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Vor dem Hintergrund einer schwindenden
und alternden Bevölkerung steht die Gesellschaft
vor bislang ungekannten Herausforderungen.
Eine davon ist es, ein Mindestmaß
an Mobilität zu sichern. Vor allem im
ländlichen Raum fällt dies der öffentlichen
Hand immer schwerer. Die Deutsche Bahn
(DB) jedoch will sich an der Gewährleistung
der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht mehr
beteiligen und zieht sich aus der Fläche zurück,
insbesondere in Ostdeutschland. Das
zeigt sich deutlich an der Immobilienpolitik
von Konzernchef Hartmut Mehdorn. Sein
Schwerpunkt sind offenbar Großprojekte
wie die gescheiterte Wiederbelebung des
Flughafens Berlin-Tempelhof, das milliardenschwere
Bahnhofsprojekt Stuttgart 21
oder der zweckfreie Citytunnel unter der
Leipziger Innenstadt. Bahnhöfe an Nebenstrecken
dagegen werden sich selbst überlassen,
bestenfalls verkauft. Hierbei kann
Mehdorn auf Bundesverkehrsminister Wolfgang
Tiefensee bauen.
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Der Bahnhof Hennigsdorf (b Berlin) ist im „Kernportfolio“ und wurde schon 1998 mit der S-Bahn-Wiedereröffnung völlig umgestaltet. Foto: Florian Müller |
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Nach den Vorstellungen des Bundesverkehrsministeriums
soll die Förderung von
Verbesserungs- und Ausbaumaßnahmen
an Bahnhofsgebäuden
durch Bundesmittel
künftig an hohe Bedingungen
geknüpft werden. Eine
Anlage zur Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung
(LuFV) zwischen Bund und DB AG mit Stand
vom 28. September 2007, die die Schienenqualität
im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung
der Bahn regeln soll, sieht klare
Kriterien vor. Nur noch Ausbaumaßnahmen
an Bahnhöfen
mit täglich 100 Ein-, Ausoder
Umsteigern sollen gefördert
werden können. Dies
ist der sogenannte Bahnhofstyp
2. Für eine Förderung
von Bahnhöfen mit Mittelbahnsteig
und niveaufreiem
Zugang an mehrgleisigen
Strecken (Typ 1) müssen sogar
1000 Reisende erreicht werden. Wenn
diese Minima unterschritten werden, soll
eine Förderung aus Infrastrukturbeiträgen
des Bundes ausgeschlossen sein. Mit
solchen k. o.-Kriterien können langfristige
strategische Planungen von Ländern und
Kommunen nicht mehr umgesetzt werden.
Die Reisenden – vor allem Ältere und sozial
Schwächere – bleiben in dünn besiedelten
Regionen im wahrsten Sinne des Wortes
auf der Strecke.
Die gleichen Kriterien gehen aus einem
bahninternen Papier zur Zukunft der Bahnhöfe
der DB AG vom 29. Januar 2007 hervor.
Die DB empfiehlt für Strecken einschließlich
zugehöriger Bahnhöfe/Stationen eine
Querschnittsbelastung von mindestens
1000 Reisendenkilometern je Kilometer
Betrieblänge pro Werktag. Auch in diesem
Papier werden 1000 Reisende für Bahnhöfe
des Typs 1 und 100 Ein-, Aus- und Umsteiger
pro Werktag für Stationen des Typs 2
als Minimum definiert. Investitionen in Verkehrsstationen
mit geringerer Auslastung
seien „volkswirtschaftlich nicht zu vertreten“,
so das DB-Papier.
Die Deutsche Bahn hat ihre Abschiedspläne
schon längst konkretisiert. Ein internes
Papier der DB-Tochter „Station &
Service“ vom 29. November 2006 benennt
die Bahnhöfe, die noch im sogenannten
Kernportfolio der Bahn verbleiben sollen.
Nur noch einen Bruchteil der Gebäude will
die DB behalten. Selbst Bahnhofsgebäude
in Mittelzentren wie Fürstenwalde/Spree,
Eisenhüttenstadt, Rathenow, Anklam oder
Waren (Müritz) finden sich nicht im künftigen
„Kernportfolio“. Der Aderlass ist erschreckend,
wie die Tabelle beispielhaft für
Ostdeutschland zeigt.
Glück haben die Kommunen, für deren
Bahnhöfe Kaufinteressenten existieren.
