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Den Nimbus des Allheilmittels hat
Park-and-Ride (P+R) heute weithin
eingebüßt. In den 60er Jahren aus
den USA übernommen und damals als
Patentrezept zur Entlastung der
Stadtzentren vom Auto begrüßt,
wird P+R
heute meist nur noch als Teil
sogenannter integrativer Konzepte
geplant.
Darin eingebettet gilt es allerdings
durchaus noch als probate Therapie,
die Städte vom Stau zu erlösen - so
auch in der Verkehrsentwicklungsplanung
für die Region Berlin. Der dazu im
März vorgelegte Zwischenbericht
postuliert den Auf- und Ausbau eines
flächendeckenden Park-and-Ride-Systems
im Rahmen eines Maßnahmenbündels,
das in "innerstädtischen
und anderen sensiblen Bereichen" eine
Änderung der Verkehrsaufteilung
zugunsten des ÖPNV bewirken soll. Doch
offensichtlich wollten oder durften
die Berliner Verkehrsplaner neuere
wissenschaftliche Erkenntnisse zu
P+R noch nicht berücksichtigen.
Kaum ein Planer möchte sich heute noch dem
Vorwurf aussetzen, lediglich auf Teilbereiche fixiert
zu sein. Stichworte wie "Kooperation der
Verkehrssysteme" unterstreichen den umfassenden
Anspruch auch bei P+R. Aber hält er einer
genaueren Prüfung stand? Das Büro für integrierte
Planung Berlin (BiP) dokumentierte und bewertete
beispielhafte Park-and-Ride-Konzepte mit
elektronischer Verkehrsleittechnik in den Städten
Düsseldorf, Hannover. München und Stuttgart.
Dieses Gutachten, in Auftrag gegeben vom Institut
für Landes- und Stadtentwicklungsforschung
des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS). bildete
die Basis für den von Dr.-Ing. Christian Holz-Rau
und Georg Wilke (beide BiP) in der Zeitschrift
"Verkehr und Technik", Heft 3/93, veröffentlichten
Aufsatz: "Park+Ride-Terminals - Bestandteil
integrierter Verkehrskonzepte oder sektorale
Verkehrsplanung?" Unser Beitrag nimmt im wesentlichen
darauf Bezug.
Neukunden für den ÖPNV -
doch auch vermehrte Autofahrten
Zunächst stellen die Autoren fest, daß P+R in den
Kernstädten der Ballungsgebiete mit einem Gesamtverkehrsanteil
von nur zwei bis drei Prozent
eher marginale Bedeutung hat. Größer ist sie im
rein innenstadtbezogenen Berufsverkehr. Die
Anteile steigen hier mit der Länge des Gesamtweges.
Weitere Einflußgrößen sind die Qualität
des Bus- und Bahn-Angebots und die zunehmenden
Probleme bei der Parkplatzsuche.
Als zugkräftiges Argument führen P+R-Befürworter
die Gewinnung von Neukunden für den
ÖPNV an. Einer 1990 durchgeführten Befragung
der Studiengesellschaft Nahverkehr (SNV) zufolge
waren im Schnitt etwa 30% der P+R-Nutzer
vorher reine Autofahrer. Andererseits gingen dem
öffentlichen Verkehr aber auch Kunden verloren.
oft sogar mehr als hinzukamen! Waren sie vorher
bereits ab Wohnort mit Bus oder Bahn (teils
kombiniert mit dem Fahrrad) im "reinen Umweltverbund"
unterwegs, so fahren sie jetzt im Pkw
bis zur P+R-Anlage. Für die Umlandbereiche
bedeutet das eine unerwünschte Zunahme des
motorisierten Individualverkehrs (MIV).
Über die Wirksamkeit des P+R-Systems in den
Kernstädten entscheidet wesentlich der dortige
Rückbau von Stellplätzen. Für die untersuchten
Städte liegen zwar Parkraumkonzepte vor, teilweise
aber nur in Umrissen oder als allgemein
gehaltene Zielkataloge (wie auch in Berlin). Am
detailliertesten sind sie in Stuttgart und München,
wo indes gleichzeitig an kapazitätssteigernden
Verkehrsmanagementsystemen (siehe unten) gearbeitet
wird. Vor allem ist nirgends beabsichtigt,
den innerstädtischen Parkraum im selben Maße
zu verknappen, wie er im Umland wachsen soll.
P+R-Terminals in neuer Dimension
Verstärkt diskutiert werden sogenannte P+R-Terminals
mit einer Konzentration von bis zu 5.000
Pkw-Stellplätzen, wie sie namentlich die Automobilindustrie
(und der ADAC!) anregt. Dazu die
BiP-Gutachter: "Großanlagen sind zwangsläufig
mit längeren Zugangsfahrten und entlang dieser
Straßen mit erheblichen Mengenproblcmen und
entsprechenden Belastungen verbunden".
