Schienenverkehrswochen 1993

Dieter Funk (DR): Zum Pilzkonzept gibt es keine Alternative.

Der ehemalige Kinosaal des Hauptbahnhofs war auch am 9. September überfüllt. Einmal mehr erwies sich das Thema "Eisenbahnkonzeption Berlin" als Publikumsrenner. Dipl.-Ing. Dieter Funk, Abteilungsleiter Betriebliche Infrastruktur der Rbd Berlin, räumte denn auch im Verlauf seines Vortrags zum Stand der Umsetzung ein, die Reichsbahn müsse noch besser und anschaulicher informieren. Um die Gegenüberstellung prinzipiell unterschiedlicher Varianten kann es Funk zufolge indes nicht mehr gehen, denn eines ist für ihn klar: "Zum Pilzkonzept gibt es keine Alternative". Jetzt gelte es, dieses so zügig wie möglich umzusetzen.

Anderen Ideen erteilte der Reichsbahn-Experte schon wegen fehlenden "Durchdringungsstandes" hinsichtlich verkehrlicher, technischer und wirtschaftlicher Aspekte eine Absage. Auch die bekannte Ringvariante schneide weder bei den Investitionen noch bei den jährlichen Betriebskosten günstiger ab. Zweiflern im Publikum versicherte er, das sei durchaus gründlich geprüft. Allerdings merkte Herr Funk an, daß zum Pilzkonzept eindeutige Direktiven aus Bonn teilweise immer noch ausstünden. Ein Defizit sah er zudem bei der begleitenden Stadtplanung in den Bereichen um den Lehrter Bahnhof und an der künftigen Station Papestraße. Die städtebauliche Konzeption für das weitere Umfeld sei aber nicht Aufgabe der Bahnplaner. Diese hätten sich im wesentlichen um bahninterne Funktionen und die unmittelbare Stadterschließung zu kümmern. Im übrigen würden die vorliegenden und aus der Presse bekannten Architektenentwürfe möglicherweise nochmals modifiziert. Für die Bahnhöfe Spandau und Gesundbrunnen ist das bereits geschehen.

Kurz- und mittelfristige Vorhaben

Im zweiten Teil des Vortrags ging es um begonnene oder kurz bevorstehende Baumaßnahmen auf Strecken im Bereich der Rbd Berlin:

  1. Berliner Außenring - Jüterbog (- Halle/Leipzig - Erfurt): Der erreichte Ausbauzustand erlaubt auf dem Berliner Außenring bis zum Abzweig Genshagener Heide schon heute 160 km/h, jedoch ist das in den noch gültigen Fahrplänen nicht berücksichtigt. Zwischen Ludwigsfelde und Trebbin sollen ab Sommer 1994 ebenfalls 160 km/h zugelassen sein.
  2. Griebnitzsee - Werder (- Magdeburg): Die Gleisanlagen im Bahnhof Werder wurden in den letzten Monaten umgestaltet. Im kommenden Jahr folgen die Arbeiten im Streckenabschnitt Griebnitzsee - Werder einschließlich des Bahnhofs Potsdam Stadt. Ende 1995 sollen der Ausbau für Tempo 160 und die Elektrifizierung über Brandenburg bis Magdeburg abgeschlossen sein.
  3. Berlin-Spandau - Nauen (- Hamburg): Im Bahnhof Nauen sind die Bautrupps bereits in Aktion, 1994 laufen die Maßnahmen zwischen Spandau und Nauen an. Voraussichtlich nehmen ab Sommer 1995 die Fernzüge der Hamburger Bahn wieder ihre traditionelle Route via Falkensee, ebenso Regionalbahnen (auf zwei Gleisen in Dammlage).
  4. Berlin-Lichterfelde Ost - Teltow: Der zunächst eingleisige Lückenschluß auf der Anhalter Bahn ist für 1995 (spätestens 1996) in Aussicht genommen. Hier fährt dann die Regionalbahn. Eine spätere Verlängerung der Gleichstrom-S-Bahn sowohl in Richtung Teltow Stadt als auch Ludwigsfelde bleibt grundsätzlich möglich.
Podium
Dieter Funk, Abteilungsleiter Betriebliche Infrastruktur der Rbd Berlin, und rechts Moderator Wolfgang Stahnke vom Veranstalter PRO BAHN, im Kinosaal des Hauptbahnhofes. Der Andrang war so groß, daß leider nicht alle Interessenten eingelassen werden konnten. Foto: Georg Radke

