Planung

Das Tram-Konzept der BVG

Gerettet ist die Straßenbahn für Berlin noch nicht. Aber die Chancen, daß sie in dieser Stadt eine Zukunft hat, sind gestiegen. Ausgerechnet die BVG, aus deren Reihen bis vor einem Jahr noch sehr negative Äußerungen kamen, hat sich nun in der Auseinandersetzung für und wider die Straßenbahn als treibende Kraft Pro Tram hervorgetan.


IGEB

1. Dez 1991

Zur Erinnerung: Im August hatte die AG Straßenbahn der Berliner Fahrgast- und Umweltinitiativen ihr “Tra(u)mstadt-Konzept" vorgelegt. Die Resonanz war überwältigend, bis heute treffen täglich neue Bestellungen der Broschüre ein. Im September sollte eigentlich die überfällige Vorstellung des Senatskonzeptes folgen. Doch der Tagesspiegel nahm dem Verkehrssenator die Arbeit ab, veröffentlichte und verriß das Konzept. Dies bot Senator Haase die Chance, das Senatskonzept einige Tage später in einem Interview als Vorstellungen seiner Verwaltung herunterzuspielen, die mit ihm nicht abgestimmt seien.

Ein neuer Tagespiegel-Artikel brachte den Senator dann in Zugzwang: am 26. Oktober wurde das sich grundlegend vom Senatskonzept unterscheidende Tram-Konzept der BVG öffentlich bekannt. Daraufhin präsentierte Senator Haase am 8. November ein neues Konzept seines Hauses. Vorgestellt wurde eine Kurzfassung. Mehr gibt es allerdings auch noch nicht. Nachdem die Senatsplaner ein Jahr lang ein straßenbahn-feindliches Konzept erarbeiten sollten, war es heim besten Willen nicht zu schaffen, innerhalb weniger Wochen ein fundiertes straßenbahn-freundliches Konzept vorzulegen.

Über das Tra(u)mstadt-Konzept und das erste Senatskonzept konnten Sie sich in SIGNAL 7/91 und 8/91 informieren. Das jüngste, als Kurzfassung deklarierte Senatskonzept werden Sie in SIGNAL 10/91 finden. Daß die IGEB Ihnen nach Vorlage des neuen Senatspapieres zunächst und ausführlich das Tramkonzept der BVG vorstellt, dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Erstens weigert sich Senator Haase, das BVG-Konzept der Allgemeinheit zugänglich zu machen, zweitens bildete es die Basis für die schnelle Erarbeitung des neuen Senatskonzeptes, drittens will die IGEB damit die Arbeit und die Initiative der BVG für die Berliner Straßenbahn würdigen, und viertens dokumentiert der nachfolgende Artikel die aktuellste, in einiges Punkten überarbeitete Fassung des Tram-Konzeptes der BVG.

Das BVG-Konzept

Wichtige Grundlagen des BVG-Konzeptes sind neben einer betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise bei der Bewertung des bestehenden und zukünftigen Netzes auch - und darin unterscheidet es sich qualitativ ganz wesentlich vom alten Senatskonzept

Die daraus resultierenden Anforderungen zur Bewältigung des zu erwartenden Verkehrs sind, so das Fazit der BVG, nur mit einer Modernisierung des bestehenden Tramnetzes und vor allem mit seiner zügigen Weiterentwicklung in der Innenstadt zu bewältigen. Mit Ausnahme der Wiederherstellung unterbrochener Linien und der Fertigstellung begonnener Bauabschnitte scheidet der weitere U-Bahn-Bau nach Meinung der BVG wegen seiner immensen Kosten und den daraus resultierenden jahrzehntelangen Realisienrngszeiträumen aus: “Im Interesse der städtebaulichen und verkehrlichen Entwicklung der Stadt kann nur ein modernes Stadtbahn-(Tram-)Sytem die bereits kurzfristig benötigten Verstärkungen für die bestehenden Schnellbahnsysteme bereitstellen"

Allein für den (Ost-Berliner) Innenstadtbereich wird bei dem vom Senat angestrebten Modal-Split von 80:20 (Anteil ÖPNV im Verhältnis zu MIV) ein zusätzliches Verkehrsaufkommen von täglich ca. 700.000 ÖPNV-Fahrten prognostiziert. Deshalb ist es das Hauptanliegen des BVG-Konzeptes, für die Innenstadt eine leistungsfähige und flächige Bedienung zu entwickeln, die durch U-Bahn-Linien nicht zu leisten wäre. Da gerade für die Innenstadt grundlegende städtebauliche Entscheidungen unmittelbar bevorstehen, sind die Belange des ÖPNV und insbesondere der Tram von vornherein zu berücksichtigen. Die logische Schlußfollgerung im BVG-Konzept: "Wenn der ÖPNV im Zentrum nach einem Modal-Split von bis zu 80:20 Träger des Verkehrs werden soll, muß sein Konzept auch Basis der übrigen Verkehrswegeplanung sein. Dennoch lassen Aussagen anderer Verkehrskonzepte gerade die vordringlich zu lösenden Fragen im zentralen Bereich offen."

Einige Seiten weiter wird bekräftigt: Die Prognosewerte für die gesamtverkehrliche Entwicklung "machen deutlich, daß für die Innenstadt eine dichte und leistungsfähige ÖPNV-Erschließung benötigt wird! Dies ist nur durch ein ausreichend dimensioniertes Schienensystem möglich. Die Erweiterung des U-Bahn-Netzes, insbesondere der Linie U5, sowie der Neubau von U-Bahn-Linien sind weder aus finanziellen noch aus zeitlichen Gründen ein gangbarer Lösungsweg. Ein modernes 'stadtbahnähnliches' Tramsystem kann aber ähnlich hohe Leistungswerte erzielen, wenn das Betriebskonzept, insbesondere die Netzkonfiguration und der Fahrzeugpark, auf höchste Anforderungen ausgelegt werden. Es kann bei konsequentem Einsatz attraktiver als ein alternatives U-Bahn-System sein und ist damit für den ÖPNV nachfragefördernd"

Ost-Tram und West-U-Bahn zu einem Schnellbahnnetz entwickeln

“Die Komplettierung des Tramnetzes muß gleichzeitig mit der Integration mit dem vorhandenen Schnellbahnsystem, insbesondere mit dem U-Bahn-System, erfolgen. Beide Systeme sind zu einem integralen Schienensystem zu vereinen, Das Tramsystem muß in seiner Ausprägung Funktionen als U-Bahn-Ersatz und U-Bahn-Ergänzung übernehmen und ein für den Nutzer gleichwertiger Teil eines einheitlichen Systems werden.