Die Kapazität herkömmlicher Anlagen mit maximal
nur mehreren hundert Plätzen wird beim
Terminal-Konzept um ein Vielfaches übertroffen.
Als Beispiel dienen Vorgaben eines beim Verkehrsverbund
Rhein-Ruhr (VRR) angesiedelten
Forschungsprojektes:
- Verknüpfungspunkte außerhalb der Kernstädte
mit Kundenpotentialen von wenigstens 3.000 pro
Tag bei MIV/Schiene und 1.000 bei MIV/Bus.
- Fahrplantakt mindestens alle zehn Minuten
(bzw. bedarfsorientierte Abfahrt jeweils bei
voller Sitzplatzbelegung).
- Umfangreiches Service- und Geschäftsangebot:
Stichwort: "Easy-shopping".
Für ca. 5.000 praktisch nur mehrgeschossig zu
realisierende Stellplätze an einem Verknüpfungspunkt
werden die Kosten auf günstigstenfalls 250
Mio DM geschätzt, mithin 50.000 DM je Platz
und fünf bis zehn mal teurer als bei ebenerdigen
Anlagen. Die Ergänzungsinvestitionen in Busse
oder Bahnen sind dabei noch gar nicht eingerechnet.
ÖPNV als Überlaufventil
Moderne Leit- und Informationssysteme, zum
Beispiel Wechselwegweiser oder Anzeigetafeln.
sollen die Park-and-Ride-Nutzung beeinflussen
und steuern. Bei Störungen im Straßenverkehr,
etwa einem Stau auf dem Weg zur Innenstadt,
wird den Autofahrern der nächstgelegene P+R-Platz
empfohlen. Sogenanntes Verkehrsmanagement
weist dem ÖPNV also häufig eine bloße
"Überlauffunktion" zu. Er hat einzuspringen
wenn auf der Straße nichts mehr geht. Eigens
dafür müssen die Verkehrsunternehmen höchst
unwirtschaftliche Reserven vorhalten. Alle untersuchten
Städte wollen P+R in ein entsprechendes
Management-System einbinden, unabhängig von
den mehr oder minder ausgearbeiteten Detailplanungen.
In München wurde bereits mit dem Bau
eines Terminals begonnen, in Düsseldorf ist eines
mit vorerst ca. 1.000 Stellplätzen zumindest
projektiert. Hannover sieht derzeit nur Anlagen
konventioneller Größe vor.
Wirkungen massiven P+R-Ausbaus
Holz-Rau und Wilke betonen, daß die Wirkung
von Park-and-Ride maßgeblich von der Integration
in ein übergreifendes Konzept abhängt. Die
Pläne und Überlegungen zum massiven P+R-Ausbau
in den Beispielstädten kennzeichnen sie
jedoch als "unentschlossen" und "mit deutlich
expansivem Charakter". Neue Kapazitäten würden
dabei vorrangig der erwarteten Zunahme der
Umland-Stadt-Verflechtungen angepaßt.
Folgen für das Umland
- Durch den schon erwähnten Umstieg von ehemals
reinen ÖPNV-Nutzern auf den Pkw als Zubringer
verlieren Busse und Bahnen innerhalb der
Quellgebiete Kunden. Dort werden dann ohnehin
schwach ausgelastete Linien ausgedünnt oder gar
eingestellt. Die Leidtragenden sind die verbliebenen
Fahrgäste.
- Massiver P+R-Ausbau torpediert Ansätze der
"Verkehrsvermeidung durch Raumstruktur", die
die Außenwanderung auf Achsen (entlang der
Schienenwege) und einzelne Konzentrationskerne
beschränken will. Stattdessen begünstigt P+R
die Umlandwanderung der Bevölkerung in die
Achsenzwischenräume und leistet langfristig der
Zersiedlung Vorschub.
- Die schon aus Gründen der Finanzierbarkeit unvermeidliche
Verknüpfung besonders von Groß-Terminals
und Einzelhandel gibt dem "Supermarkt
auf der grünen Wiese" weiteren Aufschwung.
Der Niedergang kleinerer Geschäfte
und immer längere Einkaufswege sind vorprogrammiert,
damit verbunden ist der zunehmende
Gebrauch des Autos.
Folgen für die Stadt
- Hier kommt es einerseits zu einer gewissen (eher
geringfügigen) Entlastung vom motorisierten Individualverkehr.
andererseits zu Mehrbelastungen
für den ÖPNV. Ohnehin stark frequentierten
Strecken wird in Spitzenzeiten zusätzlicher Verkehr
aufgebürdet.
- Überfüllte Busse und Bahnen veranlassen innerstädtische
Kunden zur Abwanderung zum MIV.
Jene, die über keinen Pkw verfügen, müssen sich
mit Qualitätseinbußen abfinden.
