Titelthema i2030
Das neben der Heidekrautbahn zweite Projekt, das der i2030-Lenkungskreis in seiner Sitzung am 18. Juni 2018 mit einer hohen Priorität belegt hat, ist der Prignitz-Express.
15. Jan 2019
Seit der Wende ist die einst recht umfangreiche Eisenbahninfrastruktur der eingleisigen Strecke regelrecht eingestampft worden. „Bloß keine Weiche zu viel, die Unterhalt kostet!“, war anscheinend die Devise. Die Folgen sind am deutlichsten im Bahnhof Kremmen zu sehen, der früher ein Kreuzungsbahnhof mit vier Bahnsteiggleisen war und heute nur noch ein(!) durchgehendes Gleis und eine Weiche mit einem Stumpfgleis zum Enden eines Regionalbahntriebwagens hat. Eine Begegnung zweier Züge von und nach Neuruppin ist hier nicht mehr möglich.
Das rächt sich immer wieder, denn schon kleine Verspätungen eines Zuges werden mangels Ausweichmöglichkeiten an der Strecke zwangsläufig an alle Züge weitergegeben. Davon ist nicht nur der RE 6 Wittenberge—Neuruppin—Kremmen—Velten—Hennigsdorf—Spandau—Gesundbrunnen betroffen, sondern auch die verstärkende RB 55 Kremmen—Velten—Hennigsdorf.
Zwischen Wittenberge und Neuruppin verkehrt der Regionalexpress alle zwei Stunden, was nicht attraktiv ist, aber angesichts der Fahrgastnachfrage in der recht dünn besiedelten Prignitz derzeit ausreichend erscheint. Ab Neuruppin mit seinen durchschnittlich 1500 Fahrgästen täglich in Richtung Berlin wird es dann langsam eng. Die hier stündlich verkehrenden Dieseltriebwagen in Doppeltraktion (falls DB Regio nicht gerade wieder Fahrzeuge fehlen) reichen im Berufsverkehr nicht mehr aus. Und spätestens
ab Velten wird es richtig kuschelig. Darum verstärkt zwischen Kremmen und Hennigsdorf ein Triebwagen als RB 55 das Angebot zu einem ungefähren Halbstundentakt und sammelt die Fahrgäste von den Unterwegshalten ein, die der RE 6 durchfährt. Im morgendlichen Berufsverkehr werden die RB 55-Züge noch durch Zusatzfahrten Velten—Hennigsdorf ergänzt.
„Unser Projekt i2030 ist auf einem guten Weg. Der Untersuchungsauftrag ist abgestimmt. Auf der Strecke des RE 6 fangen wir mit Kreuzungsbahnhöfen und Begegnungsabschnitten zwischen Neuruppin und Kremmen an, um schneller zwei Züge pro Stunde auf die Strecke zu bringen“, verkündete Brandenburgs Infrastrukturministerin Kathrin Schneider nach der Lenkungskreis-Sitzung im Juni. Inzwischen ist auch die Finanzierung der Vorplanung Velten—Neuruppin sichergestellt.
Das ist ein guter Anfang, aber der Kreistag in Neuruppin fordert zurecht ein durchgehendes zweites Gleis auf der gesamten Strecke von Neuruppin bis nach Hennigsdorf. Denn das ist unabdingbar für einen stabilen Betrieb auf der Strecke und somit Grundlage für ein verbessertes Verkehrsangebot. Dann könnte beispielsweise der RE 6 zwischen Velten und Neuruppin beschleunigt werden, während die bis Neuruppin verlängerte RB 55 alle Zwischenhalte bedient.
Die Nachfrage ist auch im nordwestlichen Umland von Berlin in den letzten Jahren gestiegen. Das Verkehrsaufkommen insbesondere im Berufsverkehr zeigt allemal die Notwendigkeit einer Verlängerung der S-Bahn von Hennigsdorf nach Velten. Bereits vor der deutschen Teilung existierte eine durchgehende Verbindung mit der Berliner S-Bahn, die sogar noch nach dem Mauerbau zeitweise im Inselbetrieb Velten— Hennigsdorf fortgeführt wurde. Aber nach der Wende wurde die Berliner S-Bahn 1998 nur bis Hennigsdorf, also nur bis kurz hinter die Stadtgrenze wieder in Betrieb genommen, da im Land Brandenburg eine weitere S-Bahn-Verlängerung abgelehnt wurde. Dass inzwischen die S-Bahn nach Velten eine realistische Chance hat, ist u. a. das Verdienst von Veltens Bürgermeisterin Ines Hübner, die sich immer wieder für dieses lange Zeit aussichtslose Projekt eingesetzt hat (siehe u. a. SIGNAL 2/2010).