Planungsschwerpunkt muß die Erschließung des zentralen Stadtgebietes zwischen Zoo und Alexanderplatz mit wichtigen verkehrserzeugenden Einrichtungen sein. Für diesen Bereich sind bis zu 1 Mio. tägliche Fahrten zusätzlich zu erwarten. Gnındlage für diese Annahme sind Berechnungen unter Berück- sichtigung bekannter erster Daten (60.000 zusätzliche Arbeitsplätze, 20.000 zusätzliche Wohnungen) sowie Schätzungen für das mögliche hohe Potential, das moderne zentrale Einkaufs-, Verwaltungs- und Dienstleistungseinrichtungen bilden werden."

Anlagen und Fahrzeuge

Die BVG ist derzeit für Überraschungen gut. Eben war sie noch Betreiberin einer Museums-Straßenbahn, nun enagiert sie sich unerwartet deutlich für eine moderne Tram. Foto: M. Heller

“Die vorhandenen Anlagen und Fahrzeuge sind gekennzeichnet durch veraltete Gleisanlagen und einen großen Altbestand an Fahrzeugen (rund 40%). Der Zustand der Gleisanlagen macht eine durchgreifende Modernisierung fast des gesamten Netzes erforderlich. Anstelle der Altbaufahrzeuge müssen (zu modernisierende) Tatra-Züge auf weniger bedeutenden Linien eingesetzt werden. Dafür müssen gleichzeitig moderne Niederflurfahrzeuge als Rückgrat des Tram-Angebotes beschafft werden. Dabei ist grundsätzlich von einem zweigleisigen Einrichtungsbetrieb sowie einer Wagenbreite von 2,30 m auszugehen. ... Unter Berücksichtigung der üblichen Lieferzeiten für eine so große Anzahl Neuwagen werden nach Abschluß dieser Lieferung die inzwischen modernisierten Tatra-Wagen ihre Nutzungsdauer erreicht haben und durch weitere Neufahrzeuge ersetzt werden, so daß daraus ein kontinuierliches Beschaffungsprogramm entsteht."

Netzkomplettierung und -integration in Berlin-Mitte

"Schon auf den ersten Blick wird deutlich, daß das heutige Straßenbahnnetz in der Innenstadt (Berlin-Mitte) nur noch ein Torso ist, Wichtige Verkehrsströme werden nicht an ihr eigentliches Ziel, z.B. den Alexanderplatz oder die Friedrichstraße, gebracht, sondern daran vorbeigeführt bzw. vorzeitig zum Aus- oder Umstieg gezwungen. Die Umsteigesituation an einem der wichtigsten Bahnhöfe Berlins, dem Bf. Friedrichstraße, ist für den Fahrgast völlig unakzeptabel, da die Straßenbahn kurz vor Erreichen desselben zum Kupfergraben abbiegt. Der andere bedeutende Umsteigebahnhof, Alexanderplatz, sowie der Bereich südlich des Straßenzuges Unter den Linden wird aufgrund der Stillegung der Straßenbahn in diesem Bereich überhaupt nicht berührt.

Aus dem dargestellten Torso muß zunächst ein nachfrageorientiertes und geschlossenes Netz entwickelt werden. Die Komplettierung des Netzes in der City ist die erste Stufe und wichtigste Voraussetzung bei der Weiterentwicklung des Schienennetzes in Berlin."

“Die in einem Teilbereich eingestellten und z.T. abgebauten Straßenbahnstrecken, die durch sehr unwirtschaftliche Buslinien ersetzt wurden, weil ein gedachter U-Bahn-Bau nicht finanziert werden konnte, müssen in sinnvollem Umfang wiederhergestellt und ergänzt werden, damit unnötig gebrochene Verkehre wieder direkt bedient werden können und ein außerordentlich attraktivitätsmindernder Angebotsmangel entfällt"

Neue Töne auch zum Bus in der Innenstadt: Wegen der vorhandenen hohen Schadstoff- und Lärmbelastung ist von einer Buserschließung ... weitestgehend abzusehen. Foto: IGEB Archiv

“Im stark belasteten Straßennetz der Innenstadt sind bereits heute für eine Reihe von Straßen immissionskritische Werte festgestellt worden (Kohlenmonoxid, Stickstoff, Kohlenwasserstoffe und Lärm), die eine weitere Steigerung des Autoverkehrs nicht mehr zulassen. Aus diesem Grunde ist auch von einer Buserschließung, die ohnehin nur mittels eines dichten Busspurnetzes praktikabel wäre, weitestgehend abzusehen.

Ein moderner Trambetrieb ist wegen seiner Umweltfreundlichkeit (geringe Geräuschemission, keine lokalen Schadstoffemissionen) für eine hochverdichtete Innenstadt hervorragend geeignet und läßt sich besonders in Fußgängerzonen und Straßen mit Boulevardcharakter einpassen. Die Einbringung eines modernen Trambetriebes in der Friedrichstraße und der Leipziger Straße wird daher nicht nur für möglich, sondern für verkehrlich auch unbedingt erforderlich gehalten, zumal auch die U6 ihre Kapazitätsgrenze schnell erreicht haben wird und für Kurzstreckenfahrgäste keine Alternative zum Oberflächenverkehrsmittel darstellt."

1995: Friedrichstraße - Leipziger Straße - Grunerstraße - Alexanderplatz - Karl-Liebknecht-Straße - Prenzlauer Tor

“Dringendste und auch wichtigste Maßnahme ist im Rahmen der Netzkomplettierung zunächst die Hineinführurng des von Norden herangeführten, aber am Kupfergraben endenden Schienennetzes in das eigentliche Verkehrsziel, die Quartiere Friedrichstraße/Unter den Linden bis Friedrichstraße/Leipziger Straße und des aus östlichen Bezirken herangeführten, aber am Mollknoten tangential endenden Schienennetzes zu den eigentlichen Verkehrszielen Alexanderplatz, Berliner Rathaus, Marx-Engels-Platz, Friedrichstraße und Unter den Linden. Damit wird den Bewohnern der nördlichen und östlichen Stadtbezirke erstmalig ein ungebrochenes und vernetzes Verkehrsangebot bis in das Stadtzentrum geboten. Gleichzeitig entfällt die aufwendige Ergänzungsbedienung durch einige Buslinien (z.B. 142) ...

