Überregional

BestZeit und HöchstPreis

Ausbaustrecke Berlin—Hamburg für Hochgeschwindigkeit in Betrieb genommen

Erstmals wurde in der Bundesrepublik eine bestehende Eisenbahnstrecke für eine Geschwindigkeit von 230 km/h ausgebaut. Die Fahrzeit zwischen Alster und Spree konnte dadurch seit dem 12. Dezember 2004 für ICE-Züge auf rund eineinhalb Stunden verkürzt werden. Die Deutsche Bahn AG läßt sich die deutlich reduzierte Reisezeit allerdings auch teuer bezahlen. Die Fahrpreise zwischen Berlin und Hamburg wurden überdurchschnittlich angehoben.

Der Ausbau der Strecke von Berlin über Wittenberge nach Hamburg für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ist seit Dezember 2004 weitestgehend beendet. Mit der Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h wurde damit ein völlig neuer Standard für den Ausbau bestehender Strecken geschaffen, denn bisher waren 200 km/h die maximal zulässige Geschwindigkeit bei Ausbauprojekten.

Eröffnungsfeier
Nur noch 1 1/2 Stunden benötigt der ICE zwischen Hamburg und Berlin. Auf die drastisch erhöhte Fahrpreise wurde bei den Feierlichkeiten am 12. Dezember 2004 in Hamburg Hbf mit Bundesverkehrsminister Stolpe natürlich nicht eingegangen. Foto: Christian Schultz

In den neunziger Jahren wurde die Verbindung von Berlin nach Hamburg im Rahmen des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit (VDE) Nr. 2 grundlegend erneuert, modernisiert und für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h ausgebaut. Ab Juni 1997 konnte der ICE fahrplanmäßig in 2 Stunden 14 Minuten von der Spree an die Alster fahren - das entsprach der Fahrzeit des legendären Fliegenden Hamburgers aus der Vorkriegszeit.

Im Februar 2000 beschloß die Bundesregierung gemeinsam mit der DB AG, die zwischen Hamburg und Berlin geplante Transrapid-Strecke aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu bauen. Um eine Beschleunigung mit dem bestehenden Rad-Schiene-System zu erreichen, wurde zugleich der Ausbau für 230 km/h beschlossen. Rund 650 Millionen Euro wurden für dieses Vorhaben zur Verfügung gestellt.

Zweimaliger Ausbau der Bahnstrecke brachte Mehrkosten und viele Beeinträchtigungen für die Bahnkunden

Unter weitgehender Aufrechterhaltung des Zugverkehrs mußten auf 263 der 287 Streckenkilometer eine Vielzahl von Arbeiten durchgeführt werden. Dazu gehörten unter anderem:

  • Ertüchtigung des Oberbaus mit einer Schotterstärke von 35 cm unterhalb der Schwellen und Einbau elastischer Zwischenlagen.
  • Ertüchtigung von 135 Weichen mit starren Herzstücken für den Geschwindigkeitsbereich über 200 km/h bzw. Erneuerung von 27 Weichen (bislang waren in diesem Fall Weichen mit beweglichen Herzstückspitzen gefordert).
  • Ertüchtigung und teilweiser Neubau der Ingenieurbauwerke; Nachweis des dynamischen Schwingverhaltens aller Eisenbahnbrücken.
  • Anpassung der Bahnstromversorgung und Um-/Neubau von 517 km Oberleitung (neu: Bauart Re 200 mod).
  • Beseitigung aller Bahnübergänge nach Paragraph 11 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) aus Gründen der Betriebssicherheit bei Geschwindigkeiten über 160 km/h. Betroffen waren 56 Bahnübergänge (27 im Land Brandenburg, 20 in Mecklenburg-Vorpommern, 9 in Schleswig-Holstein), die durch Eisenbahn- oder Straßenüberführungen ersetzt wurden; in einigen Fällen erfolgte auch eine Schließung mit dem Ausbau von Ersatzwegen oder ersatzlos.
  • Ertüchtigung des Unterbaus; besonders umfangreich waren die Arbeiten im brandenburgischen Abschnitt. Hier führt die Strecke abschnittsweise durch moorige Gebiete. Auf einer Länge von 11 km mußte der Untergrund für die hohen Geschwindigkeiten zusätzlich stabilisiert werden. Um die Bauzeit möglichst kurz zu halten, wurden alle Arbeiten zwischen Nauen und Wittenberge zusammengefaßt und während einer Totalsperrung der Strecke vom 14. Juli 2003 bis zum 27. September 2003 konzentriert durchgeführt. Dies hat einerseits zur Reduzierung der Kosten beigetragen, andererseits waren damit viele Unannehmlichkeiten für Fahrgäste verbunden.
  • Auf insgesamt 21 Bahnsteigen (14 Stationen), die unmittelbar an den durchgehenden Hauptgleisen liegen, wurden in Abstimmung mit dem Eisenbahn-Bundesamt spezielle Vorkehrungen zum Schutz der Reisenden getroffen. Das Maßnahmenpaket beinhaltete Sicherheitsgeländer, Bodenmarkierungen im Gefahrenbereich, Warnschilder, Blindenleiteinrichtungen sowie automatische Warndurchsagen.
  • Ausrüstung der Strecke mit Linienzugbeeinflussung (LZB, Typ CE 72 II); insgesamt wurden dafür 560 km Linienleiter verlegt. Als eine Maßnahme der ersten Ausbaustufe wurde der im Jahr 2000 begonnene Umbau des Bahnhofs Wittenberge im August 2004 abgeschlossen. Um den Bahnbetrieb rationeller zu gestalten, das Umsteigen zu erleichtern und den Weg zur Stadt zu verkürzen, sind seitdem die Bahnanlagen auf der „Berliner" Seite zusammengefaßt.

