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Wahl 2002: Es wird alles, wie es ist

Mit dem Thema Bahn und Bus gewinnt oder verliert man keine Wahl. Diese Bewusstsein müssen die Verfasser der Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl 2002 gehabt haben, als Sie versuchten, die obligatorischen Versprechen gegenüber dem Wähler weitgehend auf Allgemeinplätzen unterzubringen. Wir haben aus den Programmen wesentliche Teile herausgegriffen. Wir haben aus den Programmen wesentliche Teile herausgegriffen, um sie Ihnen nachstehend zu präsentieren.

Wahlprogramme

SPD

  • Verkehrlicher Infrastrukturausbau mit Priorität Ostdeutschland,
  • Fortführung des Zukunftsinvestitionsprogramms bis einschliesslich 2007,
  • Milliarden-Euro-Investitionsprogramm für Erhalt, Modernisierung, Ausbau und bessere Vernetzung der Verkehrswege. ... dadurch Engpässe und Staupunkte ... auf der Schiene ... beseitigen,
  • ... modernste Spitzentechnologie im Verkehrsbereich anschieben,
  • Die Bahnreform muss konsequent fortgesetzt werden. ... wachsende Aufkommen im Güterverkehr [sind] ... vermehrt von der Straße auf die Schiene zu lenken. ... Mittel im kombinierten Verkehr verdoppeln,
  • Für den Schienenverkehr faire Wettbewertbsbedingungen auch zu anderen Verkehrsträgern gewährleisten,
  • ... weitere Qualitätssteigerung des ÖPNV-Angebots ... ÖPNV muss auch künftig bezahlbar bleiben ... verlässliche Förderung durch den Bund
  • ... 2003 Vorlage eines überarbeiteten Bundesverkehrswegeplanes mit Schwerpunkt Ost,
  • ... Verkehrsprojekte Deutsche Einheit zügig fertigstellen.

Bündnis 90/Die Grünen

Abgerissener Güterbanhof
Güter gehören auf die Bahn. Diese Floskel findet sich in allen Parteienprogrammen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, die Deutsche Bahn AG schafft Realitäten. Nicht nur in der Fläche verschwinden nach und nach Güterbahnhöfe und Verladestellen, auch in Berlin (im Bild der ehemalige Güterbahnhof Halensee, links im Bild der S-Bahnhof) werden sie konzequent abgebaut. Foto: Alexander Frenzel
  • Flächenverbrauch eindämmen,
  • Eigenständige regionale Finanz- und Planungshoheit,
  • Mobilitätsbedürfnis umweit- und fahrgastfreundlich gestalten,
  • Kombination von Verkehrsvermeidung, -Verlagerung von der Straße hin zu Bus, Bahn, Rad,
  • Sanierung des Bestandes und Ausbau geht vor Neubau,
  • Schiene im Bundesverkehrswegeplan stärken,
  • Bürgerbeteiligung ausbauen,
  • Großprojekte-Subventionen dürfen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen für ökologisch sinnvolle Verkehrsträger führen,
  • Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auch im Fernverkehr,
  • DB AG-Struktur so verändern, dass echter Wettbewerb auch auf der Schiene möglich wird,
  • Durch Lkw-Maut sollen Verkehre von der Straße auf die Schiene verlagert werden,
  • Lärmbekämpfung und -Sanierung an Verkehrswegen und Fahrzeugen,
  • In Ausschreibungen Lärm- und Abgasstandards vorgeben,
  • Verbesserung der Bahnangebote zur Förderung von umweltverträglichen Tourismus,
  • Befreiung von der Ökosteuer für Busse und Bahnen,
  • Diskriminierungsfreier Zugang von „kleinen Akteuren",
  • Ausgleich von Nachteilen im gerichtlichen Kontrollverfahren durch Bevorzugung von Projektträgern im Rahmen von Verkehrswegebeschleunigungs- und Investitionsvorranggesetzen Verbandsklagerecht für anerkannte Naturschutzverbände.

