Experten von außerhalb haben einen großen
Vorteil: unbeeindruckt vom Verharren
in eingefahrenen Gleisen und von den
ewigen gleichen Diadochenkämpfen mit
den Verwaltungen (Lieblingsargument:
„Geht nicht") können sie neue Wege beschreiten
und unkonventionelle Lösungen
anbieten.
Experten von außerhalb haben einen
großen Nachteil: ohne die Realitäten vor
Ort zu kennen, müssen sie sich anhand
von angelesen Kenntnissen ein Urteil bilden
und daraus praktikable Vorschläge
erarbeiten. Wesentliche Gesichtspunkte
werden dabei häufig übersehen.
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Potsdamer X-Tram in das Kirchsteigfeld am Potsdamer Hauptbahnhof. Foto: Marc Heller, Januar 2001 |
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Insbesondere die letzte Aussage trifft
auf das „Takt 2000"-Konzept eines Gutachters
zu, das der „Verkehrsbetrieb in
Potsdam GmbH (ViP)" von einer großen
Koalition der Unvernunft und entgegen
den Warnungen der Fachleute im Nahverkehrsbeirat
im Stadtparlament zwangsverordnet
wurde. Schon die überstürtzte
und unvorbereitete Einführung des ganzen
einen Monat nach dem eigentlichen
Fahrplanwechsel in der Region sprach
Bände, die nachfolgenden Wirren und
Probleme gaben den Kritikern recht. Nun
ist zu hören, daß die ViP einen der Kernpunkte
des Konzeptes, nämlich die Einrichtung
von Express-Linien bei der Straßenbahn
mangels Erfolg weitgehend aufheben
wird.
Schon bei Bekanntwerden der Planungen,
in Potsdam Express-Trams einzuführen,
waren Zweifel aufgekommen, ob die
erwarteten Vorteile auch nur im mindesten
die unbestreitbaren Nachteile würden
aufwiegen können. Ist ein Reisezeitgewinn
zwischen Drewitz und Innenstadt
Potsdam es wirklich wert, den nicht mehr
bedienten Unterwegshaltestellen mit
doch teilweise nennenswertem Fahrgastaufkommen
eine Takthalbierung zu bescheren?
Werden nicht die Gesamtreisezeiten
durch nun nötige zusätzliche Umsteigevorgänge
sogar noch steigen und
damit das Grundanliegen einer Expreß-Straßenbahn
ins Gegenteil verkehrt?
Ohne sich um diese Fragen zu kümmern,
wurde die ViP veranlaßt, zum 26. Juni
2000 dieses Netz in Kraft zu setzen, garniert
mit einer radikalen Streichung von
Buslinien in der Potdsamer Innenstadt.
Mag man über die Veränderungen im
Busliniennetz noch geteilter Meinung sein
- immerhin hat sich Potsdam für die Straßenbahn
als innerstädtisches Verkehrsmittel
entschieden, und Konkurrenz zwischen
dieser und den Bussen ist per se
schlecht - so hing doch der Idee der Expreß-Straßenbahnen
der Ruch des Unüberlegten
an.
Da ist zum einen die fahrplanmäßige
Nichtbedienung von Haltestellen zu nennen.
Befürworter derartiger Linien argumentieren,
daß durch den Verzicht auf
„unwichtige" Halte beträchtliche Fahrzeitgewinne
erzielbar seien. Das klingt zunächst
plausibel, ist aber an den Haaren
herbeigezogen: unwichtige Haltestellen
werden seit Einführung des Bedarfshalt-Systems
bei der Straßenbahn ohnehin
nicht bedient. Wenn kein Haltewunsch
vorliegt und an der Haltestelle niemand
steht, so fährt der Zug - ob Expreß oder
nicht - durch. Das ist bei unwichtigen
Haltestellen häufiger der Fall. Wenn dagegen
eine Haltestelle praktisch immer von
Fahrgästen frequentiert wird, ist sie dann
unwichtig? Wohl kaum. Zumal bei der
Einteilung der Haltestellen in wichtig (mit
Halt) und unwichtig (kein Halt) häufig
sachfremde, nämlich schlicht fahrplantechnische
Gründe eine Rolle spielen.