In den Voruntersuchungen zu i2030 wurde errechnet, dass eine S-Bahn-Anbindung Veltens nach Hennigsdorf und Berlin im 20-Minuten-Takt eine Nachfrage von 5400 Fahrten täglich generieren würde. Die RB 55 könnte auf dem Abschnitt entfallen, und der RE 6 würde um 1300 Fahrten entlastet. dazu sollte die S 25 unbedingt zweigleisig ausgebaut werden, um einen stabilen Fahrplan und perspektivisch auch eine Taktverdichtung auf 10 Minuten bis Hennigsdorf zu ermöglichen. Das sollte unbedingt in Betracht gezogen werden, wenn nun zwar ein zweigleiger Ausbau Tegel—Hennigsdorf—Velten untersucht wird, aber aufgrund der beengten Platzverhältnisse im Gemeinschaftsbetrieb S-Bahn/Regionalzug.
Eine Durchbindung des RE 6 über Berlin-Tegel nach Berlin Gesundbrunnen steht schon lange auf so manchem Weihnachtswunschzettel Prignitzer Fahrgäste. Bisher ist ein Umsteigen in Hennigsdorf in die S 25 erforderlich, was das Pendeln in die Innenstadt z. B. nach Gesundbrunnen unendlich lang erscheinen lässt. Noch länger ist die alternative umsteigefreie Anreise nach Gesundbrunnen, wenn man im Zug sitzen bleibt und erst einmal eine gefühlte Weltumsegelung über Falkensee und Berlin-Spandau macht, um dann die Fahrgäste wiederzusehen, die man in Hennigsdorf in die S 25 verabschiedet hat.
Die Durchbindung des RE 6 über die Kremmener Bahn parallel zur S 25 bis nach Berlin Gesundbrunnen würde dank verkürzter Fahrzeit so manchem Prignitzer Pendler ermöglichen, morgens länger zu schlafen, insbesondere wenn die Durchbindung im Halbstundentakt erfolgen würde. Das würde aber den Verkehr in Tegel erheblich beeinträchtigen, insbesondere den BVG-Busverkehr, wenn die Schranken der Gorkistraße tagsüber länger geschlossen als geöffnet wären. Um das zu vermeiden, müssten die Gleise sowohl für Regio als auch S-Bahn vermutlich auf einen Damm gelegt werden, um für eine niveaufreie Kreuzung zu sorgen, da für eine Straßenbrücke beiderseits der Gleise der Platz fehlt. Mit der Beseitigung der Schranke würde außerdem eine verkehrliche Gefahrenquelle beseitigt. Aber ein solches Projekt würde einen mehrjährigen Planungsvorlauf und anschließend eine mehrjährige Unterbrechung der S 25 erfordern und einen dreistelligen Millionenbetrag kosten.
Auch der Abschnitt zwischen Gesundbrunnen und Tegel ist nicht unproblematisch. Immerhin gibt es vom Bahnhof Gesundbrunnen bis Eichborndamm eine eingleisige Güterbahn, die auch zweigleisig ausgebaut werden könnte. Ab dort wird es jedoch stellenweise eng, so dass wohl eine seitliche Verschiebung der S-Bahn unabdingbar wäre. Alternativen wären zwei autarke eingleisige Regio- und S-Bahn-Strecken oder eine gemeinsam in Mischnutzung betriebene zweigleisige Strecke – mit all den Risiken für die Fahrplanstabilität.
Die Durchbindung des Prignitz-Expresses von Hennigsdorf über Tegel nach Gesundbrunnen ist also mit Sicherheit kein schnelles Projekt. Vor diesem Hintergrund sollte – als Zwischenlösung – die Führung des RE 6 von Hennigsdorf über den Berliner Außenring zum Karower Kreuz und dann über die Stettiner Bahn nach Gesundbrunnen geprüft werden. Für Fahrten in die Berliner Innenstadt wäre das auf jeden Fall attraktiver als die heutige „Schlangenlinie“ über Falkensee und Spandau. Aber aufgrund des auch auf der Stettiner Bahn wachsenden Verkehrs ist für ein langfristig leistungsfähiges Bahnangebot die Führung des Prignitz-Expresses über Hennigsdorf und Tegel nach Gesundbrunnen bei allen Planungen und Baumaßnahmen stets zu berücksichtigen bzw. vorzubereiten.
Es ist richtig, jetzt zu untersuchen, welche Infrastruktur benötigt wird, um langfristig leistungsfähige Bahnangebote auf der Kremmener Bahn fahren zu können. Das hat jedoch Auswirkungen auf die dringend erforderliche Instandsetzung und Modernisierung der in den 1990er Jahren mit relativ wenig Aufwand wieder in Betrieb genommenen S-Bahn-Strecke. Das war damals richtig, um überhaupt wieder fahren zu können. Jedoch wurde angenommen, dass nach 10 bis 20 Jahren ein grundhafter Ausbau folgt. Inzwischen sind mehr als 20 Jahre vergangen, ohne dass die praktisch fertigen, aber möglicherweise zu überarbeitenden Planungen für den Abschnitt Schönholz—Tegel umgesetzt werden können. Umso wichtiger ist es, dass das gesamte i2030-Teilprojekt „Korridor Prignitz-Express/Velten“ mit hoher Priorität weiterbearbeitet wird.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 5-06/2018 (Dezember 2018/Januar 2019), Seite 14-16