Diesen Teilprojekten soll 1997 die Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin - Stendal - Hannover folgen. Um den Abschnitt Charlottenburg - Spandau zweigleisig und elektrisch auszubauen, müssen die Fernzüge zwischenzeitlich für voraussichtlich zwei Fahrplanperioden auf die S-Bahn-Trasse via Pichelsberg ausweichen. Erst 1997 wird auch die sanierte und elektrifizierte Stadtbahn Zoo - Hauptbahnhof wieder voll zur Verfügung stehen. Sie bleibt demnach ab Sommer 1994 drei Jahre lang für den Fernverkehr gesperrt. Neben Einschränkungen im S-Bahn-Verkehr (u.a. je nach Fahrtrichtung und Bauphasen wechselnde "Umleitung" über die Fernbahntrasse ohne Halt auf den reinen S-Bahn-Stationen) kommt es in diesem Zeitraum auch zu drastischen Kapazitätseinbußen im Hauptbahnhof. Vorübergehend werden dort für Fernzüge nur zwei Bahnsteiggleise nutzbar sein. Zurückgestellt hat die Reichsbahn im übrigen das Projekt einer zusätzlichen, sechsten Fernbahnsteigkante. Bis 1997 wird sie jedenfalls nicht realisiert.

Projekte bis 2002

Die von Herrn Funk genannten Planziele für die schrittweise Realisierung des Pilzkonzepts lauten:

1998 Teilinbetriebnahme des sogenannten Nordkreuzes mit Fern- und Regionalbahnhof Gesundbrunnen, Anbindung der S-Bahn nach Bernau und der Fernbahn zum Karower Kreuz (Richtung Stralsund/Stettin). Ausdrücklich betonte er, daß die Reichsbahn - entgegen Presseberichten - der Bahnhof Gesundbrunnen weiterhin für Fernreisezüge konzipiere. Diese wichtige neue Station im westlichen Stadtgebiet sei - neben Spandau - als erste zu nutzen.

1999 Ringschließung zur Schönhauser Allee und volle Inbetriebnahme des Nordrings für den Fernverkehr.

1999/2000 Fertigstellung der Anhalter Bahn südlich des Innenrings. Vorher muß das heutige "S-Bahn-Provisorium" an der Papestraße verschwinden. Im Bereich des sogenannten Südgeländes wird die Trasse der beiden Ferngleise stark nach Osten verlagert, um das dort entstandene "Biotop" wenigstens teilweise zu erhalten.

2000 Zunächst zweigleisige Inbetriebnahme des Nord-Süd-Tunnels durch den Tiergarten.

2002 Vollständige Inbetriebnahme des Fern- und Regionalbahntunnels mit dem zentralen Umsteigeknoten zur Ost-West-Stadtbahn sowie dem Regionalbahnhof Potsdamer Platz.

Gestreckt worden ist der Zeitrahmen für den Wiederaufbau der Fernverbindung über Lichtenrade. Auf der Dresdener Bahn rollen erst irgendwann nach dem Jahr 2000 wieder Fernzüge. Vorab soll es hier auch keinen Regionalverkehr geben. Ganz am Schluß der Prioritätenliste steht die Nordbahn Schönholz - Birkenwerder. Sie soll gar erst 2001 oder 2002 in Angriff genommen werden, auch im Hinblick auf die kostenaufwendige Verlegung der S-Bahn, die 1986 von den West-Berliner Senatsverwaltungen unter Inanspruchnahme der Fernbahntrasse erneuert worden war.

Zum Planungs- und Bauablauf

Im Interesse einer optimalen Koordination der einzelnen Vorhaben im Zentralen Bereich ist beabsichtigt, eine gemeinsame Projektgesellschaft aller Beteiligten zu gründen. Trotz fertiger technischer Entwürfe konnte das Planfeststellungsverfahren nicht, wie ursprünglich avisiert, im August 1993 beginnen. Ungeachtet dessen müßten nach Herrn Funks Angaben die überwiegend in offener Wand-Sohle-Bauweise zu errichtenden Tunnelanlagen spätestens Anfang 1998 abgedeckelt sein. Die Methode des Schildvortriebs wird für die Bereiche unmittelbar nördlich und südlich des Bahnhofs Potsdamer Platzes gewählt (etwa zwischen Scheidemannstraße und Landwehrkanal). Bemerkenswert noch: Für den gesamten Tunnel ist eine feste Fahrbahnplatte vorgesehen (also schotterlos), unter Potsdamer Platz und geplantem Regierungsviertel gewährleistet ein spezielles Masse-Feder-System besonders hohen Erschütterungsschutz.

