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| S-Bahnhof Siemensstadt, unter Denkmalschutz, seit 1980 ohne Züge. Der Bahnhof soll der zentrale ÖPNV-Zugang zum geplanten Siemensstadt 2.0-Campus werden. Foto: Florian Müller |
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Ein Jahr später einigten sich Berlin und
Siemens, dem schwächelnden Industrieund
Wohnstadtteil Siemensstadt eine neue
Chance zu geben und ihn als „Siemensstadt
2.0“ zukunftsfähig zu machen. Am 31. Oktober
2018 verkündete Berlin: „Die Siemens
AG hat sich klar zum Industriestandort
Deutschland und zur Innovationsmetropole
Berlin bekannt. Mit einer Investition
von über 600 Millionen Euro wird das Unternehmen
am traditionsreichen Standort
Siemensstadt zusammen mit dem Bezirk
[Spandau] und dem Senat einen neuen
Stadtteil entwickeln, der moderne Urbanität,
also die Verbindung verschiedener
Nutzungen wie Arbeiten, Wohnen, Freizeitgestaltung
vereint.“
Damit nicht genug: Am 8. April 2019 teilte
der Berliner Senat mit: „Ab heute reiht sich
die Siemens AG mit dem Siemensstadt-Projekt als 11ter Ort in die Reihe der Berliner
Zukunftsorte ein.“
Ein solcher Zukunftsort benötigt natürlich
auch eine zukunftsfähige Erschließung. Und
da liegt es nahe, die 1929 eröffnete, aber seit
fast 40 Jahren nicht mehr befahrene Siemensbahn
wieder für den S-Bahn-Verkehr
zu nutzen – bewährte Elektromobilität für
die Stadt von morgen.
Siemensbahn wird eigenes
i2030-Teilprojekt
Nachdem die Ertüchtigung der Siemensbahn
mit der Option auf eine Verlängerung
von Gartenfeld bis zur Wasserstadt Spandau
schon 2018 noch nachträglich bei i2030 aufgenommen
worden war, soll sie nun sogar
ein eigenes neuntes Teilprojekt werden und
nicht länger Bestandteil des achten Teilprojekets
„Engpassbeseitigung und Weiterentwicklung
S-Bahn-Netz“ sein.
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| In der ersten Karte zu i2030 vom 4. Oktober 2017 (Abb. links) war die Siemensbahn noch gar nicht eingezeichnet. Dann wurde ihre Wiederinbetriebnahme Bestandteil des Teilprojektes „Engpassbeseitigung und Weiterentwicklung im S-Bahn-Netz“ (Abb. Mitte von 2018). Inzwischen ist die Siemensbahn ein eigenes, neuntes i2030-Teilprojekt (rechts, Grafik vom Mai 2019). Grafiken: VBB GmbH |
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| Im wirksamen Flächennutzungsplan (links) ist die Siemensbahn mit einer Verlängerung von Gartenfeld um zwei Stationen bis in den Ortsteil Hakenfelde dargestellt. Die Verlängerung ist als Tunnelstrecke konzipiert. Dabei ist eine Trassenführung südlich der Gartenfelder Insel vorgesehen, so dass der Alte Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal nicht unterquert werden muss, sondern „lediglich“ die Havel. Der Flächennutzungsplan-Änderungsentwurf vom 4. Mai 2018 sieht demgegenüber eine Trassierung quer über die Gartenfelder Insel mit einem in der Mitte der Insel gelegenen Tunnelbahnhof unter einer neuen Hauptverkehrsstraße vor. Damit wird das neue Wohngebiet besser erschlossen, aber die Baukosten werden wegen der zweifachen Kanalunterquerung erheblich höher sein. Doch noch ist es nicht zu spät, oberirdische Alternativen zu prüfen oder ab dem S-Bf Gartenfeld die Erschließung flächenhaft mit der Straßenbahn zu realisieren (siehe auch Seite 19). Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen |
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| Das Elektrizitäts-Unterwerk am Bf Jungfernheide/Tegeler Weg steht einer Einfädelung der Siemensbahn mit einer dritten Bahnsteigkante im Wege und müsste versetzt werden. Foto: Florian Müller |
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| Die Spreebrücke der Ringbahn am Bahnhof Jungfernheide. Über die ungenutzen Brückenpfeiler fuhren bis 1980 die Ring-S-Bahn- und Siemensbahn-Züge. Foto: Florian Müller |
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| Die Spreebrücke der Siemensbahn wurde beim Neubau der Schleuse Charlottenburg um das Jahr 2000 zur Hälfte abgebaut. Zum Neubau hat sich die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes verpflichtet. Foto: Florian Müller |
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| Der noch existierende nördliche Teil der Spreebrücke überspannt den alten Spreelauf. Foto: André Casper |
