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Kennen Sie das? Sie stehen auf einem
kleinen Bahnhof, irgendwo auf dem Lande,
und warten auf Ihren Zug. Doch keiner
kommt. Zehn Minuten sind seit der
planmäßigen Abfahrt schon vergangen,
und Sie machen sich langsam Gedanken:
„Wann kommt der denn endlich, oder
kommt er überhaupt noch?“. Sie vergewissern
sich am Aushangfahrplan, dass
der Zug tatsächlich hätte fahren sollen.
Auch hängt da kein Zettel, der über Fahrplanänderungen
oder Baumaßnahmen
informiert. Also, wo bleibt der Zug? Wie
lange müssen Sie noch warten? Keine
Lautsprecherdurchsage und keine Anzeige
informiert über den Verbleib des Zuges.
Nicht einmal ein Mensch ist da, den man
fragen könnte. Sie wollen wissen, was los
ist, wie es weiter geht. Und …
Sie haben ein Recht darauf!
Das meint zumindest die EU und hat in
der „Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des
Europäischen Parlaments und des Rates
vom 23. Oktober 2007 über die Rechte
und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr“
festgeschrieben: „Bei einer
Verspätung bei der Abfahrt oder der
Ankunft sind die Fahrgäste durch das
Eisenbahnunternehmen oder den Bahnhofsbetreiber
über die Situation und die
geschätzte Abfahrts- und Ankunftszeit zu
unterrichten, sobald diese Informationen
zur Verfügung stehen.“ (Kapitel IV, Artikel
18). Soweit so gut. Aber wie sieht es in der
Praxis aus? Das hat sich auch die zuständige
Aufsichtsbehörde, das Eisenbahn-Bundesamt
(EBA), gefragt, und bei Kontrollen
auf der Strecke Hamburg—Puttgarden
erhebliche Defizite festgestellt.
In Großenbrode fing alles an.
Hier und auf dem beschaulichen Bahnhof
Lensahn nahmen 2010 die Beamten
die oben erwähnten Informationsmängel
wahr: Keine technischen Mittel zur Anzeige
oder Ansage von „Verzögerungen im Betriebsablauf“
befanden sich auf den Bahnhöfen.
Ein Einzelfall? Mitnichten, musste
das EBA erkennen, als es daraufhin eine
großflächig angelegte Untersuchung vornahm.
Die Deutsche Bahn-Tochter DB Station
& Service AG betreibt circa 5500 Bahnhöfe
und Haltepunkte, an denen mehr oder
weniger intensive Fahrgastwechsel stattfinden.
Bei vielen, zumeist kleineren Stationen
der DB-internen Kategorien 5 und 6
wurde das Fehlen der Informationstechnik
beanstandet.
Was sagt die Bahn dazu?
Bei einer Anhörung 2010 durch die Behörde
gab die DB bekannt, dass aus Mitteln des Konjunkturprogramms
1800 Stationen der Kategorie
5 und/oder mit über 300 Reisenden am
Tag bis Ende 2011 einen Dynamischen Schriftanzeiger
(DSA) erhalten sollten. Sie würde
außerdem bis Ende 2012 gerne 675 weitere
ausstatten, wenn sie denn wüsste, wie diese
finanzierbar wären. Bei etwa 1900 kleinen
Bahnhöfen der Kategorie 6 und mit unter
300 täglichen Fahrgästen gäbe es zwar keinen
Plan, aber dafür einen Aushang mit einer
Telefonnummer der örtlich zuständigen 3-S-Zentrale,
wo der Reisende ja anrufen könne.
Ja, wenn dieser denn im Besitz eines ortsungebundenen
Funktelefons wäre, einen
ausreichenden Empfang hätte (was in ländlichen
Regionen oft nicht der Fall ist) und
bereit wäre, die Kosten zu tragen.
Was meint das EBA?
Das sei unzureichend, befand das EBA und
lud zu Gesprächen, wo Rahmenbedingungen
zur schrittweisen Beseitigung der
Probleme vereinbart wurden, die die Bahn
nachträglich einseitig abänderte und dem
Vorbehalt der Finanzierung unterstellte.
Als die Bahn Ende Oktober 2010 ihre
Hausaufgaben nicht machte und vereinbarte
Zuarbeiten nicht ablieferte, erging
am 26. November 2010 ein Bescheid. Der
legte fest, in welchem zeitlichen Rahmen
binnen 18 und 48 Monaten, gestaffelt
nach Kategorie und Fahrgastaufkommen,
alle Bahnhöfe ohne aktive Fahrgastinformation
mit den Dynamischen Schriftanzeigern
oder Alternativen auszustatten
sind, damit Reisende schnellstmöglich
aktiv informiert werden. Und zwar sobald
die Ausfall- bzw. Verspätungsinformation
vorliegt.
Das wird teuer!
