Berlin
Fußballspiele in Köpenick aus Fahrgastsicht
11. Nov 2010
Die erste Saison im sanierten Stadion an der Alten Försterei hat der 1.FC Union Berlin erfolgreich absolviert. Und nicht nur das. Die Besucherzahlen übertrafen alle Erwartungen. Im Schnitt pilgerten über 14 000 ins Stadion, viele Spiele waren mit knapp 20.000 Zuschauern ausverkauft. Aber wie sieht es mit der Verkehrsabwicklung rund um die Spiele aus? Leider gibt es hier kaum Verbesserungen zum Stand von vor zwei Jahren (vgl. [Link]/heft/200804|SIGNAL 4/2008[/Link] ). Aufgrund der höheren Besucherzahlen gibt es heute eher noch mehr Probleme. Wirklich chaotisch war es bei sogenannten Sicherheitsspielen, von denen es allerdings nur wenige gab. Aber auch sonst lief es nicht reibungslos.
Die meisten der Besucher aus anderen Berliner Bezirken und von außerhalb Berlins fahren mit der S-Bahn zum S-Bahnhof Köpenick auf der S3. Das funktionierte über die Saison den Umständen entsprechend recht gut. Die S-Bahn war trotz ihrer großen Krise meist in der Lage, wenigstens einen 10-Minuten-Takt vor und nach den Spielen anzubieten. Dies war auch ein Tag vor dem jeweiligen Spiel auf der Union-Homepage zu lesen. Auch im Internetforum des Vereins kam das positiv an:
„Hut ab, trotz des doch erheblichen Wagenmangels bei der Berliner S-Bahn haben die Verantwortlichen gezeigt, dass sie doch wenigstens Ahnung haben, wie man das bei Großveranstaltungen macht. Die Entlastungszüge ab Köpi fuhren mit 8 Wagen (Vollzug) bis Ostbahnhof. Wohl hatten wir aber auch Glück gehabt, dass auch ein Spiel der Eisbären in der O²-Arena stattgefunden hat. Somit musste man seitens der S-Bahn ja reagieren, um sich nicht vollends zu blamieren. Haben se doch recht gut hinbekommen.“
„Da muss man ja mal die S-Bahn loben und das in Ihrer derzeitigen Situation. Da könnte sich die BVG mal eine Scheibe abschneiden. Die sind nicht mal in der Lage, mal ein zwei zusätzliche Straßenbahnen einzusetzen. Aber man gibt die Hoffnung ja nie auf.“
Grundsätzlich scheint der 10-Minuten-Takt auf der S3 auch bei hohen Zuschauerzahlen ausreichend zu sein, solange die Züge als Vollzug mit 8 Wagen verkehren. Das zeigte sich auch im September beim Lokalderby gegen Hertha BSC. Man konnte aber von Besuchern häufiger den Kommentar hören, daß das Angebot dem Anlass eigentlich nicht angemessen ist.
Anders sieht das ganze bei der S47 nach Spindlersfeld aus, die zwar nur von wenigen Fans genutzt wird, aber der Polizei regelmäßig als Sonderroute dienen muss, um Gästefans zum Stadion zu bringen. Mehr dazu unter „Sicherheitsspiele“.
Die Straßenbahn ist ebenfalls ein wichtiger Zubringer zum Stadion. Hier ist die Auslastung gerade nach den Spielen oft an der Belastungsgrenze. In der Hauptlastrichtung Richtung Schöneweide ist im Raum Oberschöneweide kaum ein Mitkommen möglich. Das ist vor allem ärgerlich an der Haltestelle „Freizeit- und Erholungszentrum“, wo Familien mit Kinderwagen mehrere Züge passieren lassen müssen, bevor wieder die Chance besteht, mitfahren zu können.
Auch die krummen Takte am Abend sind ein Problem. Die letzte 67 fährt wochentags um 19.37 Uhr Richtung Schöneweide. So gibt es bei Freitag-Spielen, die um 19.45 Uhr enden, einen 4/16-Minuten-Takt mit den Linien 27 und 63. Da es keinerlei Informationen an der Haltestelle gibt, wann die nächsten Züge fahren, ist das Einsteigen in den ersten Zug nach der 16-Minuten-Lücke besonders chaotisch. Grundsätzlich ist dieser Takt zu den Schwachlastzeiten unangemessen.
