Ratgeber Fahrgastinfo

Nieder mit der Null-Information!

Ein feindlicher Agent geht um. Sein Name ist Blank. James Blank. Codename: Null Null Info. Sein Ziel: Sinnvolle Fahrgastinformation durch Nichtigkeiten und sogenannte Null-Informationen zu ersetzen. Dabei geht er perfide vor. Er schleicht sich mit einer Floskel in eine Information und höhlt diese schrittweise aus, bis nur noch eine leere Worthülse übrig bleibt.


Berliner Fahrgastverband IGEB

1. Jun 2020

Grafik: IGEB

Gute Fahrgastinformation ist kurz, präzise und leicht verständlich. Je mehr dieser Eigenschaften fehlen, umso schlechter wird die Information. Eigentlich logisch wie einleuchtend, doch in der Praxis schleicht sich gern die eine verschwurbelte Formulierung oder die andere Sprachfloskel ein.

Das mag in Briefen oder umfangreichen Broschüren noch als höflich gelten. Ein „Sehr geehrte Fahrgäste“ kann sehr gut eine E-Mail einleiten. Auf dem Bahnsteig hat das dann allerdings gar nichts zu suchen! Gefürchtet sind diese Anreden besonders auf Zugzielanzeigern. Bei der Berliner S-Bahn zum Beispiel begannen Lauftexte im Zugzielanzeiger gern so. Dabei läuft der Text in der Geschwindigkeit trocknender Wandfarbe durch, sodass nach „Sehr geehrte Fahrgäste“ bereits zwei Züge abgefahren waren.

Aber auch Aushänge sind nicht davor gefeit. „Ist der Zug erst weg, hat der Kunde ja Zeit, das komplette lyrische Werk zu studieren“, wird sich da so mancher Baumeldungszettelschreiber gedacht haben. Doch Überraschung! Dazu hat er gar keine Lust!

„Achtung! Dieses Wochenende Ersatzverkehr mit Bussen auf der Linie 1 zwischen Bad Sonstwo und Dingenskirchen.”

Dieser Satz enthält alles Wichtige, ist schnell und leicht zu erfassen. Jetzt noch eine klare Streckengrafik dazu und die Information ist perfekt. Leider bekommt der Kunde solche klaren Aussagen nur selten zu lesen. Stattdessen:

„Sehr geehrte Fahrgäste, wir bauen für Sie! Damit der Zugverkehr auf der Linie 1 in Zukunft noch zuverlässiger abläuft, sind unsere Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter vom 29.2.2020, 22:00 Uhr bis zum 32.2.2020, 01:30 Uhr zur Verbesserung der Strecke unterwegs. Daher sind im oben genannten Zeitraum die Züge der Linie 1 nur zwischen den Bahnhöfen Endstation1 und Bad Sonstwo sowie zwischen Dingenskirchen und Endstation2 unterwegs. Zwischen Bad Sonstwo und Dingenskirchen steht Ihnen ein besonderer Service mit unseren Bussen zur Verfügung. Bitte informieren Sie sich vor Fahrtantritt über die Reiseauskunftsmedien und beachten Sie die Aushänge! Achten Sie bitte auch auf örtliche Lautsprecheransagen auf dem Bahnsteig oder in den Zügen! Vielen Dank für Ihr Verständnis!“

Der Verfasser hat sich redlich Mühe gegeben, die wichtigen Informationen inmitten von haufenweise Füllwörtern und -Sätzen zu verstecken. So geballt sind die Unzulänglichkeiten zwar selten anzutreffen, doch Teile daraus tauchen ständig in Baumeldungen im Internet, in Apps, auf Anzeigern oder Aushängen auf. Dabei haben die meisten Sätze exakt Null Informationsgehalt.

Statt die veränderten Echtzeit-Abfahrten anzuzeigen war es einem BVG-Mitarbeiter wichtiger, mitzuteilen, dass der Fahrplan nicht mehr stimmt. Der Hinweistext überdeckt damit die Live-Abfahrtszeiten und an der Haltestelle gibt es damit nun gar keine korrekten Abfahrt-Infos mehr. Foto: IGEB
Großes Schild, fast keine Info. Hier erfährt man nur, dass einen ganzen Monat lang „irgendetwas ist“. Eine Information stellt nur der gelbe Zeitraum ganz oben dar; die restlichen 95% des Schildes hingegen sind nur inhaltsleeres Blabla. Foto: IGEB

Nicht nur Geschriebenes, sondern auch Ansageanlagen wurden in den letzten Jahren zu regelrechten Phrasendreschmaschinen entwickelt. Zum Beispiel im Zug. Sagte früher der Zugbegleiter die nächste Station teilweise mit Umsteigebeziehungen an, so sollte das die Weiterentwicklung auch können. Übereifriger Automatisierungswille und der Drang zur Verallgemeinerung haben daraus dann das gemacht:

„Nächte Station: Berlin Hauptbahnhof. Sie haben Anschlüsse an Züge des Nah- und Fernverkehrs.“