Ausdrücklich wird die Befahrung der Friedrichstraße mit modernen, geräuscharmen Trambahnen gefordert, um eine dichte vertikale Parallelverknüpfung mit der U6 an mehreren Stellen, der U2 und um die Verknüpfung mit dem wichtigen Verkehrsknoten Bf. Friedrichstraße sicherzustellen."

1996: Invalidenstraße - Lehrter Bf. - Reichstagsufer - Ebertstraße - Potsdamer Platz - Leipziger Straße

Als zweite, mindestens ebenso wichtige Maßnahme ist die Durchbindung der Tram über die Sandkrugbrücke zum Lehrter Stadtbahnhof anzusehen. Von hier aus ist eine Strecke nach Süden zur Erschließung des künftig hochverdichteten Gebietes entlang der Spree und um den Reichstag herum zu führen, Die ehemalige, noch teilweise vorhandene Schienenstrecke im Zuge der Ebertstraße bis zum Potsdamer Platz kann zur Erschließung dieses Gebietes und zur gleichzeitigen Vernetzung mit der vom Alexanderplatz herangeführten Strecke wieder genutzt werden ... Es ist aber auch eine westlich parallel verschobene neue Erschließungsstrecke für dieses Gebiet über die Entlastungsstraße denkbar, um nicht zu dicht am Reichstag bzw. am Brandenburger Tor entlang zu fahren, falls dies aus Sicherheitsgründen als problematisch angesehen werden sollte. Jedoch können Tramsysteme in sicherheitsrelevanten Fällen kritische Bereiche ohne Halt passieren."

1998: Lückenschluß Hackescher Markt - Spandauer Straße - Molkenmarkt

“Hier handelt es sich um eine typische Lückenschließung, um die am Hackeschen Markt ankommenden Verkehre ins Zentrum und darüber hinaus Richtung Westen und Süden weiterzuleiten und die bisherige teure und nachfragewidrige Führung des Verkehrs abzubauen un Durchmesserlinien zu bilden."

1998: Potsdamer Platz - Bahnhof Zoologischer Garten

“Am Potsdamer Platz kann und darf das Tramsystem nicht enden, denn hier wird in Zukunft nicht der Verkehr enden, sondern hier werden die Verkehre durchlaufen und sich scheiden, um in andere Richtungen weiterzufahren. Da ausreichende Ost-West-Angebote im derzeitigen ÖPNV-Netz fehlen, ist eine notwendige Durchbindung des Tramsystems in die City-West schon heute absehbar. Es sollten daher schon jetzt die planerischen Vorkehrungen getroffen werden. Die Weiterführung über Tiergartenstraße bietet sich insofern an, als ein modernes geräusch- und emissionsloses Nahverkehrsmittel wie die Tram hervorragend geeignet wäre, das Kulturforum, das Botschaftsviertel und das Hotelviertel komfortabel an das ÖPNV-Netz im Westen wie im Osten anzubinden."

Kartengrundlage: SenBauWohn V
Die BVG betont bei mehreren der geplanten Strecken, daß es sich um eine Wiederinbetriebnahme einstmals vorhandener Straßenbahnverbindungen handelt. Zu Recht, wie die beiden Kartenauschnitte zeigen: Bis zur ehemaligen Grenze sind die Gleise noch eingezeichnet. Kartengrundlage: SenBauWohn V

2000: Potsdamer Platz - Potsdamer Straße - Kleistpark

Auf der Straße, unter der einst die U10 verkehren sollte, ist im BVG-Konzept nun eine Straßenbahn vorgesehen. Mit der Verlängerung vom Potsdamer Platz zum Kleistpark werden drei Umsteigemöglichkeiten zum U-Bahn-Netz geschaffen.

2000: Alexanderplatz - Rathausstraße - Französische Straße - Ebertstraße - Potsdamer Platz

“Ein Blick auf die Innenstadtkarte verdeutlicht die klaffende Angebotslücke zwischen der nördlichen Tangente (S-Bahn-Stadtbahn) und der südlichen Tangente (Trambahn Leipziger Straße und U2). Das sich immer stärker verdichtende Quartier entlang der Französischen Straße und weiter nach Westen in das zukünftige Dienstleistungszentrum wird zwangsläufig eine solche weitere Erschließung durch eine Tramstrecke unabweisbar machen"

Das Endschleifen-Problem

“Durch diese dargestellten Maßnahmen kann die äußerst lästige und verkehrlich unsinnige Benutzung der Gleisendschleifen am Kupfergraben weitgehend überflüssig werden. Durch die vorgesehene Vernetzung werden Durchmesserlinien durch die Innenstadt ohne Endhalten und ohne Aufstellbedarf im Straßenland ermöglicht. Die Fahrgäste können, ohne an Endpunkten ein- oder aussteigen zu müssen, alle Teile in der Innenstadt variabel erreichen und wieder verlassen.

Die darüber hinaus vorhandenen Endschleifen (Stadion der Weltjugend/Olympiahalle sowie Hackescher Markt) sind dagegen, wenn auch mit teilweise reduzierter Bedeutung, auf Dauer zu erhalten, u.a. zur Bewältigung von Störungen, Straßensperrungen und veranstaltungsbedingten Sonderverkehren. Aus diesem Grund ist bei den Planungen für die “Olympiahalle sowie für die umfangreiche Mantelumbauung der Ersatz der bisherigen Endschleife Stadion der Weltjugend durch eine neue leistungsfähige Endschleife, möglichst westlich des Hallenstandortes, vorzusehen.

Zusätzliche Endstellen sind dagegen bei diesem Konzept in städtebaulich sensiblen Bereichen nicht nötig. Lediglich am Lehrter Bf. (Zentralbahnhof) sowie am Kulturforum werden aufgrund deren verkehrlicher Bedeutung bzw. der erwarteten verkehrlichen Ausprägung (Zwischen-) Endpunkte erforderlich."

