International
12. Sep 2010
Europäischer Rat, Kommission und Parlament haben sich verpflichtet, auf den Europäischen Güterverkehrskorridoren das europäische Zugleit- und Zugsicherungssystem ERTMS (European Rail Traffic Management System) einzuführen und eine EU-Kofinanzierung bereitgestellt. Vier der sechs Europäischen Güterverkehrskorridore verlaufen durch Deutschland:
Anscheinend hat es die Bundesregierung aber nicht für nötig befunden, dieser Verpflichtung und weiterer politischer Vereinbarungen mit den Nachbarstaaten nachzukommen. Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag teilte die Bundesregierung mit: „Bei der Umsetzung hat aus deutscher Sicht die Ausrüstung des Korridors A mit ERTMS wegen seines hohen Verkehrsaufkommens Priorität.“ (Bundestagsdrucksache 17/2034 vom 10. Juni 2010) Zum Fertigstellungstermin des Korridor A wurde jedoch keine Aussage gemacht. Dieses Verhalten ist ein klarer Verstoß der Bundesregierung gegen geltendes Europäisches Recht (European Deployment Plan), alle vier durch Deutschland führenden Korridore bis 2015/2020 mit ERTMS auszurüsten.
Die zeitlich unbestimmte Aussage zum Korridor A und die Weigerung, die deutschen Abschnitte der Korridore B, E und F mit ERTMS auszurüsten, bedeutet wegen der zentralen Lage des deutschen Netzes eine Torpedierung des Europäischen Korridor- und Interoperabilitätskonzeptes.
Auf die Frage „Wie hoch sind die von der EU für den Korridor A bis dato geleisteten Mittel, und welche Summe steht noch bis Ende 2013 aus?“ antwortet die Bundesregierung in der o. g. Drucksache:
„Für den Korridor A existieren folgende EU-Entscheidungen:
Deutschland verzichtet also auf EU-Gelder für das europäische Zugleitsystem, obwohl es zu dessen Aufbau verpflichtet ist!
Zudem wird die EU alle einzelnen Projekte, die unter dem mehrjährigen Programm und dem EU-Konjunkturpaket finanziert wurden, einer Fortschrittsüberprüfung unterziehen. Da die Bundesregierung im Rahmen des Haushalts 2007–2013 etwa 600 Mio. Euro bezieht, kann eine nicht regelgemäße Verwendung der Infrastrukturmittel weitere finanzielle Nachteile haben.
Auch wenn die Bundesregierung eine Absicht strikt zurückweist, so ist doch nicht zu übersehen, dass die deutsche Zurückhaltung beim Ausbau der Europäischen Güterverkehrskorridore mit ERTMS im Ergebnis dazu beiträgt, Verkehr ausländischer Bahnen auf dem Netz der DB AG zu erschweren bzw. zu diskriminieren.
Es stimmt zwar, dass in Deutschland auf den Europäischen Güterverkehrskorridoren Beeinträchtigungen des Schienenpersonenverkehrs zu befürchten sind, weil der Schienengüterverkehr auf den Korridoren Vorrang vor dem Personenverkehr hat und weil die Trassenvergabe hier auf die europäische Ebene verlagert wurde (vgl. SIGNAL 3/2010 auf S. 27). Dennoch ist das Verhalten der Bundesregierung ein Skandal.
Durch die Missachtung der Verpflichtung Deutschlands zum ERTMS-Ausbau und durch den Verzicht der Bundesregierung auf europäische Fördergelder wird die dringend notwendige Verlagerung des (grenzüberschreitenden europäischen) Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene verzögert, der Wettbewerb behindert und die Umwelt vermeidbar belastet. Die Bundesregierung wäre gut beraten, aufgrund des rasanten Ansteigens von CO2-Emissionen im Straßenverkehr, das ERMTS-System zügig in Deutschland einzuführen.
Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
aus SIGNAL 4/2010 (September 2010), Seite 16