|
Leipziger Straße. Hier liegen bereits Straßenbahngleise für die Tram vom Alex zum Kulturforum. Aber wenn auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße der Boulevard der Stars gebaut wird, dann kann hier keine Straßenbahn fahren. Foto: Marc Heller |
|
Ab 2010 soll in Berlin auf dem Mittelstreifen der
Potsdamer Straße der „Boulevard der Stars“ entstehen,
genau dort, wo künftig die Straßenbahn
vom Alexanderplatz zum Kulturforum verkehren
soll. Der vom Preisgericht eines Realisierungswettbewerbs
ausgewählte Entwurf ist mit
der Straßenbahnplanung nicht vereinbar. Doch
das scheint niemand zu interessieren, schon gar
nicht die für Boulevard und Straßenbahn verantwortliche
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Gegner des Straßenbahnausbaus
können also wieder einmal triumphieren: SPD und Linke reden stets von der
Straßenbahn und bauen doch selbst die größten Hindernisse. So wird aus dem Walk
of Fame (Straße des Ruhms) ein Walk of Shame (Straße der Schande). Dabei gäbe es
Alternativen.
Das Kino wurde in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts auch von zwei Berlinern,
den Brüdern Skladanowsky, entwickelt.
Dennoch gibt es in Berlin bis heute keine
Erinnerungsstätte, die diese Leistung und
das Kino als solches angemessen würdigen.
Aber nun soll ein Boulevard der Stars im Mittelstreifen
der Potsdamer Straße zwischen
Potsdamer Platz und Kulturforum realisiert
werden. Die Grundsteinlegung ist im Februar
2010 anlässlich der 60. Berliner Filmfestspiele
geplant.
|
Preisgekrönter Entwurf vom Büro GRAFT mit ART+COM AG für den Boulevard der Stars. Wird er so realisiert, kann die auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße geplante Straßenbahn nicht mehr gebaut werden. Abbildung aus: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ergebnisprotokoll, Juni 2009. |
|
Straßenbahn soll „berücksichtigt“
werden
Mittelstreifen der Potsdamer Straße? Sollte
da nicht eigentlich eine Straßenbahntrasse
gebaut werden? Richtig – und jetzt wird
es skurril: Ungeachtet dieser Planungen
schrieb die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
im Februar 2009 einen Wettbewerb
zur Realisierung eines „Boulevard
der Stars“ auf dem Mittelstreifen aus, wenn
auch mit der Vorgabe: „Bei der Konzeptfindung
ist zu berücksichtigen, dass später
einmal (sic!) eine Straßenbahn auf dem
Mittelstreifen der Potsdamer Straße fahren
wird.
Zitat aus der Ausschreibung: „Das von den
Wettbewerbsteilnehmern zu entwickelnde
Konzept muss gewährleisten, dass die Straßenbahnplanung
in der vorliegenden Form
zu gegebener Zeit realisiert werden kann.
Hierzu ist es jedoch nicht erforderlich, dass
der Entwurf bereits von vornherein in vollem
Umfang die Straßenbahnplanung berücksichtigt.
Vielmehr können in einer zeitlichen
Stufung die Vorbehaltsflächen der Straßenbahn
für den Boulevard der Stars zunächst
mit in Anspruch genommen werden. Sobald
die Straßenbahntrasse und die Haltestelle
im Mittelstreifen realisiert werden, müssen
die hier eingebauten Elemente ohne großen
technischen und finanziellen Aufwand in
andere Flächen des Wettbewerbsgebietes
verlagert werden können.“
Da in dieser Stadt entgegen aller öffentlichen
Bekundungen die Straßenbahn und
die sie betreffenden Planungen immer an
letzter Stelle kommen, sind die Entwürfe
entsprechend ausgefallen. Drei der sieben
Wettbewerbsbeiträge ignorieren die Straßenbahn
komplett, die Trasse kommt nicht
einmal pro forma als Skizze in den Entwürfen
vor. Hier vertraut man wohl auf das
„Stufenkonzept“ der Straßenbahnplanung
bzw. darauf, dass die Trasse nie realisiert
wird.
