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Am 15. März 2012 war es wieder einmal soweit.
Der VBB-Aufsichtsrat tagte mit dem Ziel,
die Fahrpreise in Berlin und Brandenburg zu
erhöhen. Die üblichen Rechtfertigungen wie
höhere Energie- und Personalkosten waren
schon im Vorfeld kommuniziert worden, und
da derzeit in beiden Bundesländern keine
Wahlen bevorstehen, stellte sich niemals die
Frage, ob, sondern nur wie stark die Fahrpreise
erhöht werden können.
Wieder Tariferhöhung ohne
versprochene Strukturreform
Vergessen ist, dass die einstige Senatorin für
Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer,
und die Verkehrsunternehmen sich im Oktober
2006 darauf verständigt hatten, dass die
VBB-Tarifstruktur grundlegend überarbeitet
werden soll (siehe u. a. SIGNAL 2/2008). Der
Fahrgastverband IGEB hatte hierzu 2007
zahlreiche Vorschläge gemacht (siehe SIGNAL
3/2007), doch nur wenige davon wurden
bisher umgesetzt. Zu den Erfolgen zählen in
Berlin die Wiedereinführung der Sammelkarte,
jetzt 4-Fahrten-Karte genannt, und das
Abonnement für die 10-Uhr-Karte ab August
2012. Demgegenüber ist der Berliner Kurzstreckentarif
noch immer nicht verbessert worden
(siehe unten), und auch die von der IGEB wiederholt
geforderte Modifizierung des viel zu
kleinteiligen VBB-Wabentarifs in Brandenburg
steht noch aus.
Welche positiven Ergebnisse mit strukturellen
Reformen möglich sind, hat das 2009 eingeführte
Seniorenticket gezeigt. Hier gelang
es, mit einem sehr einfachen und preiswerten
Angebot neue Fahrgäste zu gewinnen, ohne
finanzielle Einbußen zu erleiden.
Doch zum 1. August 2012 werden die Fahrpreise
wieder pauschal angehoben mit nur
wenigen strukturellen Akzenten. Vergessen
scheinen auch die Zusagen, die Fahrgäste mit
Zeitkarten nach zahlreichen überproportionalen
Erhöhungen bei der nächsten Tarifrunde
zu schonen. Denn bei diesen Stammkunden
sehen die Verkehrsunternehmen noch immer
Abschöpfungspotenziale, die sie bis zu der
Preisschwelle ausreizen wollen, ab der mit
nennenswerten Abo-Kündigungen zu rechnen
ist. Das verkehrs- und umweltpolitische
Ziel, neue Fahrgäste zu gewinnen, interessiert
die Verkehrsunternehmen nur dann, wenn mit
den zusätzlichen Fahrgästen auch zusätzliche
Einnahmen verbunden sind, ohne dass zusätzliche
Verkehrsangebote gefahren werden
müssen. Unehrlich sind vor allem die vielen
Politiker, die nicht zugeben, dass sie genau das
von den Verkehrsunternehmen verlangen.
Ärgerlich ist auch das regelmäßige Präsentieren
einer nicht nachvollziehbaren Durchschnittsprozentzahl,
mit der der VBB und die Verkehrsunternehmen
„beweisen“ wollen, dass die Tariferhöhung unter
der sogenannten Inflationsrate liegt. Tatsächlich
werden die Fahrpreise für einen großen Teil der
Fahrgäste um deutlich mehr als die vom VBB
angegebenen „durchschnittlich 2,8 Prozent“
steigen. Hinzu kommt, dass die deutlich stärkeren
Steigerungen bei den studentischen Semestertickets vom
VBB nie eingerechnet werden und auch strukturelle
Verschlechterungen wie der einstige
Wegfall der Rückfahrmöglichkeit beim Berliner
Einzelfahrschein unberücksichtigt blieben,
obwohl sie für einen Teil der Fahrgäste eine
erhebliche Verteuerung bedeuteten.
Vertrauensbildend ist es außerdem nicht,
wenn am 14. März die Tariferhöhung vor allem
mit den stark gestiegenen Energiepreisen begründet
wird, am 30. März aber in der Berliner
Zeitung zu lesen ist: „2011 zahlte die BVG für
Strom und Kraftstoff knapp 108 Millionen Euro,
rund eine Million weniger als 2010“.
