Berlin

Berliner Nahverkehrsplan endlich beschlossen

Der Berliner Nahverkehrsplans (NVP) für die Jahre 2006 bis 200 ist am 2. August vom Senat beschlossen worden – mehr als ein Jahr nach dem Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses über die Eckpunkte zum Nahverkehrsplan (siehe SIGNAL 5/2006).

Bushaltestelle des M45 am Bahnhof Spandau
Bus M 45 vom Bahnhof Zoo nach Spandau. Für diese Linie besteht nach Angaben im Nahverkehrsplan ein Beschleunigungspotenzial von 14 Minuten. Auch bei anderen Buslinien sowie bei Straßenbahnlinien gibt es noch große Beschleunigungspotenziale.
Foto: Florian Müller

Der Nahverkehrsplan bildet den verkehrspolitischen und verkehrsgewerberechtlichen Rahmen für die mittelfristige Entwicklung des Berliner öffentlichen Personennahverkehrs und setzt damit auch die inhaltlichen Vorgaben für den ab 2008 bis voraussichtlich 2020 laufenden Verkehrsvertrag mit der BVG, der derzeit ausgehandelt wird.

Wichtigster Punkt des Nahverkehrsplans ist aus der Kundensicht die Festschreibung des Leistungsvolumens für die Verkehrsmittel Regionalverkehr, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, Bus und Fähre. Die jährlich zu erbringenden Nutzkilometer liegen deutlich unter den Werten des letzten Nahverkehrsplans und des BVG-Unternehmensvertrags und spiegeln wider, welch drastische Angebotskürzungen den Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel in den letzten Jahren zugemutet wurden. Der Berliner Fahrgastverband IGEB hält es aufgrund dieser Erfahrungen für unabdingbar, dass zukünftig

  • mindestens das Leistungsvolumen des NVP im BVG-Verkehrsvertrag festgeschrieben wird und die Werte, insbesondere für neue Strecken (z. B. U 55 und U 5 sowie Tram Adlershof und Hauptbahnhof), regelmäßig angepasst werden,
  • die Erbringung des Nutzkilometer-Volumens durch die Verkehrsunternehmen vom Land Berlin effektiv kontrolliert und bei Nichterfüllung erheblich sanktioniert wird.

Qualitätsvorgaben müssen im BVG-Vertrag verbindlich werden

Die im Nahverkehrsplan gesetzten „Rahmenvorgaben zum Angebot“ geben in sehr vielen Punkten positiv die Anforderungen an einen guten Nahverkehr aus Fahrgastsicht wieder. So werden durch die Erschließungsstandards zu lange Fußwege zum nächsten ÖPNV-Angebot vermieden, und durch die Bedienungsstandards wird ein Mindesttakt von 20 Minuten als Untergrenze bei allen Verkehrsmitteln gesichert.

Durch die Qualitätsstandards werden wichtige Vorgaben zu Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Anschlussplanung, Barrierefreiheit, Ausstattung der Fahrzeuge und Haltestellen, Sauberkeit, zur Fahrgastinformation und zu den Fahrgastrechten vorgegeben. Durch die Umweltstandards wird sichergestellt, dass der Berliner Nahverkehr seinen ökologischen Vorsprung gegenüber dem motorisierten Individualverkehr sichern und ausbauen kann.

Eine Umsetzung dieser im öffentlichen sowie Kundeninteresse liegenden Vorgaben wird jedoch nur erfolgen, wenn die Politik dafür sorgt, dass die hier formulierten Pflichten Vertragsbestandteil des BVG-Verkehrsvertrages sowie der künftigen Ausschreibungen im Bahnverkehr werden und die Nichteinhaltung sanktioniert wird.

Von der IGEB positiv bewertet werden auch die Anforderungen an den Tarif, wo die Eckpunkte des Nahverkehrsplans eine aus Kundensicht sehr wichtige Konkretisierung erfahren haben. Hier wird vorgegeben, dass neben dem Aspekt der Tarifergiebigkeit – also der Maximierung der Erlöse der Verkehrsunternehmen, wonach diese bisher ausschließlich ihre Tarifstrategie entwickelt haben – weitere Aspekte gleichberechtigt bei der Weiterentwicklung der Tarife zu berücksichtigen sind. Genannt werden Kundenbindung, Nachfrageelastizität, Tarifgerechtigkeit, Transparenz und Angemessenheit. Mit Angemessenheit ist die Entwicklung der Fahrpreise im Vergleich zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten gemeint.

Außerdem wird gefordert, dass die Verkehrsunternehmen bei einem Tarifantrag eine begründete Prognose für alle oben beschriebenen Kriterien abzugeben haben und die letzte Tarifmaßnahme evaluieren müssen. Aber auch hier gilt natürlich: Gute Formulierungen im Nahverkehrsplan allein nützen den Kunden nichts, wenn Politik und Verwaltung nicht auch auf eine konsequente Umsetzung achten. Hier wird sicherlich bald die erste Nagelprobe kommen, wie ernst der Senat seinen NVP-Beschluss nimmt.