Verzichtet wurde bei den Ausbaumaßnahmen auf eine Ausrüstung für bogenschnelles Fahren (Neigetechnik). Letzteres ist angesichts der sehr günstigen Linienführung mit langen Geraden und wenigen großen Gleisbogen auch nicht unbedingt notwendig. Es verbleiben nach dem Ausbau kurze Streckenabschnitte mit geringen Geschwindigkeitseinbrüchen wie z.B. in Hagenow Land oder Ludwigslust.

Insgesamt wurden seit 1991 2,46 Milliarden Euro in den zweistufigen Ausbau dieser Strecke durch Bahn und Bund investiert.

BestZeit für den Kunden, verbunden mit einer deutlichen Fahrpreiserhöhung

Die mit dem Ausbau der Strecke Berlin—Hamburg erzielte Fahrzeit setzt zweifellos neue Maßstäbe; der ICE erreicht mit 189 km/h die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen zwei Großstädten in der Bundesrepublik und liegt damit sogar deutlich über dem Wert für die Neubaustrecke Köln—Frankfurt am Main, die eine Höchstgeschwindigkeit von immerhin 300 km/h zuläßt.

Die Deutsche Bahn läßt sich diesen Reisezeitvorteil allerdings auch teuer bezahlen. Dies soll an der Fahrpreisentwicklung verdeutlicht werden (angegeben ist der Normalpreis für die einfache Fahrt von Berlin Zoologischer Garten nach Hamburg Hbf, 2. Klasse):

  • Fahrpreis im Dezember 2003
    41,40 Euro im InterCity
    47,60 Euro im ICE
  • Fahrpreis ab 12. Dezember 2004
    45,00 Euro im InterCity
    55,00 Euro im ICE
ICE am Bahnsteig
Ankunft des Eröffnungszuges in Berlin Ostbahnhof am roten Teppich. Foto: Christian Schultz

Aus unternehmerischer Sicht mag der Versuch verständlich sein, mit dem nunmehr deutlich attraktiveren Angebot auch deutlich höhere Fahrpreise am Markt durchzusetzen. Bei Berücksichtigung des wirtschaftlichen Umfeldes - mit Rekord-Arbeitslosigkeit einerseits und der Kostensenkung in einer zunehmenden Anzahl von Betrieben durch verlängerte Arbeitszeit ohne Gehaltserhöhung andererseits - sind Fahrpreiserhöhungen über 15 Prozent innerhalb eines Jahres eine absolut unverständliche Entscheidung. Es bleibt abzuwarten, ob sich die seitens der Deutschen Bahn prognostizierten Zuwächse von 400.000 Reisenden auf insgesamt 2,8 Millionen Fahrgäste im Jahr 2005 tatsächlich einstellen und damit die Zahlungsbereitschaft realistisch eingeschätzt wurde.

Da auch der Mitfahrer-Rabatt seit dem 12. Dezember 2004 für Kunden ohne BahnCard entfiel, stellt sich die Situation beispielsweise für Familien, die gelegentlich eine Bahnreise in Fernverkehrszügen machen, noch wesentlich ungünstiger dar. Der Hinweis auf die BahnCard 50 kann dabei angesichts eines Preises von 200 Euro (2. Klasse) bzw. für Ehe-/Lebenspartner von 100 Euro nur wenig trösten. Um mehr Reisende von der Straße auf die Schiene zu locken, ist ein attraktiver Preis - neben der attraktiven Fahrzeit - unerläßlich!

IGEB Fernverkehr

aus SIGNAL 1/2005 (Februar/März 2005), Seite 10-11

 

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