlerparkplatzes am Bahnhof Küstrin-Kietz.

Der als Ergebnis eines Wettbewerbs 2015 gekürte Siegerentwurf der Planungsgemeinschaft Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft / Knight Architects sieht für die Oderquerung eine über vier Felder durchlaufende zweigleisige Trogbrücke mit Stützweiten von 130 m / 46,4 m / 46,4 m / 43,5 m (zusammen 266,3 m) vor. Das Feld für die Strombrücke wird im Gegensatz zum derzeitigen Zustand stützenfrei als Netzwerkbogenbrücke ausgeführt. Immerhin: Die Möglichkeit einer nachträglichen Elektrifizierung ist in der Planung bereits berücksichtigt.

Bahnhof Kostrzyn: Im Gegensatz zu Deutschland laufen in Polen bereits Voruntersuchungen zum Ausbau bzw. zur Elektrifizierung der Strecke Kostrzyn (Küstrin)—Krzyz (Kreuz)—Bydgoszcz (Bromberg). Foto: Christian Schultz

Zeitnahe Problemlösungen sind gefragt

Im Rahmen einer von der IHK Ostbrandenburg bei ETC in Auftrag gegebenen Studie wurden 2018 für unterschiedliche Ausbau- Szenarien des Streckenabschnitts Berlin— Kostrzyn auch Kostenschätzungen durchgeführt. Diese belaufen sich für den vollständigen zweigleisigen Ausbau einschließlich Elektrifizierung auf rund 320 Mio. Euro, d. h. ein im Vergleich zu fragwürdigen und mit hohen finanziellen Risiken verbundenen Neubaumaßnahmen, wie beispielsweise dem Projekt „Stuttgart 21“, ein durchaus überschaubarer Wert.

Angesichts der unverständlichen Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums, diese Strecke nicht im Bundesverkehrswegeplan 2030 bzw. im Anhang des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) zu berücksichtigen, müssen in Zusammenarbeit mit Polen nunmehr andere Finanzierungsmöglichkeiten gefunden werden.

Große Chancen hat dabei sicherlich die Nutzung des EU-Förderprogramms „Connecting Europe Facilities“ (CEF) in der nächsten Förderperiode von 2021 bis 2027. Voraussetzung ist dafür allerdings die Aufnahme dieser Strecke als Ergänzungsstrecke zum Transeuropäischen Vorrangkorridor „North Sea Baltic“ (auch als „Rail Baltica“ bezeichnet). Hier besteht dringender Handlungsbedarf, weil die Revision der Transeuropäischen Netze bereits im laufenden Jahr ansteht.

Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit: Mit dem 3. Gesetz zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) vom 6. März 2020 sind nunmehr erfreulicherweise auch Investitionen zur Kapazitätserhöhung von Schienenstrecken und Elektrifizierungen förderfähig.

Auch das vom Bundesverkehrsministerium bislang leider nur angekündigte neue Ausbauprogramm „Elektrische Güterbahn“ bietet Chancen einer Finanzierung. Hierbei geht es darum, durch gezielte Lückenschlüsse Ausweichstrecken für stark befahrene Korridore für Güterzüge zu elektrifizieren. Dies trifft auf die Ostbahnstrecke als Ausweichroute für die Strecke Berlin—Frankfurt (Oder)—Grenze Deutschland/Polen uneingeschränkt zu!

Herrensee: Seit 2017 ist der Abschnitt Strausberg—Rehfelde der Ostbahn wieder zweigleisig ausgebaut. Angesichts des verkehrspolitischen Ziels, mehr Verkehre auf die Schiene zu verlagern, müssen diese Arbeiten kontinuierlich fortgesetzt werden. Foto: Christian Schultz
Bahnhof Seelow-Gusow: Gerade vor dem Hintergrund überfälliger Verkehrsverlagerungen von der Straße auf die Schiene kommt dem zügigen Ausbau bzw. der Elektrifizierung der Strecke Berlin—Kostrzyn (Küstrin)—Bydgoszcz (Bromberg) hohe Bedeutung zu. Foto: Christian Schultz
Eine politische Blamage in einem zusammenwachsenden Europa: Die im vergangenen Jahr auf polnischer Seite fertiggestellte Oberleitung endet auf dem Neißeviadukt Görlitz. Lückenschlüsse in Deutschland fehlen. Dies darf sich an der Oderbrücke zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn nicht wiederholen! Foto: Sebastian Kliems

Nachdem in der Vergangenheit bereits einige wichtige Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur der Ostbahnstrecke erfolgt sind – hierzu gehören der im Jahr 2017 abgeschlossene zweigleisige Ausbau zwischen Strausberg und Rehfelde mit einem zweiten Bahnsteig in Herrensee und die Trennung von S-Bahn und Regionalbahn im Bahnhof Strausberg, muss der Ausbau nun kontinuierlich weitergehen. Eine erste Ausbaustufe muss hierbei sicherlich die Wiederherstellung der Zweigleisigkeit zwischen Berlin-Lichtenberg und Müncheberg umfassen, so dass ab Dezember 2022 in diesem Abschnitt ein stabiler Halbstundentakt im Personenverkehr realisiert werden kann.

Für die weiteren Ausbaumaßnahmen ist grundsätzlich eine enge Abstimmung mit Polen erforderlich. Eine politische Blamage wie im Fall der Elektrifizierung der Strecke Dresden—Görlitz—Grenze Deutschland/Polen bzw. Cottbus—Görlitz— Grenze Deutschland/Polen darf sich in einem zusammenwachsenden Europa keinesfalls wiederholen. Zur Erinnerung: Nachdem auf polnischer Seite im Jahr 2019 die Elektrifizierung auch des letzten 27 Kilometer langen Abschnitts Węgliniec (Kohlfurt)— Zgorzelec (Görlitz-Moys) der Strecke Wrocław (Breslau)—Görlitz abgeschlossen wurde, endet die Oberleitung seitdem nun mitten auf dem Neißeviadukt Görlitz. Das wird wohl noch für viele Jahre so bleiben, denn ein verbindlicher Terminplan zur Fortsetzung der Elektrifizierung auf deutscher Seite existiert unverständlicherweise bis heute nicht!

DBV und IGEB Fernverkehr

aus SIGNAL 2/2020 (Juni 2020), Seite 8-11