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Mit viel Vorschusslorbeeren wurde von der
Firma Siemens Verkehrstechnik im Jahre 1996
eine neue Tramgeneration vorgestellt: Der
Combino. Als Vorzüge galten, 100prozentige
Niederflurigkeit, geringere Anschaffungskosten
im Gegensatz zu bisher angebotenen
Straßenbahn-Wagen und schnelle Auslieferung
nach Bestelleingang. Ermöglichen sollte dies
eine Systembauweise des Wagens mit strikter
Modularität. Trotz eingesparter Entwicklungskosten
sollte ein nach Kundenwünschen gebautes
Fahrzeug geliefert werden. Als Clou
galt der geschraubte Aluminiumaufbau nach
einem Patent der Schweizer Firma Alusuisse -
in hochflurigen Nahverkehrsfahrzeugen durchaus
bewährt.
Potsdam hatte sich als erste Stadt weltweit
den Combino bestellt, 1998 in Dienst genommen,
und löste damit eine weltweiten Boom
nach Combino-Straßenbahnen aus. Diese fahren
heute unter anderem in Augsburg, Düsseldorf,
Erfurt, Freiburg, Nordhausen, Amsterdam,
Basel, Bern, Hiroschima und Melbourne.
Bereits im Herbst 1998 ahnte der belgische
Verkehrsingenieur Harry Hondius, dass trotz
einer relativ großen Testphase des Prototyps
von 1996 mit Rückschlägen zu rechnen sei.
Erste Warnzeichen gab es. Wobei das Combino-typische
Knacken der Karosserie noch das
geringste Übel war.
Wasser drang ein!
Dass beim Combino ein Problem heranreifen
konnte, zeigte Amsterdam: Wasser drang von
außen in den Innenraum! Aber auch Freiburg,
Basel und Bern berichteten über diverse Probleme.
Nach ersten zeitweisen Außerbetriebnahmen
von Siemens-Straßenbahnen in verschiedenen
Städten Ende 2003 kam es im
März ganz dicke - als ein Freiburger Wagen
zur Begutachtung nach Prag geschickt wurde.
Siemens empfahl daraufhin Mitte März weltweit,
Combino-Bahnen mit einer Laufleistung
von über 120 000 Kilometern aus dem Verkehr
zu nehmen. Bei einer Kollision oder gar
nur einer Notbremsung könnte die tonnenschwere
Elektroausrüstung, Folge der Niederflurbauweise,
auf die im Fahrzeuge befindlichen
Fahrgäste stürzen!
Fehler Alutechnik?
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Einst groß gefeiert, jetzt wegen offenkundiger Konstruktionsmänegl im Visier der Kritik. Im Bild das erste Combino-Fahrzeug für Potsdam bei einer Pressevorführung. Foto: Marc Heller |
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Bei Autos kommen Rückrufaktionen häufiger
vor. Bei Straßenbahnen gab es ein ähnliches
Desaster 1930 in Berlin. Es mussten wegen
fehlerhafter Bremstechnik 300 neue Triebwagen
für bis zu sechs Jahre vom Netz geholt
werden. Nun sieht es nach jüngsten Meldungen
aus, dass die weltweit 400 in Betrieb stehenden
Combino-Wagen, weitere 200 sind
bestellt, komplett vom Fahrwerk an, neu gebaut
werden müssen. In herkömmlicher
Schweißtechnik und Stahlbauweise. Diese
Wagen kann aber Siemens nicht mehr in
Deutschland herstellen, da das Werk in Krefeld (früher der DUEWAG gehörend) nur noch
für die Alutechnik eingerichtet ist, Combinos
kämen damit künftig aus Prag. Siemens kaufte
inzwischen die alte Tatrafabrik. Und Siemens
erhöhte schon jetzt seine Rückstellungen
für außergewöhnliche Ausgaben. Experten
meinen, dass der Weltfirma Folgekosten weit
über zwei Milliarden Euro entstehen könnten.
Soviel würden neue Fahrzeuge kosten. Noch
nicht beziffert wurden bis jetzt eventuelle
Regreßforderungen von den Verkehrsbetrieben.
Ingenieurfehler?
Pikant an dem ganzen Combino-Desaster
könnte nun sein, dass der Wagenkasten von
den Entwicklungsingenieuren falsch berechnet
wurde. Es wurden offenbar bei der Konstruktion
nur Parameter berechnet, die für
herkömmliche Waggonaufbauten gelten, deren
Technik sich aber unter dem Fahrzeugboden
oder im Innenraum befindet. Dass der
Alu-Wagenkörper des Combinos aber tonnenschwere
Geräte auf dem Dach trägt, und deshalb
ganz anderen Belastungen Stand halten
wird, fiel weder den Ingenieuren von Siemens
noch den Aufsichtsbehörden auf. Besonders
hart trifft das Combino-Desaster Potsdam. Mit
Mühe kann mit alten Tatrawagen aus DDR-Zeiten
der Verkehr aufrecht erhalten werden.
Drei nach Ungarn verkaufte Wagen wurden
zurückgerufen.
Busse statt Bahnen?
Härter wird es vielleicht für Ulm. Der gesamte
Fahrzeugpark für das nur 5,6 Kilometer
große Netz besteht aus Combinos. Wenn nicht
bald eine Lösung gefunden wird, droht hier
womöglich die Stillegung. Auch in anderen
Städten könnte wegen des Combino-Ausfalls
ein Streckensterben beginnen. In Potsdam
gibt es immer wieder die Forderung, die Strecke
zur Glienicker Brücke auf Busbetrieb umzurüsten.
Auch in anderen Städten gibt es Straßenbahngegner,
die lieber den Bus als die
Tram sähen. Nur Düsseldorf und Erfurt haben
genügend Reserven.
Bevor ein neuer Combino auf den Rädern
steht, können durchaus zwei Jahre vergehen.
In derselben Zeitspanne könnten neue Tramwagen
auch bei Konkurrenzfirmen wie Bombardier
(Cityrunner), Aistom (Citadis) oder
Stadler Berlin (Vario) bestellt werden. Nach
einem Misserfolg mit einer anderen 100-Prozent-Niederflur-Type von Siemens wandte sich
Frankfurt/Main bei der neuesten Vergaben einem
Fahrzeug mit nur noch 70 Prozent Niederflurteil
zu. Manche Städte werden dem
Beispiel sicherlich folgen. Solche Fahrzeuge
baut Siemens gemeinsam mit Bombardier für
Dresden, Antwerpen und Gent! (mkv)
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