Und dann müssen natürlich die Realitäten
eines Oberflächenverkehrsmittels beachtet
werden. Potsdam mag an einigen
Stellen in puncto Bevorrechtigung von
Straßenbahnen an LSA der benachbarten
Stadt Berlin weit voraus sein - an den allermeisten
Stellen funktioniert das aber
aufgrund mangelnder Konsequenz nicht.
Und hier liegt einer der grundlegenden
Punkte für das Scheitern der „X-Tram":
Wenn eine Straßenbahn an Haltestellen
durchfährt, dafür aber an jeder zweiten
Ampel umso länger bei Rot warten muß,
dann verkehrt sich der Nutzen einer derartigen
Linie ins Gegenteil: man erhält
eine deutlich schlechtere Bedienungsqualität
für zahlreiche Haltestellen, kann aber
gleichzeitig die Reisegeschwindigkeit
nicht einmal ansatzweise steigern. Im
Gegenteil: die von den Fahrgästen „gefühlte"
Geschwindigkeit ist aufgrund der
längeren Ampelhalte sogar noch ungünstiger
als bei normalen Bahnen.
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Voraussichtlich noch in diesem Frühjahr wird das Intermezzo mit den Expreßstraßenbahnen in Potsdam beendet werden. Wird die Potsdamer Politik aus Schaden lernen? Foto: Alexander Frenzel, Juni 2000 |
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Völlig ins absurde verkehrt sich die Situation,
da die Ampelprogramme mit ihren
Programmen für den Fahrgastwechsel
ausgelegt sind. Wenn also eine schnelle
Tram auf einen langsamen Zug aufläuft:
dann zuckelt der Expreß hinter dem
konventionellen Zug hinterher, hält mit
diesem an allen Haltestellen, ohne daß
ein Fahrgastwechsel möglich ist - und
manchmal sogar noch öfter als der Vorauszug
an Ampeln. Und dieses Szenario
war eine häufige Beobachtung.
Der Weg hätte also lauten müssen:
konsequente und absolute Bevorrechtigung
der Straßenbahnen an den Ampeln.
Allerdings würde eine derartige Maßnahme
allen Linien zu einer signifikanten Beschleunigung
verhelfen, so daß gesonderte
Expresse völlig unnötig würden.
Als Lehren aus dem Potsdamer Desaster
ergeben sich folgenden Voraussetzungen
für einen funktionierenden Expreß-Straßenbahnbetrieb:
- Es muß ein nennenswertes Potential
von Fahrgästen geben, das die Expreß-Linie
auf einem großen Abschnitt
durchgehend nutzt. Nur
dann sind spürbare Fahrzeitgewinne
überhaupt realisierbar. Wer lediglich
ein oder zwei Expreß-Haltestellen
weit fährt, für den ergeben sich Reisezeit-Vorteile
von unter einer Minute.
- Es sind fundierte Untersuchungen
über die Wichtigkeit von ausgelassenen
Halten anzustellen. Unwichtige
Haltestellen werden auch von normalen
Linien praktisch nicht bedient
- wichtige darf man auch dann nicht
auslassen, wenn es eigentlich fahrplantechnisch
nötig wäre.
- Absolute Bevorrechtigung aller Straßenbahnen
an allen LSA (dann aber
stellt sich die Frage nach dem Sinn
gesonderter Expreßlinien).
- Die ausgewählte Straßenbahnstrecke
darf nicht zu stark belastet sein.
Bei vier oder fünf Linien wird es
schon kompliziert, denn jede neu
auf die Strecke treffende Linie bringt
aus ihrem Linienweg potentielle Unregelmäßigkeiten
für den Betriebsablauf
mit.
- Bauliche Vorraussetzungen wie die
Schaffung von Überhol-Haltestellen
- siehe U-Bahnsysteme mit Expreß-Zügen (London, New York), damit
konventionelle Züge nicht zum unüberwindlichen
Hindernis für die Expresse
werden.
- Insbesondere muß die Frage, ob
Aufwand und Nutzen in einem sinnvollen
Verhältnis stehen oder die
Mittel nicht wesentlich sinnvoller für
Beschleunigungsmaßnahmen im gesamten
Netz verwendet werden sollten,
beantwortet werden.
Deutscher Bahnkunden-Verband,
Regionalverband Potsdam-Mittelmark
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