Die Berliner Nahverkehrstarife kennen seit
Einführung des VBB-Verbundtarifes vor 15
Jahren nur eine Richtung: nach oben. Fast jedes
Jahr gibt es eine Erhöhungsrunde, oder
es werden schlicht die Leistungen eines
Tickets verschlechtert. Die Unternehmen
im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg
zeigen da – anders als beim Ausbau von
Verkehrsangeboten und Fahrgastinformationen
– sehr viel Erfi ndungsreichtum. Natürlich
gehen die Unternehmen nicht aus
Boshaftigkeit so vor, sondern weil sie von
der Politik bzw. ihren Eigentümern entsprechende
wirtschaftliche Vorgaben erhalten.
Längst geht es nicht mehr darum, möglichst
hohe Fahrgastzahlen zu erreichen, sondern
die Tarifergiebigkeit zu optimieren.
Da die Debatte um Tariferhöhungen stets
aufs Neue die Öff entlichkeit und die Medien
aufschreckt – und manchmal auch die Politik
–, setzt sich die BVG seit einiger Zeit für
eine Tarifi ndexierung ein. Im BVG-Vorstand
und Teilen der Politik von Berlin und Brandenburg
stellt man sich das so vor: Die Entwicklung
der VBB-Tarife wird einfach an die
Entwicklung eines – aus Unternehmenssicht
möglichst vorteilhaft gewählten – Preisindexes
gekoppelt. Bewegt sich dieser nach
oben – und davon gehen die Befürworter
des Modells natürlich aus –,
so wird automatisch
auch der Berliner Nahverkehr ab einem
Stichtag entsprechend teurer. Beschlüsse für
Tariferhöhungen wären nicht mehr nötig.
Das erspart den Unternehmen die lästige
Debatte im Verbund und in der Berliner Öffentlichkeit,
weil man bequem mit den
Achseln zucken und auf den gestiegenen
Index verweisen kann. Dass das Anheben
einzelner Tarife in einem Indexkorb
den Index selber wieder ansteigen lässt
(siehe Mietpreisentwicklung unter Berücksichtigung
des Mietspiegels), wird ebenso verschwiegen
wie die Tatsache, dass ein abstrakter Index nichts mit der Wirtschaftlichkeit
der Unternehmen oder gar der
Zahlungsfähigkeit der Kunden zu tun hat.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB lehnt
derartige Fluchten der Politik aus ihrer
Verantwortung ab und sieht wesentliche
Fragen ungeklärt. So müsste beantwortet
werden, auf welcher Grundlage ein derartiger
Index gebildet wird. Sollen die allgemeinen
Lebenshaltungskosten herangezogen
werden? Da würden die indexiert erhöhten
Nahverkehrspreise gleich für weitere Steigerungen
des Index sorgen. Oder will man
sich an den Energiekosten orientieren? Das
kann schiefgehen, da diese mit weiter voranschreitender
Energiewende wieder sinken
können.
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Um sich solche öffentlichen Diskussionen in Zukunft zu ersparen, kämpft die BVG für eine jährliche automatische Fahrpreiserhöhung. Berliner Kurier vom 23. März 2007 |
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Die Einkommensentwicklung in Berlin
mitsamt den zahllosen Minijobbern, Dauerpraktikanten
und prekär Beschäftigten wäre
eine gute Kenngröße, aber das würde den
Verkehrsunternehmen natürlich weit weniger
gefallen, denn da müssten die Preise
sinken.
Diskutiert wird, „vergleichbare“ Verbünde
als Bezugsgrößen heranzuziehen. Aber aus
welcher Region sollen die Vergleichzahlen
kommen? Aus Sicht der Unternehmen wäre
wohl ein ÖPNV-Premium-Index ideal, zusammengesetzt
aus den Hocheinkommens-Tarifregionen München, Stuttgart und
Rhein-Main.
Auch ist völlig unklar, welche der zahllosen
Tarifpositionen dann gemäß dem gestiegenen
Index erhöht werden sollen, welche weniger,
und welche mehr? Immerhin besteht
gegenwärtig bei den jährlich annoncierten
Erhöhungen „um durchschnittlich 2,x %“
noch die Möglichkeit, mit der unterschiedlich
starken Anhebung einzelner Tarifpositionen
gewisse verkehrspolitische Ziele zu
verfolgen, also etwa Stammkunden weniger
zu belasten oder Gelegenheitsfahrgästen
den Umstieg auf den ÖV schmackhafter zu
machen.
Diese Gestaltungsmacht würde die Politik
bei einer generellen Indexlösung aus
der Hand geben. Wenn der von den Unternehmen
gewählte Index um x % nach oben
ginge, dann würde das z. B. für Berlin ABC
automatisch heißen: alle Tickets von der ermäßigten
Kurzstrecke AB über Geschwisterund
Sozialkarte bis hin zur Jahreskarte ABC
werden ebenfalls um x % erhöht – wenn
auch auf irgendeinen Betrag gerundet.
Oder der Index würde, was noch wahrscheinlicher
ist, zum Maßstab für eine
„durchschnittliche VBB-Tariferhöhung“
gemacht. Mit diesem Durchschnittswert,
dessen Zustandekommen kein
Politiker überprüfen will und kein Fahrgast
nachvollziehen kann, werden die Tariferhöhungen
schon heute so „hingerechnet“,
dass sie politisch durchsetzbar sind.
Eine VBB-Tariferhöhung nach Index könnte
auch zum Sprengsatz für den gesamten
Verbundtarif werden, da sich die wirtschaftliche
Leistungskraft Berlins und der berlinfernen
Regionen seit Jahren immer weiter
auseinanderentwickeln.
Nicht ohne Grund warnen Mietervereine
die Wohnungssuchenden vor dem Abschluss
von Indexmietverträgen, während
Immobilieneigentümerverbände sie stets
über den grünen Klee als „transparent, einfach
und gerecht“ loben. Das macht zu recht
misstrauisch.
Auch für die VBB-Fahrpreise ist eine Indexierung
abzulehnen. Die Politik darf die Gestaltungsmacht
für die Tarife nicht einfach
aus der Hand geben. Für Tariff estlegungen
im Bereich der Daseinsvorsorge müssen gewählte
Politiker dauerhaft die Verantwortung
übernehmen. Politik und Verkehrsunternehmen
müssen stets aufs neue gezwungen
werden zu begründen, warum sie welche Tarife
in welchem Umfang erhöhen. Wie schwer
ihnen das fällt, zeigt das gelegentliche Aussetzen
von Tariferhöhungen in Wahljahren.
2014 ist es wieder so weit. In Brandenburg
wird ein neuer Landtag gewählt. Deshalb ist
zu erwarten, dass die nächste VBB-Tariferhöhung
erst zum 1. Januar 2015 erfolgen wird.
Das wird die BVG allerdings anstacheln, jetzt
noch intensiver um eine regelmäßige Fahrpreiserhöhung
per Index zu kämpfen. Denn
Leistungssteigerungen oder nennenswerte
Qualitätsverbesserungen, mit denen sich
eine Tariferhöhung gegenüber den Fahrgästen
bzw. in der Öff entlichkeit am ehesten
begründen ließe, gibt es schon lange nicht
mehr – weder bei der BVG noch bei der Berliner
S-Bahn. (mg) IGEB Stadtverkehr
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