Nur Autofahrer profitieren
Nun ließe sich einwenden, daß den Folgen halt
mit verbessertem ÖPNV-Angebot zu begegnen
sei. P+R-Konzepte binden aber Finanzmittel, die
für Attraktivitätssteigerungen an anderer Stelle
fehlen. Aus dem Aufsatz im Wortlaut: "Der öffentliche
Verkehr läuft hier Gefahr, im Hinblick
auf die großen Anforderungen, die an ihn in Anbetracht
des unverträglichen MIV gestellt werden,
seine bisherigen Kunden aus den Augen zu verlieren.
Im Sinne einer Dominanz der aktuellen
Problemlage beginnt sich der ÖV vorrangig an
bisherigen MIV-Nutzem zu orientieren. P+R ist
ausschließlich auf Autofahrer zugeschnitten, den
bisherigen ÖV-Nutzern bringt es keinerlei Vorteile,
unter Umständen aber erhebliche Nachteile".
Die Verfasser fügen hinzu, daß es sinnvollere
Wege gebe, das wenige dem öffentlichen Verkehr
zur Verfügung stehende Geld zu verwenden, als
ausgerechnet für Konzepte, die in extremer Weise
das belastende Standort- und Verkehrsverhalten
der Autofahrer auch noch "belohnen".
Anpassungsplanung setzt falsche Zeichen
Trotz enormer Investitionen kann Park-and-Ride
die Autoflut in die Städte kaum nennenswert eindämmen.
Selbst Großanlagen bewirken angesichts
hoher und weiter zunehmender Zahlen der
Berufspendler im MIV (in Düsseldorf, Hannover,
München und Stuttgart jeweils deutlich über
100.000) wenig. So müßte in München, allein um
die Zuwachsraten aufzufangen,
jährlich ein
Terminal mit 4.000
Stellplätzen gebaut werden.
Damit verbundene
Investititonskosten: ca.
200 Mio DM. Relativiert
werden die Potentiale
auch dadurch, daß
in sämtlichen Beispielstädten
die meisten
Pkw-Einpendler, markant
anders als beim
ÖPNV, heute gar nicht
in die eigentlichen Zentren
fahren. Trotzdem
wird P+R häufig betont
auf City-Linien ausgerichtet.
Für Holz-Rau und Wilke
sind P+R-Konzepte
"Anpassungsplanung
wie gewohnt", die zudem
falsche Zeichen
setzt. Kemaussagen ihres
Resümees:
- "Auf jede Nachfragesteigerung
wird von Seiten
der Planung auch
weiterhin durch entsprechende
Angebotsausweitungen
reagiert".
Dabei entlastet P+R
städtische Bereiche nur
kurzfristig und partiell,
langfristig stärkt es dagegen - jedenfalls
bei massivem Ausbau - "die
bisherige Entwicklung des Systems Siedlung und
Verkehr zu einem immer höheren Verkehrsaufwand."
Mit dem schon beschriebenen Trend zur
Umlandwanderung gerade in die Räume zwischen
leistungsfähigen ÖV-Achsen "konterkariert
es alle Bestrebungen, die Siedlungsentwicklung
selbst als Instrument der Verkehrsgestaltung einzusetzen".
- Der Öffentliche Verkehr wird durch P+R in
eine Rolle gedrängt, in der er die durch private
Motorisierung geprägten Strukturen am Leben
erhalten soll.
- Voraussetzung jeder verträglichen Verkehrsplanung
ist die Zuwachsbegrenzung, und zwar die
Begrenzung weiterer räumlicher Verflechtungen.
Einzig wirksam sind hier gegenwärtig Kapazitätsengpässe,
zusätzlich herbeigeführt durch innerstädtische
Restriktionen für den MIV.
- Im Kontext von Kapazitätsbeschränkungen
kann P+R "Erreichbarkeitseinbußen abfedern, die
über ein verträgliches Maß hinausgehen". Die
Kriterien dafür bedürfen aber einer prinzipiellen
Diskussion, zumal bei Reduzierungen im öffentlichen
Verkehr aus rein betriebswirtschaftliche
Gründen die schlechtere Erreichbarkeit oft in
Kauf genommen wird.
- Grundsatzlich sollten Park-and-Ride-Angebote
sich auf kleine Anlagen beschränken. Sie minimieren
die Zufahrtswege und erleichtern am selben
Umsteigepunkt den Wechsel zur Alternative
"Bike-and-Ride". Die gleichzeitige Ausstattung
mit Fahrradstellplätzen ist deshalb unerläßlich.
Letztlich bleibt P+R eine Notlösung, "die sich auf
Bereiche beschränken muß. in denen ÖV-Bedienung
nicht möglich ist." Zuvor gilt es in jedem
Fall die siedlungsstrukturellen und sozialen Nachteile
sorgfältig abzuwägen. Angeblich integrative
Konzepte, die genau das unterlassen, sind in
Wahrheit vor allem auf die reibungslose Abwicklung
des motorisierten Individualverkehrs fixiert.
IGEB
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