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Die Deutsche Reichsbahn (DR) hat in
den vergangenen Wochen für interessierte Personen Rundfahrten um Berlin
veranstaltet. Für 20 DM konnte man im
legendären Schnelltriebwagen 175,
Bauart "Görlitz", ab Bahnhof Zoo entweder über Wustermark - Oranienburg
- Basdorf - Hauptbahnhof oder über
Wannsee - Potsdam - Treuenbrietzen -
Jüterbog - Zossen - Schönefeld -
Hauptbahnhof zurück zum Bahnhof
Zoo fahren. Die Fahrten waren größtenteils ausverkauft, dennoch gibt es
deutliche Kritik. Zielgruppe waren Personen, die etwas von der Umgebung auf
diese angenehme Weise kennenlernen
wollten und Eisenbahnfreunde, die z.B.
Strecken kennenlernen möchten, über
die sie noch nicht gefahren sind. Für
beide Zielgruppen war die gebotene
Fahrt doch recht dürftig organisiert. Es
wurden beispielsweise keine Erklärungen zu Strecke, Landschaft oder den
durchfahrenden Städten gegeben. Haltepunkte zum Verschnaufen und Umsehen waren zu
wenig eingeplant, nämlich
nur in Basdorf, Caputh-Geltow und Jüterbog. Die Fahrt führte überwiegend
durch landschaftlich langweilige Gebiete und auch nicht über für den Reiseverkehr
stillgelegte Strecken, was für
die Eisenbahnfreunde interessant gewesen wäre. Auch das Mitropa-Abteil bot
nicht viel: Außer einer Stulle und einem
Paar Wiener gab es nichts zu essen.
Insgesamt wirkten die Fahrten lieblos
geplant. Für zukünftige Fahrten sollte
sich die DR etwas mehr einfallen lassen, damit sie auch erfolgreich verlaufen
und solche “touristischen Angebote" (Amtsdeutsch) nicht bald wieder
eingestellt werden müssen. Die IGEB
ist bei der Ideenfindung gerne behilflich, z.B. wäre eine kombinierte Bahn-
und Schiffsfahrt zum Scharmützelsee
sicher für breite Bevölkerungsschichten
von großem Interesse. Aber auch die
Werbung für solche Fahrten muß noch
entscheidend verbessert werden.
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Dampflok 52.8148 am Bahnhof Zoo. Fast immer ein Erfolg - trotz einiger Unzulänglichkeiten-waren die in letzter Zeit zahlreichen Sonderfahrten der Deutschen Reichsbahn. Weniger erfolgreich waren die Sonderverkehre, z.B. der Messezug nach Leipzig. Foto: Th. Billik |
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Letzteres gilt insbesondere auch für die
in diesem Jahr erstmals wieder durchgeführten Fahrten zur Leipziger Messe.
Mit einer Fahrzeit von ca. vier Stunden
(von Ost-Berlin braucht man nur zwei
bis zweieinhalb bei längerer Fahrtstrecke) und fast ohne Werbung braucht
sich auch die DR nicht zu wundern, daß
ein solches Angebot von den West-Berlinern selbst am Wochenende kaum angenommen
wird. Mit einer Fahrzeit von
ca. zwei Stunden, die kein Problem darstellen dürfte, vernünftiger Werbung
und einer Beschränkung des Angebots
auf das Wochenende wären die Messezüge ein voller Erfolg geworden.
Ähnlich dürfte es der Reichsbahn mit
den Zügen nach Bad Schandau und
Wernigerode ergehen. Sie fahren am
Wochenende für die West-Berliner in
diese Ausflugsgebiete an Elbe und
Harz. Die Fahrzeit nach Wernigerode
ist zwar viel zu lang, aber wenigstens
mit den DDR-Binnenzügen zu vergleichen. Nach Dresden braucht jedoch der
West-Berliner Zug über vier Stunden,
ein Zug ab Lichtenberg braucht nur 2
3/4 Stunden. Nach Bad Schandau dauert's dann noch eine Stunde länger.
Hinzu kommt eine absolut unattraktive
Abfahrtszeit in Berlin. Wer steht schon
für einen Ausflug am Wochenende zwischen 4 und 5 Uhr auf, um einen um
halb sechs abfahrenden Zug auf dem
Bahnhof Zoo zu erwischen? Das ganze
auch noch für DM, also letztendlich
dem dreifachen Preis gegenüber der
Benutzung eines DDR-Binnenzuges!
Die DR wird sich auch bei diesem Angebot über eine ungenügende Auslastung der Züge nicht
wundern dürfen.
Dabei wäre der jetzt zu erwartende
Mißerfolg vermeidbar gewesen: Ein
günstiger Pauschalpreis inklusive Platzreservierung für alle Ziele von Dresden
bis Bad Schandau und einer für alle
Ziele von Magdeburg bis Wernigerode
und eine Abfahrtszeit zwischen 6.30
Uhr und 7.00 Uhr - unterstützt von
Werbung in Zeitungen und Rundfunk.
Diese Beispiele zeigen deutlich: Die
Reichsbahn braucht dringend die Unterstützung der Fahrgastverbände und
ein wirkungsvolles Marketing. Das gilt
selbstverständlich in Zukunft auch für
den DDR-Binnenvcrkehr, bei dem die
Auto-Konkurrenz immer stärker spürbar werden wird. Möchte die Reichsbahn in der
DDR auch in Zukunft im
Reiseverkehr eine wesentliche Rolle
spielen, sind an gebotsorientierte Maßnahmen - zunächst exemplarisch auf einigen Strecken,
auch im Nahverkehr -
und deren Unterstützung durch wirkungsvolles Marketing ein Muß. Dabei
kann auch die Bundesbahn nur in sehr
begrenztem Maß Vorbild sein, denn
beispielsweise die Werbung der Bundesbahn ist (trotz mancher Auszeichnung) sicherlich
nicht besonders wirkungsvoll, und die Stillegungspolitik der
DB in den vergangenen Jahren hat ganz
wesentlich zur lmageverschlechterung
der Bahn beigetragen. Für verwahrloste, stillgelegte Anlagen und fehlende
Präsenz auch in der Fläche hat die DB
schließlich auch ihre Quittung erhalten.
Vorbild für die Reichsbahn in Sachen
Angebot und Marketing sollte eher die
Schweiz sein, wo die Bahn sehr attraktiv ist und ein hohes Ansehen in breiten
Bevölkerungsschichten genießt.
IGEB
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