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Welches ist das richtige Mietradsystem für Berlin?

Wer soll zukünftig in Berlin das vorherrschende Mietradsystem stellen? Ist es die Deutsche Bahn mit „Call a Bike“ oder soll es der Herausforderer „Nextbike“ aus Leipzig werden, an dessen rollenden Litfaßsäulen die Firma Wall zu einem Viertel beteiligt ist? Wir haben den Praxistest gemacht und ein wenig hinter die Kulissen sowie über den Tellerrand geschaut.

„Dann mal rauf auf´s Rad!“, so möchten wir gleich mit dem Praxistest beginnen. Doch halt! Vor dem Losradeln haben beide Unternehmen den Registrierungsprozess gestellt. Und der geht leider nicht so leicht vonstatten, wie es der Werbespruch „Einfach anmelden und sofort losradeln“ verspricht.

Erst anmelden, dann losradeln – zwischenzeitlich warten

„Sofort“ geht da gar nichts, doch selbst am selben Tag ist allein den Besitzern einer Kreditkarte vorbehalten. Wer anderweitig bezahlen will, dem bleibt nur die Erteilung eines SEPA-Lastschriftmandates. Während das bei der Bahntochter noch relativ simpel vonstatten geht, haben sich die Leipziger ein sehr abenteuerliches Verfahren ausgedacht. Hier muss der Radelwillige zunächst eine Registrierungsgebühr von 9 Euro aktiv auf das Nextbike-Konto überweisen, was dann als Lastschriftmandat interpretiert wird. Erst dann wird das Konto freigeschaltet. Vorher ist eine Ausleihe unmöglich.

Dieser Vorgang hat beim Test ganze 2 Wochen gedauert – wahrscheinlich noch länger, wenn der Tester nicht zwischenzeitlich mal nachgefragt hätte, was denn aus der Registrierung geworden ist.

Station
Call a Bike-Station am Nordbahnhof. Foto: Florian Müller

Eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse wollen beide Unternehmen unbedingt zur Registrierung haben sowie die Zahlungsdaten, obwohl ja auch (in anderen Städten) Tarife existieren, bei denen man unter Umständen nichts bezahlen muss. Auch die Zustimmung zu den Geschäftsbedingungen wird verlangt. Wer sich diese durchliest, kann aufgrund der vielen Haftungspunkte durchaus abgeschreckt werden. Beide Unternehmen verlagern so viel Risiko wie möglich auf den Kunden – teilweise sogar darüber hinaus. Unverständlich, denn als zahlender Kunde würde die Mehrheit wohl erwarten, versichert und abgesichert zu sein.

Qual der Tarifwahl

Station
Nextbike am Bahnhof Friedrichstraße. Foto: Florian Müller

Nextbike lässt einen bei der Registrierung aus den beiden deutschlandweit einheitlichen Standardtarifen wählen. Die regionalen Rabatte ergeben sich bei der Auswahl des Partnerunternehmens. Diese Praxis ist für den Nutzer recht einfach und leicht durchschaubar. Call a bike hingegen wirbt zwar ebenfalls mit zwei fast identischen Tarifen, stellt den Nutzer bei der Registrierung hingegen wegen lokal unterschiedlicher Rabatte vor die Wahl von ganzen 12 Tarifen. Alle nur mäßig beschrieben oder strukturiert. Das Hauptaugenmerk wurde auf die wohlklingenden Namen „Basis“ und „Komfort“ gelegt. Erklären will man die Tarife aber anscheinend nicht so gern.

Bisher unterschieden sich beide Anbieter auch dadurch, dass die DB minutengenau abrechnen wollte, Nextbike hingegen mittels Halbstundenpauschalen. Doch die Bahn hat umgeschwenkt. Seit Juli 2015 rechnet sie nun auch mit der 30-Minuten-Pauschale und will dafür – ebenso wie Nextbike – einen Euro. Dafür hat sie aber den Standardtarif abgeschafft, der bisher keine Mitgliedsgebühr verlangt hatte.

Der neue Call-a-bike-Standardtarif heißt nun „Basis“ und verlangt eine So-da-Jahresgebühr von zunächst 3 Euro – einfach nur dafür, dass das System „so da“ ist. Diese will man fortan jedes Jahr einziehen, ob man das System nun nutzt oder nicht. Eine fatale Fehlentscheidung, da man damit die Zugangsschwelle zum System zusätzlich erhöht. Auch stellt sich die Frage, ob ein System städtisch bezuschusst werden sollte, das keinen Standardtarif ohne zusätzliche Abo-Kosten zur Verfügung stellt.