Viele Stammkunden werden wieder überdurchschnittlich
zur Kasse gebeten
Wer eine Monatskarte für Berlin (AB) kauft,
zahlt künftig 77 statt 74 Euro (+ 4,1 Prozent),
die Jahreskarte AB kostet 710 statt 695 Euro (+
2,2 Prozent). Lediglich Abonnenten der Jahreskarte
werden für ihre Treue belohnt und müssen
nur 0,7 Prozent mehr bezahlen: 680 statt
675 Euro. Damit wird der Anreiz zum Abonnement
richtigerweise erhöht.
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Am letzten Tag des alten Monats und am ersten Tag des neuen Monats können beide übertragbaren Karten genutzt werden. Das entfällt mit der bevorstehenden Einführung des elektronischen Tickets. |
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Sehr viel stärker zur Kasse gebeten werden
die Stammkunden im Tarif Berlin ABC, also
einschließlich ca. 15 km Umland. Die Monatskarte
kostet 95 statt 91 Euro (+ 4,4 Prozent), die
Jahreskarte 895 statt 848 Euro (+ 5,5 Prozent).
Erstmals bietet das Abonnement der Jahreskarte
(endlich) einen Vorteil: Sie wird von 848
auf „nur“ 885 Euro verteuert (+ 4,4 Prozent).
Die 10-Uhr-Karte Berlin AB kostet künftig
55,50 statt 53 Euro (+ 4,7 Prozent). Erfreulich
ist, dass es diese Karte nun endlich im Abonnement
gibt, bei monatlicher Abbuchung für
umgerechnet 42,67 Euro und bei jährlicher
Abbuchung für umgerechnet 40,92 Euro. Das
könnte einige sparsame Senioren, die nie Berlin
verlassen, zum Umstieg veranlassen, denn
ihre nur im Abonnement erhältliche VBBGesamtnetzkarte
kostet künftig bei monatlicher
Abbuchung umgerechnet 48 Euro (+ 2,1
Prozent) und bei jährlicher Abbuchung umgerechnet
46,58 Euro (+ 2,2 Prozent).
Brandenburger
Stammkunden müssen
in der Regel noch größere
Erhöhungen verkraften
als die Berliner. So
werden die Monatskarten
für einzelne Waben,
ganze Landkreise oder
mehrere Landkreise
um 3,4 bis 4,4 Prozent
teurer. Da wie beim Tarif
Berlin ABC eine Differenzierung
zwischen der
einzelnen Jahreskarte
und der Jahreskarte im
Abonnement eingeführt
wird, steigt der Preis für
die einzelne Jahreskarte
sogar um 4,5 bis 5,5 Prozent.
Ähnlich sind die Steigerungsraten in den
kreisfreien Städten Brandenburgs. Einzige
Ausnahme ist Potsdam. Hier werden die Zeitkarten
nur um 1,7 bis 2,0 Prozent teurer, und lediglich
bei der einzelnen Jahreskarte liegen die Raten bei
2,7 bis 3,1 Prozent. Das ist bemerkenswert, da die
Landeshauptstadt schon heute das größte Verkehrsnetz,
aber die geringsten Zeitkartentarife der
kreisfreien Städte hat.
Bei den Zeitkartentarifen für Schüler und
Auszubildende liegen die Erhöhungen in
Berlin und Brandenburg fast ausnahmslos
über dem Durchschnitt von + 2,8 Prozent. Die
Schülertickets in Berlin sind aber dennoch mit
28 Euro monatlich (+ 3,7 Prozent) und 17 Euro
für das Geschwisterticket (+3,0 Prozent) sehr
moderat.
Unübersichtliche Entwicklung beim
Einzelfahrschein
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Wenn die Benzinpreise steigen, diskutiert die Politik über eine Entlastung der Autofahrer (Stichwort: Pendlerpauschale) und beschließt Mehrbelastungen der Fahrgäste durch Tariferhöhungen bei Bahnen und Bussen. Dabei konnte die BVG ihre Energiekosten 2011 gegenüber 2010 sogar geringfügig senken. Foto: Marc Heller |
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Der Einzelfahrschein Berlin AB wird von 2,30
auf 2,40 Euro verteuert (+ 4,3 Prozent), der Ermäßigungsvorschein
sogar um 7,1 Prozent von
1,40 auf 1,50 Euro. Auch der Preis für die Tageskarte
AB steigt überdurchschnittlich von 6,30
auf 6,50 Euro (+ 3,2 Prozent). Demgegenüber
wird die 4-Fahrten-Karte nur um 2,4 Prozent
von 8,20 auf 8,40 Euro verteuert. Damit wird
der Anreiz, sich bei voraussichtlich drei Fahrten
besser gleich eine Tageskarte zu kaufen, geringfügig
abgeschwächt statt abgeschafft. Außerdem
führt die prozentual stärkere Verteuerung
fast aller Zeitkartentarife dazu, dass die
Schwelle, ab der sich der Kauf einer Zeitkarte
lohnt, in Berlin weiterhin sehr hoch ist. Ein Beispiel:
Wer mit der 4-Fahrten-Karte unterwegs
ist, kann monatlich 36 Fahrten machen und
hat dann mit 75,60 Euro immer noch gegenüber
der Monatskarte mit 77 Euro gespart.