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Verknüpfung von Ostberliner Tram und Westberliner U-Bahn

“Neben der Komplettierung des innerstädtischen Tramnetzes im Bezirk Mitte ist eine sinnvolle und homogene Verknüpfung des Ostberliner Tramnetzes mit dem Schienennetz des Westteils der Stadt als weitere Zielstellung eines Verkehrskonzeptes für die Berliner Tram folgerichtig. Zur Integration der beiden Verkehrsnetze sind folgende Verlängerungen von Tramstrecken, die zugleich als Lückenschlüsse anzusehen sind, vordringlich und sollten daher ebenfalls unverzüglich in Angriff genommen werden."

1996: Wiederherstellung der Straßenbahn zwischen Wedding und Prenzlauer Berg

“Bisher endet die vom südlichen Endpunkt Revaler Straße kommende Linie 3 an der Bornholmer Straße Ecke Björnsonstraße im Bezirk Prenzlauer Berg. Seit Öffnung der Mauer hat sich an dieser Stelle der frühere dichte Verkehr zwischen den Stadtbezirken Wedding und Prenzlauer Berg wieder eingestellt. Eine Wiedereröffnung des ehemaligen Straßenbahnnetzes anstelle des derzeitigen Busersatzverkehrs erscheint angesichts der außerordentlich starken Inansbruchnahme dieser Verbindung geboten. Eine Verlängerung der Linie 3 über die Bösebrücke, Bornholmer und Osloer Straße zur Seestraße verbindet darüber hinaus die wichtigen Nord-Süd-Schnellbahnlinien (S1, 8, 85, 86 und 10, U6, 8 und 9) in Ost-West-Richtung.

Die frühere Straßenbahntrasse auf dem Mittelstreifen der Osloer Straße steht noch zur Verfügung und kann entsprechend wieder genutzt werden. Die Führung der Tram muß auch im Bereich der Bösebrücke zweigleisig sichergestellt werden, gegebenenfalls ist eine Brückenerweiterung vorzusehen. Eine eingleisige Streckenverlängerung, womöglich aus statischen Gründen, entspräche keiner modernen Lösung, ihr kann aus verkehrlichen, betrieblichen sowie Sicherheitsgründen nicht zugestimmt werden.

Im Bereich der Seestraße ist die Einrichtung einer Gleisschleife erforderlich, zumal hier eine Blockumfahrung möglich ist. Da eine moderne Tram beinahe geräuschlos fährtt, ist eine Lärmbelästigung der Anlieger weitestgehend auszuschließen."

1996: Wiederherstellung der Straßenbahn über die Sandkrugbrücke

“Derzeit verbindet die Linie 4 als Rest des ehemaligen Straßenbahnringes noch den Jahn-Sportpark im Bezirk Prenzlauer Berg und den S-Bf, Warschauer Straße. Auch hier bietet es sich an, die Linie über die ehemalige Grenze hinaus zu verlängern, Durch diese Verbindung würde in Richtung Westen eine komplettierende Verbindung vom Jahn-Sportpark über Bernauer Straße, S-Bf. Nordbahnhof, Invalidenstraße (U-Bf. Zinnowitzer Straße) und die Sandkrugbrücke bis zum Lehrter Stadtbf. (Zentralbahnhof geplant) hergestellt, Aufgrund der oben geschilderten verkehrlichen Bedeutung des Zentralbahnhofs und seines Umfeldes ist eine leistungsfähige Trasse in der Invalidensıraße und über die neuzubauende Sandkrugbrücke unbedingte Voraussetzung."

1996: ÖPNV Erschließung des geplanten Zentralbahnhofs in Ost-West-Richtung

“Der künftige Zentralbahnhof bedarf aufgrund seiner hohen verkehrlichen Bedeutung unbedingt einer ausreichenden Ost- West-Erschließung mit einem Leistungsfähigen Schienenverkehrssystem. Da es nicht denkbar ist, eine U-Bahn-Linie zeitgerecht zu finanzieren und zu bauen, bietet sich - wie bereits erwähnt - die vernetzte Erschließung durch die Tram an.

Als einer der ersten Schritte wurde der Lückenschluß vom Zentralbahnhof über das Regierungsviertel, Ebertstraße, Brandenburger Tor zum Potsdamer Platz bereits vorgetragen. Damit wäre eine weitere Vermaschung des Tramnetzes in der City zu erreichen und eine effektive und leistungsfähige Verbindung des künftigen Berliner Zentralbahnhofes mit dem Ostteil der Stadt (Bezirke Prenzlauer Berg, Friedrichshain Sowie Teile von Mitte und Wedding) sowie eine Verknüpfung dieser Bereiche mit S-(Stadt-)Bahn und Fernbahn gegeben.

Ein zweiter Streckenabzweig im Bereich Lehrter Bahnhof über U-Bf. Turmstraße zum U-Bf. Mierendorffplatz wäre eine wichtige Verbindung des neuen Zentralbahnhofs mit Moabit und Charlottenburg und Umsteigemöglichkeiten zu wichtigen Schnellbahnen (U7 und U9) ...

Nur eine in der obigen Weise vorzunehmende Erschließung des Zentralbahnhofs wäre in der Lage, das zu erwartende Verkehrsaufkommen von ca. 200.000 Fahrgästen/Besuchern etc. zu bewältigen. Jede andere nichtvernetzte Lösung, wie sie in ersten Planungsentwürfen vorgelegt wurde, dürfte den sich entwickelnden Bedarfsverhältnissen nicht gerecht werden."

1994: Wiederherstellung der Straßenbahn über die Oberbaumbrücke

“Der südlichste Endpunkt des ehemaligen Berliner Straßenbahnringes der Linie 3 ist derzeit an der Revaler Straße. Eine Verknüpfung mit der S-Bahn am Bahnhof Warchauer Straße ist nur bedingt vorhanden, da eine Entfernung zwischen beiden Punkten von rund 200 m als Fußweg überbrückt werden muß. Eine weitere Heranführung der Tram über die Warschauer Brücke und ihre Weiterführung über die Oberbaumbrücke bis zum U-Bahnhof Schlesisches Tor wäre die richtige und der Bedeutung dieses Knotens adäquate Maßnahme und zugleich eine Wiederherstellung des alten Zustandes ... Die Weiterführung der Tram über die Brücke bietet neben der Parallelverknüpfung die Möglichkeit der Anlage einer ersten Endschleife um die Grünanlage am Gröbenufer.