Von 1994 an soll die Eisenbahn den Löwenanteil der durch die Bauvorhaben im Zentralen Bereich verursachten Transporte bewältigen. Es handelt sich vor allem um Bodenaushub, aber auch Baustahl und große Mengen Rohbaustoffe. Eigens dafür entstehen im Bereich der Logistikzentren Nord (auf dem "Hamburg und Lehrter Güterbahnhof) und Süd (am Gleisdreieck) neue Umschlagplätze und Gleisanlagen. In Spitzenzeiten ist mit täglich 24 Zügen mit bis zu je 1500 Tonnen zu rechnen. Befahren werden der Nordring sowie das in den nächsten Monaten wiederherzurichtende Gütergleis entlang der Wannseebahn, zumindest nachts wohl auch die S-Bahn-Trasse über Lichtenrade.

Das Investitionsvolumen für die Eisenbahnbaumaßnahmen allein im Zentralen Bereich bezifferte Dieter Funk mit 3 bis 3,3 Mrd DM. Anderslautende Zahlen für den Tunnelbau, so die von einem Zuhörer kritisierte Kostenexplosion von dereinst angesetzten 2 auf 5 Milliarden, rückte er zurecht. Abgesehen davon, daß häufig Straßenund U-Bahn-Tunnel einfach hinzuaddiert würden, ließen derartige Vergleiche die inzwischen geänderten Prämissen außer acht. Im September hießen diese noch: vier Gleise für Fern- und Regionalbahn in abschnittsweise separaten, jeweils eingleisigen Tunnelröhren, dazu zwei S-Bahn-Gleise (S21) mit Ausfädelungen auf den Nordring sowohl Richtung Beusselstraße als auch Gesundbrunnen. Letztere Maßnahmen waren auf Senatswunsch nachträglich zu berücksichtigen, auch die planerischen Bereichsgrenzen änderten entsprechend.

Eine aktuelle Ergänzung: Am 5. Oktober hat der Berliner Senat beschlossen, auf den Bau der S21 zu verzichten. Geprüft werden derzeit noch die Möglichkeiten und Bedingungen für eine Trassenfreihaltung auf dem Abschnitt Potsdamer Platz - Lehrter Bahnhof - Perleberger Brücke (- Gesundbrunnen). Der Beginn des Planfeststellungsverfahrens für die Tunnelanlagen im Zentralen Bereich wurde deshalb auf Januar/Februar 1994 verschoben.

Mit forcierter Öffentlichkeitsarbeit, kündigte Herr Funk an, will die Reichsbahn künftig dem starken Interesse gerade am Planungs- und Bauablauf Rechnung tragen. Überlegt wird unter anderem die ständige Präsentation von Modellen in der Güterhalle des Anhalter Bahnhofs an der Möckernstraße. In Kooperation mit der "IVZ Berlin - Ingenicurgemeinschaft für die Planung der Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich" werden auf Schautafeln dort bereits seit dem Sommer die Planungen gezeigt.

... über das Pilzkonzept hinaus

Zahlreiche Fragen aus dem Publikum betrafen die nicht zum Pilzkonzept gehörenden Strecken. Doch weder für die Potsdamer Stammbahn noch für die Kremmener Bahn und den südlichen Innenring (soweit Fernreiseverkehr) konnte Herr Funk konkrete Vorhaben oder gar Termine nennen.

Äußerst skeptisch beurteilte er im übrigen die Realisierungschancen des vom Land Brandenburg gewünschten 160 Stundenkilometer schnellen RegionalExpresses über Tegel und Velten nach Neuruppin.

Zum Thema Güterverkehr verwies der Referent auf die Zuständigkeit anderer Ressorts. Jedoch verneinte er die von einem Diskussionsteilnehmer gemutmaßte baldige Schließung des Pankower Rangierbahnhofs. Neueren Überlegungen zufolge bleibt dieser jedenfalls mittelfristig in Betrieb, deshalb gibt es in Pankow auch keine neue Abstellanlage für Reisezüge. Wegen des rückläufigen Güteraufkommens wird eher die Stillegung des Rangierbahnhofs Wuhlheide bzw. der Verzicht auf dessen Ausbau erwogen.

Sinngemäße Antwort auf die Frage nach grundlegender Erneuerung des S-Bahnhofs Ostkreuz: Figentlich längst fällig, spätestens bis zum Jahr 2000 aber unumgänglich! Aus den bisher nach Linien getrennten unteren Bahnsteigen werden dann Richtungsbahnsteige (je einer für stadtein- oder stadtauswärts fahrende Züge). Erforderlich sind dazu neue Überwerfungsbauwerke. Östlich des Ringbahnsteigs und südlich des jetzigen Erkner-Bahnsteigs entsteht je ein Regionalbahnsteig. Aber der alte Wasserturm, markantes Wahrzeichen am Ostkreuz, bleibt unangetastet!

IGEB

aus SIGNAL 8/1993 (November 1993), Seite 12-13

 

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