Die Ausstattung mit einem DSA kostet zwischen
6000 und 8000 Euro. Auf zahlreichen
Bahnhöfen sind davon sogar mehrere nötig.
Wird die Frist zur Erfüllung nach Gültigwerden
des Bescheides nicht eingehalten, so
drohte das Eisenbahn-Bundesamt mit einem
Zwangsgeld über 5000 Euro für jede
nicht ausgestattete Station. Gedeckelt wurde
dies jedoch auf insgesamt 500 000 Euro.
Die Kosten der Bescheide mit je 775 Euro
fallen da kaum ins Gewicht.
In der Hoffnung diese Summen reduzieren
zu können, zog die Bahn vor das Verwaltungsgericht
(VG) in Köln, da dieses für
das in Bonn sitzende EBA zuständig ist, und
klagte gegen den Bescheid.
Die Meinung der DB Station & Service AG
Primär führte die Bahn als Klägerin folgende
Argumente gegen die Auflagen an:
- Die Informationspflicht sei nicht allein der
DB S&S anzulasten. Vielmehr seien doch
die Eisenbahnverkehrsunternehmen dafür
verantwortlich. Ferner hätten diese ja als
erste die Verspätungserkenntnis und könnten
demzufolge eher informieren. Auch
laut EU-Verordnung seien Bahnhofsbetreiber
und EVU gleichermaßen in der Pflicht.
- Das EBA hätte über 5000 Bahnhöfe pauschal
entschieden, ohne im Einzelfall die
Zumutbarkeiten abzuwägen.
- Die Festsetzung der Termine beraube die
Bahn ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit
zu bestimmen, wann und in
welchem Umfang sie die Ziele ihrer Kunden-
und Qualitätsoffensive umzusetzen
gedenke.
- Auch wenn der Bescheid Alternativen
zum DSA zulässt, so sind diese doch im
Regelfall kostenintensiver oder technisch
aufwendiger, so dass die Bahn zum Aufstellen
der DSA gewissermaßen „gezwungen“
würde.
Was spricht das hohe Gericht?
Abgelehnt! Die Klage war zwar zulässig,
aber unbegründet. Der Fahrgast hat bezugnehmend
auf Artikel 18 Abs.1 der VO (EG)
Nr. 1371/2007 ein Recht darauf, durch das
EVU oder den Bahnhofsbetreiber aktiv über
Abweichungen informiert zu werden. Aktiv
heißt, es erwächst daraus eine Bringschuld,
nicht eine Auskunftspflicht auf telefonische
Anfrage des Reisenden. Wörtlich heißt es in
der Urteilsbegründung:
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Das Streitobjekt: der Dynamische Schriftanzeiger (DSA) mit integrierter Beschallungseinrichtung für Verspätungsanzeigen und -ansagen. Foto: BfVst |
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“Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift
sind die Fahrgäste über Verspätungen „zu
unterrichten“ und nicht lediglich darüber zu
informieren, wo die Informationen für sie
bereitgestellt werden. Überdies soll die Unterrichtung
erfolgen, „sobald“ die Informationen
zur Verfügung stehen. Bei einem bloßen
Hinweis auf eine Telefonnummer oder eine
Service-Hotline erhalten die Fahrgäste die Informationen
indes erst dann, wenn sie einen
Anruf für erforderlich halten, also üblicherweise
erst dann, wenn die Verspätung bereits
eingetreten ist. Überdies setzt dies zwingend
voraus, dass jeder Fahrgast stets ein technisches
Kommunikationsmittel mit sich führt.
[…] Die Informationspflicht der Klägerin steht
auch nicht unter dem Vorbehalt vorhandener
Ressourcen. […] Ein „Vorbehalt der vorhandenen
Ressourcen“ würde überdies letztlich
dazu führen, dass die Klägerin an Stationen,
an denen bislang aktiv keine Information
über Verspätungen möglich ist, auch zukünftig
nicht zu informieren brauchte. Das liefe den
in den Erwägungsgründen genannten Zielen
eines hohen Verbraucherschutzniveaus und
des Schutzes der Nutzerrechte der Fahrgäste
indes zuwider. Abgesehen davon ist die Klägerin
auch nicht zwingend zur Schaffung neuer
technischer Systeme verpflichtet, sie könnte
ebenso gut Personal einsetzen. Da eine Ausstattung
der Stationen mit Dynamischen
Schriftanzeigern die kostengünstigste Lösung
darstellt, dürfte die Klägerin sich indes auch
in ihrem eigenen Interesse letztlich für diese
Variante entscheiden.“ (VG Köln, 18 K 4907/11)
Den Argumenten der DB Station&Service
AG, dass sie an Stelle der EVU die „falsche
Empfängerin“ des EBA-Bescheides
sei, wollte das Verwaltungsgericht nicht
folgen. Es meint: „Der Bahnhof ist ein geeigneter
Ort, um die Fahrgäste über Verspätungen
zu unterrichten, insbesondere über
eine Verspätung bei der Abfahrt. An ihren
eigenen Bahnhöfen kann die Klägerin selbst
am besten und zweckmäßigsten Auskunft
geben, da sie niemanden um Erlaubnis ersuchen
muss. Auch kann sie ihre Kosten in die
Stationsentgelte einpreisen und hat überdies
die Gewissheit, dass sie etwaige Investitionen
bis zum Ende der Abschreibung nutzen kann.
Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen könnte
demgegenüber sein technisches Equipment
allenfalls über die Laufzeit des jeweiligen Stationsnutzungsvertrages
nutzen.“
Die Frage der Zumutbarkeit steht dabei
nicht zur Diskussion. Allein das Informationsrecht
aller Fahrgäste überall ist maßgebend
– nicht die unternehmerische Freiheit,
nur auf großen oder mittleren Bahnhöfen zu
informieren, wo sich das rentiere. Die Richter
meinen dazu: „Hinreichende Anhaltspunkte
für eine unverhältnismäßige Belastung der
Klägerin bestehen nicht, zumal konkrete Angaben
der Klägerin zu der Frage, ob und ggf. in
welcher Höhe sie überhaupt eigene finanzielle
Mittel einsetzen muss, fehlen. Bislang jedenfalls
erfolgte die Ausstattung der Stationen der
Klägerin mit Dynamischen Schriftanzeigern
überwiegend mit öffentlichen Mitteln.“
Und nun?
Der Verkehrsverbund Berlin Brandenburg
(VBB) hat schon seit vielen Jahren in den
Stationsberichten Informationsdefizite festgestellt
und angemahnt, diese zu beheben.
Passiert ist scheinbar nicht viel. Ob sich daran
noch etwas ändern wird, steht noch nicht fest,
denn die Bahn geht gegen das Urteil des Kölner
Verwaltungsgerichts beim Münsteraner
Oberverwaltungsgericht (OVG) in Berufung.
Zwar will die DB S&S bei etwa 1200 Bahnhöfen
nachrüsten, legt das Hauptaugenmerk
aber nun nochmals auf die Klärung der finanziellen
Verhältnismäßigkeit des Investitionsaufwandes
bei Stationen mit Fahrgastwechseln
von unter 100 pro Tag.
In der Vergangenheit hat das OVG tendenziell
pro Bahn entschieden und schon
manche Urteile des VG Köln wieder kassiert.
Da es sich um einen bundeshoheitlichen
Verwaltungsakt handelt, wird letztinstanzlich
wohl das Bundesverwaltungsgericht
befinden müssen. Ein Hoffnungschimmer
für die Fahrgäste: Bisher folgte das BVerwG
der Rechtsprechung des VG Köln.
Recht so, meint der
Berliner Fahrgastverband IGEB!
Endlich fallen klare Worte. Es kann nicht sein,
dass ausgerechnet der ländliche Fahrgast, der
keinen Konsumtempel mit Gleisanschluss
zum wohlbehüteten Verweilen hat, sprichwörtlich
im Regen stehen gelassen wird. Gerade
auf den kleinen Haltepunkten und Bahnhöfen
ist rasches Informiertwerden wichtig.
Unabhängig davon, ob es finanziell zumutbar
ist. Alternative Fahrtruten kann der Reisende
dort oft nur mit Bussen bestreiten, die meist
aber kurz nach der planmäßigen Zugankunft
verkehren. Wenn der Reisende feststellt, dass
der Zug nicht planmäßig kommt, erst anrufen
muss und dann vielleicht sogar erfährt, dass
der Zug ausfällt, ist der Bus auch schon weg.
Wenn der Bus nur alle zwei Stunden oder gar
seltener fährt, ist das ärgerlich. Nur, wenn
der Reisende frühzeitig – im Idealfall vor der
regulären Zugabfahrtszeit – aktiv informiert
wird, kann er sich rechtzeitig um eine Alternative
kümmern.
Bisher gibt es auf 92 der 317 brandenburgischen
Bahnhöfe und Haltepunkte keine
Anzeigen und Ansagen zu Verkehrsinformationen.
Der Fahrgastverband IGEB sieht
deshalb dringenden Handlungsbedarf und
fordert die rasche Umsetzung der EU-Verordnung.
Überall!
Zwar werden auch in Zukunft Verspätungen
– insbesondere im Winter – nicht zu
vermeiden sein, aber immerhin wird dann
der Fahrgast aktiv und hoffentlich rechtzeitig
über die Dauer informiert, so dass er
gegebenenfalls noch in den warmen Dorfkrug
einkehren kann, statt bibbernd und
bangend am Bahnsteig dem Zug entgegen
zu fiebern. (BfVst) Berliner Fahrgastverband IGEB
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