Verstärkt wird dieser Effekt, weil der Kurzstreckenfahrschein
in Berlin erfreulicherweise
nicht verteuert wird und weiterhin 1,40 und
ermäßigt 1,10 Euro kostet. Auch in Potsdam
bleibt der Preis mit 1,30 Euro unverändert,
während in den anderen kreisfreien Städten
künftig 1,40 statt 1,30 Euro (+ 7,7 Prozent) zu
zahlen sind.
Berliner Kurzstreckentarif zu kompliziert
Die Freude am in Berlin stabilen Preis für die
Kurzstrecke wird allerdings erheblich geschmälert
durch die wieder nicht erfolgte
Strukturreform, denn die Bedingungen der
Kurzstrecke sind unzureichend und kompliziert.
Drei Stationen dürfen inklusive Umstieg
mit S- und U-Bahn, nicht jedoch dem Regionalverkehr,
zurückgelegt werden. In Bussen
und Straßenbahnen sind zwar 6 Stationen
zulässig, dafür darf jedoch das Fahrzeug nicht
gewechselt werden. Wer einen Expressbus
nutzt, braucht Adleraugen, denn die ausgelassenen
Haltestellen paralleler Linien sind
mitzuzählen. Da ist schon einiges taktisches
Geschick notwendig, um die Kurzstrecke richtig
anzuwenden. Viele Fahrgäste kaufen daher
aus Angst lieber gleich einen Einzelfahrschein.
Als Geheimtipp könnte sich die Kurzstrecke jedoch
zum Umgehen des Anschlussfahrscheins
entwickeln. Nach Neuenhagen mit der S 5 oder
Potsdam Hbf mit der S 7 spart dies nun bereits
20 Cent pro Fahrt.
Stabil sind auch die Preise für Einzelfahrscheine
in Brandenburg bei 2 bis 5 Waben.
Über 5 Waben steigen die Preise um 1,6 bis 2,8
Prozent, also geringer als die Zeitkartentarife –
eine Fehlentwicklung zulasten der Stammkunden.
Sehr viel attraktiver als in Berlin ist in Brandenburg
die Tageskarte. Sie kostet immer genau
das Doppelte eines Einzelfahrscheins,
lohnt sich also bereits ab zwei Fahrten. Lediglich
in Potsdam sind zwei Fahrten noch geringfügig
preiswerter als eine Tageskarte. Unverständlicherweise
gilt Letzteres auch für den Ermäßigungstarif
der anderen kreisfreien Städte – es wäre ja
sonst auch zu einfach.
Vorsicht beim Gruppentarif in Brandenburg
Überdurchschnittlich erhöht werden die
Preise für die brandenburgische Gruppenkarte
auf größeren Distanzen. In der Stufe von
75 bis 85 Kilometer wird die höchste Steigerungsrate
der diesjährigen Erhöhungsrunde
mit 15,2 Prozent erreicht. Pro Person sind hier
statt bisher 6,60 dann 7,60 Euro zu bezahlen.
Bei einer Mindestgruppengröße von 5 Personen
bedeutet dies eine Erhöhung um 5 Euro
von 33 auf 38 Euro. In der höchsten Stufe bis
255 Kilometer sind pro Person zusätzlich 1,60
Euro fällig. Damit ist das Gruppenticket auf
längeren Relationen geradezu Wucher und
das Brandenburg-Berlin-Ticket für Gruppenreisende
die günstigere Alternative. Selbst im
ungünstigen Fall mit 6 Personen und zwei Tickets
zu 56 Euro ist das Länderticket der Bahn
ab 105 Kilometer günstiger und flexibler als
der VBB-Tarif.
