Hessen:

Hessische Verkehrspolitik braucht „Wende zum Besseren“

Hessen hat einen neuen Landtag gewählt. Wie die neue Landesregierung aussehen wird, ist zum Redaktionsschluss noch unklar. Klar ist, dass konsequente Schritte für eine umweltgerechte und bezahlbare Mobilität in ganz Hessen dringend geboten sind.

Der Öffentliche Verkehr – vom örtlichen Stadtbus oder Schulbus über Straßenbahn und Regionalbahn bis hinauf zu einem schnellen überregionalen Regionalexpress- und ICE-Netz – ist deutlich besser aufeinander abzustimmen (Integraler Taktfahrplan). Nach der Devise „Einsteigen und Losfahren“ muss ein abgestimmter Taktfahrplan zusammen mit transparenten Tarifen die Basis für allgemein zugängliche Mobilität bilden!

Grundsätzlich muss ein landesweiter 60-Minuten-Takt im Zug- und Bus-Grundnetz angeboten werden. Stundenlange Angebotslücken oder Betriebseinstellungen abends und am Wochenende passen längst nicht mehr zu den Mobilitätserfordernissen unserer Zeit. Ziel dabei ist nicht nur ein „staufreies“, sondern ein „pünktliches Hessen“ als attraktives Raum-Zeit- Netzwerk.

Die politisch Verantwortlichen in Hessen haben dafür zu sorgen, dass Aufgabenträger (Landkreise und kreisfreie Städte) und nachgeordnete Verkehrsverbünde bzw. -gesellschaften (hauptsächlich Rhein-Main-Verkehrsverbund und Nordhessischer Verkehrsverbund) der hohen Kundennachfrage im ÖPNV entsprechende Angebote und Infrastrukturen „zügig“ ausbauen können. Die unzureichende Infrastruktur ist seit langer Zeit tiefere Ursache für zahlreiche Fahrgastbeschwerden, mehr als beispielsweise organisatorische Mängel bei den Verkehrsunternehmen.

Mit einer umfassenden Anschluss-Sicherungs- Offensive haben Land und Verbünde auf die ständige Verschlechterung von Reiseketten, Zuverlässigkeit und Informationsfluss zu reagieren. Beispielsweise gibt es kaum elektronische Fahrgastinformationen auf hessischen Bahnhöfen außerhalb der großen Knoten. Wir wollen in erster Linie die Beseitigung sattsam bekannter Infrastruktur- und Informationsmängel – nicht nachträgliche „Entschädigungsalmosen“ ohne Ursachenbeseitigung.

Das Land Hessen hat sich kompetent und glaubwürdig für eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik des Bundes einzusetzen, der als Eigentümer der Deutschen Bahn AG und Mitverantwortlicher für die Nichtbundeseigenen Eisenbahnen endlich wieder seinen Gemeinwohlverpflichtungen nachkommen muss.

Die überfällige Umsetzung hessischer Bahn- Infrastrukturprojekte gemäß Bundesverkehrswegeplan, welche seit Jahren nur noch vor sich her dümpeln, bedarf einer gemeinsamen Kraftanstrengung:

  • Knoten Frankfurt am Main,
  • Strecke Frankfurt am Main — (Darmstadt—) Mannheim,
  • Strecke Bebra — Fulda — Hanau — Frankfurt — Wiesbaden,
  • Strecke Hanau — Aschaffenburg — Würzburg,
  • Strecke Gießen — Friedberg — Frankfurt.
In den Oberzentren Wiesbaden und Hanau sollen moderne Stadtbahn-Netze für eine intensive Verknüpfung mit dem Umland sorgen. Vergleichsweise kurze Innenstadtstrecken ermöglichen den Aufbau von Regionalstadtbahnsystemen nach Karlsruher und Kasseler (Regiotram) Vorbild. Die neuen Innenstadtstrecken beleben die Citylagen und dienen dem lokalen Klimaschutz. An der Peripherie Frankfurts ist die seit vielen Jahren geplante „Regionaltangente West“ endlich zu realisieren.

