Brandenburg

Eine Folge der Eingemeindungen

Potsdam erhält ein neues ÖPNV-Konzept

Die Stadt Potsdam hat die Neukonzeption des städtischen ÖPNV in Auftrag gegeben. Den Anstoß hierfür gab die politische Forderung nach einer besseren Anbindung der neuen Ortsteile im Norden an das städtische ÖPNV-Netz. Der Verkehrstisch Potsdam, in dem der DBV seit 2003 aktiv mitarbeitet, begleitet die Konzepterstellung beratend.

Ende der 1990er Jahre beschlossen Potsdams Stadtverordnete, die Verwaltung mit der Erarbeitung einer Lokalen Agenda 21 zu beauftragen. Die Agenda 21 beschreibt Leitbilder und Handlungsfelder zur Lösung der ökologischen und sozialen Weltprobleme und steckt Lösungsstrategien für eine weltweite nachhaltige Entwicklung ab. Auf dieser Basis hat der Oberbürgermeister den Verkehrstisch Potsdam ins Leben gerufen, der seit November 2002 in regelmäßigen Abständen zusammentrifft mit dem Ziel, die Verkehrsentwicklung der Landeshauptstadt im Sinne der Agenda 21 zu beeinflussen.

Der Verkehrstisch Potsdam

Der Verkehrstisch Potsdam ist ein Forum engagierter Bürger mit beratender Funktion, das Bürgeranliegen im Bereich Verkehr bearbeitet und an die entsprechenden Entscheidungsgremien weiterleitet. Zwei Arbeitsgruppen liefern Anstöße zu den Themenbereichen „Umweltverbund, Wasser, Lärmbelästigung, Lebensqualität" und „Hauptstraßenverkehr/Innenstadt" Die Arbeitsgruppen suchen Kontakt zu Politik, Verwaltung, Verbänden, Verkehrsunternehmen und Wissenschaft. Das halbjährlich stattfindende Plenum dient der Zwischenbilanz und der öffentlichen Diskussion der Ergebnisse der Arbeitsgruppen.

Neukonzeption des ÖPNV auf breiter Basis diskutiert

Der DBV-Regionalverband Potsdam-Mittelmark bringt sich fast von Beginn an aktiv in die Tätigkeit des Verkehrstisches ein. Unter unserer Mitwirkung hat der Verkehrstisch ein Thesenpapier für die Gestaltung eines attraktiven ÖPNV-Angebots formuliert. Die Thesen wurden in der Folge mit Fallbeispielen untersetzt, die einige Unzulänglichkeiten des derzeitigen ÖPNV-Angebots im Einzelnen verdeutlichen. Zu nennen sind hier die Kappung bewährter Verkehrsrelationen, erforderliche Umwegfahrten und Umsteigezwänge und Taktausdünnungen - Folgen der radikalen Netzumstellung bei Einführung des Fahrplankonzepts „Takt 2000" und weiterer Anpassungen in den Folgejahren.

Erfreulich ist es, dass der Verkehrstisch von der Stadtverwaltung das Angebot erhielt, an der Neukonzeption des ÖPNV beratend mitzuwirken, die Ende 2004 ausgeschrieben und an das Ingenieurbüro PTV vergeben wurde. Wesentliches Element dieser Neukonzeption ist die angemessene Einbeziehung der neuen Ortsteile im Norden der Stadt. Für das alte Stadtgebiet gilt es, Schwachstellen zu beseitigen, die Attraktivität des Angebots zu erhöhen und Parallelangebote zu vermeiden. Die Aufgabenstellung sieht darüber hinaus die integrierte Betrachtung aller ÖPNV-Verkehrsmittel (auch der Angebote des SPNV) vor. Ziel ist letztlich die Schaffung eines attraktiven ÖPNV-Angebots, das perspektivisch auf Fahrgastgewinne abzielt und zugleich eine wirtschaftlich vertretbare Lösung darstellt.

Das Konzept soll die Grundlagen für die konkrete Fahrplangestaltung durch die Verkehrsunternehmen darstellen und den Rahmen für die Fortschreibung des Nahverkehrsplans der Stadt Potsdam ab dem Jahr 2006 bilden. Die zugrunde gelegten Planungsprämissen erkennen wesentliche Aussagen der durch den Verkehrstisch erarbeiteten Thesen an. Hinzu kommt die Forderung seitens der Stadt, den kommunalen Defizitausgleich auf den Stand von 2004 zu begrenzen.

Die Potsdamer Stadtverwaltung stellte die Erarbeitung des neuen Konzepts von Anfang an auf eine breite Basis. PTV berichtet im Rahmen von Workshops etwa alle vier Wochen über den aktuellen Arbeitsstand und stellt Zwischenergebnisse vor. An den Workshops sind neben der Verwaltung u.a. Vertreter der Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung, der Verkehrsunternehmen, des VBB, des Behindertenbeirats der Stadt, des Verkehrstisches und des DBV beteiligt, was eine enge Abstimmung unter den Beteiligten gewährleistet. Eine Reihe von Anregungen konnte somit in das Konzept einfließen. An einigen Punkten entzündeten sich lebhafte Diskussionen.

