Überall wird von riesigen Bauprojekten,
vor allem von Tunneln geträumt.
In Nord-Europa von einem
Tunnel zwischen Norwegen und
Dänemark, zwischen Helsinki und
Tallinn, Rostock und Gedser – und
nicht zuletzt zwischen Puttgarden
und Rödby. Begonnen hatte die
Tunnel-Orgie mit dem Tunnel unter
dem Ärmelkanal zwischen Frankreich
und Großbritannien. Und da
Margret Thatcher auf einer rein privaten
Finanzierung bestand, wurde daraus eines
der größten finanziellen Desaster.
Die geplante Feste Fehmarnbelt-Querung
zwischen Deutschland und Dänemark ist
ohne Zweifel eines der unsinnigsten Großprojekte,
die derzeit in Europa geplant werden.
Diese Aussage gilt umweltpolitisch,
verkehrspolitisch, finanzpolitisch und ökonomisch.
Die Feste Fehmarnbelt-Querung
ist ein typisches Projekt des Kalten Krieges
und wurde schon vor dem Fall des Eisernen
Vorhangs geplant. Seit 1989 hat sich aber
Europa gewaltig verändert – und die Verkehrsströme
nicht minder. Vom schwedischen
Trelleborg gibt es heute täglich mehr
als 10 Schiffsverbindungen nach Rostock
und Sassnitz. Vom dänischen Gedser fahren
schnelle Fährschiffe im Zwei-Stunden-Takt
rund um die Uhr nach Rostock.
Zudem wurde mit der Öresundbrücke im
Jahr 2000 eine feste Verbindung zwischen
Deutschland, Dänemark und Schweden für
Straße und Schiene dem Verkehr übergeben.
Mit anderen Worten: Das Zentrum Europas
ist mit dem Norden des Kontinents auf verschiedenen
Wegen bereits bestens verbunden.
Schon das alleine sollte als Grund reichen,
sich von diesem Milliarden-Projekt zu
verabschieden.
Sollte der knapp sechs Milliarden Euro
teure Fehmarnbelt-Tunnel realisiert werden
– das achte Weltwunder, weil der Tunnel
billiger als die Brücke sein soll, wären
die mit Milliarden-Investitionen modernisierten
Häfen in Mecklenburg-Vorpommern
und Südschweden natürlich stark
betroffen.
Ost-Europa wäre
vom Nord-Süd-Verkehr
abgekoppelt
Ganz Ost-Europa
würde vom Nord-Süd-Verkehr der EU
abgekoppelt. Auch
ohne das gigantische
Tunnelbauwerk
ist durch Fähren, die
rund um die Uhr im
Einsatz sind, eine
schwimmende Brücke
entstanden.
Auch die Schienenverbindung
wird die
Verlagerung auf die
Straße nicht vermeiden.
Wir haben doch
die Erfahrung, dass
der Lkw-Verkehr zwischen
Skandinavien und Ost-Europa den
kilometerlangen Umweg über Schleswig-Holstein
bevorzugt. Eine zusätzliche Straßenverbindung
wäre auch ökologisch unsinnig,
weil die Menschen in Lärm, Stau und
Abgasen ersticken würden. Auch für den
Lübecker Hafen wäre eine feste Beltquerung
Gift. Etwa 20 Prozent der südschwedischen
Verkehre, die heute über Travemünde laufen,
würden wegfallen. Der (Straßen-)Tunnel
würde die einseitige Bevorteilung der Lkw
auf Kosten der Steuerzahler und der Umwelt
verschärfen.
Mehr als 6 Milliarden Euro
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Derzeitige Fährverbindungen Deutschland—Dänemark: Fehmarnbelt (grün), Gedser—Rostock (rot), Autobahnen in weiß. Zeichnung: Casper |
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Während auch in Puttgarden, Lübeck/Travemünde
und Mukran/Sassnitz die Transportleistung
zurückgegangen ist, ist das Güteraufkommen
in Szczecin und Świnoujście
leicht und in Rostock um fast das Dreißigfache
gestiegen. Anstatt in Rostock die Schienenanbindung
des Hafens zu verbessern
und die Strecke nach Berlin schnell zu ertüchtigen,
wird an der Planung aus dem Kalten
Krieg festgehalten, um für 6 Milliarden
Euro einen Tunnel für Straße und Schiene
durch den Fehmarnbelt und damit an der
falschen Stelle bauen zu können.
Und nach unseren Erfahrungen mit Stuttgart
21, der Elbphilharmonie in Hamburg
und dem neuen Flughafen Berlin-Brandenburg
müssen wir davon ausgehen, dass sich
die Kosten locker vervielfachen können.
Im letzten Sommer hat die EU die Revision
der Transeuropäischen Netze abgeschlossen.
Auf Druck der Grünen hin hat sich das
Europäische Parlament dafür eingesetzt,
die Schienenstrecke zwischen Gedser und
Nykøbing in das prioritäre Kernnetz aufzunehmen.