Wettbewerbsteilnehmer ignorieren
Straßenbahnplanung
Ein Entwurf (Nr. 1323) zeigt zwar Straßenbahngleise
und sogar eine Straßenbahn,
platziert aber mitten auf der eingezeichneten
Trasse einen riesigen, mit goldener Farbe
bemalten Steinbrocken. In den Plänen
eingezeichnet ist eine Straßenbahn, die vor
diesem Stein steht und offensichtlich darauf
wartet, dass dieser sich auflöst – ein Sinnbild
für die Zustände in Berlin.
Ein Entwurf (Nr. 1321) versucht, die Straßenbahn
irgendwie unterzubringen, positioniert
die Ausstellungselemente (begehbare
ca. 3 m hohe schwarze Metallkästen) aber
bis zu 37 cm an das Gleis heran, was sogar
von der Jury als zu dicht und als Gefährdung
eingeschätzt wurde. In der Tat würden die
übermannshohen schwarzen Metallbügel
den Passanten die Sicht auf die Züge und
umgekehrt versperren, was ein massives Sicherheitsproblem
darstellte.
|
Potsdamer Straße zwischen Potsdamer Platz (unten) und Kulturforum (oben). Auf dem Mittelstreifen und den beiden Gehwegen will der Berliner Senat den Boulevard der Stars realisieren. Abb. aus: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ausschreibung, Februar 2009. |
|
Der einzige Entwurf, der die Straßenbahn
ernst nimmt, ist Nr. 1322. Bei diesem wird die
Bahn in der Mitte des Mittelstreifens angeordnet,
rechts und links finden sich Leuchten,
die an Design-Gartenleuchten erinnern
und den Boulevard der Stars darstellen sollen.
Immerhin wurde hier sogar ein Platz für
eine Haltestelle planerisch ausgearbeitet.
Leider wurde der Entwurf nur mit einem
2. Preis bedacht.
Der Siegerentwurf (Nr. 1325) vom Büro
GRAFT mit ART+COM AG dilettiert mit einer
shared-space-Variante zu Lasten der
Straßenbahn. Hier wird ein roter Asphaltbelag
(„Roter Teppich“) abwechselnd auf die
Gleise Richtung Steglitz und Richtung Weißensee
gelegt, alle 40 m sind beide Gleise
Ausstellungszone. In den Asphalt der Seitenbereiche
sollen dann fünfzackige Sterne
mit den Namen der Geehrten eingelassen
werden, was eine einfallslose Kopie des Vorbildes
aus Hollywood darstellt.
Zusätzlich ist geplant, Metallstelen aufzustellen,
in denen die Bilder von verstorbenen
Schauspielern und Regisseuren so
projiziert werden, dass sich Passanten „neben“
diese auf den Boulevard stellen und
gemeinsam fotografiert werden können.
Man stelle sich das mal im realen Leben vor:
Vom Alex und von der Bülowstraße kommen
im 3-Minuten-Takt Züge der M 4 und
müssen sich dann durch die Gruppen von
Filmfans klingeln, die ein Erinnerungsfoto
mit der virtuellen Hildegard Knef machen
wollen und dafür auf den Gleisen posieren –
absurd. Gerade vor dem Hintergrund der
gegenwärtigen BVG-Kampagne „Achte auf
Deine Linie“, in der die Menschen mühsam
dazu angehalten werden, den Straßenbahngleisen
fernzubleiben, erscheint dieser
Entwurf wie ein Stück aus dem Tollhaus.