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| Auf dem Viadukt zwischen Spree und S-Bf Wernerwerk sind die Schienen abgebaut. Im Hintergrund das Wernerwerk-Gebäude. Foto: André Casper |
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| Der S-Bf Wernerwerk mit seinem angrenzenden rund 1000 Meter langen Stahlviadukt am Siemensdamm ist möglicherweise noch tragfähig. Foto: Florian Müller |
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| Blick vom brüchigen S-Bahnsteig Wernerwerk auf die ausgedehneten Parkplätze der Industriebetriebe. Foto: Florian Müller |
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| Der S-Bf Wernerwerk ist nach 39 Jahren ohne Fahrgäste in sehr schlechtem Zustand. Foto: Florian Müller |
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| Rostige S-Bahn-Schienen auf dem Erddamm zwischen S-Bf Wernerwerk und S-Bf Siemensstadt. Foto: Florian Müller |
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| Der S-Bf Siemensstadt überspannt auf einem Stahlviadukt den Jungfernheideweg. Foto: Florian Müller |
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| Der Bahnsteig des S-Bf Gartenfeld ist relativ gut erhalten, auch weil sich hier viele Jahre ein Gartencenter eingemietet hatte. Foto: Florian Müller |
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| Der Endbahnhof S-Bf Gartenfeld mit Türmchen. Einem direkten Weiterbau steht das denkmalgeschützte Empfangsgebäude im Wege. Foto: Florian Müller |
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| Auf diesem Grünstreifen war bisher der Weiterbau der S-Bahn-Trasse geplant (links Saatwinkler Damm, rechts Uferböschung des Spandauer Schifffahrtskanals). Foto: Florian Müller |
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| Aktuell will der Berliner Senat die Siemensbahn direkt über die Insel Gartenfeld verlängern, wo ein großes Wohngebiet die bisherige Industrienutzung ersetzen soll. Mitten auf der Insel ist ein S-Bf in Tunnellage vorgesehen. Foto: Florian Müller |
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| An der Haselhorster Daumstraße am westlichen Havelufer wachsen zurzeit viele Wohnbauten in die Höhe. Die würden durch einen weiteren S-Bahnhof an der Daumstraße erschlossen. Foto: Florian Müller |
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| Eine Herausforderung ist die Havelquerung. Am einfachsten wäre eine Eisenbahnbrücke neben der bestehenden „Spandauer See-Brücke“. Die derzeit geplante Tunnellösung wäre sicher viel teurer. Foto: Florian Müller |
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| In Hakenfelde an der Streitstraße westlich der Havel wäre der geplante Endbahnhof. Hier herrscht die Altbausubstanz der Spandauer Neustadt vor und bietet ein hohes Fahrgastpotential aus dem nördlichen Spandau nach „Berlin“. Die existierenden Buslinien zum Bahnhof Spandau sind chronisch überlastet und eine Entlastung des Mega-ÖPNV-Knotens Bahnhof Spandau ist sehr zu begrüßen. Foto: Florian Müller |
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| Nach dem am 26. Februar 2019 gefassten Senatsbeschluss über den Berliner Nahverkehrsplans 2019–2023 hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen auf der Grundlage vom Bedarfsplan Straßenbahn eine Themenkarte Straßenbahnnetz zum Flächennutzungsplan erstellt. Damit sind die Trassen bei allen weiteren Planungen zu berücksichtigen. Das muss konsequenterweise auch für die Entwicklung von Gartenfeld gelten. Es liegt daher nahe, sich jetzt auf die Wiederherstellung der einstigen Siemensbahn bis Gartenfeld (siehe Kreis) zu konzentrieren und dort attraktive Umsteigemöglichkeiten auf die Straßenbahn anzubieten. Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, März 2019 |
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Für die Wiederinbetriebnahme der Siemensbahn
spricht auch, dass das Land Berlin
in Gartenfeld bis zu 3700 Wohnungen und in
der Wasserstadt zusätzlich noch rund 2500
Wohnungen bauen will. Insgesamt rechnet
der Bezirk Spandau mit einem Zuzug von
über 10 000 Menschen. Dafür bedarf es einer
leistungsstarken Verkehrsinfrastruktur.
Das Rückgrat soll die Siemensbahn werden.