Beim Derby Union gegen Hertha gab es vor dem Spiel ab ca. 16 Uhr gar keinen Straßenbahnverkehr mehr (siehe auch unter „Sicherheitsspiele“). Nach dem Spiel, als alles wieder normal fuhr, zeigten sich dann die oben genannten Probleme. Positiv war allerdings, dass die 67 außerplanmäßig noch zusätzlich gefahren wurde. Es kam trotzdem zu Verzögerungen durch lange Wartezeiten an den Haltestellen wegen zu hoher Auslastung der Züge.
Bei erhöhtem Verkehrsaufkommen sollte also in einem gewissen Umfang ein Sonderverkehr, vor allem nach den Spielen, angeboten werden, um Verzögerungen und Überfüllungen zu vermeiden und schnell zum Normalbetrieb übergehen zu können. Das gilt insbesondere für Spiele am Abend und am Sonntag, wenn die 67 nicht fährt. Bei Spielen freitags um 18 Uhr sollte die Betriebsverlängerung der 67 wie beim Derby zum Regelfall gemacht werden, um die genannte 16-Minuten- Taktlücke zu vermeiden. Außerdem sollte es an Spieltagen den Einsatz von Doppeltraktionen statt Solo-Wagen im gesamten Köpenicker Netz geben.
Bei der Infrastruktur gibt es ebenfalls noch Nachholbedarf, der bereits in dem SIGNALArtikel vor zwei Jahren angesprochen wurde und immer wieder Thema im Internetforum ist:
„An der Straßenbahn-Haltestelle Alte Försterei fehlt weiterhin der notwendige Übergang am östlichen Ende der Haltestelle, wo sich auch der direkte Weg zum Stadion befindet. Hier wird natürlich trotz Gitter die Straße überquert, was regelmäßig zu Konflikten mit dem Autoverkehr führt.“
„Um wartende Fans an der Haltestelle besser zu informieren, sollte ein Fahrgastinformationssystem bereitgestellt werden (z. B. Daisy-Anzeiger oder Lautsprecher).“
Die Verkehrsprobleme betreffen nicht nur den ÖPNV, sondern auch den Autoverkehr. Es gibt nur wenige Parkplätze rund um das Stadion. Neue Besucher kommen das erste Mal oft mit dem Auto und finden keine Parkplätze. Das führt dann dazu, dass einige ihre Autos illegal an Waldwegen abstellen. Hier muss einfach bereits im Vorfeld viel stärker der ÖPNV als Alternative kommuniziert werden – und dann natürlich auch im notwenigen Umfang vorhanden sein! Auch der Anteil der Radfahrer wächst deutlich, aber leider mangelt es noch immer an geeigneten Abstellanlagen in Stadionnähe. Hier ist vor allem der Verein gefordert.
Zum Lokal-Derby Union gegen Hertha hatte die IGEB vorab in einer Pressemitteilung auf mögliche Probleme aufmerksam gemacht: „Der Berliner Fahrgastverband IGEB fürchtet, dass vor und nach dem Spiel der öffentliche Verkehr in Köpenick erneut zum Erliegen kommt, und fordert im Interesse der Köpenicker Fahrgäste einen Runden Tisch, an dem neben S-Bahn, BVG, Berliner Polizei und Bundespolizei auch der Senat, der Bezirk, der VBB und natürlich der 1. FC Union sitzen müssen. Verschärfend kommt hinzu, dass die BVG befürchten muss, dass sie wegen Polizeimaßnahmen über Stunden im Raum Köpenick gar nicht mehr fahren kann. Schon in der vorigen Saison haben die Einwohner Köpenicks beim Spiel gegen Hansa Rostock leidvolle Erfahrungen mit den Polizeieinsätzen machen müssen. Auch dieses Spiel fand an einem Freitag um 18 Uhr statt und bescherte eine komplette Abriegelung des Stadtteils von der Außenwelt mitten im Berufsverkehr. Tausende Arbeitnehmer kamen nicht mehr aus Köpenick weg und tausende Einwohner kamen nicht mehr nach Hause.“
Und so kam es dann leider auch wieder am Freitag, dem 17. September 2010. Nach 16 Uhr gab es in großen Teilen von Köpenick keinen Straßenbahnverkehr mehr.