Doch die dänische Regierung hat
das blockiert, um die Feste Fehmarnbelt-Querung nicht zu gefährden.
Gelungen ist es uns immerhin, den Rostocker
Hafen in den Kernnetz-Korridor zwischen
Skandinavien und dem Mittelmeer
aufzunehmen. Damit bleibt es möglich,
die Fährverbindung zwischen Rostock und
Gedser im Rahmen der Transeuropäischen
Netze auszubauen. Das ist ein wichtiges
SIGNAL. Deshalb muss das knappe Geld
dort ausgegeben werden, wo die Spaltung
durch den ehemaligen Eisernen Vorhang
schnellstmöglich überwunden wird und
der umwelt- und verkehrspolitische Effekt
am größten ist.
Die Doppelend-Fähren, die heute alle 30
Minuten verkehren, könnten sogar noch
schneller sein, bleiben aber dennoch bei
exakt 45 Minuten, um den Lkw-Fahrern ihre
gesetzlich verordnete Ruhezeit von genau
derselben Länge zu ermöglichen.
„Think big“ heißt die Parole
Trotz alledem heißt die Parole: „Think big“ –
auch wenn das Geld fehlt. Für die Transeuropäischen
Netze, den Verkehrswegeplan für
Europa, sind im EU-Haushalt bis 2020 insgesamt
26 Milliarden Euro eingeplant, wovon
11 Milliarden Euro als Kohäsionsmittel weder
Deutschland noch Dänemark zur Verfügung
stehen.
Die beschlossenen Vorhaben sind jedoch
leider eine reine Wunschliste nationaler Egoismen.
Dort findet man Prestige-Projekte,
die zwar viel Geld verschlingen, in 20 oder
30 Jahren vielleicht zu 60 oder 70 Prozent
fertiggestellt sind, verkehrspolitisch aber allenfalls
bescheidenen Nutzen haben.
Eines der Paradebeispiele dafür ist der
geplante Alpentunnel zwischen Lyon und
Turin. Dieser geplante Bahntunnel verläuft
parallel zu einer existierenden Schienenstrecke,
die wenig ausgelastet ist. Anstatt das
Existierende zu ertüchtigen, soll ein 50 km
langer Tunnel durch schwierigstes Terrain
gebaut werden. Offiziell soll er 12 Milliarden
Euro kosten, doch der französische Rechnungshof
schätzt die wahren Kosten heute
schon auf 26 Milliarden.
Die EU wird einen kleinen Teil der Kosten
der Festen Fehmarnbelt-Querung tragen,
doch die Hauptlast läge auf dänischen
Schultern. Denn für die deutsche Bundesregierung
hat der Tunnel-Bau – entgegen
allen öffentlichen Beteuerungen – keine Priorität.
Hinter vorgehaltener Hand wurde die
Zustimmung damit begründet, dass man
den Dänen keinen Strich durch die Rechnung
machen wollte, weil die ja ohnehin alles
bezahlen. Entsprechend gering fällt der
deutsche Finanzierungsanteil aus, entsprechend
wenig tut die Bundesregierung auch
für die Hinterlandanbindung.
Das Positionspapier für die konventionellen
Güterverkehrsnetze, das zwischen
der Bundesregierung, der DB AG und dem
Eisenbahnbundesamt abgestimmt wurde, sieht die Führung des
Skandinavien-Verkehrs über den Großen Belt vor, wo es
große Kapazitätsreserven gibt. Dementsprechend
soll auch die Strecke zwischen
Hamburg und Flensburg schnellstmöglich
modernisiert und ertüchtigt werden. Ein
Ausbau der Zubringerstrecke zur geplanten
Fehmarnbelt-Querung zählt hingegen
in Deutschland nicht zu den vorrangingen
Projekten.
Knoten Hamburg überlastet
Die Knoten Hamburg, Bremen und Hannover
sind schon heute die Sorgenkinder
des deutschen Eisenbahnnetzes. Anstatt
die Nord-Süd-Verkehre zu dezentralisieren,
würde die Fehmarnbelt-Querung sie alle
über Hamburg leiten. Das Desaster von kilometerlangen
Staus im Güterverkehr und ein
Chaos im Personenverkehr rund um Hamburg
wären vorprogrammiert.
Auch auf der Straße führt die vierspurig
geplante Fehmarnbelt-Querung in ein Nadelöhr.
Die bereits existierende Fehmarnsund-Querung
zwischen dem deutschen
Festland und der Insel Fehmarn ist nur
zweispurig ausgebaut. Ein weiterer Ausbau
ist aus Naturschutzgründen verboten und
wird von der Landesregierung in Schleswig-Holstein
ausdrücklich auch nicht angedacht.
Die Kapazitäten, die milliardenschwer aufgebaut
werden sollen, enden also wenige
Kilometer später im Stau.