Darüber hinaus bietet sich ... die Möglichkeit, in einem weiteren Schritt vor allem in Richtung Berlin-Mitte über die Köpenicker Straße bzw. in Richtung Neukölln neue Angebote zu schaffen und damit auch in diesem Teil der Innenstadt vorhandene Lücken zu schließen bzw, den Vernetzungseffekt zu erhöhen."

2000: Wiederherstellung der Straßenbahn über die Schillingbrücke

Der für 1996 vorgesehene Straßenbahnabzweig von der Leninallee über Friedenstraße und Straße der Pariser Kommune zum Hauptbahnhof soll anschließend nach Kreuzberg weitergeführt werden. Die Trasse verläuft über Schillingbrücke, Engelbecken und Adalbertstraße zum Kottbusser Tor (U1, U8).

Netzverknüpfungen im Südosten

“Auch ab S-Bf. Adlershof bietet sich eine neue Verbindung an. So sollte die Linie 84 anstatt nach Altglienicke - Am Falkenberg besser in Richtung Westen verlängert werden und zwar vom S-Bf. Adlershof über Rudower Chaussee, Neudecker Weg bis zum U-Bf, Rudow. Eine solche tangentiale Verbindung schließt die Lücke zwischen zwei südlichen Berliner Stadtbezirken mit einem modernen und schnellen Verkehrsmittel und trägt ihren Teil bei zum Zusammenwachsen der Stadt. Darüber hinaus läßt die beabsichtigte städtebauliche Neuordnung des ehemaligen Flugplatzgeländes Johannisthal sowie von dessen Umfeld eine erhebliche zusätzliche Nachfrage für die dargestellte Verbindung erwarten, so daß ohnehin eine Anbindung in dieser Richtung benötigt wird.

Der S-Bf. Schöneweide ist ein geeigneter Ausgangspunkt für eine zweite Verbindung, um die ehemaligen getrennten Verkehrssysteme Ost und West attraktiv zu verknüpfen und zu einem System zu integrieren. Die bereits vorhandenen Strecken der Linien 17 und 85 ... sind bereits heute stark frequentierte Abschnitte dieser Gesamtrelation. Der derzeitige Endpunkt Haeckelstraße ist Ohnehin verkehrlich ungünstig, da der Hauptsiedlungsschwerpunkt im weiteren Verlauf des Sterndammes bis zur Stubenrauchstraße liegt. Eine Verlängerung bis dorthin halten wir für unabdingbar und sollte bereits kurzfristig vorgesehen werden. Längerfristig könnte dann auch eine Verlängerung über die Massantebrücke und Stubenrauchstraße zum U-Bf. Zwickauer Damm realisiert werden, um die gesamte zweite Netzverknüpfung zwischen Rudow und dem Industriegebiet Schöneweide sowie den Stadtteilen Karlshorst und Friedrichsfelde bzw. Köpenick herzustellen. Das in der Stubenrauchstraße liegende Gleis kann dabei miteinbezogen werden."

Neue Aufgaben für die Tram im Raum Pankow/Weißensee

“Die Zukunft des Pankower Tramnetzes wird maßgeblich bestimmt durch die künftige städtebauliche Entwicklung und übergeordnete Verkehrsplanung. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß im Raum Blankenfelde/Buchholz schwerpunktmäßig der Bau von ca. 16.500 Wohnungen geplant und in Niederschönhausen und Wilhelmsruh Verdichtungen von zusätzlich 1.300 bis l.700 Wohnungen vorgesehen sind, Über die Entwicklung des Ortsteils Rosenthal in Verbindung mit dem Märkischen Viertel gibt es noch keinerlei städtebauliche Konkretisierungen.

Diese Karte zeigt, wie es nach den Vorstellungen der BVG im Jahr 2000 in Berlin-Mitte aussehen soll. Aus dem heutigen Torso ist ein richtiges Tramnetz geworden. Karte: BVG

Unter der Voraussetzung der unabdingbar zu fordernden Verlängerung der U2 bis Pankow Kirche kann eine modernisierte Tram das weitere Grundgerüst des öffentlichen Nahverkehrs im Norden Pankows bedeuten. Dafür bestehen im Pankower Netzteil günstige Voraussetzungen. Die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Tram-Linien können nach Verlängerung der U2 bis Pankow, Kirche dort ideal verknüpft werden. Die gesammelten Verkehrsströme können von hier aus durch die U-Bahn in die Innenstadt weitergeleitet werden. Damit entfällt endlich auch die verkehrlich wie wirtschaftlich äußerst unglückliche Parallelführung von Tram und U2 in der Schönhauser Allee. Das nördliche Tramnetz kann dennoch mit dem übrigen Tramnetz verbunden bleiben.“

Zur Erschließung Buchholz/Blankenfelde “ist festzuhalten, daß der nach erfolgtem intensivem Wohnungsbau in Buchholz zu erwartenden starken Nachfrageentwicklung weiterhin durch eine modernisierte Tramstrecke entsprochen werden muß. Bereits heute befördert die in diesem Bereich verkehrende Tramlinie 49 am Querschnitt Pankow, Kirche werktäglich ca. 11.000 Personen. In Verlängerung dieser Linie werden heute bereits werktäglich mit der Buslinie 227 ca. 20.000 Fahrgäste befördert. Eine Umstellung dieses Busbetriebes auf Trambetrieb mindestens bis Osloer Straße ist damit schon jetzt gerechtfertigt, dürfte aber spätestens nach dem Ausbau von Buchholz/Blankenfelde als verlängerte Tramstrecke unabweisbar nötig werden. Insofern ist auch schon eine kurzfristige Betriebsumstellung dieser Art wirtschaftlich sinnvoll und würde eine verbesserte Bedienungssituation darstellen."