Jury verkennt Sicherheitsprobleme
Nun kann die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
zwar darauf verweisen, dass
sie in der Ausschreibung korrekt darauf
verwiesen hat, dass „ein Fußgängerverkehr
auf den lediglich 3 m breiten Streifen zwischen
Straßenbahntrasse und Fahrbahnen
aus Sicherheitsgründen nicht zu vertreten
ist.“ Doch die Jury hat sich bei der Vergabe
des 1. Preises darüber hinweggesetzt, behauptete
aber laut Ergebnisprotokoll der
Preisgerichtssitzung vom 28. Mai 2009: „Die
Umsetzung der projektierten Straßenbahnplanung
hält die Jury mit der offenen Konzeption
des Entwurfs erfüllbar.“ Welch ein
Irrtum!
Doch das hinderte die Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung, die diesen Irrtum als
erste erkennen müsste, nicht daran, die
Realisierung des 1. Preises zu verkünden
und damit Berlins wichtigste Straßenbahnneubaustrecke
für lange Zeit zu blockieren.
Dabei würde die Straßenbahnlinie M 4 bei
einer Führung von Hohenschönhausen
über Potsdamer Platz bis Rathaus Steglitz
mit täglich 145 000 Fahrgästen äußerst
attraktiv und auch wirtschaftlich (siehe
Studie „Busersatzverkehr“, vorgestellt im
SIGNAL 5/2008, Artikellink am Ende dieses Artikels).
Warum schweigt der Finanzsenator?
Eine profitable Straßenbahn als gelungenes
Vorbild für weitere Ausbaumaßnahmen ist
aber trotz Haushaltsnotlage offensichtlich
kein erstrebenswertes Ziel. Während es
beim Straßenneubau in Berlin mittlerweile
ungebremst zurück in die 1960er Jahre geht
und der Senat den Autobahnbau durch
Wohngebiete der Innenstadt mit äußerstem
Engagement vorantreibt, hat die Straßenbahn
offensichtlich nichts zu erwarten.
Der Boulevard der Stars ist – wenn er in der
beabsichtigten Version realisiert wird – eine
große Geldverschwendung, denn der Siegerentwurf
verträgt sich nicht mit der Bahn
und müsste dementsprechend eines Tages
entfernt werden. Das wäre eine sogenannte
„verlorene Investition“. Was sagen eigentlich
Finanzsenator und Landesrechnungshof
dazu?
Um es klar zu sagen: Der Berliner Fahrgastverband
IGEB ist nicht gegen eine Ehrung
von Künstlern der Filmbranche, von denen
viele unter großen persönlichen Opfern
sowie mit viel Engagement das Kino bereichert
haben und von denen viele ab 1933
von den Nazis aus der Stadt vertrieben oder
umgebracht wurden. Eine Würdigung ist
überfällig. Aber warum muss diese Ehrung
ausgerechnet auf einer der wichtigsten Straßenbahntrassen
Berlins stattfinden?
Es gibt bessere Lösungen – für alle
Dabei gibt es Möglichkeiten, den Boulevard
der Stars zu realisieren, ohne die Straßenbahn
zu verhindern. Wenn diese Strecke
endlich gebaut würde, könnte die bestehende
Busspur in der Potsdamer Straße aufgehoben
und den Gehwegen zugeschlagen
werden. Auf diesen jeweils 3,50 m breiten
Streifen ließe sich dann beiderseits der Potsdamer
Straße ein dauerhafter Boulevard der
Stars anlegen.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB
schlägt deshalb vor, den existierenden Mittelstreifen
sofort mit eingepflasterten Gleisen
und Haltestellebereichen zu realisieren
und bis zum Anschluss an das Straßenbahnnetz
als Busfahrstreifen für die Linien
M 48, M 85 und 200 zu betreiben. Dadurch
würde allen künftigen Nutzungskonflikten
vorgebeugt. Die gegenwärtigen Busspuren
können dann sofort aufgehoben und
für einen permanenten Boulevard der Stars
genutzt werden. (mg) IGEB Stadtverkehr
|