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Verkehrspolitischer Fehlstart

Anmerkungen zum Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD

Der am 11. November 2005 zwischen CDU, CSU und SPD abgeschlossene Koalitionsvertrag für die Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung ist hinsichtlich des Schienenverkehrs ein nur wenig überzeugender Kompromiss. Zu dieser Erkenntnis gelangte der Bundesverbandsrat des Deutschen Bahnkunden-Verbandes auf seiner turnusmäßigen Sitzung vom 3. Dezember in Erfurt.

Grundlegende Weichenstellungen, beispielsweise deutliche Akzente in Richtung Angleichung der Verkehrswege Schiene und Straße, sucht man vergebens. Statt dessen heißt es: „Zur Unterstützung eines fairen Wettbewerbs werden wir das Straßengüterverkehrsgewerbe diskriminierungsfrei bei der Lkw-Maut entlasten."

Zwar soll mit einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für das jeweilige Bestandsnetz dessen „betriebsbereite und qualitativ hochwertige Vorhaltung sichergestellt und gewährleistet" werden. Im Gegenzug gibt es jedoch keine verbindlichen Aussagen zur Herabsetzung der Trassenpreise. Auch soll diese Regelung wohl nur für die DB Netz AG und ihre Regionalnetze gelten, nicht jedoch für die zahlreichen nichtbundeseigenen Eisenbahninfrastrukturen, die ja gleichermaßen in der Pflicht sind, ihre Strecken der Allgemeinheit für den öffentlichen Schienenverkehr vorzuhalten. Ausführungen zum Thema „Regionalisierung der Schieneninfrastruktur" sucht man deshalb wohl auch vergebens, wenngleich gerade diese organisatorische Maßnahme zu erheblichen Einsparungen beim Ausbau und Betrieb von SPNV-Strecken führen würde. Diese Auffassung vertritt übrigens auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen VDV.

Auch bei den Investitionsmitteln für den Erhalt und den Ausbau der Schienenwege wird offensichtlich wieder außer Acht gelassen, dass es auch in diesem Bereich eine Pluralität gibt. Statt dessen unterstellt die Koalitionsvereinbarung nur einen Netzbetreiber. Immerhin sollen die Mittel für die Eisenbahninfrastruktur „deutlich erhöht" und „dauerhaft auf dem erhöhten Niveau verstetigt werden" Bleibt zu hoffen, dass „Die Bahn" das viele Geld dann auch wirklich sinnvoll verbauen kann. Betrachtet man die Investitionsvorhaben des Bundes, so kommen zudem Befürchtungen auf, ob es dann nicht nur weitere Investruinen wie bei der Neubaustrecke Erfurt—Nürnberg geben wird.

Ein weiteres Manko ist die allgemeine Zuordnung der Regionalisierungsmittel zur Finanzierung und Aufgabenwahrnehmung des ÖPNV Somit wird die Bindung dieser Mittel für den Schienenpersonennahverkehr endgültig aufgegeben - der Verwendung für den Busverkehr somit Tür und Tor geöffnet. Diese Öffnung sowie die kürzlich überfallartig angedrohte Kürzung der Regionalisierungsmittel für 2006 bis 2009 lassen einen weiteren Rückgang der SPNV-Leistungen befürchten. Letztlich werden auch die Trassenpreise dadurch noch weiter ansteigen, wie die in der Allianz pro Schiene zusammengeschlossenen Non-Profit-Organisationen befürchten.

Kürzungen der Regionalisierungsmittel können nicht hingenommen werden, da gerade die Regionalisierung des SPNV eine Entwicklung ist, die wegen der großen Investitionen in den Strecken- und Fahrzeugbereichen auf eine langfristige laufende Finanzierung angewiesen ist. Erfolge der Regionalisierung, wie beispielsweise in Rheinland Pfalz, würden gefährdet.

Weitere Abbestellungen blieben nicht aus. In der Folge müssten noch mehr Nebenstrecken stillgelegt werden, womit diese Infrastrukturen dann auch dem Schienengüterverkehr nicht mehr zur Verfügung stünden. Viele Regionen würden infrastrukturell weiter veröden.