Räder finden

Screenshot: DB Call-a-Bike-App für Android
Die DB informiert in ihrer App über die Tarifumstellung.bUm fortfahren zu können, muss man dem neuen Tarifmodell erst zustimmen. Screenshot: DB Call-a-Bike-App für Android
Screenshot: Nextbike-App für Android
In der Umkreissuche zeigen die Apps beiderbAnbieter sehr zuverlässig, wo sich die nächstenbMieträder befinden. Screenshot: Nextbike-App für Android

Genug gewartet, gezahlt und gerätselt, nun wollen wir losradeln. Dazu müssen wir die Fahrräder ersteinmal finden. Beide Anbieter zeigen sowohl auf Ihrer Website als auch auf einer jeweils eigenen Handy-App auf einer Karte, wo man die Radstationen findet. Ausgeliehen und zurückgegeben werden darf nur an diesen Stationen.

Dabei ist die Verteilung eher mau. Obwohl wir den Test innerhalb des S-Bahn-Rings im dicht besiedelten Gebiet starten wollten, fand sich im kilometerweiten Umkreis keine einzige Station. Nach welchen Kriterien die Stationen von den Machern ausgewählt wurden, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Keine einzige sinnvolle Wegeverbindung ließ sich herstellen. Gut versorgt mit Stationen ist nur ein sehr enger Bereich in der Innenstadt. Hier liegen die Stationen meist auf einer Linie mit im dichten Takt bedienten ÖPNV-Strecken und -Stationen. Der Vorteil „Rad als Ergänzung zum ÖPNV“ ist damit dahin.

Ausleihen

Ist das gewünschte Rad gefunden, lässt es sich auf verschiedene Arten ausleihen. Die erste war der automatisierte Anruf, wie der Name Call a Bike schon vermuten lässt. Dabei ist auf den Rädern eine Telefonnummer angegeben, die angerufen werden will. Hier hat man dann die Identifikationsnummer des Rades anzugeben.

Die zweite Möglichkeit, und wahrscheinlich die beliebteste, die ebenfalls bei beiden Anbietern besteht, ist die Ausleihe per Smartphone-App. Hier kann man das gewünschte Rad sowohl aus einer Liste auswählen als auch direkt auf der Karte.

Überraschend praktisch ist die Ausleihe per RFID-Karte beim Call-a-bike-System. Funktionierte das 2014 noch nicht, so lässt sich inzwischen problemlos an jedem Terminal das Call-a-bike-Konto auf die VBB-Fahrcard aufbuchen. Dann genügt zur Ausleihe sogar, die Karte einfach neben das Fahrradschloss zu halten, welches sich dann sofort entsperrt.

Letztendlich kann man sein Rad auch direkt am Terminal ausleihen – bei beiden Systemen. Leider konnten wir kein einziges Terminal von Nextbike in der ganzen Stadt entdecken, was die Nextbike-Kundenkarte, die einem bei der Registrierung für 2 Euro zusätzlich untergejubelt wird, ziemlich nutzlos macht.

Jetzt muss noch das Schloss geöffnet werden. Call a bike setzt hier auf Technik, Technik und nochmals Technik. Es macht automatisch „Klack“ und dann muss man einen Stab am Ende eines Schlauches herausziehen und dann seitlich wieder einstecken. Das lässt sich schwer erklären, so dass man das erste Mal Zeit benötigt, um es herauszufinden. Man gewöhnt sich aber daran, und mit der Zeit geht das dann recht einfach. Der Konkurrent Nextbike hingegen hat ein einfaches Zahlen-Fahrrad-Schloss an seine Räder angebracht. Die Nummer wird einem bei der Ausleihe verraten. Das funktioniert so einfach, wie es klingt.

Strampeln für die Energiewende

Gepäckträger
Beim Call-a-bike-Rad sollte man nicht zu viel Gepäck dabei haben. Denn der Gepäckständer ist zwar stylisch, aber nicht praktisch. Im Gegensatz dazu… Foto: Holger Mertens
Fahradkorb
… bietet Nextbike den klassischen Fahrradkorb. Einfach und effektiv. Foto: Holger Mertens

Beide Systeme haben unterschiedliche Fahrräder unterschiedlichen Alters und auch im Detail mit unterschiedlicher Ausstattung. Da kann man ganz persönliche Präferenzen haben. Zwei Sachen stören aber an den hochwertigen Call-a-bike-Rädern: Der Gepäckträger ist äußerst unpraktisch. Hier überzeugt der Korb am Lenker von der Konkurrenz. Und dann sind die mit Technik vollgestopften Bahn-Räder sehr schwerfällig. Denn die wiegen nicht nur, sondern wollen auch mit Strom versorgt werden. Zwangslicht, GPS-Modul fürs Satelliten-Auffinden, Display und Funkmodul für die Kundenkarte sind an den Bordakku angeschlossen, und der wird mit jedem Pedaltritt aufgeladen. Das merkt man! Radeln mit dem Call a bike ist damit sehr viel anstrengender als mit dem Nextbike, bei dem es sich um stromlose Standardware handelt. Wer Licht will, kann den Dynamo zuschalten.