Allerdings verliefen viele der bisherigen
Verhandlungen zwischen potenziellen
Käufern und DB AG zähflüssig. Ein Grund
dafür dürfte gewesen sein, dass die Bahn
in den Verhandlungen für diese Immobilien
Buchwerte zugrunde legte, die realistische
Werte zum Teil weit überstiegen. Ob
sich die chronisch klammen Kommunen in
Ostdeutschland oder die wenigen potenten
Investoren überhaupt den Ankauf von
Bahnhöfen leisten können, ist fraglich. Das
Schicksal der unverkäuflichen Bahnhöfe
kann man vielerorts bereits besichtigen.
Die Gebäude werden zugemauert oder
vernagelt und einem stetigen Verfall preisgegeben.
Was bleibt, sind allenfalls Wartehäuschen
auf den Bahnsteigen.
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Bahnhof Caputh-Geltow bei Potsdam. Das Empfangsgebäude steht leer und verfällt – wie viele andere Bahnhofsbauten der DB. Foto: Rüdiger Herzog |
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Ein Beispiel dafür ist der Bahnhof Caputh-
Geltow im sogenannten Speckgürtel
um Berlin. Der Bahnhof liegt an der Regionalbahnverbindung
von der brandenburgischen
Landeshauptstadt Potsdam zum
Flughafen Berlin-Schönefeld. Spätestens
seit Albert Einstein hier lebte, ist Caputh als
vornehmer Wohnort wie auch als Ausflugsziel
für Berliner und Potsdamer bekannt.
Die Deutsche Bahn wollte das stattliche
Empfangsgebäude schon in den 90er Jahren
nicht mehr tragen, ein Investor für eine
Wohn- oder touristische Nutzung konnte
trotz der hervorragenden Lage nicht gefunden
werden; der Bahnhof verfällt.
An der „Bahnhofspolitik“ der DB AG und
des Bundesverkehrsministers lassen sich
die negativen Auswirkungen der Privatisierung
deutlich erkennen. Die öffentliche
Daseinsvorsorge im ländlichen Raum
bleibt auf der Strecke, wenn nicht endlich
ein Kurswechsel einsetzt. Wer, wenn nicht
Bahn und Bund, steht in der Verantwortung
für ein Minimum an Mobilität im
ländlichen Raum? Prestigeprojekte oder
auch der Einstieg in den internationalen
Verkehrsmarkt müssen zurückstehen vor
den Mobilitätsangeboten in der Fläche,
erst recht angesichts des demografischen
Wandels.
Anhang: Bahnhöfe in Ostdeutschland (ausgenommen
Berlin), die gemäß Beschluss vom 23. November
2006 im „Kernportfolio“ von DB Station & Service
verbleiben sollen:
Brandenburg:
Angermünde,
Bernau (b Berlin),
Birkenwerder (b Berlin),
Cottbus,
Eberswalde Hbf,
Elsterwerda,
Erkner,
Berlin-Schönefeld Flughafen,
Frankfurt (Oder),
Griebnitzsee,
Hennigsdorf (b Berlin),
Hoppegarten (Mark),
Königs Wusterhausen,
Lübben (Spreewald),
Oranienburg,
Potsdam Hbf,
Potsdam Medienstadt Babelsberg,
Prenzlau,
Strausberg
Mecklenburg-Vorpommern:
Bergen auf Rügen,
Ostseebad Binz,
Greifswald,
Güstrow,
Ludwigslust,
Neubrandenburg,
Neustrelitz Hbf,
Ribnitz-Damgarten West,
Rostock Hbf,
Rostock Lütten Klein,
Sassnitz,
Schwerin Hbf,
Stralsund,
Warnemünde,
Wismar
Sachsen:
Bad Schandau,
Bautzen,
Chemnitz Hbf,
Dresden Hbf,
Dresden Mitte,
Dresden-Neustadt,
Görlitz,
Leipzig Hbf,
Meißen,
Pirna,
Plauen (Vogtl) ob Bf,
Riesa,
Zittau,
Zwickau (Sachs) Hbf
Sachsen-Anhalt:
Aschersleben,
Bitterfeld,
Dessau Hbf,
Halle (Saale) Hbf,
Köthen,
Lutherstadt Wittenberg,
Magdeburg Hbf,
Merseburg,
Naumburg (Saale) Hbf,
Stendal,
Weißenfels,
Wernigerode,
Zeitz
Thüringen:
Altenburg,
Arnstadt Hbf,
Eisenach,
Erfurt Hbf,
Gera Hbf,
Gera Süd,
Gotha,
Jena Paradies,
Jena West,
Nordhausen,
Saalfeld (Saale),
Weimar
Kontakt: www.gruener-aufbau-ost.de
Peter Hettlich, MdB, Vizevorsitzender des Verkehrsausschusses und Sprecher für Aufbau Ost und
Baupolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag
Rüdiger Herzog, Leiter des Büros von Peter Hettlich
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