CDU/CSU

Die oppositionelle CDU belegt konsequent Allgemeinplätze so geschickt, dass man sie später auch nicht beim Wort nehmen kann. Die meisten Vorhaben sind in einer Legislaturperiode ohnehin nicht umsetzbar. Angesichts der Tatsache, dass die CDU-geführte Landesregierung Sachsen-Anhalts mit einem Mammut-Stilllegungsplan die Flächenbahn vernichtet, darf an der Ernsthaftigkeit des Wahlversprechens über die verbesserte Anbindung der Regionen an die großen Verbindungsachsen ruhig gezweifelt werden.

  • Für einen attraktiven Schienenverker sorgen,
  • die Bahnreform weiterführen,
  • Schaffung der Voraussetzungen für einen kundenfreundlichen und fairen Wettbewerb konkurrierender Unternehmen auf der Schiene. Durchsetzung eines diskriminierungsfreien Zugangs zum Schienennetz Unabhängigkeit von Netz und Betrieb
  • Zusammenarbeit von Straße und Schiene fördern,
  • Verkehrsprojekte Deutsche Einheit ohne Verzögerung fertigstellen,
  • Einführung des Transrapids in Deutschland,
  • Verstärkte Überwachung öffentlicher Räume und Verkehrsmittel mit Videokameras,
  • Gute Verkehrsanbindung und wohnortnahe Versorgung mit öffentlicher Infrastruktur,
  • Verbesserte Anbindung der Regionen an die großen Verbindungsachsen,
  • Ertüchtigung des Schienennetzes und verbesserte Verkehrsverbindungen zu den EU-Beitrittsländern, Infrastrukturpauschale für die Kommunen.

FDP

Abfahrtstafel mit vielen Verspätungen
Eine untergeordnete Rolle spielt der Bahnverkehr in den Wahlprogrammen der grossen und kleinen Parteien. Foto: Manuel Schubert

Erstaunlich progressiv liest sich der Themenkomplex Bahn in den Wahlversprechen der FDP. Man kann fast alle Vorschläge mittragen. Es finden sich tatsächlich auch einige Forderungen der Bahnkunden in dem Programm wieder. Wenn die FDP nach dem 22. September wirklich darf, was sie will, dann müsste sie nur noch umsetzen, was sie verspricht.

  • Schaffung eines „strengen" Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kartelle, Monopole, abgestimmtes Verhalten und wettbewerbsbeschränkende Fusionen,
  • Trennung von Netz und Betrieb bei der DB AG. Einführung von Wettbewerb zwischen den jetzigen Holding-Gesellschaften. Diskriminierungsfreier Netzzugang für Dritte,
  • Steigerung der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen,
  • Anteil der elektrifizierten, zweigleisigen und für höhere Geschwindigkeiten nutzbaren Strecken erhöhen,
  • Förderung des Wettbewerbes der Verkehrsträger untereinander,
  • Mittelfristige Umstellung der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur von einer Haushalts- auf eine Nutzerfinanzierung durch ein benutzer- und verursachergerechtes Gebührensystem,
  • Durch den Verkehr erzeugte Steuer- und Abgabeneinnahmen sollen in die Verkehrsinfrastruktur zurückfliesen,
  • Erhaltung der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur,
  • Schaffung der Barrierefreiheit durch freie Wahl des Verkehrsmittels und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel,
  • Behindertengerechter Ausbau von Bahnhöfen, Einstiegsmöglichkeiten und rollstuhlgerechte Abteile als Standard,
  • Schaffung eines leistungsfähigen integrierten Verkehrsangebots auf der Basis des ÖPNV,
  • Verlagerung von Kurzstreckenflügen auf das Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn,
  • Betrieb des Transrapids durch die private Wirtschaft.

PDS

Die PDS greift in ihrem Programm Bedürfnisse auf, mit denen sich der gemeine Wähler sicher nicht in erster Linie identifizieren kann. Wenn dem Bürger in seinem Umfeld die Bahn genommen wird, so wird er sicher nicht das Bedürfnis zu grenzüberschreitenden Verbindungen hegen. Bei Lektüre des PDS-Programms drängt sich doch der Verdacht auf, dass man nur notwendige Erfordernisse an ein Wahlprogramm erfüllen musste.

