In der Verkehrspolitik kam es Ende 2012 zu einer parlamentarischen Sternstunde.
Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) wurde mit einem überparteilichen Konsens
reformiert.
Die Novellierung war dringend nötig, denn
das alte Gesetz stand teilweise im Widerspruch
zur EU-Verordnung 1370/2007, die
seit 2009 unmittelbar geltendes Recht für
den Öffentlichen Nahverkehr ist. Die Bundestagsfraktionen
von Grünen, Union, FDP
und SPD sowie Vertreter der Länder und der
Bundesregierung hatten sich im September
nach mehreren missglückten Anläufen auf
einen Änderungsantrag zum bereits im parlamentarischen
Verfahren befindlichen Gesetzentwurf
der Bundesregierung geeinigt.
Am 2. November passierte der Gesetzentwurf
den Bundesrat,
so dass das Gesetz am
1. Januar 2013 in Kraft treten
konnte. Bundestag und Bundesrat
modernisierten damit
die entscheidende rechtliche
Grundlage für den Öffentlichen
Personennahverkehr (ÖPNV)
und gaben den Fernbusverkehr
in Deutschland frei.
Das PBefG regelt die Beförderung
von Personen mit Bussen,
Straßenbahnen (darunter
fallen auch Hoch- und U-Bahnen)
und O-Bussen. Es umfasst
die Genehmigung von entgeltlichen
und geschäftsmäßigen
Beförderungen sowie
Betriebs- und Beförderungspflichten
von Unternehmen.
Flexible Bedienungsformen
wie Anrufbusse oder Anrufsammeltaxis
erhalten mit dem
Gesetz mehr Spielraum.
Das neue Personenbeförderungsgesetz
bringt Rechtssicherheit
für Verkehrsunternehmen
und deren Beschäftigte
sowie für die kommunalen Aufgabenträger.
Dabei schafft das Gesetz ein ausgewogenes
Verhältnis zwischen dem unternehmerischen
Interesse der Verkehrsunternehmen,
insbesondere auch der kleinen und mittelständischen
privaten Unternehmen. Vor allem
trägt es der Gestaltungsverantwortung
der kommunalen Aufgabenträger für ein
attraktives ÖPNV-Angebot Rechnung. Die
drei Kernpunkte der Novelle:
- Stärkung der Kommunen als Aufgabenträger
des ÖPNV,
- Barrierefreiheit im Öffentlichen Verkehr
nach einer Übergangsfrist und
- Marktöffnung für den Fernbus-Linienverkehr.
ÖPNV und Rechte der Kommunen
Durch die Novellierung wurde die Aufgabenverteilung
von Aufgabenträger und
Genehmigungsbehörde neu strukturiert.
Die Grünen konnten mit der Novellierung
eine Stärkung der Aufgabenträger gegenüber
den Genehmigungsbehörden, d.h. der
kommunalen gegenüber der Landesebene,
erreichen.
In der Hand der Aufgabenträger liegen
die Nahverkehrspläne und die Erteilung der
Linienverkehrsgenehmigungen. Dies erlaubt
eine bessere demokratische Kontrolle
durch kommunale Parlamente. Die Aufgabenträger
können nun Anforderungen an
das Verkehrsangebot definieren, wenn sie
bereit sind, dieses zu finanzieren. Sollte es
kein eigenwirtschaftliches Angebot geben
oder dieses von wesentlichen Anforderungen
der ÖPNV-Planung des Aufgabenträgers
abweichen, kann dieser den Verkehrsauftrag
nach Maßgabe der EU-Verordnung
Nr. 1370/2007 vergeben.
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Durch einen überparteilichen Kompromiss konnte das novellierte Personenbeförderungsgesetz zum 1. Januar 2013 in Kraft treten. Mit den Änderungen wurden die Kommunen als Aufgabenträger des ÖPNV gestärkt, die vollständige Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr mit Übergangsfristen festgelegt und der Fernverkehrsmarkt für Busse geöffnet, leider ohne Einführung einer Maut. Foto: Rüdiger Herzog |
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Beim Busverkehr kann eine Linie für bis zu
zehn Jahre vergeben werden (vorher acht
Jahre). Nach deutscher Rechtsprechung
sind Liniengenehmigungen ausschließliche
Rechte, d.h. nach der Vergabe ist auf der
betreffenden Linie während der Laufzeit
der Genehmigung kein Konkurrenzbetrieb
erlaubt. Die Novelle passte damit das deutsche
Recht an die in der EU-Verordnung vorgesehenen
Handlungsmöglichkeiten der
Aufgabenträger zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge, Eigenerbringung
und Direktvergabe an.
