Berlin

20 Jahre Wissenschaftsstadt Adlershof

Berliner Aushängeschild mit unzureichender ÖV-Erschließung

Baustelle
Blick vom S-Bahnsteig Adlershof auf die Rudower Chaussee mit der Baustelle der Straßenbahntrasse auf dem Mittelstreifen. Im Hintergrund das bereits fertiggestellte Rasengleis. Foto: Florian Müller (14. April 2011)
Haltestelle
Karl-Ziegler-Straße – vorläufige Endstelle ab September 2011, ausgeführt als Kap-Haltestelle. Die IGEB fordert den schnellen Weiterbau über den Groß-Berliner Damm zum Bahnhof Schöneweide. Foto: Jens Ullrich
Bauinfo
Die Straßenbahnhaltestelle S-Bf Adlershof befindet sich künftig direkt unter der S-Bahnbrücke und bietet kurze Umsteigewege zur S-Bahn. Foto: Florian Müller
Strecke
Bestehendes temporäres Wende-Gleisdreieck auf dem Adlergestell für SL 60 und 61. Foto: Florian Müller

Im März 2011 wurde die Wissenschaftsstadt Adlershof, genannt WISTA, 20 Jahre alt. Das Projekt ist eine Erfolgsgeschichte und strahlt über Berlin hinaus. Rund 22 000 Menschen sind heute auf dem Gelände beschäftigt oder studieren an Einrichtungen der Humboldt-Universität. Unzureichend ist jedoch die Erschließung mit öffentlichem Verkehr (ÖV), auch nach der für September geplanten Verlängerung der Straßenbahn.

„Straßenbahnbau in Adlershof muss umgehend beginnen“, forderte die IGEB in SIGNAL 2/2007, weil das Baurecht zu verfallen drohte. Diese Gefahr konnte abgewendet werden. Mittlerweile ist die Streckenverlängerung baulich so gut wie fertig. Es fehlen lediglich noch die komplette Oberleitung und die Gleise im Bereich des S-Bahnhofs Adlershof. Anfang September, und somit gerade noch rechtzeitig vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September, soll die Neubaustrecke eröffnet werden.

Die WISTA wächst weiter

In den letzten Jahren hat sich viel auf dem WISTA-Gelände getan. Mittlerweile gibt es fast 900 Unternehmen mit rund 14 000 Beschäftigten. Dazu kommen rund 7000 Studenten in 11 wissenschaftlichen Einrichtungen und 6 Instituten der Humboldt- Universität sowie knapp 1000 studentische Mitarbeiter.

Auch in den nächsten Jahren kann die Entwicklung so weitergehen, denn entlang der Rudower Chaussee sind einige große Neubauprojekte geplant und nördlich der neuen Wendeschleife der Straßenbahn 700 Wohnungen sowie ein Studentenwohnheim. Auch die Lücke in Richtung Johannisthal entlang des Groß-Berliner-Damms soll u. a. durch einen großen Gewerbepark geschlossen werden. Ebenfalls an dieser Straße könnten noch 2011 größere Produktionsstätten ihren Betrieb aufnehmen. Es gibt also viel Fahrgastpotenzial für einen gut ausgebauten ÖPNV

Interessant ist, dass das begrenzte Angebot von Parkplätzen als eines der größten Probleme in der WISTA angesehen wird. Auch hier besteht also die Chance, mit einem guten ÖPNV-Angebot neue Kunden zu gewinnen.

ÖV-Erschließung unzureichend

Besonders negativ wirkt sich das seit 2009 stark eingeschränkte Angebot der S-Bahn aus. Bis zum Beginn des Fahrzeugchaos‘ bei der Berliner S-Bahn verkehrten am S-Bahnhof Adlershof fünf Linien, momentan aber nur noch drei – und das teilweise mit verkürzten Zügen. Gerade im Berufsverkehr und zu den Vorlesungszeiten der Uni sind die Züge deshalb vollkommen überfüllt. Unverständlich ist, dass das Angebot hier stärker eingeschränkt ist als im übrigen Streckennetz der S-Bahn, wo trotz Notfahrplan teilweise ein deutlich besseres Angebot gefahren wird.