  • Ausbau regional attraktiver Schienennetze,
  • Entwicklung des ÖPNV vorantreiben,
  • Ökologisches Investitionsprogramm für den Ausbau und die Finanzierung des ÖPNV,
  • Ausbau grenznaher und grenzüberschreitender Verkehrsverbindungen,
  • Durchdachte Planung für Projekt „Osterweiterung",
  • Güterverkehr muss Vorbild „für eine sozialökologische Wende in der Verkehrspolitik" werden,
  • Förderung der Verkehrsinfrastruktur innerhalb der Regionen und nicht nur für transeuropäische Netze.

Der Verein „Allianz pro Schiene", den der DBV zwar mitgegründet hat - ihm aber nicht mehr angehört, bescheinigte der Koalition vor einem Monat: „Rot-grün hat die Schiene gestärkt." Dieser Einschätzung werden sich sicher nur wenige anschließen können. Wir stellen fest, dass bislang unter keiner Bundesregierung in so kurzer Zeit so viele Strecken stillgelegt, Eisenbahner entlassen, Bahnkunden (Fahrgäste wie Güterverlader) von der Schiene vertrieben wurden, wie in den letzten vier Jahren. Sollte Gewerkschaftschef und Allianz vorsitzendem Hansen dies wirklich entgangen sein? Eine Opposition gab es hiergegen allerdings auch nicht.

Nur gut, dass es neben Bahn und Bus ja auch noch Themen gibt, die nicht am Rand sondern im Zentrum der öffentlichen Diskussion stehen. Sonst wäre der Gang zur Wahlurne kaum spannender als die alltägliche (Bahn-)Fahrt zur Arbeit.

Als überparteilicher Interessenverband ist es für den Deutschen Bahnkunden- Verband (DBV) nicht einfach, eine wertungsfreie Würdigung der Wahlprogramme der Parteien vorzunehmen. Da wir jedoch in der Sache durchaus parteiisch sein müssen, wagen wir uns auf das Glatteis der Beurteilung; zumal es sich hier weniger um einen ideologischen, sondern eher um einen sachlichen Themenkomplex handelt.

Bei einer Themenbetrachtung der Koalitionsparteien SPD und Grüne stellt man sich schon die Frage, warum haben sie es denn nicht schon gemacht, was sie nunmehr fordern. Es sei erinnert an die Ohrfeige, die der seinerzeit noch neue Bundesverkehrsminister Bodewig für seine progressive Haltung im Umgang mit der Monopolstellung seiner Deutschen Bahn bekam. Ab diesem Zeitpunkt machte Mehdorn die Bahnpolitik; gestützt von einer kreidefressenden Gewerkschaft. Während die SPD in ihrem Wahlprogramm offenbar wieder zum Höhenflug ansetzte, als gäbe es keine Alltagsprobleme, schreiben die Grünen in ihrem Programm gebetsmühlenhaft nieder, wofür sie schon lange nicht mehr stehen. Wie sonst sollte man bewerten, dass der verkehrspolitische Sprecher der Partei, die am lautesten für die Verlagerung von der Straße auf die Schiene auftrat, als einzige in einer Presseerklärung ein positives Votum zur Verlagerung von der Schiene auf die Straße abgab, in der er dem Verkauf der Spedition Stinnes an die Deutschen Bahn AG etwas Positives abgewinnen konnte.

Bei der Novelle des Eisenbahnrechts im November 2001 hätten die Koalitionsparteien ihre jetzigen Forderungen zum Beispiel nach fairen Wettbewerbsbedingungen in die Gesetzgebung mit einfließen lassen können. Stattdessen glänzte man hier durch Zurückhaltung, was progressive Ansätze in der Eisenbahnpolitik betrifft. So gesehen fragt sich der Wahlbürger natürlich, wie glaubwürdig die hehren Ziele dieser Parteien eigentlich noch einzustufen sind.

DBV Bundesverband

aus SIGNAL 4/2002 (September/Oktober 2002), Seite 4-5

 

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