In den Jahren 1927 bis 1929 von der Firma
Siemens&Halske errichtet, verband diese
unter der Betriebsführung der Deutschen
Reichsbahn von Gartenfeld kommend die
Siemensstadt mit dem nördlichen Berliner
S-Bahn-Ring. Die Trasse – großenteils in
Hochlage gebaut – ist seit 1980 außer Betrieb
und befindet sich teilweise in recht desolatem
Zustand.
Der Wiederaufbau könnte theoretisch
verhältnismäßig schnell erfolgen, da die
Strecke noch als Bahnanlage gewidmet ist
und die Veränderungsmöglichkeiten durch
die Eintragung in die Berliner Denkmalliste
begrenzt sind. In dieser sind als schutzwürdig
eingetragen: „Siemensbahn (zwischen
Bezirksgrenze und Bahnhof Gartenfeld) mit
Bahnhof Wernerwerk, Bahnhof Siemensstadt,
Endbahnhof Gartenfeld, Stellwerk
Gartenfeld, Viadukt Rohrdamm, Viadukt
zwischen Popitzweg und Spree, Straßenunterführungen
Quellweg, Bingelstraße,
Lenther Steig, Jungfernheideweg, Fußgängerunterführung
am Heizwerk Ringsiedlung,
Gleichrichterwerk Rohrdamm, Trafohaus
Spreegelände, 1928-29 von Hans Hertlein“.
Altbrauchbarer Zustand?
Die Deutsche Bahn untersucht zurzeit, in
wieweit die vorhandenen Anlagen noch für
eine weitere Nutzung brauchbar sind. Ersten
Gerüchten zufolge macht das 90 Jahre
alte Stahlviadukt zum S-Bf Wernerwerk einen
noch sehr stabilen Eindruck, während
der geschüttete Damm zum S-Bf Siemensstadt
und S-Bf Gartenfeld möglicherweise
erneuert werden muss. Um den Status des
„Wiederaufbaus“ nicht zu gefährden und
aufwändige Planfeststellungsverfahren zu
vermeiden, soll die Streckengeschwindigkeit
wie früher nur 60 km/h betragen. Die
Bahnhofsanlagen selbst sind augenscheinlich
sehr verwahrlost und in alter Gestalt
neu zu errichten. Genauere Ergebnisse der
Bestandsprüfungen sind noch für 2019 angekündigt.
Siemens hatte vom Senat als Unterstützung
für die Entwicklung seines „Siemensstadt
2.0“-Campus eine Wiederinbetriebnahme
der Siemensbahn und die Erreichbarkeit
des Flughafens BER in 40 Minuten gefordert.
Das geht nur mit der Siemensbahn
vom S-Bf Siemensstadt über Jungfernheide
in den S 21-Hbf-Tunnel (15 Minuten) und
Umstieg zum geplanten Flughafen-Express,
der ab ca. 2025 in 20 Minuten via Dresdener
Bahn zum BER gelangen soll. Für den Zeithorizont
des Siemens-Campus ist sowohl die
Dresdener Bahn wie auch der BER realistisch.
Siemensstadt ist bisher zentral mit der U 7
leistungsfähig erschlossen, allerdings ist damit
keine Fahrzeit von 40 Minuten zum BER
zu erreichen – auch nicht mit einem Weiterbau
der U 7 direkt zum BER.
Wie geht’s weiter hinter Gartenfeld?
Ein Bremsklotz für den Wiederaufbau ist
das große Wunschkonzert der Weiterführung
über den Endbahnhof Gartenfeld hinaus.
Der wirksame Flächennutzungsplan
sieht eine Verlängerung südlich der Insel
Gartenfeld in Richtung Haselhorst und über
die Havel weiter nach Hakenfelde vor. Im
Änderungsverfahren für den Flächennutzungsplan,
mit dem die Wohnbebauung in
Gartenfeld ermöglicht werden soll, ist die
Verlängerung quer über die Insel Gartenfeld
und dann weiter bis zur Wasserstadt
Spandau in Hakenfelde geplant, Stand 2018.
Ein jüngster dritter Vorschlag plädiert für die
Verlängerung in das Entwicklungsgebiet Tegel
auf dem künftig ehemaligen Flughafengelände
– beflügelt durch Gedankenspiele,
dort ein neues Fußballstadion für Hertha
BSC zu bauen.
Neben der Streckenführung erhitzt auch
die Bauform der Steckenverlängerung die
Gemüter: ebenerdig, als Hochbahn oder
im Tunnel? Der Flächennutzungsplan sieht,
ebenso wie der Änderungsplan, eine Verlängerung
im Tunnel vor, bei der bereits
der S-Bahnhof Gartenfeld in neuer Lage als
Tunnelbahnhof gebaut wird. Schließlich soll
die vermeintlich rumpelnde Bahn nicht die
Wohnruhe stören. Aber gegen eine Tunnelung
sprechen klar die immensen Baukosten.