Interessant sind in dem Zusammenhang widersprüchlichen Ankündigungen der Beteiligten. Auf der Homepage von Union stand am Tag vor dem Spiel: „Alle Besucher werden dringend gebeten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen, da im Umfeld des Stadions kaum Parkplätze zur Verfügung stehen.“ Von der BVG war dann im Tagesspiegel am Spieltag zu lesen: „Die BVG ging zudem am Donnerstag davon aus, dass die Straßenbahnlinien 27, 63 und 67 ab 16 Uhr bis zum Abend nicht fahren werden – auch der Berufsverkehr wird somit betroffen sein.“ Das passt natürlich nicht zusammen und zeigt, dass man sich vorher wieder nicht ausreichend abgestimmt hat.
Hauptursache für das Chaos war eine Demonstration von Hertha-Fans in der Bahnhofstraße, von denen ein großer Teil für das Spiel keine Karte hatte. Die Polizei befürchtete Ausschreitungen und stellte Wasserwerfer bereit. Dadurch musste die BVG den Strom der Straßenbahn abschalten und konnte nur noch auf einem Rumpfnetz fahren. In der Altstadt, rund um die Bahnhofstraße und auf der wichtigen Verbindung nach Oberschöneweide gab es gar keinen Straßenbahnbetrieb mehr.
Allein die Möglichkeit eines Wasserwerfereinsatzes hatte also weitreichende Folgen für die ÖPNV- Fahrgäste in Köpenick. Ohne Wasserwerfer wäre der Betrieb z. B. nur in der Bahnhofstraße kurzzeitig unterbrochen gewesen. Erst nach dem Spielbeginn um 18 Uhr normalisierte sich der Straßenbahnverkehr und nach dem Spiel gab es keine weiteren Sperrungen.
Ärgerlich ist auch, dass man sich auf diesen Eventualfall nicht besser vorbereitet hat. Die BVG wusste ja im Vorfeld bescheid (siehe Tagesspiegel- Meldung). Warum hat man nicht Busse vorgehalten, die dann zw. Oberschöneweide und z. B. FEZ oder Spindlersfelder Brücke hätten pendeln können? Das hätte vielen Fahrgästen geholfen.
Leider gab es auch an den Haltestellen keinerlei Informationen oder besser noch Personal, das darüber hätten informieren können, dass man z. B. mit der M17 nach Karlshorst fahren sollte und ab da mit der S-Bahn in Richtung Köpenick.
Ähnlich katastrophal lief es auch in der letzten Saison rund um das Spiel gegen Hansa Rostock. Das Spiel fand ebenfalls an einem Freitag um 18 Uhr statt, und da fuhren sogar bis ca. 21 Uhr keine Straßenbahnen und teilweise sogar keine Busse. Auch die Union- Fans waren in großem Umfang von den Sperrungen betroffen. Dazu Meinungen aus dem Forum:
„Echt zum Kotzen, was die für ein Chaos über Stunden provozieren. Warum werden da nicht acht Schlenkis eingesetzt, die vom Stadion nach Schönefeld (10-12 min) fahren. Schon ist der Spuk vorbei…“
„Gelinde gesagt pures Chaos. Bei der Vorbereitung auf die sogannten Hochsicherheitsspiele bitte demnächst noch nen Vertreter der BVG hinzunehmen, damit der sich eventuell für seine Kundschaft einsetzen kann. Bin jedenfalls das erste Mal in meinem Leben von den Wilhelminenhöfen bis zur Alten Försterei gelaufen, weil keine Straßenbahn kam.“
Von den Sperrungen betroffen ist neben Straßenbahn und Bus gelegentlich auch die S-Bahn-Linie S47, die dann als Sonderroute für Gästefans genutzt wird. Gegen Rostock fielen vor und nach dem Spiel jeweils zwei Regelzüge aus, weil die eingleisige Strecke keinen Mehrverkehr zulässt. Da auch die parallele Buslinie 167 von den Sperrungen betroffen war, gab es keine direkte Möglichkeit, aus dem Raum Schöneweide nach Köpenick zu kommen, da ja auch die Straßenbahn nicht fuhr.