Bei beiden Systemen handelt es sich um Sieben-Gang-Räder. Das hätte ruhig auch noch einer mehr sein können (oder eine andere Verteilung), denn wer in der Stadt unterwegs ist und ordentlich strampelt, wird schon mal von anderen, die ganz bequem in die Pedale treten, leichtgängig überholt. Der Sattel ist höhenverstellbar, der Lenker leider nicht. Das sieht bei Großgewachsenen nicht nur merkwürdig aus, sondern ist auch noch unbequem. Hier nehmen sich beide Anbieter nicht viel. Auch die Sattel sind nicht die bequemsten und besonders für die Herren nicht für längere Touren geeignet.

Probleme

Wer Probleme an seinem Rad feststellt, kann bei beiden Systemen sowohl über die App als auch per Telefon Kontakt aufnehmen und sein Problem schildern. Wenn einem dadurch finanzielle Nachteile entstehen (beispielsweise weil man ein anderes Fahrrad erneut ausleihen muss), werden einem die mehrfachen Ausleihkosten erstattet. Das funktioniert bei beiden problemlos.

Rückgabe

Zurückgegen werden müssen beide Räder an den jeweiligen Stationen. Diese kann man sich wieder über die App-Karte anzeigen lassen. Per Zufall findet man allenfalls die auffälligen Call-a-bike-Betonklötze. Die Nextbike-Stationen bestehen in Berlin nur virtuell, meist findet man andere Räder an Ort und Stelle vor, wo man seines einfach dazustellen sollte.

Die Call-a-bike-Rückgabe funktioniert dank GPS-Bordcomputer sehr einfach. Man muss das Fahrrad nur anschließen und das Display zeigt (nach kurzer Frage, ob man die Fahrt nur unterbrechen möchte) an, dass die Rückgabe erfolgreich war. Beim techniklosen Nextbike darf in der Zwischenzeit der Handyakku nicht schlappmachen, denn am Rad oder vor Ort besteht keine Möglichkeit, die Rückgabe zu vermerken. Hier besteht also ein kleines Risiko, sein Rad nicht mehr loszuwerden.

Fazit

Radfahren macht Spaß – auch mit den beiden getesteten Mietradsystemen. Die Einstiegshürde ist bei beiden Systemen recht hoch mit der aufwändigen Registrierung. Mit der neuen Zwangs-Jahrespauschale hat sich die DB keinen Gefallen getan und baut damit bei Call a bike zusätzliche Hürden auf. Wer keine Kreditkarte hat oder diese nicht nutzen will, dem wird das Leben nicht unbedingt leichter gemacht. Unverständlich ist es da, dass keinerlei Prepaid-Möglichkeit gegeben wird, einfach durch Kartenkauf in Läden oder an Fahrkartenschaltern/Automaten sein Konto aufzuladen und einfach abzuradeln – wie beim Mobilfunk.

Der Preis ist ohnehin das ausschlaggebende Problem. Mieträder werden anderswo hervorragend angenommen. Dort ist aber die Nutzung mindestens in den ersten 30 Minuten kostenlos. Warum das bei Call a bike in Berlin nicht so ist, ist in Anbetracht der bisherigen jährlichen Millionenförderung seitens der Stadt unverständlich.

Ebenso ist die Verteilung der Mietstationen ein Witz. Einzig direkten Anwohnern des Kollwitzplatzes ergibt sich eine sinnvolle Nutzung. Alle anderen Stationen befinden sich deckungsgleich zum ÖPNV. Nicht einmal Prenzlauer Berg konnte einer der Anbieter komplett versorgen, was in Anbetracht der Millionenförderung des DB-Systems unverständlich ist. Dabei besteht gerade in den Bezirken um den S-Bahn-Ring enormes Potenzial. Lichtenberg, Weißensee und Marzahn bieten schöne Radwege durch tolle Grünflächen abseits von Hauptverkehrsstraßen. Dort ließen sich entlang der grünen Korridore mehr Nutzer gewinnen, die vor allem vom Auto abgezogen werden, oder Innenstädter in die Außenbezirke locken.

Die jetzigen Angebote bringen nur wenig Nutzen. Zu kleine flächenmäßige Abdeckung, zu seltene Stationen, hohe Einstiegshürden, zu teure Tarife – das sind die offensichtlichen Probleme der Mietradsysteme in Berlin. Will eines der Systeme ein Berliner Stadtrad werden, welches den Namen auch verdient, sind das die Baustellen, an denen massiv gearbeitet werden muss. Ein wesentlich dichteres, wesentlich größeres Netz und ein kostenloser Einstiegstarif mindestens für die ersten 30 Minuten sind Pflicht für ein erfolgreiches Stadtradsystem für Berlin. Nur dann ist eine städtische Förderung auch gerechtfertigt. (hm)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 4/2015 (September 2015), Seite 23-25

 

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