Für die Vogelbergbahn (Fulda—Gießen) und Lahntalbahn (Gießen—Limburg— Koblenz) sind die ermüdenden Zugstreichungsdiskussionen nicht nur zu beenden, sondern inhaltlich zu revidieren. Stattdessen sind umfassende Modernisierungs- und Ausbauprogramme – wie sie auf den parallel laufenden Bundesstraßen und Autobahnen erfolgen – auch für den Schienenverkehr einzuleiten und in erlebbarer Zeit vollständig umzusetzen. Voraussetzung für die Aktivierung der Fahrgastpotenziale sind Geschwindigkeitserhöhungen, zeitgemäße Fahrzeuge, zusätzliche Haltepunkte in Siedlungsnähe sowie zweigleisige Abschnitte zur Vermeidung von Verspätungsübertragung auf die Gegenrichtung. Ansprechende Bahnsteige sowie zuverlässige Reisendeninformationen müssen zum Standard werden.

Künftige Preiserhöhungen der Verkehrsverbünde oberhalb des Inflationsausgleichs sind zwingend an den Nachweis echter Leistungsverbesserungen in allen Landesteilen zu knüpfen. Für die Preistreiberei der letzten Jahre ist der verkehrliche Gegenwert spätestens im Fahrplanjahr 2009/2010 nachzureichen.

Die Rhein-Main-nahen Mittelzentren Bad Schwalbach und Bad Orb sind mittelfristig mit neuen Konzepten wieder in den Schienenregionalverkehr zu integrieren. Die vorhandene Einbindung von Bad Wildungen ist dauerhaft festzuschreiben. Geplante Wiedereingliederungen von Eschwege und Pfungstadt in den Schienenverkehr sind abzusichern. Die Streckenabschnitte Frankenberg—Korbach, Wölfersheim—Hungen und Lollar—Londorf sollen mittelfristig wieder in Betrieb genommen werden, wobei auch hier die Schienen noch liegen.

Für „stillliegende“ Eisenbahnstrecken mit Zukunftsperspektiven ist bis auf weiteres eine wirkungsvolle Trassensicherung herbeizuführen. Ehrenamtliche Arbeiten vor Ort für den Trassenerhalt und zur Durchführung von Sonderverkehren sind praktisch bzw. finanziell zu unterstützen.

Überzogener Straßenneubau, Subventionsruinen wie ein Lokalflughafen Calden, sinnfreie Transrapid-Träume oder U?Bahn-Bau um seiner selbst willen passen nicht mehr in unsere Zeit.

In der Medizin gilt „Wer heilt, hat Recht“. Im Öffentlichen Verkehr gilt sinngemäß: „Wer Kunden vertreibt, hat Unrecht“. Die Umsetzung des benannten Maßnahmenbündels ist Voraussetzung, um in der kommenden Legislaturperiode erlebbare Verbesserungen für die Fahrgäste in Stadt und Land einzuleiten.

Die von uns angemahnten Bausteine sind allesamt bezahlbar, vor Ort konsensfähig, selbstverständlich fahrgastbezogen – und vor allem zukunftsweisend. Die Kunden im umweltfreundlichen Personen- und Güterverkehr müssen nicht verbal, sondern real in das Zentrum verkehrspolitischen Handelns rücken. Wir Kunden brauchen dabei greifbare Projekte, die nicht nur „gut gemeint“, sondern vor Ort auch „gut gemacht“ sind. Ein Taktfahrplan muss dauerhaft abgesichert werden, damit die Kunden ihre individuellen Standort- und Mobilitätsentscheidungen nicht alle paar Monate erneut zur Disposition stellen müssen.

Welche Landesregierung Hessen auch immer erhalten mag – eine gründliche Revision landespolitischer Vorgaben zur Entwicklung von Bahn und Bus in Hessen (und darüber hinaus) ist zwingend erforderlich, um das Gemeinwesen rechtzeitig und wirkungsvoll an die absehbaren Erfordernisse von Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik anzupassen.

Pro Bahn & Bus Hessen im DBV

aus SIGNAL 1/2008 (Februar/März 2008), Seite 19-20

 

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