Bereits im September 2014 berichtete die
Berliner Morgenpost über den Personalnotstand
bei der Berliner Straßenbahn. Viel
verändert hat sich seither aber nicht, immer
wieder fallen Straßenbahnen aus und der
Fahrgast ist der Leidtragende. In dem besagten
Artikel erklärt die BVG, man kämpfe um
jeden Straßenbahnfahrer – anscheinend nur
mit mäßigem Erfolg. Auch andere Städte haben
dieses Problem und lösen es u. a., indem
sie Studenten als Hilfsfahrer einstellen. Die
BVG lehnt das ab.
Nicht nur der Personalmangel
ist ein Problem
Ein weiteres Problem ist die, teilweise, nicht
verständliche Ausbildungsweise der BVG. So
müssen Straßenbahnfahrer in Berlin für jede
Art von Zugzusammenstellung eine eigene
Berechtigung haben. Berlin hat zurzeit sieben
Fahrzeugtypen im Fahrgasteinsatz. Es
kann also passieren, dass ein Fahrer für den
einen Fahrzeugtyp keine Berechtigung hat,
dann darf er diesen nicht fahren.
Noch skurriler wird das Ganze, wenn in
Doppeltraktion (also zwei Züge zusammengekuppelt)
gefahren wird. So gibt es Fahrer,
die einen Fahrzeugtyp als Einzelzug fahren
dürfen, aber nicht in Doppeltraktion. Noch
schlimmer ist es bei den gerade in der Auslieferung
befindlichen Fahrzeugen des Typs
Flexity Berlin. Es gibt davon drei Typen: Kurze
Fahrzeuge als Zweirichtungsfahrzeuge,
lange Fahrzeuge als Zweirichtungs- und
Einrichtungsfahrzeuge. Für jeden einzelnen
Typ benötigt ein Fahrer eine eigene Berechtigung.
Dabei kommt es zu folgender Kuriosität:
Ein Fahrer darf den kurzen Zweirichtungszug
und den langen Einrichtungszug,
aber nicht den langen Zweirichtungszug
fahren. Dabei kennt er den Fahrerstand des
Zweirichtungszuges bereits aus der kleinen
Version und das Fahrverhalten eines langen
Zuges durch den Einrichtungszug. Weshalb
muss man also nun auch noch für den langen
Zweirichtungszug eine Schulung machen?
In anderen Städten wird das einfacher
gehandhabt. Da wird einfach die Typenberechtigung
erworben, und der Fahrer darf
dann alle möglichen Zusammenstellungen
fahren. Das mindert die Gefahr von Zugausfällen,
bei denen der Fahrgast nur noch den
Kopf schütteln kann. Bei der BVG kommt es
durchaus vor, dass ein Fahrer am Ende seines
Dienstes keine Ablösung bekommt, weil der
Ablöser für den Fahrzeugtyp oder dessen
Konstellation keine Berechtigung hat. Dann
wird in der Regel der Zug ausgesetzt und
durch einen Zug getauscht, den der Ablöser
fahren darf – vorausgesetzt natürlich, dass
ein entsprechender Zug verfügbar ist.
Das Ablösen zu verschieben, ist nicht
möglich. Die Lenkzeiten sind, wie beim Bus,
gesetzlich geregelt. Bei einer Überschreitung
würde der Fahrer sich unter Umständen
strafbar machen und im Falle eines
Unfalls sogar für den Schaden voll haftbar
gemacht werden können.
Warum die BVG diese komplizierte und offensichtlich
nicht notwendige Ausbildungsstrategie
fährt, ist unklar. Fakt ist jedenfalls,
dass sich die ohnehin schon angespannte
Personalsituation dadurch noch weiter verschärft.
Zusätzliche Probleme sind vorprogrammiert,
weil neu eingestellte Personale
nicht mehr auf den noch bis 2017 bzw. 2022
im Einsatz befindlichen Tatra-Zügen ausgebildet
werden. So haben die Betriebshöfe
nun beim Fahrzeugeinsatz eine weitere Einschränkung.
Es ist ohnehin nicht möglich,
alle Fahrzeugtypen auf allen Linien einzusetzen.
Diese unvermeidbare Erschwernis wird
durch die vermeidbaren Fehlentwicklungen
bei der Ausbildung unnötig verschlimmert.
Neue Probleme durch Urteil des
Bundesarbeitsgerichts
In einem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht
festgelegt, dass jeder Arbeitnehmer,
der im Dienst eine Unternehmensbekleidung
tragen muss, ein Recht darauf hat,
sich während der Arbeitszeit umzuziehen.
Das bedeutet im Klartext: Der Arbeitnehmer
kommt zum Dienst, zieht sich um, verrichtet
seine Arbeit, zieht sich wieder um und geht
nach Hause.
Im Prinzip klingt das erst einmal nicht
schlimm, aber bei der BVG dürfte das zu
einer weiteren Verschärfung der Personalengpässe
führen. Alle Fahrer der BVG
müssen während des Dienstes Unternehmensbekleidung
tragen. Nun haben sie
das Recht, sich bei Dienstantritt und bei
Dienstende innerhalb der Arbeitszeit umzuziehen.
Da die Personalablösung aber
alle auf der Strecke an verschiedenen Orten
erfolgen, steht die BVG vor dem Problem:
Wie setze ich dieses Urteil um? Derzeit gibt
es dazu keine Lösung. Theoretisch müsste
die reine Lenkzeit reduziert werden und
an allen Ablösepunkten ein Umkleideraum
mit entsprechenden Schränken für die Fahrer
gestellt werden. Oder der Fahrer wird
weiterhin auf der Strecke abgelöst, muss
aber gemäß dem Urteil die Fahrzeit zum
Betriebshof und zum Umziehen bezahlt
bekommen. Damit dürfte der Bedarf an
Fahrern, der ohnehin nicht gedeckt werden
kann, noch weiter steigen.
Bei der Berliner S-Bahn wurde dieses Problem
gelöst, indem die Fahrer nicht mehr
zum Tragen von Dienstkleidung verpflichtet
sind.
Übrigens: Die BVG hat auf Ihrer Website
derzeit (Stand: 25. März 2015 ) keine Stellen
für Fahrer bei der Straßenbahn ausgeschrieben.
(md)
IGEB Stadtverkehr
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