“Im Zusammenhang mit der erwarteten intensiven Bebauung des Gebietes Buchholz/Blankenfelde auch eine Tangentialverbindung in Richtung Weißensee erforderlich werden. Hierzu bietet es sich an, den Nordabschnitt der Linie 49 (nach entsprechendem Ausbau) über den Verknüpfungspunkt S-Bf. Heinersdorf mit dem Nordabschnitt der Linie 71 und dem Endpunkt der Linien 10/24 über die Rennhahnstraße zu verbinden. Gleichzeitig entsteht damit eine direkte Verbindung von Pankow nach Weißensee bzw. weiter bis Hohenschönhausen. Diese sowie die beschriebene Tangentiale über Wollankstraße schließen die heute noch fehlenden Schienenverbindungen zwischen Pankow und Wedding sowie Pankow, Buchholz und Weißensee."

Baustelle der U8 unter dem Eichborndamm. Foto: Th. Billik
Weidendammer Brücke im Züge der Friedrichstraße. Mit Erneuerung der Brücke ab 1992 wird die Straßenbahn stillgelegt - nach den Plänen des Verkehrssenator für immer. Erfreulicherweise will sich die BVG damit nicht abfinden: Ausdrücklich wird die Befahrung der Friedrichstraße mit modernen geräuscharmen Trambahnen gefordert, heißt es im BVG-Konzept. Doch nicht nur in der Friedrichstraße engagiert sich die BVG pro Tram. Denn: Das innerstädische U-Bahn-Netz wird schon bald seine Kapazitätsgrenze erreichen und die Erweiterung des U-Bahn-Netzes ... sowie der Neubau von U-Bahn-Linien sind weder aus finanziellen noch aus zeitlichen Gründen ein gangabarer Lösungsweg. Foto: M. Horth

In östlicher Richtung soll diese “Nordtangente“ zum Jahr 2000 bis nach Ahrensfelde verlängert werden.

Exkurs zur Linie 22

“Eine Verlängerung der Linie 22 durch das Märkische Viertel (MV) zum S- bzw. U-Bf. Wittenau (Nordbahn) erscheint dagegen z.Z. noch nicht sinnvoll. Erst wenn die Bebauungsdichte im Raum Rosenthal wesentlich zunimmt und sich die Verkehrsbeziehungen zwischen dem MV und Pankow verstärken, könnte eine solche Maßnahme ins Auge gefaßt werden. Ohne eine intensivere Bebauung ist sogar von der derzeitigen unattraktiven Straßenbahnbedienung zugunsten einer nachfrageorientierteren Busbedienung Abstand zu nehmen.“

Perspektiven für die Tram in Köpenick

“Das Köpenicker Netzteil ... nimmt im Rahmen des Berliner Straßenbahnnetzes eine Sonderstellung ein, da es eine separate, auf die Altstadt ausgerichtete, sternförmige Grundstruktur besitzt und nur über eine einzige Strecke mit dem übrigen Netz verbunden ist. Die für die Straßenbahn relevanten städtebaulichen und verkehrlichen Entwicklungspotentiale betreffen zum einen die Altstadt Köpenick als zu sanierendes und denkmalgeschütztes städtebauliches Ensemble und zum anderen den starken Ausflugsverkehr.

Besonders die Stärkung des Oberzentrums Köpenick ist eine stadtplanerisch bedeutsame Aufgabe, bei der die Straßenbahn einen wichtigen Anteil leisten kann. Dabei schließen sich eine Aufwertung der Altstadt und ein Erhalt der Tram keineswegs aus, da viele Beispiele zeigen, wie Straßenbahnen in sonst weitgehend verkehrsberuhigten, historischen Arealen ein attraktives Verkehrsangebot sein können.

Die verkehrliche Zukunft in Köpenick liegt demnach nicht in einer Netzerweiterung, sondern in einer Modernisierung und Erneuerung der Anlagen und Fahrzeuge sowie ggf. Straffungen des Netzes.

Längerfristig ist die Frage zu stellen, inwieweit die Entwicklung des Verkehrsaufkommens die Beibehaltung aller Teile des Netzes in seiner heutigen Form rechtfertigt. Dabei muß man davon ausgehen, daß der Abschnitt Adlershof - Altglienicke - Am Falkenberg der Linie 84, der überwiegend in eingleisiger Strecke einen relativ dünn besiedelten Bereich bedient, langfrist nicht mehr vertretbar sein wird ...

Ob eine Verbindung zwischen Friedrichshagen und der Straßenbahn Schöneiche/Rüdersdorf hergestellt werden kann, wird sich erst in Zukunft zeigen. Zum einen gewinnt das Köpenicker Oberzentrum zunehmend an Anziehungskraft und zum anderen sind die Kosten einer Umspurung der Schöneicher Meterspur auf Berliner Normalspur zu berücksichtigen und die Entwicklung im Bereich Schöneiche/Rüdersdorf ausschlaggebend.

Problematisch erscheint aus betriebwirtschaftlicher Sicht die Frage der Aufrechterhaltung des Tram-Betriebs im Bereich Friedrichshagen. Insbesondere die Strecke zwischen Friedrichshagen und Rahnsdorf der Linie 25 als S-Bahn-Parallelverkehr dürfte auf lange Sicht nicht haltbar sein, da eine Verlängerung, die der Strecke zusätzliche Fahrgäste bringen würde, als wenig realistisch anzusehen ist. Hier sind laufende Bedarfs- sowie Kosten-Nutzen-Analysen erforderlich."

Tangentialverbindungen

“Neben den auf die Innenstadt ausgerichteten Radialen sollte mit einer Tangentialverbindung aus dem Bereich Hohenschönhausen nach Oberschöneweide ein Wohn- und Arbeitsstättenschwerpunkt miteinander verbunden werden. Aus entwicklungspolitischen Gründen sollten mit der Straßenbahnmodernisierung nicht nur auf das Zentrum ausgerichtete Strecken gefördert werden, sondern auch zwischenbezirkliche Verbindungen zur Stärkung und Erhaltung der Berliner polyzentrischen Struktur. Vor dieser Ausbau-Entscheidung ist aber auf jeden Fall eine Bedarfsberechnung sowie eine Kosten-Nutzen-Betrachtung erforderlich, um sicherzustellen, daß eine dauerhafte Auslastung gegeben ist.

Der neueste Entwurf zum Flächennutzungsplan (FNP) für das gesamte Berlin sieht ebenfalls eine deutliche Verdichtung des Gebietes in Mahlsdorf vor. Die bisherige Struktur von Wohnen und Arbeiten soll dabei erhalten werden. Unter dieser Voraussetzung kann die heutige Straßenbahnstrecke Köpenick - Mahlsdorf erhalten bleiben und bei entsprechender Nachfrage vom Hultschiner Damm über die Ridbacher Straße zum U-Bf. Hellersdorf verlängert werden."