Fahrradtarif wird komplizierter
In Brandenburg ist der Fahrradtarif nur in
Brandenburg an der Havel, Cottbus, Frankfurt
(Oder) und Potsdam erhältlich. Die Monatskarte
AB wird dort einheitlich um 5,6 Prozent auf
9,50 Euro verteuert. Die Einzelfahrausweise
und Tageskarten AB und BC werden abgeschafft,
so dass nur noch der teurere Tarif ABC
verfügbar ist. Damit der Sprung nicht zu groß
ist, wird dieser allerdings im Preis gesenkt, in
Potsdam zum Beispiel für die Tagesfahrradkarte
ABC von 4,10 auf 3,40 Euro. Wer aber bisher
Potsdam AB für 2,90 Euro nutzen konnte,
muss nun + 17,2 Prozent mehr zahlen. In den
anderen drei Städten sind es sogar 2,90 statt
2,10 Euro (+ 27,6 Prozent). Doch diese hohen
Prozentzahlen weist der VBB in seinen Übersichten
lieber nicht aus.
Nicht viel übersichtlicher ist der Fahrradtarif
in Berlin: Hier gibt es beim Einzelfahrschein
Kurzstrecke sowie AB, BC und ABC, bei der Tageskarte
AB, BC und ABC und bei der Monatskarte
AB und neu ABC, aber weiterhin nicht BC.
Unverändert fehlt die Möglichkeit, die Fahrrad-
Monatskarte zu abonnieren.
Außerdem leistet sich Berlin auch weiterhin
mit CityTourCard und WelcomeCard, sowie der
WelcomeCard-Museumsinsel unterschiedliche
Touristen-Angebote mit nahezu gleichem
Angebot.
Verpasste Chance – wieder einmal
Der VBB bezeichnet die Tariferhöhungen stets
als Tarifanpassungen, weil es vereinzelt stabile
oder gar sinkende Fahrpreise gibt. Doch für die
weitaus meisten Fahrgäste gibt es auch 2012
wieder nur eine Tariferhöhung ohne strukturelle
Verbesserungen. Die Chance, durch
übersichtlichere und attraktivere Tarife neue
Kunden zu gewinnen und „Graufahrer“ zu
vermeiden, die einen Fahrschein, aber nicht
den richtigen erworben haben, wurde wieder
einmal verpasst.
Hinzu kommt, dass die Fahrgäste in Berlin
und Brandenburg mehr zahlen sollen, obwohl
die S-Bahn noch längst nicht die bestellten
Verkehrsleistungen erbringt und die BVG viele
Millionen Euro einsparen könnte, wenn endlich
die vom Berliner Senat seit Jahren geplanten
und versprochenen Vorrangschaltungen
für Bahnen und Busse realisiert würden.
Die steigenden Benzinpreise haben viele
Autofahrer zum Umsteigen bewegt und zumindest
den großen Verkehrsunternehmen
zusätzliche Einnahmen beschert – auch ohne
Tariferhöhung. Bezieht man in die Betrachtung
noch die Entschuldigungszahlungen der
S-Bahn GmbH mit ein, fällt die Tariferhöhung
2012 erheblich höher aus und könnte zum
schnellen Verlust so mancher gerade erst gewonnener
Neukunden führen.
Zu bedenken ist auch, dass eine Tariferhöhung
viel Geld kostet. Fahrscheinautomaten
und Drucker müssen umprogrammiert werden.
Neue Tarifbroschüren müssen gedruckt,
Aushänge auf den Bahnsteigen und an den
Haltestellen getauscht werden. Fahrscheinblöcke
werden wertlos und müssen ersetzt
werden.
Ein kleiner Lichtblick ist die neue VBBfahrCard
– zumindest für die Verkehrsunternehmen.
Die Verwaltung der Abokunden
wird dadurch einfacher, und die Fahrgäste
müssen am Monatsanfang nicht mehr daran
denken die neue Marke herauszuholen.
Karten, die verloren wurden oder von säumigen
Zahlern stammen, können einfacher
gesperrt und ersetzt werden. Doch auch
damit sind Nachteile verbunden. Anhand
der Karte ist der Tarif nicht mehr erkennbar,
wodurch eine einfache Auskunft durch Fahrer
oder andere Fahrgäste zur Nutzbarkeit
unmöglich werden. Kontrolleure müssen
die Karten mit einem Lesegerät auslesen.
Außerdem entfällt der gern genutzte Kulanztag
durch das Vorhandensein mehrerer
Abschnitte am Monatsersten und -letzten –
auch das ist eine Tariferhöhung, die der VBB
nicht einrechnet.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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