Regionalverkehr
Nahverkehrsbeiräte, Fahrgastbeiräte, Kundenbeiräte - eine Flut neuer Namen, Gremien und (Schein-)Institutionen überflutet das verkehrspolitische Geschehen in Brandenburg. Wir versuchen die Spreu vom Weizen zu trennen.
2. Jan 1997
Eine langjährige Forderung der Fahrgast- und Bahnkundenverbände - die institutioneile Beteiligung der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel an den Entscheidungen von Verkehrsunternehmen und -politik - ist inzwischen in Brandenburg zur alltäglichen Arbeit geworden. Die Teilnahme an all den neu entstandenen Beiräten auf jeglichen Ebenen verlangt viel Zeit der - oft ehrenamtlichen - Aktiven in den Verbänden. Der Nutzen ist mitunterfraglich: Notwendige Entscheidungen drohen zerredet zu werden, die Träger der Beiräte lassen sich Beschlüsse nur noch "absegnen" oder sehen diese als feigenblättrige und unliebsame Diskutierclubs an.
Die Nahverkehrsbeiräte - angesiedelt bei den politischen Aufgabenträgern, also beim Land Für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und bei den Landkreisen und kreisfreien Städten für den "übrigen öffentlichen Personennahverkehr" (üÖPNV) - sind nach den Buchstaben des Gesetzes die wirksamsten Gremien, sollen doch hier grundlegende Entscheidungen zu Planungen und resultierenden Leistungsbestellungen vorbereitet werden.
In den Landkreisen erfolgte seit Anfang 1996 die Gründung solcher Beiräte. Mit den vielfältigsten Arten von Zusammensetzung, Verwaltungshoheit, Aufgabenstellung und Selbstbewußtsein begleiteten die Beiräte im Laufe des Jahres vorwiegend die Erarbeitung des jeweiligen Nahverkehrsplanes (siehe SIGNAL 7/96 ). Diese standen oder stehen nun in den Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen zur Abstimmung. Dafür bleibt noch bis Mitte Februar Zeit - das Land erlaubte eine Verlängerung der gesetzlich vorgeschriebenen Frist (31.12.1996). Eine ausführliche und vergleichende Auswertung der Nahverkehrspläne erfolgt dann im Frühjahr durch den Bahnkunden-Verband Brandenburg, der mittlerweile in 14 von 18 Beiräten ständig vertreten ist. Dabei wird auch der "beste" und "schlechteste" Nahverkehrsplan des Landes gekürt - natürlich aus der Sicht der Nahverkehrskunden.
Kein Ruhmesblatt sind weiterhin die zögerlichen Vorbereitungen zur Bildung des Nahverkehrsbeirates beim Aufgabenträger Land. Der Landtagsbeschluß vom 22. Mai 1996, diesen im vierten Quartal 1996 zu gründen, wurde nicht vollzogen. Um sich dieser Kritik zu entziehen, versandte das Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr einen Tag vor Jahresende jedoch noch eine Vorankündigung zur Bildung des Beirates.
Der Nahverkehrsbeirat - per Gesetz zuständig für alle SPNV-relevanten Fragen - soll nunmehr gemeinsam mit dem Land Berlin eingerichtet und bei der Verkehrsverbundgesellschaft angesiedelt werden. Letzteres ist allerdings ein äußerst fragwürdiges Verfahren: der Verkehrsverbund ist definitiv kein "Aufgabenträger" im Sinne des ÖPNV-Gesetzes. Dieses schreibt jedoch in 6 (1) ausdrücklich die Einrichtung "beim" Aufgabenträger - also dem Land - vor. Unabhängig von der Forderung, daß die Beiratsarbeit so effektiv wie möglich bei jeder möglichen Konstellation gestaltet werden muß, liegt hier aber die Vermutung nahe, daß die Länder einen unliebsamen gesetzlichen Auftrag an ihre nachgeordnete Gesellschaft abgeben wollen.
