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SIGNAL: Herr Minister, welche inhaltliche
Schwerpunktsetzung in der Verkehrsministerkonferenz
haben Sie für die Zeit Ihres
Vorsitzes?
Minister Gerold Wucherpfennig: Dank der
Konjunkturpakete I und II sind wir in der Lage,
kurzfristig dringend notwendige Investitionen
in die Verkehrsinfrastruktur zu tätigen.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen,
dass ab dem Jahr 2011 ein Rückfall
auf das bisherige Niveau oder
darunter droht. Dies wird dann
der Fall sein, wenn nicht schon
jetzt die Weichen dafür gestellt
werden, auch über das Jahr 2010
hinaus die Investitionen in die
Verkehrsinfrastruktur auf etwa
dem Niveau von 2009 und 2010
zu verstetigen. Ich werde mich dafür
einsetzen, zusammen mit dem
Bund und den anderen Ländern
Konzepte zu entwickeln, wie dieses
Ziel möglichst schnell erreicht
werden kann.
Schwerpunktmäßig wird es
auch um die Umsetzung des
Masterplans Güterverkehr und
Logistik mit seinen 35 Einzelmaßnahmen
gehen. Übergeordnetes Ziel ist es,
die einzelnen Verkehrsträger im Rahmen
eines integrierten Verkehrssystems besser
miteinander zu verknüpfen, um so die spezifischen
Stärken jedes Verkehrsträgers optimal
zu nutzen und so die Leistungsfähigkeit
des Gesamtsystems zu stärken. Dazu ist ein
enges Zusammenwirken von Bund und Ländern
unerlässlich. Als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz
obliegt es mir, eine
möglichst einheitliche Position der Länder
herbeizuführen, um gegenüber dem Bund
mit einer starken Stimme sprechen zu können.
Manchmal müssen dabei auch eigene
Interessen zurückgestellt werden.
Des Weiteren werde ich dafür Sorge tragen,
den Bund nicht aus seiner Pflicht zur Anpassung
des Personenbeförderungsgesetzes an
die EU-Verordnung Nr. 1370/2007 über öffentliche
Personenverkehrsdienste auf Schiene
und Straße zu entlassen. Hier besteht aus
Sicht der Länder und der Aufgabenträger auf
kommunaler Ebene dringend Handlungsbedarf.
Weitere Schwerpunkte sehe ich im Bereich
der Verkehrssicherheit und des Lärmschutzes.
SIGNAL: Bei der Eröffnung eines weiteren
Teilstücks der Burgenlandbahn von Nebra
nach Wangen, die bis hinein ins thüringische
Artern verläuft, wurde auch von Politikern
in Sachsen-Anhalt die Hoffnung geäußert,
dass der Zug an dieser Strecke bald
weiter nach Thüringen fahren kann. Sehen
Sie dafür Chancen?
Gerold Wucherpfennig: Die Entscheidung,
den Verkehrsvertrag mit der Burgenlandbahn
GmbH für den Thüringer Abschnitt
der Unstrutbahn nicht zu verlängern, wurde
bereits im Jahr 2003 getroffen.
Damit lief der Vertrag Ende 2006
aus. Ausschlaggebend waren vor
allem die extrem schwache Verkehrsnachfrage
mit nur ca. 60 Fahrgästen
pro Tag, die hohen Bestellaufwendungen
von jährlich rund
1 Mio. Euro sowie das vorhandene
konkurrierende Regionalbusangebot.
Diese Verbindung gehörte damals
zu den nachfrageschwächsten
Eisenbahnlinien in Thüringen. Die
hohen Kosten, die der Betrieb der
Eisenbahn verursachte, standen
in keinem verantwortbaren Verhältnis
zu dem erzielbaren Nutzen.
Ob sich mit der Inbetriebnahme
des Haltepunktes Wangen für den
Thüringer Streckenabschnitt eine
stärkere Nachfrage ergibt, werden wir aufmerksam
beobachten.
SIGNAL: Ein starker ÖPNV mit der Schiene
als Rückgrat bildete in vielen Regionen
Deutschlands die Basis für die Entwicklung
(ehemals) strukturschwacher ländlicher
Räume, Beispiel Karlsruhe. Thüringen
selbst besitzt zahlreiche Eisenbahnstrecken
in der Fläche mit großem Potenzial
zum Beispiel für den Tourismus und den
Güterverkehr. Unter welchen Voraussetzungen
könnte sich der Freistaat eine Unterstützung
der Erschließung dieser Strecken
vorstellen, zum Beispiel durch die
Bestellung von Verkehrsleistungen?
Gerold Wucherpfennig: Also ländlicher
Raum ist nicht gleich ländlicher Raum. Und
Baden-Württemberg ist sicher nicht so ohne
weiteres mit Thüringen zu vergleichen. Sicher
aber ist, dass der Freistaat Thüringen
als Aufgabenträger für den SPNV plant,
auch künftig ein dichtes SPNV-Angebot als
Grundangebot der öffentlichen Verkehrserschließung
zu bestellen. Grundlage hierfür
ist der Nahverkehrsplan für 2008 bis 2012,
der keine Angebotseinschränkungen, sondern
vielmehr Angebotsverbesserungen
auf nachfragestarken Linien vorsieht. Seit
1996 haben wir das Angebot im SPNV um
annähernd 20 Prozent auf derzeit 21,6 Mio.
Fahrplankilometer gesteigert.
Die Angebotsdichte im SPNV hängt im Wesentlichen
von der Höhe der dem Land zur
Verfügung stehenden Regionalisierungsmittel
ab. Deren Höhe ist bis 2014 gesetzlich verankert.
Weil Ausbau und Betrieb des SPNV mit
beachtlichem materiellem und finanziellem
Aufwand verbunden sind, müssen bei der
Bestellung von Leistungen sowohl raumordnerische
als auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt
werden. Dabei ist der Blick stets
auf das Gesamtverkehrssystem zu richten, um
optimale Lösungen im öffentlichen Verkehr
entwickeln zu können und Parallelverkehre
auf Straße und Schiene zu vermeiden.
Für die Feinerschließung der Fläche sind in
Thüringen die Landkreise zuständig. Mit rund
51,2 Mio. Fahrplankilometern im Busregionalverkehr
halten die kommunalen Aufgabenträger
derzeit ein dichtes Angebot vor. Wo es
sinnvoll und wirtschaftlich durch Schienenpersonennahverkehr
ergänzt werden kann
und eine entsprechende Nachfrage besteht,
kann man über die Bestellung von Leistungen
nachdenken. Um diese Option aufrechtzuerhalten,
engagiert sich der Freistaat beim
Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur
in hohem Maß. Und so kommt es, dass Thüringen,
gemessen an der Bevölkerungszahl,
im bundesweiten Vergleich über ein sehr
dichtes Eisenbahnnetz betriebsfähig verfügt. Deutscher Bahnkunden-Verband
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