Festschreibung der bestehenden Angebote

Weniger überzeugend sind die Aussagen zur Angebotsplanung bis 2009 im Kapitel 4. Hier erfolgt vor allem eine Beschreibung des derzeitigen Verkehrsangebots, welches durch die Schaffung lokaler Netze ergänzt werden soll. Wichtige Fragen bleiben aber unbeantwortet, etwa die Erarbeitung eines Konzeptes für die Bahnanbindung des Flughafens BBI oder die Entwicklung eines mit einem Betriebskonzept hinterlegten Zielnetzes für Straßenbahn und Bus in Berlin. Die Politik darf diese wichtige Fragen jedoch nicht länger aufschieben.

Auch beim Thema Straßenbahn-Ausbau bleibt der neue Nahverkehrsplan hinter den Erwartungen zurück. Die Strecke zum Hauptbahnhof soll die einzige neue Strecke werden, ansonsten werden nur Prüfaufträge vergeben – und dies, obwohl die Kunden in einer im NVP-Kapitel 2 veröffentlichten Befragung deutlich zufriedener mit dem Verkehrsmittel Straßenbahn als mit dem Verkehrsmittel Bus sind.

Für den Berliner Fahrgastverband IGEB ist der vorliegende NVP ein erneuter Beweis dafür, dass die rot-rote Koalition immer noch nicht die Notwendigkeit eines zügigen Straßenbahn- Ausbaus in den Westteil Berlins auch für die Stärkung des Bestandsnetzes erkannt hat. Doch der Senat hat die Chance zur Nachbesserung – in Kürze wird der Stadtentwicklungsplan Verkehr neu aufgestellt werden müssen, der die Infrastrukturmaßnahmen für alle Verkehrsträger festlegt.

Ohne Kontrolle keine Qualität

Die in Kapitel 5 vorgesehenen Einzelmaßnahmen können dagegen überzeugen. Hier werden unter anderem die Verbesserung der Umsteigesituation, der Bau zweiter Zugänge zu S- und U-Bahnhöfen sowie der barrierefreie Ausbau geplant. Beim Thema Bus-Beschleunigung wird aufgezeigt, welches Potenzial hier vorhanden ist – sowohl um das Angebot für die Fahrgäste attraktiver als auch die Leistungserstellung für die BVG kostengünstiger zu machen. So soll z. B. der Metrobus M 45 gleich um 14 Minuten je Fahrzeugumlauf schneller werden. Dass eine solche Beschleunigung noch möglich ist, zeigt aber auch, dass bisher dem öffentlichen Nahverkehr kein ausreichender Vorrang vor dem Autoverkehr gewährt worden ist.

Innovativ und begrüßenswert ist der Vorschlag eines Umsetzungs-Monitorings in Kapitel 6. Damit soll sichergestellt werden, dass die Vorgaben des NVP 2006 bis 2009 besser als bei vergangenen Nahverkehrsplänen umgesetzt werden. Hierzu bedarf es aus IGEB-Sicht aber auch der zügigen Einrichtung einer von den Verkehrsunternehmen unabhängigen Aufgabenträger- Organisation in Berlin, wie dies auch im Eckpunkte- Beschluss des Abgeordnetenhauses vorgesehen war.

Insgesamt bewertet die IGEB den neuen Berliner Nahverkehrsplan positiv und erwartet bei Umsetzung der beschriebenen Maßnahmen deutliche Verbesserungen für den Berliner ÖPNV.

Für einen guten Nahverkehr ist neben dem NVP aber auch eine ausreichende Finanzierung erforderlich – hier sind die jetzt im Haushalt eingeplanten 250 Mio. Euro im Jahr, davon 175 Mio. Euro für die Verkehrsinfrastruktur und nur 75 Mio. Euro für das Verkehrsangebot, bei weitem nicht ausreichend. Die BVG könnte mit dieser Summe – selbst bei gutem Wirtschaften – ihre anfallenden Kosten und die Zinslast von ca. 50 Mio. Euro im Jahr nicht tragen.

Die IGEB fordert daher, die schwierige Ausgangssituation der BVG mit 900 Mio. Euro Schulden und 2 000 Mitarbeitern im Personalüberhang, die im Wesentlichen von der Politik zu verantworten sind, bei der Finanzierung ausreichend zu berücksichtigen. Daher müsste die BVG von Ihren Altschulden befreit werden sowie jährlich wie bisher 320 Mio. Euro für den Infrastruktur- Erhalt und die Erbringung des Verkehrsangebots als Entgelt im Verkehrsvertrag erhalten.

Der Berliner Nahverkehrsplan ist im Internet verfügbar unter: >stadtentwicklung.berlin.de/Nahverkehrsplan

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 5/2007 (Oktober/November 2007), Seite 11-12

 

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