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Nach der ViP-Entscheidung für den "Combino" erhob sich ein Wehklagen, gemischt
mit Angrif- auf die Potsdamer Geschäftsführung und sogar unter Einschaltung
der Staatsanwaltschaft. Denn einige Firmen fühlten sich schnöde übergangen,
da sie angeblich die besseren Angebote gemacht hätten, wie sie der Presse
anvertrauten. Ganz so war es aber nicht. Der Verkehrsbetrieb ging in die
Offensive und machte transparent, zu welchen Bedingungen ausgeschrieben
und welche Preise tatsächlich angesetzt wurden.
Von ursprünglich neun Bewerbern kamen letztlich drei Angebote. Für 48
Fahrzeuge, zu liefern von 1998 bis 2008/2009, wurden je Wagen folgende
Durchschnittspreise genannt:
- ADtranz (100% Niederflur): 3,51 Mio DM
- Konsortium DWA/Kiepe/MGB (70% Niederflur): 3,081 Mio DM
- Siemens (100% Niederflur): 3,078 Mio DM
Hierbei wurden berücksichtigt: Preisgleitung ab dem 13. Fahrzeug und
Angebotsabgabe gemäß Lastenheft. Die von den beiden erstgenannten
Wettbewerbern in die Presse lancierten Preise
sind zum einen (tatsächlich günstigere) Einstiegspreise der ersten Wagen,
die über den Gesamtpreis der Serie noch nichts aussagen; zum anderen wurden
Leistungen, die nicht im Lastenheft gefordert waren, je nach Bedarf durch
die Anbieter abgezogen oder dazugerechnet. Siemens hatte nach den vorliegenden
Zahlen also das für den Potsdamer Verkehrsbetrieb günstigere Angebot
gemacht.
Was ist mit den Arbeitsplätzen in der Region? Das politische Totschlagargument
ist gut für Schlagzeilen, entbehrt aber nüchterner Überlegung. Denn die
Produktion von jährlich vier bis sechs Straßenbahnen ist mit Sicherheit keine
wirtschaftliche Grundlage für den Erhalt eines Unternehmens. Wenn das
Überleben von einem derart kleinen Auftrag abhängt, würde hier ein mögliches
Ende nur verzögert werden. Gefragt sei auch, warum beim Kauf von Autos, z.B.
den aus Süddeutschland stammenden Dienstwagen der brandenburgischen
Landesregierung, niemand nach den Effekten für die Arbeitsplätze in der
Region fragt?
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Foto: Ivo Köhler |
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Die „Kontrahenten“ im Bild: Links der „Combino“ von Siemens und dahinter der GT6N von ADtranz bei der Präsentation im Oktober in Potsdam, unten das Fahrzeug des Konsortiums DWA/Kiepe/MGB beim Einsatz in Dresden. Foto: Matthias Horth |
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Grundsätzlich bleibt zur Potsdamer Entscheidung festzuhalten: Gerade mit
öffentlichen Zuschüssen bedachte Verkehrsbetriebe müssen sich bei der Auswahl
der Angebote grundsätzlich an Preis und Leistung orientieren. Es ist nicht
ihre Aufgabe, die örtliche Industrie zu alimentieren. Es sei denn, die nötigen
Mehraufwendungen werden auf politischer Ebene reguliert. Damit wäre aber der
Sinn von EG-weiten Ausschreibungen und wirtschaftlicher Eigenverantwortung der
Verkehrsunternehmen völlig in Frage gestellt. Im Falle der von ADtranz
angebotenen 100%-Nf-Bahn bleibt die grundsätzliche Kritik an dem Fahrzeug in
vielen Punkten bestehen, so daß vom Ankauf dieses Typs nur abgeraten werden
kann. Einige Stichworte: Wagenkastenausschlag in den Kurven,
fahrgastunfreundlichc Innenraumgestaltung, Spurkranzverschleiß, allgemeine
Störanfälligkeit. Das spricht nicht gegen den Hersteller, sondern betrifft
diese spezielle Bauart. Zu den Offerten des Konsortiums DWA/Kiepe/MGB bleibt
festzuhalten, daß zwar der aus Fahrgastsicht durchaus positiv zu beurteilende
Dresdner Typ als Ausgangsmodell dient, aber auch hier die spezifische
Ausführung für Potsdam wieder vom Reißbrett gekauft werden würde.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) nahm klar Stellung zur
Auftragsvergabe nach arbeitsmarktpolitischen Kriterien. Hier heißt es
unmißverständlich: "Zu vergabefremden Themen gehört insbesondere auch eine
Auftragsvergabe unter dem Aspekt der Regionalförderung. Würde man dieses
Kriterium anerkennen, würde dies die europaweite Öffnung des Binnenmarktes
konterkarieren".
Zum kritisierten Fahrzeug selber: Die Grundidee des "Combino" hinsichtlich
seiner Kombinationsmöglichkeiten und der fahrgastfreundlichen
Innenraumgestaltung, verbunden mit einer optimalen Hüllkurvenausnutzung und
damit geringer Inanspruchnahme von Straßenland, muß unbedingt weiterverfolgt
werden. Die Potsdamer Bestellung sollte bei Bedarf unter Beachtung der
Forderungen des Lastenheftes und damit der Ausschreibungsbedingungen
modifiziert werden können. Denn für einige Komponenten muß die Brauchbarkeit
im Dauerbetrieb erst noch nachgewiesen werden. Dies betrifft vor allem die
Radblockfahrwerke (längs gekuppelte Antriebsräder) und den Wagenkasten aus
verschraubten Aluminiumprofilen. Es gab Bedenken hinsichtlich des
Geradeauslaufes der Fahrwerke. Das ist aber keine Eigenheit dieses Konzeptes,
auch die Dresdner und Leipziger Wagen schlingern bei höherer Geschwindigkeit
spürbar. Es sollte also nüchtern beobachtet und dann geurteilt werden. Es
müßte die Option eines klassischen Antriebes offenbleiben, der an bewährte
Technik anknüpft (Monomotor-Längsantrieb, Kardanantrieb, integrierter
Einzelachsantrieb), falls sich das jetzt gewählte Konzept als ungeeignet
erweist. Ein Teil der Serie könnte später kleinere Einheiten umfassen, mit denen bedarfsgerechte Zugbildungen möglich sind. Die schmale Einstiegstür am Wagenende kann noch nicht der Weisheit
letzter Schluß sein.
Wieder aufgekommen ist die grundsätzliche Diskussion um 100% Niederfluranteil
oder teilniederflurige Wagen (60% bis 70%). 100 Prozent sollten kein Dogma
sein. Denn es gibt teilniederflurige Wagen, die trotzdem an allen Türen
ebenerdiges Einsteigen ermöglichen und dabei altbewährte Antriebstechnik
aufweisen (Wagen von Erfurt, Düsseldorf, Bochum). Dies sollte, unter dem
Aspekt der Kosten und der Verfügbarkeit des Wagenbestandes, bei weiteren
Ausschreibungen und Bestellungen berücksichtigt werden. Die erwähnte volle
Niederflurigkeit ist eher ein politisches denn ein sachliches Kriterium
bei der Auswahl eines geeigneten Fahrzeuges.
In Bezug auf Potsdam kann allen Beteiligten nur geraten werden, die
wirtschaftlich begründete Entscheidung des Verkehrsbetriebes zu
akzeptieren, die tatsächliche Bewährung des Prototypen abzuwarten
und aus den in mehrfacher Hinsicht gemachten Erfahrungen zu lernen.
IGEB
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