Beim BVG-Busverkehr hat sich in den letzten Jahren wenig getan. Seit drei Jahren ist die Brückendurchfahrt am S-Bahnhof Adlershof gesperrt. Dadurch wurde die Buslinie 164 aufgeteilt. Die Straßenbahn endet provisorisch in der Straße Am Adlergestell. Für die Fahrgäste der Buslinien auf der Rudower Chaussee hat sich die Lage in den letzten Monaten weiter verschlechtert. Der Umsteigeweg zur S-Bahn bzw. zur Straßenbahn ist nochmals um fast 200 Meter länger geworden. Daran wird sich vermutlich bis zur Eröffnung der Brückendurchfahrt nichts mehr ändern.

Positiv ist, dass die Busse in der Rudower Chaussee momentan nicht im Stau stehen, da der Autoverkehr durch die Sperrung der S-Bahn- Unterführung deutlich reduziert ist. Dafür ist seit fast zwei Jahren der Übergang vom Bus zur S-Bahn durch die fehlenden S-Bahn-Linien (S 45, S 85) sehr schlecht. Quasi im 10-Minuten-Takt verpasst man mit dem ankommenden Bus knapp die S-Bahn in Richtung Ostkreuz.

Auffällig ist ein steigendes Verkehrsaufkommen auf der Buslinie 163 zwischen S-Bahnhof Adlershof und S-Bahnhof Schöneweide entlang des Groß-Berliner- Damms. Gerade morgens ist ein Mitkommen in den Bussen ab Schöneweide nicht immer möglich. Leider gab es zum Fahrplanwechsel keine Änderung am 30-Minuten-Takt außerhalb der Hauptverkehrszeit (HVZ), die bereits gegen 7.30 Uhr (!) endet. Das ist absolut unverständlich. Hier muss zeitnah der durchgehende 20-Minuten-Takt eingeführt werden. Auch ein Angebot am Wochenende sollte geprüft werden.

Inbetriebnahme der Straßenbahn- Neubaustrecke

Die BVG plant, mit der Eröffnung der Straßenbahn- Neubaustrecke die Linien 60 und 61 zur neuen Endstelle Karl-Ziegler-Straße zu verlängern. Die 60 von 6 bis 0 Uhr, die 61 als Verstärker Montag bis Freitag von 6 bis 20 Uhr und sonnabends von 9 bis 21 Uhr. Somit ergibt sich meist ein 10-Minuten Takt, nur abends und sonntags besteht ein 20-Minuten-Takt.

Es ist zu erwarten, dass die BVG auf beiden Linien ausschließlich KT4D-Solofahrzeuge einsetzt. Dabei wäre zu wünschen, dass in der WISTA als Berliner Aushängeschild für Wissenschaft, Forschung und Technologie modernere Züge fahren.

Leider lassen sich schon an der neuen Strecke bereits jetzt einige Mängel erkennen. Beispielsweise ist die Endhaltestelle Karl-Ziegler- Straße zwar als Kap-Haltestelle ausgeführt, allerdings werden hier unsinnigerweise trotzdem Höhenunterschiede zu überwinden sein, was nicht nachvollziehbar ist. Somit wird das Einsteigen insbesondere für Rollstuhlfahrer unnötig erschwert.

Bedauerlich ist auch, dass die Straßenbahntrasse zwischen „Am Studio“ bis vor den S-Bahnhof Adlershof als Rasengleis ausgeführt wurde, anstatt hier eine gemeinsame Trassennutzung mit dem Bus zu ermöglichen, denn nach Freigabe der Brückendurchfahrt ist hier wieder mit Staus durch zunehmenden Autoverkehr zu rechnen, wovon dann auch die Busse betroffen sein werden.

Die BVG sollte die Neubaustrecke gut bewerben. Immerhin ist man in 15 Minuten in der Altstadt Köpenick, in 20 Minuten in der Köpenicker Bahnhofstraße und in rund 30 Minuten in Friedrichshagen sowie am Müggelsee, so dass die Straßenbahn es den WISTA- Mitarbeitern und -Studenten ermöglicht, nach Feierabend schnell noch zum Einkaufen oder Schwimmen zu fahren.

