Nahverkehr
Während die Straßenbahn in vielen anderen Städten an den Ampeln längst Vorrang genießt, wartet die Bahn in Berlin immer noch länger vor Lichtsignalanlagen (durchschnittlich 20% der Fahrzeit) als an Haltestellen (durchschnittlich 16%). Zum Vergleich: In Städten wie Zürich oder Stuttgart liegt die Wartezeit vor roten Ampeln unter 3%. Begründete Hoffnungen, daß es in Berlin durch einen Vertrag zwischen Senat und BVG zu kurzfristigen Verbesserungen kommt, haben sich jedoch zerschlagen.
1. Dez 1996
Wie aus der vom Berliner Fahrgastverband IGEB erstellten Übersicht (siehe Grafik) deutlich wird, behindern weniger die "Alt"-Ampelanlagen die Straßenbahn, vielmehr stellen die mit moderner Technik ausgestatteten Neuanlagen das Hauptproblem dar. Zwei Drittel aller seit der Wende neu errichteten Ampeln gewähren der Straßenbahn entweder keinen Vorrang, oder sie benachteiligen die Straßenbahn sogar durch z.T. minutenlange Wartezeiten! Nur jede zehnte unter der Regie der Berliner Senatsverkehrsverwaltung errichtete Lichtsignalanlage ist so programmiert, daß die Straßenbahn freie Fahrt erhält.
Die Linie 20 sollte schon vor einigen Jahren als Pilotprojekt für eine komplette Bevorrechtigung ausgebaut werden. Eine Reduzierung der Fahrzeit von 25 auf 16 Minuten war geplant. Doch die ersten entsprechend geschalteten Ampeln blieben Ausnahmen.
Um solche und ähnliche Behinderungen im gesamten Berliner Straßennetz abzubauen, wollten BVG und Senat einen Vertrag abschließen. Im Vorfeld der Vertragsverhandlungen bewies die BVG dem Senat Anfang diesen Jahres durch eine detaillierte Kosten-Nutzen-Rechnung, wie vorteilhaft eine gesamtnetzbezogene Beschleunigung der Straßenbahn wäre. Durch die Beschleunigung könnten einige Linien bis zu 10 Minuten schneller werden! 44 Fahrzeuge weniger wären erforderlich, so daß fast 150 Mio DM Investitionskosten sowie jährlich 8 Mio DM Personal- und sonstige Kosten eingespart werden könnten. (siehe SIGNAL 7/96 )
Die BVG wollte die für Umbau- und Programmierung erforderlichen Kosten von ca. 50 Mio DM sogar vorfinanzieren, wenn damit der langfristige Bestand der neuen Ampelprogramme gesichert sei. Doch die geplante Unterzeichnung des Vertrages ist gescheitert! Senat und BVG schieben sich nun gegenseitig den schwärzet Peter zu - der eindeutige Verlierer ist mal wieder der Fahrgast: Er muß weiterhin mit der Straßenbahn vor den roten Ampeln warten und darf die dadurch entstehenden Mehrkosten durch noch höhere Tarife und schlechtere Taktangebote ausbaden.
Nach Aussagen von Herrn Wardakas, oberster "Ampelplaner" in der Senatsverkehrsverwaltung, wird sich der Senat nun auch ohne Vorfinanzierung durch die BVG um die Beschleunigung der Tram kümmern. Dabei legt er großen Wert auf die Zusammenarbeit mit dem Fahrgastverband. "Wenn wir eine neue Anlage bauen, wird die Straßenbahn priorisiert", verspricht der Ampelexperte. Umfangreiche Änderungen sind teuer, doch manchmal könnten schon Kleinigkeiten großen Nutzen bringen.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB fordert angesichts des bisher unhaltbaren Zustandes die Verantwortlichen auf, umgehend die Tram-Beschleunigung zu beginnen. Gerade angesichts leerer Haushaltskassen hat wohl niemand mehr Verständnis dafür, daß Maßnahmen zur Verringerung des BVG-Defizits weiterhin boykottiert werden.
IGEB
aus SIGNAL 9-10/1996 (Dezember 1996), Seite 12