Durch den insbesondere in Havelnähe sehr
nassen und weichen Untergrund würden
diese pro Kilometer mit über 200 Mio Euro
zu Buche schlagen – ein Mehrfaches im Vergleich
zu einer oberirdischen Variante. Der
gesamte Streckenbau oberirdisch wird „nur“
mit etwa 250 bis 300 Mio Euro geschätzt.
Aber nicht nur hinsichtlich der Kosten, sondern
auch hinsichtlich des Zeitbedarfs wäre
die Tunnellösung das Ende aller Pläne für
eine Realisierung der Siemensbahn in den
nächsten fünf bis zehn Jahren. Deshalb ist
es gut, dass Berlin durch die Zusage an Siemens
unter Druck steht und die Klärung einer
Verlängerung nicht zum Anlass für eine
jahrelange Verschiebung des gesamten Projekts
genutzt werden kann. So zeichnet sich
ab, dass es auf eine Wiederinbetriebnahme
„nur“ bis Gartenfeld mit Ertüchtigung des
ebenerdigen (denkmalgeschützten) Endbahnhofs
Gartenfeld hinauslaufen könnte.
Die Feinerschließung
mit Zubringerfunktion
zur S-Bahn könnte dann, wie im Bedarfsplan
zum Nahverkehrsplan vorgesehen,
die Straßenbahn übernehmen – sowohl in
Richtung Wasserstadt Spandau als auch auf
dem ehemaligen Flughafengelände. Auch
das Straßenbahn-Projekt wird noch einige
Jahre brauchen, ist aber mit Sicherheit
schneller und preiswerter zu realisieren,
als das Verbannen der Fahrgäste in einen
S-Bahn-Tunnel unter einer neuen überörtlichen
Hauptverkehrsstraße, wie es in der
Flächennutzungsplanänderung vorgesehen
ist. Dieses Projekt erinnert erschreckend an
die Planungen der autogerechten Stadt aus
überwunden geglaubten Zeiten und muss
überarbeitet werden.
Dritte Bahnsteigkante
für S-Bf Jungfernheide
Unvermeidbar aufwändig und teuer wird
die Einfädelung der Siemensbahn in den
Berliner S-Bahn-Ring, weil bei dessen
Wiederaufbau eine Reaktivierung der Siemensbahn
zwar angedacht, aber nicht
durch bauliche Vorleistungen berücksichtigt
worden war. Demzufolge wird eine
Teilringsperrung wohl nicht zu vermeiden
sein, zumal der S-Bahnhof Jungfernheide
für eine reibungslose Einfädelung auf den
Ring sinnvollerweise eine dritte Bahnsteigkante
erhalten soll.
Sinnvoll wäre das auch für den S-Bahnhof
Westhafen, da die Züge der Siemensbahn
östlich von diesem Bahnhof vom Ring in den
neuen Nordsüd-Tunnel einfahren und vorerst
am Hauptbahnhof enden sollen. Wenn
voraussichtlich in den 2030er Jahren der
neue Tunnel zum Potsdamer Platz fertiggestellt
werden kann, ist eine Weiterführung
der Züge nach Süden geplant.
Bei der Zwischenstufe „Siemensbahn
zum Hauptbahnhof“ muss natürlich sofort
der S-Bahnhof Perleberger Brücke berücksichtigt
und gebaut werden. An dieser
eberdigen Strecke können die geplanten
Seitenbahnsteige sehr viel einfacher und
preiswerter realisiert werden, als an der
Strecke zwischen Wedding und Hauptbahnhof.
Ein weiteres Hemmnis ist die Brücke über
die Spree, die jedoch von der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung des Bundes auf eigene
Kosten wiederaufgebaut werden muss.
Vor diesem Hintergrund muss man sehr
optimistisch sein, um an eine Wiederinbetriebnahme
der Siemensbahn bis etwa
2025 glauben zu können. Andererseits
haben viele seit der Verlängerung der U 7
bis „Rohrdamm“ im Jahr 1980 nicht geglaubt,
dass es überhaupt jemals zu einer
Wiederinbetriebnahme als S-Bahn-Strecke
kommen könnte. Schon mancher hatte die
Trasse der Siemensbahn für Fußgänger und
Radfahrer verplant. Das ist nun definitiv Geschichte.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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