„Dann mal rauf auf´s Rad!“, so möchten wir
gleich mit dem Praxistest beginnen. Doch
halt! Vor dem Losradeln haben beide Unternehmen
den Registrierungsprozess gestellt.
Und der geht leider nicht so leicht vonstatten,
wie es der Werbespruch „Einfach anmelden
und sofort losradeln“ verspricht.
Erst anmelden, dann losradeln –
zwischenzeitlich warten
„Sofort“ geht da gar nichts, doch selbst am
selben Tag ist allein den Besitzern einer
Kreditkarte vorbehalten. Wer anderweitig
bezahlen will, dem bleibt nur die Erteilung
eines SEPA-Lastschriftmandates. Während
das bei der Bahntochter noch relativ simpel
vonstatten geht, haben sich die Leipziger ein
sehr abenteuerliches Verfahren ausgedacht.
Hier muss der Radelwillige zunächst eine
Registrierungsgebühr von 9 Euro aktiv auf
das Nextbike-Konto überweisen, was dann
als Lastschriftmandat interpretiert wird. Erst
dann wird das Konto freigeschaltet. Vorher
ist eine Ausleihe unmöglich.
Dieser Vorgang hat beim Test ganze 2 Wochen
gedauert – wahrscheinlich noch länger,
wenn der Tester nicht zwischenzeitlich mal
nachgefragt hätte, was denn aus der Registrierung
geworden ist.
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Call a Bike-Station am Nordbahnhof. Foto: Florian Müller |
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Eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse
wollen beide Unternehmen unbedingt
zur Registrierung haben sowie die
Zahlungsdaten, obwohl ja auch (in anderen
Städten) Tarife existieren, bei denen man
unter Umständen nichts bezahlen muss.
Auch die Zustimmung zu den Geschäftsbedingungen
wird verlangt. Wer sich diese
durchliest, kann aufgrund der vielen Haftungspunkte
durchaus abgeschreckt werden.
Beide Unternehmen verlagern so viel
Risiko wie möglich auf den Kunden – teilweise
sogar darüber hinaus. Unverständlich,
denn als zahlender Kunde würde die Mehrheit
wohl erwarten, versichert und abgesichert
zu sein.
Qual der Tarifwahl
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Nextbike am Bahnhof Friedrichstraße. Foto: Florian Müller |
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Nextbike lässt einen bei der Registrierung
aus den beiden deutschlandweit einheitlichen
Standardtarifen wählen. Die regionalen
Rabatte ergeben sich bei der Auswahl
des Partnerunternehmens. Diese Praxis
ist für den Nutzer recht einfach und leicht
durchschaubar. Call a bike hingegen wirbt
zwar ebenfalls mit zwei fast identischen Tarifen,
stellt den Nutzer bei der Registrierung
hingegen wegen lokal unterschiedlicher
Rabatte vor die Wahl von ganzen 12 Tarifen.
Alle nur mäßig beschrieben oder strukturiert.
Das Hauptaugenmerk wurde auf die
wohlklingenden Namen „Basis“ und „Komfort“
gelegt. Erklären will man die Tarife aber
anscheinend nicht so gern.
Bisher unterschieden sich beide Anbieter
auch dadurch, dass die DB minutengenau
abrechnen wollte, Nextbike hingegen mittels
Halbstundenpauschalen. Doch die Bahn
hat umgeschwenkt. Seit Juli 2015 rechnet
sie nun auch mit der 30-Minuten-Pauschale
und will dafür – ebenso wie Nextbike – einen
Euro. Dafür hat sie aber den Standardtarif
abgeschafft, der bisher keine Mitgliedsgebühr
verlangt hatte.
Der neue Call-a-bike-Standardtarif heißt
nun „Basis“ und verlangt eine So-da-Jahresgebühr
von zunächst 3 Euro – einfach
nur dafür, dass das System „so da“ ist. Diese
will man fortan jedes Jahr einziehen, ob
man das System nun nutzt oder nicht. Eine
fatale Fehlentscheidung, da man damit die
Zugangsschwelle zum System zusätzlich
erhöht. Auch stellt sich die Frage, ob ein
System städtisch bezuschusst werden sollte,
das keinen Standardtarif ohne zusätzliche
Abo-Kosten zur Verfügung stellt.
Räder finden
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Die DB informiert in ihrer App über die Tarifumstellung.bUm fortfahren zu können, muss man dem neuen Tarifmodell erst zustimmen. Screenshot: DB Call-a-Bike-App für Android |
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In der Umkreissuche zeigen die Apps beiderbAnbieter sehr zuverlässig, wo sich die nächstenbMieträder befinden. Screenshot: Nextbike-App für Android |
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Genug gewartet, gezahlt und gerätselt, nun
wollen wir losradeln. Dazu müssen wir die
Fahrräder ersteinmal finden. Beide Anbieter
zeigen sowohl auf Ihrer Website als auch auf
einer jeweils eigenen Handy-App auf einer
Karte, wo man die Radstationen findet. Ausgeliehen
und zurückgegeben werden darf
nur an diesen Stationen.