Methodisches Vorgehen angezweifelt

Leider wurden - bereits im fortgeschrittenen Konzeptstadium - von einigen Vertretern nochmals das methodische Vorgehen der PTV und die verwendete Datenbasis angezweifelt, obgleich es sich hierbei um von der Verkehrswissenschaft allgemein anerkannte verkehrsplanerische Verfahren, die deutschlandweit bei ähnlich gelagerten Fragestellungen eingesetzt werden, und um aktuelle Erhebungsdaten von 2004 handelt. Man hatte den Eindruck, als wären diese Vertreterdaraufaus, allzu unkritisch das umstrittene Fahrplankonzept „Takt 2000" von dessen geistigem Vater fortschreiben zu lassen, mit Eingangsdaten und Rechenalgorithmen, die weit von verkehrsplanerischen Grundsätzen entfernt scheinen.

Tram
Am Potsdamer Hauptbahnhof, dem zentralen Umsteigepunkt treffen sich neben den Stadtbussen und Straßenbahnen des ViP auch die Regionalbusse der Havelbus Verkehrsgesellschaft. Foto: Lutz Hübner

Kritisch angemerkt werden muss allerdings, dass sich die zugrunde gelegten Eingangsdaten ausschließlich auf erhobene im ÖPNV zurückgelegte Verkehrsrelationen beziehen, nicht aber auf die Verkehrsrelationen, die von allen Verkehrsteilnehmern, insbesondere von denen des motorisierten Individualverkehrs, nachgefragt werden. Erst auf dieser Basis könnte ein ÖPNV-Netz geschaffen werden, das merkbare Umsteigeeffekte vom Auto erwarten ließe. Die Stadt sollte die Gelegenheit nutzen, beim nächsten Durchgang des Systems repräsentativer Verkehrserhebungen der TU Dresden im Jahr 2008 derart nutzbare Daten zu gewinnen.

Spielraum für Angebotsverbesserungen

Auf der Basis eines Arbeitsfahrplans wurde dem Workshop ein Grundangebot vorgelegt und mit Zahlen zum betrieblichen Aufwand (Servicekilometerleistungen) untersetzt, welche noch Spielraum für Angebotsverbesserungen offen lassen. Der DBV regte auch eine Aufwandsabschätzung von inhaltlich diskutierten Angebotsverbesserungen an, die die politisch Verantwortlichen in die Lage versetzen sollen, den ÖPNV zusätzlich zum Grundangebot entsprechend den von ihnen gesetzten Prioritäten zu attraktivieren.

Als abschließende Arbeitsschritte stehen ein mit den Verkehrsunternehmen abgestimmter Rahmenfahrplan und eine detaillierte Wirtschaftlichkeitsbewertung aus, auf deren Basis dann die Planungen für den Fahrplanwechsel im Dezember - vorbehaltlich der politischen Zustimmung - erfolgen können.

Planloser Rotstift

Erfahrungsgemäß tun sich die politisch Verantwortlichen in der brandenburgischen Landeshauptstadt etwas schwer, wenn es darum geht, dem ÖPNV durch ein attraktives Angebot die Rolle zuzuweisen, die ihm im Sinne einer hohen Lebensqualität gebührt. Zu oft war in der Vergangenheit der Rotstift planlos am Werke. Vor fünf Jahren hielt eine ähnliche, von IVU durchgeführte Untersuchung der politischen Diskussion nicht Stand. Übereilt wurde daraufhin ein Konzept beauftragt, welches die realen Verkehrsströme fast völlig ausblendete und als „Takt 2000" noch immer Grundlage des Fahrplans des Verkehrsbetriebes Potsdam (ViP) ist. „Takt 2000" ist ein Fahrplankonzept, das seinerzeit auf die Abfahrtsminute genau politisch beschlossen wurde und dem städtischen Verkehrsunternehmen kaum Spielraum ließ, auf Nachfrageschwankungen zu reagieren. Die mit „Takt 2000" versprochenen Einsparungen in Millionenhöhe konnten allerdings nicht schlüssig nachgewiesen werden. Sinkende Fahrgastzahlen haben ihr Übriges dazu beigetragen.

Transparente Vorgehensweise

Ein ähnliches Schicksal ist dem von PTV zu entwickelnden Konzept nicht zu wünschen. Aufgrund der kontinuierlichen Präsentation von Zwischenergebnissen auf den ÖPNV-Workshops, der ebenso kontinuierlichen Berücksichtigung von Verbesserungsvorschlägen und der alles in allem transparenten Vorgehensweise ist zu erwarten, dass trotz des vorgegebenen Finanzrahmens ein solides, auf verkehrsplanerischen Grundsätzen basierendes Konzept erarbeitet wird.

