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Bei der Videoüberwachung gibt es derzeit
allein in Berlin viele unterschiedliche
Praktiken. Selbst innerhalb
der BVG wird dies unterschiedlich
gehandhabt. Während in Bussen
und Straßenbahnen der Fahrer bei Auffälligkeiten zumindest
theoretisch brenzlige Situationen
mit den Fahrzeugkameras live beobachten
könnte, ist dies in einem zirka 100 Meter langen
U-Bahn-Zug nicht mehr möglich. Selbst
eine Übertragung nach Außen zu einer Sicherheitszentrale
stellt einen technischen
und immensen personellen Aufwand dar.
Nicht zuletzt wäre diese flächendeckende
Live-Überwachung auch datenschutzrechtlich
äußerst brisant.
Automatische Bildauswertung
Sowohl die Problematik, dass viele Kameras
auch viele Auswerter benötigen, als
auch die Problematik des Datenschutzes
wird umgangen,
wenn die Informationen
aus den Videokameras einerseits automatisch
ausgewertet werden und andererseits
nur abstrakte Bildinformationen benutzt
werden.
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Nachgestellte Schlägerei in einem U-Bahn-Waggon. Foto: HFC |
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In einem vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie geförderten
Forschungsprojekt entwickeln Berliner
Forscher der Firmen HFC Human-Factors-Consult
und asis Soft- und Hardware GmbH
sowie der Humboldt-Universität Berlin und
der Freien Universität Berlin einen völlig
neuen Ansatz, bei dem über ein Multikamerasystem
nicht die Ansichten, sondern
Bewegungen registriert werden. Durch
sogenanntes 3D-Tracking werden Wege
von all dem registriert, was sich in einem
U-Bahn-Waggon bewegt. Das können einsteigende
Fahrgäste, nach vorne schnellende
Fäuste, aber auch auf dem Boden
kullernde Colaflaschen sein. Ergebnis der
Multikamera-Bildauswertung sind Daten
von Bewegungspfaden im Raum.
Bewegung ist Indikator für die
Situation
Der Clou des Projekts liegt darin, dass aus
den Charakteristiken der Bewegungsmuster
auf die Situation, z. B. eine Schlägerei, geschlossen
wird. Beispielsweise sind die Hände
bei einer Schlägerei in einer untypischen
Höhe und bewegen sich untypisch schnell.
Generell gibt es bei Schlägereien mehr Bewegungen
als in normalen Situationen.
Gegenüber anderen Situationen
mit viel Bewegungen – zum
Beispiel beim Einsteigen mit
hohem Fahrgastandrang – unterscheidet
sich die Schlägerei durch
die Ungerichtetheit der Bewegungen.
Algorithmus lernt durch Beobachtung
Welche Situation im U-Bahn-Waggon vorliegt,
lernt der Algorithmus der automatischen
Auswertung aus der Ähnlichkeit der
Bewegungsdaten gleicher Situationen.
Zur Erkennung einer Schlägerei müssen
also wenigstens einmal Bewegungsdaten
einer Schlägerei gemessen worden
sein. Da man in einem Forschungsprojekt
nicht darauf warten kann, dass in dem mit
Messtechnik ausgerüsteten Waggon irgendwann
einmal eine Schlägerei passiert,
wurden für das Forschungsprojekt eine
Schlägerei und andere Situationen simuliert.
Dazu wurde ein U-Bahn-Waggon mit
Kameras und Messtechnik ausgerüstet,
und von Komparsen wurden Situationen
nach einem Drehbuch gespielt. Das Foto
zeigt einen Ausschnitt aus einer gespielten
Schlägerei-Situation.
Spätere Anwendung
Derzeit wertet das Forschungskonsortium
eine Reihe von nachgestellten Situationen
aus und schafft dadurch nach und nach
die Voraussetzungen für eine automatische
Erkennung gefährlicher Situationen.
Noch wird an der Methode geforscht.
Nach Abschluss der Arbeiten soll das System
als Unterstützung für Fahrer, Polizei
oder andere Einsatzkräfte dienen und
Hinweise für möglicherweise kritische Situationen
liefern. So gut wie ein Mensch
wird der Algorithmus Situationen nie erkennen
können. Das System kann aber
Anstöße geben, mal nachzuschauen, was
wirklich los ist, und so den Menschen vom
monotonen Beobachten von Monitoren
entlasten.
Die Human-Factors-Consult GmbH (HFC)
wurde 2002 als Spin-off der
Technischen Universität Berlin gegründet.
Sie ist ein interdisziplinärer
Forschungs- und Entwicklungsdienstleister,
spezialisiert auf die Gestaltung
und Bewertung von Mensch-Technik-Interaktionen. HFC ist ein
kompetenter, erfahrener und professioneller
Partner für Kunden in den
Branchen Automobiltechnik, Luftfahrt,
Bahntechnik, Medizintechnik und Sicherheit.
HFC unterstützt Entwickler, Hersteller,
Betreiber und Anwender interaktiver Technologien
dabei, ihre Produkte menschengerecht und
sicher zu entwickeln und zu gestalten. Das Ziel
ist es, Bedienkonzepte, operative Konzepte
und Interaktionsschnittstellen zu erarbeiten, die
zugleich innovativ, attraktiv und zuverlässig sind.
Das Leistungsspektrum umfasst Analysen, Konzepte,
Gestaltung, Evaluation und Einführung
interaktiver Produkte und Systeme und adressiert
damit alle Entwicklungsphasen.
www.human-factors.de
Thomas Jürgensohn, HFC Human-Factors-Consult GmbH, Berlin
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