Dabei ist die Verteilung eher mau. Obwohl
wir den Test innerhalb des S-Bahn-Rings im
dicht besiedelten Gebiet starten wollten,
fand sich im kilometerweiten Umkreis keine
einzige Station. Nach welchen Kriterien
die Stationen von den Machern ausgewählt
wurden, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar.
Keine einzige sinnvolle Wegeverbindung
ließ sich herstellen. Gut versorgt mit Stationen
ist nur ein sehr enger Bereich in der
Innenstadt. Hier liegen die Stationen meist
auf einer Linie mit im dichten Takt bedienten
ÖPNV-Strecken und -Stationen. Der Vorteil
„Rad als Ergänzung zum ÖPNV“ ist damit dahin.
Ausleihen
Ist das gewünschte Rad gefunden, lässt es
sich auf verschiedene Arten ausleihen. Die
erste war der automatisierte Anruf, wie der
Name Call a Bike schon vermuten lässt. Dabei
ist auf den Rädern eine Telefonnummer
angegeben, die angerufen werden will. Hier
hat man dann die Identifikationsnummer
des Rades anzugeben.
Die zweite Möglichkeit, und wahrscheinlich
die beliebteste, die ebenfalls bei beiden
Anbietern besteht, ist die Ausleihe
per Smartphone-App. Hier kann man das
gewünschte Rad sowohl aus einer Liste auswählen
als auch direkt auf der Karte.
Überraschend praktisch ist die Ausleihe
per RFID-Karte beim Call-a-bike-System.
Funktionierte das 2014 noch nicht, so lässt
sich inzwischen problemlos an jedem Terminal
das Call-a-bike-Konto auf die VBB-Fahrcard
aufbuchen. Dann genügt zur Ausleihe
sogar, die Karte einfach neben das Fahrradschloss
zu halten, welches sich dann sofort
entsperrt.
Letztendlich kann man sein Rad auch
direkt am Terminal ausleihen – bei beiden
Systemen. Leider konnten wir kein einziges
Terminal von Nextbike in der ganzen Stadt
entdecken, was die Nextbike-Kundenkarte,
die einem bei der Registrierung für 2 Euro
zusätzlich untergejubelt wird, ziemlich nutzlos
macht.
Jetzt muss noch das Schloss geöffnet
werden. Call a bike setzt hier auf Technik,
Technik und nochmals Technik. Es macht
automatisch „Klack“ und dann muss man
einen Stab am Ende eines Schlauches herausziehen
und dann seitlich wieder einstecken.
Das lässt sich schwer erklären, so dass
man das erste Mal Zeit benötigt, um es herauszufinden.
Man gewöhnt sich aber daran,
und mit der Zeit geht das dann recht einfach.
Der Konkurrent Nextbike hingegen hat ein
einfaches Zahlen-Fahrrad-Schloss an seine
Räder angebracht. Die Nummer wird einem
bei der Ausleihe verraten. Das funktioniert
so einfach, wie es klingt.
Strampeln für die Energiewende
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Beim Call-a-bike-Rad sollte man nicht zu viel Gepäck dabei haben. Denn der Gepäckständer ist zwar stylisch, aber nicht praktisch. Im Gegensatz dazu… Foto: Holger Mertens |
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… bietet Nextbike den klassischen Fahrradkorb. Einfach und effektiv. Foto: Holger Mertens |
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Beide Systeme haben unterschiedliche Fahrräder
unterschiedlichen Alters und auch im
Detail mit unterschiedlicher Ausstattung.
Da kann man ganz persönliche Präferenzen
haben. Zwei Sachen stören aber an
den hochwertigen Call-a-bike-Rädern: Der
Gepäckträger ist äußerst unpraktisch. Hier
überzeugt der Korb am Lenker von der Konkurrenz.
Und dann sind die mit Technik vollgestopften
Bahn-Räder sehr schwerfällig.
Denn die wiegen nicht nur, sondern wollen
auch mit Strom versorgt werden. Zwangslicht,
GPS-Modul fürs Satelliten-Auffinden,
Display und Funkmodul für die Kundenkarte
sind an den Bordakku angeschlossen, und
der wird mit jedem Pedaltritt aufgeladen.
Das merkt man! Radeln mit dem Call a bike
ist damit sehr viel anstrengender als mit
dem Nextbike, bei dem es sich um stromlose
Standardware handelt. Wer Licht will, kann
den Dynamo zuschalten.