Aus Sicht der Grünen ist die Stärkung der
Aufgabenträger ein wesentliches Ergebnis
des Kompromisses. Der Vorrang eigenwirtschaftlicher
Verkehre bleibt mit der Novellierung
zwar bestehen, die Aufgabenträger
erhalten aber Instrumente, um zu verhindern,
dass mit dieser Genehmigungsform
auch minderwertige Verkehre zugelassen
werden müssen. Das Instrument dazu ist die
Einfügung von Versagungsgründen.
Dadurch erhält der Aufgabenträger die
Möglichkeit, eigenwirtschaftliche Anträge
abzulehnen, die deutlich hinter dem von
ihm selbst in einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag
definierten Standard zurückbleiben.
Konkret: Nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf
wäre es möglich gewesen,
dass ein eigenwirtschaftlicher Antrag mit
unregelmäßigen Fahrten und alten Bussen
selbst dann genehmigungsfähig gewesen
wäre, wenn der Aufgabenträger
einen 20-Minuten-Takt mit modernen, emissionsarmen
und barrierefreien
Bussen wünscht – und
dafür auch eine öffentliche
Förderung bereitstellt.
Barrierefreiheit
Ergänzt wurde die Novelle
um klare Ziele zur Barrierefreiheit
im Nahverkehrsplan.
Von vollständiger Barrierefreiheit
darf nach einer
Übergangfrist bis 2022 nur
noch in begründeten
Ausnahmen abgewichen
werden. Selbstverständlich
wäre eine kürzere Frist
wünschenswert gewesen.
Der Kompromiss trägt den
hohen Investitionskosten
für barrierefreie Infrastruktur
Rechnung. Das sind vor
allem die zahlreichen alten
Bahnhöfe, die nur schrittweise
saniert und barrierefrei gestaltet werden
können.
Fernbusse sollen künftig auch für mobilitätseingeschränkte
Menschen nutzbar sein.
Nach angemessener Übergangsfrist bis zum
31. Dezember 2019 müssen sämtliche Fernlinienbusse
barrierefrei sein. Neue Fernbusse
müssen bereits ab dem 1. Januar 2016 mit
mindestens zwei Plätzen für Rohlstuhlnutzer
und den entsprechenden Einstiegshilfen
(Hublifte) aufgestattet werden.
Marktöffnung für Fernbusse
Der 80 Jahre alte Eisenbahnschutz und damit
die grundsätzliche Versagung der Genehmigung
für Fernbuslinien entfielen. Im
Wettbewerb um den neuen Markt sollen
etablierte Verkehrsunternehmen, darunter
auch kleine und mittelständische Busunternehmen,
ebenso ihre Chance haben wie
junge Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen.
Fernbuslinienverkehr gibt es auch heute
schon, insbesondere von und nach Berlin,
aber auch grenzüberschreitend oder zu Kurorten.
Zwischen Berlin und Hamburg, den
beiden Städten mit dem höchsten Fahrgastpotenzial
auf der Schiene, fahren bereits seit
Jahrzehnten Fernbusse im Linienverkehr,
ohne dass dies nennenswerte Auswirkungen
auf das Fernverkehrsangebot auf der
Schiene hatte. Es ist zu erwarten, dass es –
wie in anderen Ländern – zu einem Fernbusliniennetz
zwischen allen großen Städten in
Deutschland kommen wird.
Ein Unterwegsbedienungsverbot bei
einem Haltestellenabstand bis zu 50 Kilometern
oder einer Stunde Reisezeit schützt
jedoch den öffentlich finanzierten Schienenpersonennahverkehr.