2,65-Fahrzeuge auf den Relationen Marzahn bzw. Weißensee - Stadtmitte

“Im Osten Berlins befinden sich in den Bezirken Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen große Neubauwohngebiete. Die verkehrliche Erschließung erfolgt bisher mit einer U-Bahn-, zwei S-Bahn- und zwei Straßenbahnstrecken. Angesichts des goßen Verkehrspotentials von ca. 420.000 Einwohnern stellt sich die Frage nach weiteren, besseren Verkehrsanschlüssen. Die Vorstellungen, neue U-Bahn-Linien im Zuge der Leninallee und Berliner Allee zu bauen, lassen sich angesichts der hohen Kosten und des langen Realisierungszeitraums nicht vertreten. Wenn die vorhandenen Straßenbahnstrecken Stadtbahnqualität eralten, können sie diese Siedlungsschwerpunkte angemessen in hoher Qualität bedienen. Allerdings sollte die Option offengehalten werden, die Verbindungen von Hohenschönhausen und Marzahn zur Innenstadt längerfristig mit 2,65 m breiten Stadtbahnwagen ausrüsten zu können, was der hohen Nachfrage, aber auch den langen und mittleren Reiselängen der Fahrgäste auf dieser Relation besser entgegenkommen dürfte.

Beide Linien könnten direkt zum Alexanderplatz geführt werden, wobei die vorhandenen Gleispaare, die ursprünglich für die U10 geplant waren, benutzt werden. Die Tunnelanlagen sind bereits für das U-Bahn-Großprofil, also 2,65 m breite Fahrzeuge, vorbereitet"

Gestaltungsgrundsätze zum Streckennetz

“Die Strecken des künftigen Berliner Tram-Netzes müssen folgenden Grundsätzen entsprechen:

Grundsätze zur Fahrzeugestaltung

“Die in Berlin vorhandenen Fahrzeuge entsprechen in keiner Weise den heute gestellten Anforderungen an ein modernes Tramsystem ... Folgende Parameter für den künftigen Fahrzeugtyp werden zugrundegelegt:

Grundsätzlich besteht die Wahl zwischen Ein- und Zweirichtungsfahrzeugen ... Nach Abwägung der Vorteile der beiden unterschiedlichen Wagentypen sollen die neuen Fahrzeuge, wie bisher in Berlin üblich, Einrichtungsfahrzeuge sein. Dies bietet sich schon allein deswegen an, weil das vorhandene Netz vollständig mit Endschleifen ausgestattet ist und nur wenige neue Endschleifen oder Dreieckskehren hinzugebaut werden müssen, deren Kosten im Verhältnis zu allen übrigen Streckenbaumaßnahmen zu vernachlässigen sind. Nur ein geringer, ca. l0%iger Anteil am Fahrzeugpark sollte in Zweirichtungsversion ausgestattet werden, um im Verstärkungs- und Störungsdienst eingesetzt zu werden ... Die Kosten eines neuen Niederflurwagens liegen je nach Ausstattung zwischen 3,7 und 4,1 Mio. DM."

Als dringendste und auch Wichtigste Maßnahme sieht das BVG-Konzept für 1995 die Fertigstellung der Tramverbindung Friedrich-/Leipziger Straße vor. Ein Trambetrieb in diesen Straßen wird von der BVG nicht nur für möglich, sondern für verkehrlich auch unbedingt erforderlich gehalten, zumal auch die U-Bahn-Linie 6 ihre Kapazitätsgrenze schnell erreicht haben wird und für Kurzstreckenfahrgäste keine Alternative zum Oberflächenverkehrsmittel darstellt. Bereits als Bestand eingetragen sind in der Karte Planungsjahr 1995 die Verlängerungen der Ringlinie zu den U-Bahnhöfen Zinnowitzer Straße und Schlesisches Tor, weil diese nach den Vorstellungen der BVG schon 1994 realisiert werden sollen. Karte: BVG

Realisierbarkeit und Kostenüberlegungen

“Die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen können derzeit nur pauschal abgeschätzt werden. Grundlage bilden die Ergebnisse der Gutachten über die Wiedereinführung der Straßenbahn, die im Frühjahr 1991 der Senatsverwaltung für Verkehr vorgelegt wurden. Aufgrund dieser Arbeiten werden folgende Kosten angesetzt:

Die Komplettierung und Modernisierung des Netzes im Bereich Mitte umfaßt ca. 22 km Neubau und 4 km Modernisierung und kostet rd. 230 Mio. DM.

Die Verknüpfung des vorhandenen Tramnetzes mit dem Schnellbahnnetz im Westteil der Stadt umfaßt den Neubau von ca. 21 km und die Modernisierung von ca. 14 km mit Kosten in Höhe von 200 Mio. DM.

Für die Modernisierung und den Ausbau der wichtigsten vorhandenen Ostberliner Tramstrecken auf Stadtbahnniveau und Komplettierung des Netzes müssen ca. 150 Mio. DM angesetzt werden.

Die Grundinstandsetzung des gesamten übrigen Tramnetzes wird mit 330 Mio. DM veranschlagt.

Für das im Jahr 2000 konzipierte Netz werden ca. 950 Fahrzeuge benötigt; davon werden etwa 500 Wagen Neubaufahrzeuge sein müssen. Die Kosten für die Neubaufahrzeuge, die bis dahin beschafft sein müssen, betragen überschlägig ca. 1,85 Mrd. DM.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen können realisiert werden, wenn

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Daß die BVG von sich aus die Initiative ergriff und ein Konzept für die Modernisierung und den Ausbau des Tramnetzes erarbeitete, das spricht für die BVG und ist zu begrüßen. Damit wurde - für manchen überraschend - klar, daß neben den Fahrgast- und Umweltinitiativen auch der Betreiber dem Verkehrsmittel Straßenbahn eine große Bedeutung für die Bewältigung des zukünftigen Berliner Verkehrs beimißt.

