Titelthema Bauarbeiten und SEV

Kein Ersatz für gesperrte S-Bahn-Strecke

S-Bahn, Senat und VBB haben bei der Baustelle Baumschulenweg—Treptower Park versagt

Vom 9. bis 18. Juli war der Abschnitt Baumschulenweg—Treptower Park wegen Bauarbeiten voll gesperrt. Bisher wurde von der S-Bahn stets versucht, die entfallenen Züge durch einen Ersatzverkehr mit Bussen oder verstärkte Umfahrungslinien mit adäquaten Kapazitäten zu ersetzen. Bei dieser Baustelle wurde zum ersten Mal eine Hauptstrecke des Kernnetzes ohne Ersatzangebot gesperrt. Den Fahrgästen riet man in der offiziellen Info-Broschüre, die Baustelle mit Umsteigen in Neukölln zu umfahren. Lediglich für die Bedienung des gesperrten Bahnhofs Plänterwald war ein Ersatzbus von Sonnenallee über Köllnische Heide eingerichtet.

Im Klartext hieß das: Liebe Fahrgäste, eure Linien S 8, S 85 und S 9 fahren zwischen Schöneweide und Treptower Park nicht (es fielen also die Kapazitäten von sieben (!) Viertelzügen in 20 Minuten weg), nutzt stattdessen die schon vollen Züge der Linien S 45, S 46, S 47 und den Ring (S 41/42) mit zusätzlichem Umstieg in Neukölln. Aber Achtung: Nur die Züge auf den Linien S 45 und S 47 werden um insgesamt 3 Viertelzüge in 20 Minuten verlängert, wobei die S 47 nicht einmal mit der maximal möglichen Länge von 8 Wagen, sondern nur als 6-Wagen-Zug verkehrt. Öfter fahren wir dagegen nicht. Die Ringbahn wird nicht verstärkt, obwohl sie ab 14. Juli außerdem als Umfahrung für die gesperrte Stadtbahn dient – also viel Spaß beim Drängeln. Und bitte bedenken: Die Anschlüsse Ostring/Schöneweide werden nicht verbessert, es sind außerhalb der Hauptverkehrszeit also jeweils 9 bis 10 Minuten Wartezeit in Neukölln einzuplanen. Selbstverständlich werden die Zeiten des 5-Minuten-Taktes auf dem Ring nicht ausgeweitet. Und nicht vergessen: Auch die Anschlüsse in Schöneweide von und zu den dort wendenden Linien S 8 und S 9 werden nicht verbessert, es sind dort ebenfalls jeweils 8 Minuten Wartezeit einzuplanen (bei einem 10-Minuten-Takt). Und das Beste, liebe Kunden: Ihr könnt diesen Hindernislauf auch nicht umfahren, denn ein Ersatzverkehr für den gesperrten Abschnitt wird nicht eingerichtet; es fährt lediglich ein Bus zur lokalen Anbindung von Plänterwald. Dieser Bus erreicht weder den Süd- noch den Nordabschnitt der unterbrochenen Linien, die ihr täglich nutzt, sondern nur die überfüllten Züge der Linien von und nach Neukölln. Und damit niemand auf die Idee kommt, dass es sich lohne, mit der S 42 eine Station nach Treptower Park zu fahren und in die dort leer wartenden Züge der S 8 und S 9 umzusteigen, sei darauf hingewiesen, dass dort wie auch in Schöneweide weitere acht Minuten Wartezeit (beim 10-Minuten-Takt) einzuplanen sind.

Es lief nicht rund

Grafik
S 8 und S 9 waren im Juli neun Tage lang ersatzlos unterbrochen. Die Ringbahn als Umfahrung war überlastet und noch unpünktlicher als sonst. Skizze: Holger Mertens

Alles nur Polemik? Leider nein, denn es lief nicht rund. Speziell auf dem Vollring, der schon ohne Baustellen sehr empfindlich ist und aufgrund zu kurzer Züge (durchgängig 6 statt 8 Wagen) unter Überfüllungen und Verspätungen leidet, gab es keinen Tag ohne ganz erhebliche Störungen. Das bedeutete dann auch im Berufsverkehr häufiger 10 bis 20 Minuten Wartezeit – nicht nur für die Umleitungsfahrgäste, sondern für alle Ringbenutzer.

Besonders ärgerlich: Für viele Kunden der betroffenen Linien fehlten andere, weiträumige Alternativen. Die S 3 fährt schon seit Jahren nicht mehr in die Innenstadt und ist seit der baubedingten Streichung der HVZ-Verstärker auch keine akzeptable Massenumfahrung bis zum Ring. Und Regionalverkehr ist im Raum Köpenick/Schöneweide derzeit fast nicht vorhanden. Auch die U 8 nach Jannowitzbrücke und Alexanderplatz steht wegen Bauarbeiten seit einem Jahr nicht mehr am Bahnhof Hermannstraße zur Verfügung.

Die Linienführung des 167er Busses mit direkten Fahrten von Schöneweide nach Treptower Park wäre ideal zur Verdichtung als S-Bahn-Ersatz geeignet gewesen, wenn eine Verdichtung vom Verursacher bestellt worden wäre. Aber auch daran wurde nicht gedacht, so dass der dort angebotene Takt von nur 20 Minuten auch keine Alternative war. An Bussen hätte es der BVG dagegen nicht gemangelt, denn sie hatte zeitgleich mehrere Schubgelenkbusse aus dem U 5-Ersatzverkehr mangels Bedarfs abgezogen (siehe Beitrag Seite 5.).

Auch einen 5-Minuten-Takt zwischen Schöneweide und Neukölln, der einigen der schlimmsten Mängel hätte abhelfen können, hat die S-Bahn Berlin nicht einmal zeitweise angeboten. Das wäre zwar nur außerhalb der Hauptverkehrszeit möglich gewesen, weil auf dem Ring zwischen Hermannstraße und Neukölln aufgrund unzureichender Zugsicherungsanlagen nur sieben Züge pro 20 Minuten fahren dürfen, wovon die S 41/42 in der HVZ schon jeweils vier Fahrten belegen. Aber auch außerhalb der HVZ, wenn S 41/42 nur alle 10 Minuten fahren, wurde zwischen Schöneweide und Hermannstraße (bzw. Tempelhof) kein 5-Minuten-Takt eingerichtet. Dieser hätte es aber vielen Fahrgästen ermöglicht, die jeweils im 5-Minuten-Takt verkehrenden Linien M 41, U 7 und U 6 zu erreichen und Richtung Innenstadt zu gelangen.

Somit hat die S-Bahn eine von drei hochbelasteten Linien befahrene Hauptstrecke für acht Tage (davon sieben Werktage) ersatzlos eingestellt – und der Senat bzw. der VBB als Besteller haben dieses „Konzept“ offensichtlich genehmigt.

So geht es natürlich nicht, und die Tatsache, dass der Senat ein ähnliches Vorgehen (hier der BVG) bei der weitgehend ersatzlosen Einstellung der U 8 im Südabschnitt geduldet hat, lässt sich nicht als Entschuldigung anführen, sondern steht für einen explizit fahrgastfeindlichen Trend bei Baumaßnahmen, der sich so nicht fortsetzen darf! Bei allem Verständnis für technische Begrenzungen durch die vorhandene Infrastruktur (Kehrmöglichkeiten, Signale usw.) bleibt das Fazit, dass hier nach mehreren guten Bauverkehren mal wieder zulasten der Fahrgäste gespart wurde. (mg)

IGEB S-Bahn und Regionalverkehr

aus SIGNAL 4/2014 (August/September 2014), Seite 7

 

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