Die Ergebnisse werden voraussichtlich Ende Juni vorgestellt, so dass den politischen Entscheidungsträgern noch genügend Zeit bleibt, eine für die Stadt Potsdam verantwortliche Entscheidung zu treffen und den Verkehrsunternehmen eine solide Basis zu geben, auf der diese in unternehmerischer Eigenverantwortung den Fahrplan gestalten können, der dann zum 11. Dezember 2005 in Kraft treten soll.

Thesen des Verkehrstisches Potsdam

Der ÖPNV bietet als „Umweltverbund" gegenüber dem motorisierten Individualverkehr entscheidende Vorteile hinsichtlich der Umweltverträglichkeit (Lärm- und Abgasemission) sowie hinsichtlich der Flächeninanspruchnahme und der Verkehrssicherheit. Die Förderung des ÖPNV erfüllt somit mehrere Zielvorstellungen einer nachhaltigen, kommunalen Verkehrspolitik. Der städtische ÖPNV stellt ein wichtiges Gestaltungselement zur Beeinflussung der kommunalen Verkehrsentwicklung dar, da die Kommune unmittelbar Einfluss auf dieses Verkehrssystem hat. Er ermöglicht die Mobilität auch behinderter und alter Menschen.

These 1

Der öffentliche Verkehr ist ein unverzichtbares Element der Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Ein räumlich und zeitlich attraktives ÖPNV-Erschließungsangebot ist unter Beachtung der wirtschaftlichen Randbedingungen im gesamten Stadtgebiet sicherzustellen. Dabei sind die systembedingten Eigenschaften der Verkehrsmittel „Straßenbahn", „Bus" und „Fähre" zu beachten. Stadt- und Regionalverkehrslinien sind aufeinander abzustimmen und als Gesamtangebot zu vermarkten.

These 2

Oberste Priorität bei der Netzgestaltung müssen die tatsächlichen Verkehrsbeziehungen aller Verkehrsteilnehmer haben. Sie sind aus aktuellen verkehrsplanerischen Untersuchungen zu gewinnen und dienen als Grundlage für die Fortschreibung des Nahverkehrsplanes. Ein in der jüngeren Vergangenheit praktizierter „politischer Durchgriff" auf die Unternehmenspolitik der ViP, insbesondere durch eine detaillierte Vorgabe der Linienführung und des Fahrplanes, beraubt das Verkehrsunternehmen seiner unternehmerischen Eigenverantwortung und seiner Fähigkeit, direkt auf Bedürfnisse der Fahrgäste eingehen zu können.

These 3

Bei der Gestaltung des Liniennetzes ist auf größtmögliche Zweckmäßigkeit Wert zu legen. Dessen Überschaubarkeit für den Fahrgast ist zu verbessern. Prämissen für die Netzgestaltung sollten kurze und direkte Linienführungen, die Vermeidung von Umwegfahrten und Umsteigevorgängen sowie Linien mit nach Verkehrserfordernissen differenzierten Taktfolgen sein.

These 4

Bei der weiteren Gestaltung der Fahrzeuge und der Anlagen des ÖPNV sind die Anforderungen mobilitätseingeschränkter Personen konsequent zu berücksichtigen. Die Umstellung der gesamten Fahrzeugflotte auf Niederflurtechnik ist ebenso voranzutreiben wie der weitere behindertengerechte Ausbau von Haltestellen. Priorität sollten hierbei die bislang nicht behindertengerechten Straßenbahnhaltestellen in der Innenstadt genießen.

These 5

Das Beschleunigungsprogramm der Straßenbahn und des Busverkehrs durch Bevorrechtigung an lichtsignalgeregelten Kreuzungen ist konsequent voranzutreiben. Zur Attraktivitätssteigerung des Busverkehrs ist auf den Hauptverkehrsachsen eine Annäherung des Bedienungsstandards an den der Straßenbahn anzustreben. Neben einer attraktiven Taktfrequenz ist die Einrichtung von Sonderfahrstreifen auf Busstrecken zu prüfen und umzusetzen.

These 6

Zur Förderung des Umweltverbundes ist eine zweckentsprechende Verknüpfung des ÖPNV mit anderen Verkehrsträgern voranzutreiben. Impulse hierfür bieten die Entwicklung und Realisierung eines Park&Ride-Konzeptes, die Einführung eines Kombinationsangebotes Parkticket/ÖPNV-Fahrschein, ein attraktiver Fahrradverkehr, der optimal mit dem ÖPNV verknüpft ist sowie attraktive Stadt-Umland-Verbindungen z.B. durch die Anwendung von Zweisystem-Stadtbahnen.

These 7

Als Folge der kommunalen Neugliederung ist eine rasche Neuordnung der ÖPNV-Tarife für die eingemeindeten Stadtteile anzustreben.

Bahnkunden-Verband Potsdam-Mittelmark

aus SIGNAL 4/2005 (August/September 2005), Seite 12-13

 

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