Aber schauen wir noch einmal auf das liebe
Geld. Die Dänen wollen fast alle Kosten
übernehmen, während in Deutschland die
Devise gilt: „Warum sollten wir die Fehmarnbelt-
Querung ablehnen, wenn wir sie quasi
geschenkt bekommen.“
Der „geschenkte Gaul“ aus Kopenhagen
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Ein Diesel-ICE auf der Fehmarnbelt-Fähre „Deutschland“. Die Überfahrt von Bahnhof Puttgarden bis Bahnhof Rødby dauert fahrplanmäßig eine Stunde. Foto: Thommlu, 2011 |
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Doch die Freude über den „geschenkten
Gaul“ aus Kopenhagen ist aus zwei Gründen
alles andere als klug: Erstens bleiben noch
immer Lasten von mindestens einer Milliarde
Euro auf deutscher Seite, ergänzt durch
den deutschen Anteil an den EU-Mitteln.
Zweitens steht auch die Regierung in Berlin
im Weg, wenn es um eine zukunftsweisende
europäische Verkehrspolitik geht.
Wollte man von den Projekten der Transeuropäischen
Netze, dem europäischen Verkehrswegeplan,
nur drei Projekte realisieren
– den Brenner-Basistunnel zwischen Österreich
und Italien, den Fehmarnbelt-Tunnel
zwischen Deutschland und Dänemark
und den eben schon erwähnten Eisenbahn-Tunnel
zwischen Lyon und Turin – wäre das
Geld schon mehr als verbraucht, ohne dass
auch nur ein einziger sinnvoller verkehrspolitischer
Effekt erzielt worden wäre.
Im Vertrag von Lugano hatte sich
Deutschland 1996 verpflichtet, die Schienenstrecke
für den wichtigsten Güterkorridor
Rotterdam—Genua viergleisig auszubauen.
Im Vertrauen darauf hatte die
Schweiz mit dem Tunnelbau begonnen.
Der Lötschbergtunnel ist bereits fertig, der
Gotthardt-Tunnel schon durchstochen. Auf
deutscher Seite müssten für den Abschnitt
zwischen Basel und Karlsruhe vier Milliarden
Euro investiert werden. Im letzten
Haushalt waren dafür 19 Millionen eingeplant.
Bei diesem Etat bräuchten wir mehr
als 200 Jahre, bis Deutschland den Vertrag
von Lugano erfüllt.
Europäischer Eisenbahnraum
ist ein Flickenteppich
25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
in Europa sind gerade die Eisenbahnverbindungen
gen Osten noch immer
in einem schlechten Zustand. Von Berlin
nach Breslau dauerte es einst zweieinhalb
Stunden, heute mit fünf Stunden doppelt
so lange. Auch die Verbindung von Berlin
nach Świnoujście und nach Usedom, in die
„Badewanne von Berlin“, könnte von vier auf
zwei Stunden halbiert werden. Lediglich
100 Millionen Euro würden benötigt, um die
nach dem Krieg abmontierten Gleise und
die von deutschen Truppen in den letzten
Kriegstagen zerstörte Karniner Brücke wieder
aufzubauen.
Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.
Der europäische Eisenbahnraum ist
nämlich ein Flickenteppich, dessen Lücken
exakt an den Grenzen sind. Trotz Milliarden-Investitionen
der letzten Jahrzehnte wurde
der europäische Mehrwert nicht erreicht,
weil die Gelder der EU von den Mitgliedsstaaten
lieber für ihre nationalen Projekte als
Mitnahmeeffekt genutzt werden.
Aber etwas Positives gibt es auch zu vermelden:
Zwischen dem deutschen Sebnitz
und dem tschechischen Dolní Poustevna
wird 2014 die Lücke von 660 Metern geschlossen.
Dieser Lückenschluss dauerte 25
Jahre!
Nicht nur angesichts der knappen Mittel
müssen alle Planungen deshalb unter zwei
Gesichtspunkten überprüft werden: Welchen
øverkehrspolitischen Effekt haben
sie? Und wie wirken sie sich auf die Umwelt
aus? Eine europäische Verkehrspolitik muss
in erster Linie das Zusammenwachsen Europas
nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
befördern. Zudem muss aus ökologischen
Gründen die Verlagerung des Verkehrs von
der Straße auf Eisenbahn und Schiff erreicht
werden. Erst wenn das gelungen ist,
könnte man sich sinnvollen Großprojekten
zuwenden. Macht man es umgekehrt, wird
auf Jahrzehnte das Geld vergraben, das für
die Verkehrsverlagerung heute so dringend
notwendig ist.
Feste Fehmarnbelt-Querung
ist noch nicht gesichert
Auch wenn es anders behauptet wird – die
feste Querung über den Fehmarnbelt ist
noch längst nicht beschlossene Sache. Die
Zahlen sind von 2004, als man noch genauso
fest von einer Brücke ausging wie heute von
einem Tunnel.
Michael Cramer, MdEP
Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament
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