Anders als derzeit geplant sollte mit der Eröffnung der Neubaustrecke eine Anpassung der Buslinien erfolgen. Es wäre sinnvoll, die Linie 162 von der Wegedornstraße kommend über den Groß-Berliner-Damm nach Schöneweide zu führen. Diese kann dann den Bus 163 in dem Bereich ersetzen, der seinen Endpunkt am S-Bahnhof Adlershof erhält. Damit würde man zwischen Schöneweide und Adlershof das Problem des 30-Minuten- Taktes außerhalb der HVZ beseitigen, denn die Linie 162 fährt ganztägig alle 20 Minuten. Den Fahrgästen aus dem Raum Altglienicke bleibt weiterhin die Direktverbindung zum S-Bahnhof Adlershof mit der Buslinie 260.

Straßenbahn-Verlängerung nach Schöneweide wichtig

Die Verlängerung der Straßenbahn von der WISTA nach Schöneweide wird immer wichtiger und sollte noch 2011 begonnen werden. Neben dem weiteren rasanten Wachstum der WISTA wird vor allem das neue Wohngebiet für eine stärkere Ausrichtung nach Schöneweide sorgen. In Schöneweide gibt es am Bahnhof eine Vielzahl an Umsteigemöglichkeiten (Regionalbahn, 6 S-Bahn-, 5 Straßenbahn- und 7 Buslinien) und ein Einkaufszentrum. Erst mit dieser Streckenverlängerung ist eine Reduktion im Busangebot (Entfall der Linie auf dem Groß-Berliner- Damm) möglich. Auch würde man der Staugefahr im Kreuzungsbereich Sterndamm/Groß-Berliner- Damm in Johannisthal aus dem Weg gehen, da die Straßenbahn hier eine eigene Trasse erhält. Außerdem wäre eine direkte Verbindung der WISTA zur Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Oberschöneweide möglich, auf die an beiden Standorten viel Wert gelegt wird.

Beim Ausbau des Groß-Berliner Damms ist die Verlängerung bereits berücksichtigt worden, so dass schon vor dem Abschluss des Planfeststellungsverfahrens mit dem Verlegen der Gleise begonnen werden kann. Gelder stehen dafür in ausreichender Höhe aus den vom Land Berlin einbehaltenen S-Bahn-Mitteln zur Verfügung und wären zur Entschädigung der hier vom S-Bahn-Chaos besonders betroffenen Fahrgäste sinnvoll angelegt.

Die neu gebaute Wendeschleife an der Karl-Ziegler-Straße soll bei Verlängerung der Strecke nach derzeitiger Planung zurückgebaut werden. Allerdings wäre ein Erhalt dieser Schleife zu befürworten, da man dann im Falle einer kurzfristigen Nicht-Erreichbarkeit von Schöneweide mit der Straßenbahn zumindest noch in die WISTA hineinfahren kann und nicht am Bahnhof Adlershof enden müsste.

Nach der Straßenbahnverlängerung nach Schöneweide sollte eine zusätzliche Erschließung der WISTA über die Hermann-Dorner- Allee nördlich der Rudower Chaussee mit der Buslinie 162 geprüft werden, die dann nach bisheriger Planung nicht mehr den Bahnhof Schöneweide anfahren würde.

Erschließung des S-Bahnhofs Betriebsbahnhof Schöneweide

Auch die S-Bahn kann einen zusätzlichen Beitrag zur besseren Erschließung der Wissenschaftsstadt leisten, indem der S-Bahnhof Betriebsbahnhof Schöneweide (mit geeignetem Namenswechsel) eine Anbindung nach Südwesten bekommt. Profitieren würde vor allem der nördliche Teil der WISTA inklusive dem neuen Wohngebiet. Aufgrund der unterschiedlichen Halteabstände und Fahrziele wäre diese S-Bahn-Erschließung aber kein Ersatz für die erforderliche und mit vielen Millionen Euro beim Straßenbau vorbereitete Straßenbahnverlängerung von der WISTA nach Schöneweide.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 2/2011 (Juni 2011), Seite 12-13

 

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