- „Ach was!“ wird sich da jetzt der geneigte Hörende denken. „Ich habe am Berliner Hauptbahnhof also Anschlüsse an Züge des Nahverkehrs? Und sogar an Züge des Fernverkehrs... nicht schlecht! Da hab ich am Berliner Hauptbahnhof ja so gar nicht mit gerechnet! Gut, dass mir das jetzt noch gesagt wurde, sonst wäre ich ja gar nicht auf die Idee gekommen, dass am Berliner Hauptbahnhof nicht nur mein Zug hält, sondern auch andere!“

Schön auch, wenn einem vor dem Aussteigen noch dieser gut gemeinte Ratschlag mit auf dem Weg gegeben wird: „Bitte achten Sie auch auf die örtlichen Lautsprecheransagen auf dem Bahnsteig!“ Dieser Nullinfo-Satz krankt gleich an zwei Logikfehlern. Fehler 1: Würde der Kunde sonst die Ansagen auf dem Bahnsteig gar nicht hören oder gar absichtlich ignorieren? Und Fehler 2: Wenn der Kunde erst darauf aufmerksam gemacht werden müsste, bevor dieser bei Lautsprecheransagen zuhört, dürfte er doch logischerweise die jetzige Ansage gar nicht beachten, in der er auf eine mögliche andere Ansage hingewiesen wird?

Wir alle kennen die sicherlich sinnvolle Warnansage: „Bitte betreten Sie den gekennzeichneten Bereich erst nach Halt des Zuges!“ Doch was macht man als Ansagenprogrammierer, wenn der Gefahrenbereich an der Bahnsteigkante noch gar nicht gekennzeichnet wurde? Seit einiger Zeit gibt es in Berlin-Gesundbrunnen diese Ansage: „Sehr geehrte Fahrgäste, bitte bleiben Sie bis zum Halt des Zuges im Aufenthaltsbereich des Bahnsteiges!“ Nur ist dieser ominöse, nicht näher beschriebene „Aufenthaltsbereich“ weder markiert noch klar abgegrenzt. Auch nicht ausgeschildert. Es gibt ihn schlichtweg nicht. Wahrscheinlich möchte man einfach nur sagen: „Bitte gehen Sie nicht zu dicht an die Bahnsteigkante!“ Doch aus dieser wichtigen Warnung ist mit dem mysteriösen „Aufenthaltsbereich“ leider eine Nullinformation geworden.

Als jüngst bei der Berliner S-Bahn das Türöffnungskonzept von „Kunde-muss- Knopf-drücken“ auf „Fahrer-öffnen-zentral“ umgestellt wurde, hielten das manche im Unternehmen offensichtlich für kreuzgefährlich. Zuerst musste ein Ansagetext her. „Achtung, Türen öffnen!“ böte sich da an. Jetzt stellte sich aber heraus, dass die Fahrzeugtechnik nicht in jedem Fall so funktioniert, wie der Fahrer es will. Heißt: Manchmal funktioniert zentral Öffnen einfach nicht. Und so entstand folgender Ansagetext: „Sicherheitshinweis: Türen können automatisch öffnen.“ Haben Sie Bekannte mit kleinen Kindern? Dann kennen Sie die Berichte, dass das Kind jetzt krabbeln kann, laufen kann, aufs Töpfchen gehen kann... KANN, wohlgemerkt. Wie stolz muss wohl der Erfinder dieser S-Bahn-Türen sein, dass er nach ausnahmslos jeder Stationsansage laut verkünden lässt, was sein Kind, die Tür, denn so für eine tolle Fähigkeit hat? Bestimmt stolz wie Bolle! Wenn das Schule macht, kommen bald noch die Fähigkeiten der Beleuchtungsanlage und weiterer Einrichtungsgegenstände dazu. Nein, ernsthaft, das ist in der Fülle nicht nur nervig, es stellt auch in der Form, die simple Möglichkeit einer Türöffnung anzukündigen, eine eindeutige Null-Information dar. Wenn sie sich nicht öffnen könnte, wäre es keine Tür, sondern eine Wand.

Beispiele ließen sich unendlich fortsetzen. Doch so lustig das alles aufbereitet wirken mag, so kontraproduktiv ist die Nullinformation für den Fahrgast. Sie verwirrt, bläht auf und stumpft ab. Wer mit Nullinformationen bombardiert wird, hört und sieht irgendwann nicht mehr hin, wenn es doch mal etwas Wichtiges zu sagen gibt. Daher machen Sie mit, liebe Informationsgebenden der Verkehrsbranche, beim Kampf gegen den feindlichen Agenten Null Null Info! Es ist ganz einfach: Wenn Sie Texte erstellen, die dem Kunden vor Ort weiterhelfen sollen, dann schauen Sie genau hin! Was ist Information, und was ist es nicht? Letzteres einfach weglassen! (hm)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 2/2020 (Juni 2020), Seite 22-23