Bei beiden Systemen handelt es sich um
Sieben-Gang-Räder. Das hätte ruhig auch
noch einer mehr sein können (oder eine andere
Verteilung), denn wer in der Stadt unterwegs
ist und ordentlich strampelt, wird
schon mal von anderen, die ganz bequem in
die Pedale treten, leichtgängig überholt. Der
Sattel ist höhenverstellbar, der Lenker leider
nicht. Das sieht bei Großgewachsenen nicht
nur merkwürdig aus, sondern ist auch noch
unbequem. Hier nehmen sich beide Anbieter
nicht viel. Auch die Sattel sind nicht die
bequemsten und besonders für die Herren
nicht für längere Touren geeignet.
Probleme
Wer Probleme an seinem Rad feststellt, kann
bei beiden Systemen sowohl über die App
als auch per Telefon Kontakt aufnehmen
und sein Problem schildern. Wenn einem
dadurch finanzielle Nachteile entstehen
(beispielsweise weil man ein anderes Fahrrad
erneut ausleihen muss), werden einem
die mehrfachen Ausleihkosten erstattet. Das
funktioniert bei beiden problemlos.
Rückgabe
Zurückgegen werden müssen beide Räder
an den jeweiligen Stationen. Diese kann
man sich wieder über die App-Karte anzeigen
lassen. Per Zufall findet man allenfalls
die auffälligen Call-a-bike-Betonklötze. Die
Nextbike-Stationen bestehen in Berlin nur
virtuell, meist findet man andere Räder an
Ort und Stelle vor, wo man seines einfach
dazustellen sollte.
Die Call-a-bike-Rückgabe funktioniert
dank GPS-Bordcomputer sehr einfach. Man
muss das Fahrrad nur anschließen und das
Display zeigt (nach kurzer Frage, ob man die
Fahrt nur unterbrechen möchte) an, dass die
Rückgabe erfolgreich war. Beim techniklosen
Nextbike darf in der Zwischenzeit der
Handyakku nicht schlappmachen, denn am
Rad oder vor Ort besteht keine Möglichkeit,
die Rückgabe zu vermerken. Hier besteht
also ein kleines Risiko, sein Rad nicht mehr
loszuwerden.
Fazit
Radfahren macht Spaß – auch mit den beiden
getesteten Mietradsystemen. Die Einstiegshürde
ist bei beiden Systemen recht
hoch mit der aufwändigen Registrierung.
Mit der neuen Zwangs-Jahrespauschale hat
sich die DB keinen Gefallen getan und baut
damit bei Call a bike zusätzliche Hürden auf.
Wer keine Kreditkarte hat oder diese nicht
nutzen will, dem wird das Leben nicht unbedingt
leichter gemacht. Unverständlich
ist es da, dass keinerlei Prepaid-Möglichkeit
gegeben wird, einfach durch Kartenkauf in
Läden oder an Fahrkartenschaltern/Automaten
sein Konto aufzuladen und einfach
abzuradeln – wie beim Mobilfunk.
Der Preis ist ohnehin das ausschlaggebende
Problem. Mieträder werden anderswo
hervorragend angenommen. Dort ist aber
die Nutzung mindestens in den ersten 30
Minuten kostenlos. Warum das bei Call a
bike in Berlin nicht so ist, ist in Anbetracht
der bisherigen jährlichen Millionenförderung
seitens der Stadt unverständlich.
Ebenso ist die Verteilung der Mietstationen
ein Witz. Einzig direkten Anwohnern
des Kollwitzplatzes ergibt sich eine sinnvolle
Nutzung. Alle anderen Stationen befinden
sich deckungsgleich zum ÖPNV. Nicht einmal
Prenzlauer Berg konnte einer der Anbieter
komplett versorgen, was in Anbetracht
der Millionenförderung des DB-Systems
unverständlich ist. Dabei besteht gerade
in den Bezirken um den S-Bahn-Ring enormes
Potenzial. Lichtenberg, Weißensee und
Marzahn bieten schöne Radwege durch tolle
Grünflächen abseits von Hauptverkehrsstraßen.
Dort ließen sich entlang der grünen
Korridore mehr Nutzer gewinnen, die vor
allem vom Auto abgezogen werden, oder
Innenstädter in die Außenbezirke locken.
Die jetzigen Angebote bringen nur wenig
Nutzen. Zu kleine flächenmäßige Abdeckung,
zu seltene Stationen, hohe Einstiegshürden,
zu teure Tarife – das sind die offensichtlichen
Probleme der Mietradsysteme
in Berlin. Will eines der Systeme ein Berliner
Stadtrad werden, welches den Namen auch
verdient, sind das die Baustellen, an denen
massiv gearbeitet werden muss. Ein wesentlich
dichteres, wesentlich größeres Netz und
ein kostenloser Einstiegstarif mindestens für
die ersten 30 Minuten sind Pflicht für ein erfolgreiches
Stadtradsystem für Berlin. Nur
dann ist eine städtische Förderung auch gerechtfertigt.
(hm)
Berliner Fahrgastverband IGEB
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