Um einen fairen
Wettbewerb und die Sicherheit der Fahrgäste
zu gewährleisten, gilt besondere Aufmerksamkeit
der Qualifikation der Fahrer
und der Einhaltung der Sozialvorschriften
wie Lenk- und Ruhezeiten. Dazu bedarf es
einer wirksamen Kontrolle durch das Bundesamt
für Güterverkehr. Den bisherigen
Genehmigungsvorbehalt nutzte die DB AG,
um selbst zum größten Fernbusbetreiber in
Deutschland und – durch den Zukauf von
Arriva – auch in Europa zu werden.
Die Grünen werden sehr genau beobachten,
ob die Wettbewerbsbedingungen angemessen
sind. Falls in erheblichem Maße
Personen vom Schienenpersonennahverkehr
(SPNV), der vom Bund mit ca. 7 Mrd. Euro pro
Jahr gefördert wird, auf Busse umsteigen,
wird das Gesetz revidiert werden müssen.
Es spricht allerdings wenig dafür, dass
das Geschäftsmodell von Busbetreibern
darin liegen wird, in Konkurrenz zum SPNV
zu treten. Denn Fernbusverkehre operieren
außerhalb von Verbundtarifen, so dass
z. B. Zeitkartenbesitzer für die Nutzung von
Fernbussen extra zahlen müssen. Für Einzelticketnutzer
ist ein solches Angebot nur
dann attraktiv, wenn keine Anschlussfahrt
im ÖPNV notwendig wird, die dann auch
extra zu zahlen sein würde.
Nicht durchsetzen konnten Grüne und
Sozialdemokraten die Mautpflicht für Fernbusse.
Der Widerstand von Union und FDP
gegen eine Bus-Maut scheint ideologisch
begründet zu sein. Berechnungen zeigen,
dass die Einführung einer Bus-Maut die
durchschnittlichen Fahrpreise im Fernbus
kaum ansteigen lassen würde. Die Grünen
sind davon überzeugt, dass Busse bemautet
werden müssen, und werden dieses Ziel
weiter verfolgen.
Warum Fernbusse?
Die Grünen begrüßen die Marktöffnung für
Fernbusse, weil dadurch sowohl sozial- als
auch umweltverträgliche Mobilitätsangebote
geschaffen werden. Zu erwarten sind vor
allem Umsteiger aus dem motorisierten Individualverkehr,
kaum von der Schiene. Das
Angebot wendet sich vor allem an preissensible
Menschen, die zudem auf den Komfort
und den zeitlichen Vorteil des Bahnreisens
verzichten können oder müssen. Fernbusse
sind daher vor allem für Personen attraktiv,
die bisher selbst Auto gefahren oder Mitfahrer
in Mitfahrzentralen sind oder die aus
Kostengründen gar nicht fahren konnten.
Aus ökologischer Sicht spricht viel für Fernbusse.
Im Hinblick auf die CO2-Emissionen
ist der Bus sogar das umweltfreundlichste
Verkehrsmittel, wie eine Studie im Auftrag
des Umweltbundesamts jüngst bestätigte.
Danach lagen im Jahr 2011 die spezifischen
CO2-Emissionen pro Kilometer für Busse bei
41,6 g/km, für den Zug bei 57,5 g/km und für
Pkw bei 139,1 g/km. Busse stoßen auch niedrigere
Schwefeldioxidemissionen aus als Züge.
Nachteile weist der Fernbus bei Stickoxidemissionen
aus, die allerdings bei Fernbussen
mit dem neuesten Umweltstandard (Euro VI)
durch einen Stickoxidkatalysator unschädlich
gemacht werden. Energetisch ist der Bus gegenüber
dem Zug ebenfalls im Vorteil. Während
der durchschnittliche Verbrauch pro
Fahrgast im Fernbus bei 1,5 l/100 km liegt,
sind es im ICE 2,5 l/100 km. Die Ökobilanz der
Schiene verbessert sich allerdings durch den
verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien
schneller als bei Bussen. Mittelfristig ist daher
davon auszugehen, dass Fernbusse und Züge
in Punkto Umweltfreundlichkeit gleichauf liegen
werden. Dr. Anton Hofreiter, MdB (Bündnis 90/Die Grünen)
Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Rüdiger Herzog, Büroleiter von Anton Hofreiter
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