Grundsätzlich sollte aus den genannten Gründen nicht die S47 als Sonderroute für Gästefans genutzt werden. Besser sollte für den Transport der Gästefans beispielsweise der Einsatz von Bussen von/zu einem geeigneten S-Bahnhof geprüft werden. Weiterhin ist es unverständlich, warum, wenn schon die Anreise mit der S47 stattfindet, die Gästefans anschließend durch die Altstadt zum Stadion gebracht werden und nicht über die Spindlersfelder Brücke. Bei letzterer Variante müsste man nur kurzzeitig die Straßenbahn an der Straße „An der Wuhlheide“ unterbrechen, während bei einer Führung durch die Altstadt fast alle Köpenicker Linien betroffen sind.
Auch muss man die Frage stellen, warum es nicht möglich ist, nur den Streckenabschnitt Lindenstraße—Wilhelminenhofstraße wegen des möglichen Wasserwerfereinsatzes zu sperren. Warum muss gleich der Strom im gesamten Köpenicker Netz abgeschaltet werden?
Berliner Polizei und Bundespolizei (diese ist für die S-Bahn zuständig) haben bisher nicht erkennen lassen, dass sie eine Strategie für die Sicherung der öffentlichen Ordnung haben, bei der die Interessen aller Fahrgäste berücksichtigt werden. Auch wenn es solche sogenannten Sicherheits-Spiele nur einige Male im Jahr gibt, so darf das dennoch nicht regelmäßig zu einer Lahmlegung des öffentlichen Lebens in Köpenick führen. Vor den Spielen gibt es immer eine Sicherheitsbesprechung zwischen Verein und Polizei. Hier sollten, wie schon erwähnt, Vertreter von BVG und S-Bahn dabei sein, damit eine solche Situation in Zukunft vermieden wird.
Ein großer Gewinn für die Stadionerschließung dürfte der leider erst für Ende 2014 geplante neue Regionalbahnhof Köpenick sein (vgl. SIGNAL 2/2010 ). Hier wäre eine frühere Umsetzung sehr zu begrüßen. Zum einen wäre man auch aus dem Berliner Stadtzentrum in 15 bis 25 Minuten in Köpenick. Zum anderen wäre damit gerade bei Sicherheitsspielen eine gute Möglichkeit gegeben, Gästefans ohne in Köpenick ein Verkehrschaos zu verursachen, zum Stadion und zurück zu bringen. Der neue RE-Bahnhof soll einen westlichen Abgang erhalten, über den die Gästefans am Forum Köpenick vorbei zur Wuhle und an dieser entlang direkt zum Gästeeingang geführt werden können, ohne dabei wichtige Verkehrsachsen im Bezirk zu berühren.
Leider gibt es zum Thema Kombiticket ebenfalls keine Fortschritte. Der Stadtrivale Hertha BSC, der in dieser Saison ebenfalls in der 2. Bundesliga spielt, bietet seine Jahreskarte mit dem Zusatz „Gilt als VBB-Ticket im Tarifbereich ABC am Spieltag“ an. Damit wird sicherlich auch ein Teil des Zusatzverkehrs bei S- und U-Bahn finanziert. Warum ist das bei Union nicht ebenfalls möglich? Eventuell ließen sich so die dringend benötigten Zusatzverkehre, vor allem bei der Straßenbahn (wenn sie denn fahren darf), finanzieren. Profitieren würden natürlich auch alle Fans, die keine VBB-Monatskarte haben. Auch Autofahrer ließen sich sicher leichter zur Nutzung des ÖPNV überreden.
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 5/2010 (November 2010), Seite 19-20