Die Ansiedlung beim Verbund ist auch inhaltlich problematisch: Die Länder als politische Aufgabenträger für den SPNV bestimmen die Grundsätze bei Planung, Bestellung sowie Umsetzung des Schienenverkehres und beschließen dies im SPNV-Nahverkehrsplan. Und bei genau diesen Aufgaben soll laut Gesetz ein Nahverkehrsbeirat niitwirken. Der Verkehrsverbund hingegen ist für die Länder nur geschäftsbesorgend und nach deren Vorgaben tätig - also eher ein Dienstleister, der verkehrspraktische Fragen wie Bestellverhandlungen, Marketing und Einnahmeaufteilung durchführt. Genau dafür wurden jedoch beim Verbund schon längst arbeitende Beratungsgremien eingeführt - nämlich die Beiräte der Gesellschafter (G), der Verkehrsuntemehmen (V) und der Fahrgäste (F). Deren Bildung legten die Länder sogar im Gesellschaftervertrag der Verbundgesellschaft (14) fest. Allein die Arbeit des Fahrgastbeirates, der sich im Dezember 1996 konstituiert hat, zeigt, daß die Fülle der dort mit der Verbundgeschäftsführung erörterten übergreifenden Themen (Tarifmodelle, Schnittstellenproblematik, Angebotsstandards) viel fahrgastbezogener ist, als sie in einem Landes-SPNV-Beirat schon von der Zielstellung her je sein kann.
Der Landesbeirat beim Verbund wäre dann nur noch ein Beirat unter vielen und würde seiner gesetzlichen Bedeutung überhaupt nicht gerecht. Während sich der Fahrgastbeirat des Verbundes aus "echten" Interessenvertretem der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel, also vorrangig aus Mitgliedern von Fahrgast- und Bahnkundenverbänden sowie Verkehrsvereinen und -initiativen zusammensetzt, soll es im Landesbeirat betont förmlicher zugehen. Die Landesregierungen wollen darüber hinaus die vier Industrie- und Handelskammern, den Deutschen Gewerkschaftsbund, den Landestourismusverband, die Behinderten- und Gleichstellungsbeauftragen der Länder und sogar den ADAC (!) einladen. Eine Mischung, die von zeitraubenden Grundsatzdiskussionen bis vielleicht spannenden sachbezogenen Mehrheitsempfehlungen wohl alles bereit halten wird.
Unklar ist weiterhin die Rolle der Verkehrsbetriebe - also der Leistungsersteller - in den politischen Beiräten. Der Landtag beschloß im Mai die Teilnahme je eines Vertreters der DB AG, der nichtbundeseigenen Eisenbahnen und der S-Bahn Berlin GmbH. Im Verteiler der oben genannten Vorankündigung sind diese nicht mehr zu finden. Schon frühzeitig wies der Bahnkunden-Verband Brandenburg daraufhin, daß Verkehrserbringer zwar beratend an den Beiräten teilnehmen müssen und sollen, jedoch schon allein aus Wettbewerbsgründen kein Stimmrecht haben dürfen.
Damit nun auch jeder, der was auf sich hält, sagen kann, er habe das Ohr am Volk, wurde Frühjahr 1996 auch bei der Deutschen Bahn Berlin/Brandenburg ein sogenannter Kundenbeirat gebildet. Dies kann zweifelsohne eine sinnvolle Einrichtung sein, um den direkten Draht zwischen Verkehrsanbieter und Kunden zu halten. Dieser Beirat wird von den DB-Bereichen Fern- und Nahverkehr betreut, die Mitglieder setzen sich aus Verbänden, Verwaltungen, Universitäten und Einzelpersonen zusammen. Die Detailprobleme sollen in den vier Arbeitsgruppen
Vor kurzem zurückgewiesene Korrespondenz des Bahnkunden-Verbandes Berlin mit der Begründung, dies könne man ja im Kundenbeirat besprechen, macht jedoch Hintergedanken denklich. Deshalb sei klargestellt: Die Bahn darf nicht davon ausgehen, daß sie die Mitwirkung von Interessenvertretem ausschließlich auf den Kundenbeirat beschränken kann - dies ist für uns nicht hinnehmbar und wäre zugleich falsch verstandenes Marketing.
Deutscher Bahnkunden-Verband Brandenburg e.V.
aus SIGNAL 1/1997 (Januar 1997), Seite 18