Zu prüfen ist allerdings, ob nicht durch ein zu dichtes Geflecht von Aufgabenträgern und Bestellerstrukturen letztendlich zu viele Regionalisierungsmittel in Overheadstrukturen, statt in die eigentlichen Verkehrsunternehmen fließen. Aus Gründen der Effizienz und Klarheit der Entscheidungs- und Bestellprozesse sollte dieser Dschungel gelichtet werden. Zudem führen zu kleinräumige Aufgabenträgerstrukturen zu Problemen im gebietsüberschreitenden Verkehr - zwischen den Ländern und oftmals auch schon von Landkreis zu Landkreis.

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Bahnhof Görden an der Strecke Brandenburg—Rathenow. Selbst bei dieser gerade erst sanierten Strecke müssten die Fahrgäste bei einer Kürzung der Regionalisierungsmittel Abbestellungen fürchten. Foto: Florian Müller

In steuerlicher Hinsicht enthält der Koalitionsvertrag zwar eine Globalaussage, wonach die Wettbewerbsfähigkeit des Verkehrs durch die Nutzung steuerpolitischer Gestaltungsmöglichkeiten gestärkt werden soll. Konkrete Ausgestaltungen dieses Ansatzes werden jedoch nicht genannt, so dass zu befürchten steht, dass Forderungen nach einem reduzierten Steuersatz auf Fernverkehrsfahrkarten oder Ermäßigungen bei der Mineralölsteuer auf Dieselkraftstoff für Lokomotiven bzw. Triebwagen wieder einmal keine Chance haben werden. Doch gerade mit diesen Instrumenten könnte man der Benachteiligung des Systems Bahn etwas entgegen treten.

Auf den ersten Blick recht fahrgastfreundlich erscheint immerhin die Aussage, wonach Entschädigungsansprüche der Reisenden bei Verspätungen, Ausfällen etc. bei allen öffentlichen Verkehrsträgern nach Auswertung eines den Koalitionären vorliegenden Gutachtens zum Verbraucherschutz verbindlich festgeschrieben werden sollen.

Auf den zweiten Blick kann eine solche Regelung, wird sie nicht mit Augenmaß eingeführt, zum Bumerang werden, den alle Fahrgäste in Form weiterer Fahrpreiserhöhungen zu spüren bekommen. Denn letztlich bleibt den Verkehrsträgern in der Regel keine andere Wahl, als die dann entstehenden zusätzlichen Belastungen auf die Fahrgelder umzulegen. Auf Grundlage der Verspätungsfälle des Jahres 2004 wären bei der DB rund 250 Millionen Euro fällig gewesen.

Nach Ansicht des DBV muss bei einer solchen Entschädigungsregelung daher auch „die Kirche im Dorf" gelassen werden. Der Öffentliche Verkehr ist, wie auch der Individualverkehr, ein hochkomplexes System mit unzähligen Abhängigkeiten und Einwirkungsstellen. Verspätungsursachen können daher nur schwer eindeutig lokalisiert werden. Letztlich würde es zu unzähligen rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Fahrgästen und den Verkehrsunternehmen kommen.

Richtig sind allerdings Entschädigungsansprüche, die ausschließlich auf ein Organisationsverschulden des Verkehrsunternehmens zurückzuführen sind. Dieses könnte beispielsweise vorliegen, wenn der Bus ausfällt, weil der Busfahrer plötzlich erkrankt ist, und das Unternehmen es versäumt hat, Ersatzpersonal einzuteilen.

Zusammengefasst muss festgestellt werden, dass die Koalitionsvereinbarung „DB-fixiert" ist und dass strukturelle Änderungen wie die Regionalisierung der Eisenbahninfrastruktur oder die Beseitigung von Hemmnissen des intermodalen Wettbewerbs, die dem System Schiene neue Impulse verleihen würden, fehlen. Bleibt zu hoffen, dass zumindest das unverantwortliche Streichkonzert bei den Regionalisierungsmitteln noch abgewendet werden kann.

Deutscher Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 6/2005 (Dezember 2005/Januar 2006), Seite 4

 

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