Bemerkenswert ist insbesondere die realistische Einschätzung hinsichtlich des zukünftigen U-Bahn-Baus. Hier spricht die BVG aus, was Verkehrsexpenen seit Jahren wissen und Fahrgäste seit Jahrzehnten zu spüren bekommen: Die Baukosten neuer U-Bahn-Strecken stehen in keinem Verhältnis zu deren Nutzen, und wegen der hohen Kosten lassen sich Verbesserungen für ÖPNV-Benutzer durch neue U-Bahn-Strecken nur im Schneckentempo realisieren. Im relativ wohlhabenden West-Berlin waren es durchschnittlich gerade mal 1,5 km U-Bahn-Strecke pro Jahr, mit sinkender Tendenz. Zukünftig braucht die sehr viel ärmere Gesamtstadt jede Mark zur dringend benötigen Wiederinbetriebnahme von außer Betrieb gesetzten S- und U-Bahn-Strecken, so daß Gelder für den U-Bahn-Neubau in diesem Jahrhundert mit Sicherheit nicht mehr zur Verfügung stehen werdenn Vor diesem Hintergrund wird das U-Bahn-Bautempo dem Stadtentwicklungstempo, insbesondere im City-Bereich, nicht annähernd genügen können, so daß die BVG zurecht gegen den Neubau von U-Bahn-Strecken ist.

Die Erkenntnis anderer Städte, daß ein modernes Straßenbahnnetz, ausgerüstet mit überwiegend eigenen Bahnkörpern und Vorrangschaltungen an den Ampeln, den Fahrgästen mindestens die gleiche, wenn nicht sogar eine höhere Attraktivität bieten kann, hat die BVG zur Grundlage ihres Trambahn-Konzeptes gemacht.

Eckpfeiler im BVG-Tram-Netz in die Tramstrecke durch Friedrich- und Leipziger Straße, die schon aus Gründen der zu erwartenden Kapazitätsengpässe auf den U-Bahn-Linien 2 und 6 unverzichtbar sein wird, die aber vor allem auch eine direkte und umsteigefreie Erreichbarkeit der Friedricchstadt, insbesondere aus den drei östlichen Hauptradialen erlaubt. Mit diesem bis zum Jahr 1995 zu realisierenden Kernstück der Netzerweiterung im Bezirk Mitte zieht die BVG auch die Konsequenzen aus der zu erwartenden rasanten Bautätigkeit in der City-Ost. Der vom Berliner Senat angestrebte 80%ige ÖV-Anteil ist nur auf diesem Wege zu erreichen, weil allein mit der Tram eine hohe Zahl von Direktverbindungen und eine kleinräumige Vernetzung von Linienästen zur Vermeidung von Umsteigezwängen erreichbar sind. Zusammen mit den anderen im Bereich Mitte geplanten Neubaustrecken (insg. rund 22 km) ist ein hochattraktives und leistungsfähiges Innenstadtnetz bis zum Jahr 2000 realisierbar; das mit geschätzten Kosten von 230 Mio DM etwa so viel kostet wie 1,5 km Berliner U-Bahn-Neubau.

Unverständlich bleibt jedoch die Tunneloption der BVG für die Verbindung Mollknoten - Hans-Beimler-Straße - Alexanderplatz. Die Nachteile einer derartigen unterirdischen Verknüpfung zum Alexanderplatz sind bereits in SIGNAL 8/91 dargelegt worden. Sowohl die daraus resultierenden Investions- und Betriebskosten als auch die städtebaulichen Konsequenzen und der Realisierungszeitraum sind unvereinbar mit den von der BVG selbst formulierten, vorstehend erläuterten Zielen. Und ob es überhaupt gelingt, die Linien aus der am stärksten frequentierten Radiale Leninallee über oder besser unter der Hans-Beimler-Straße zum Alexanderplatz zu führen, bleibt im BVG-Konzept offen. Städtebauliche Probleme (2. Rampe zwischen Mollstraße und Alexanderplatz) und vor allem die begrenzte Leistungsfähigkeit des Tunnels würden möglicherweise dazu führen, daß die Radiale Leninallee auch dauerhaft nur mit unattraktiven und kostenträchtigen Umwegen über Karl-Liebknecht-Straße zum Alexanderplatz zuführen wäre.

Der zweite wesentliche Baustein des BVG-Tram-Konzeptes ist die kurzfristige Verlängerung der Tram nach West-Berlin, um die Verknüpfung zum dort bestehenden System von S- und U-Bahnen und zu den benachbarten Bezirkszentren zu erreichen. Bis zum Jahr 2000 sollen weitere 21 km Neubaustrecke die Grundlage für das verkehrliche Zusammenwachsen der Stadt bilden. Positiv hervorzuheben ist auch, daß das BVG-Tramkonzept die polyzentrische Stadtstruklur Berlins berücksichtigt.

Wichtig ist ferner, daß die BVG (soweit dies chon möglich ist) die zukünftige Siedlungsentwicklung in ihrem Tramkonzept berücksichtigt hat. Während Verkehrssenator Haase noch vor kurzem das Pankower Netz ohne Perspektive sah, gewinnt es unter Berücksichtigung der enormen Wohnbaufächen bei der BVG eine völlig neue Bedeutung. Der Wermutstropfen im BVG-Konzept, daß die Tram in der Schönhauser Allee nach Verlängerung der U2 bis Pankow, Kirche eingestellt wird, sollte nicht dramatisiert werden, denn bei genauerer Analyse der bestehenden und zukünftigen Verkehvrsbeziehungen wird sich der BVG-Vorschlag als unhaltbar erweisen. Auf der wichtigsten Einkaufsstraße im Nordosten Berlins kann man bei U-Bahnhofs-Abständen von mehr als 1 km die Tram nicht als unwirtschaftlichen Parallelverkehr abtun. Notwendig ist hier eine verbesserte Vernetzung der Tramlinien über Bornholmer; Wisbyer und Dimitroffstraße, um die Schönhauser Allee aus den benachbarten Ortsteilen besser zu erreichen.

Unverständlich bleibt die BVG-Position zum Märkischen Viertel. Den Nachweis, daß sich eine U-Bahn in das MV nicht rechne, erbrachte die BVG selbst bereits vor Jahren. Gleichzeitig gehört das MV mit Querschnittsbelastungen von z.T. fast 10.000 Fahrgästen je Tag und Richtung zu den Abschnitten im BVG-Busnetz, bei denen die Wirtschaftlichkeit einer Tram völlig außer Frage steht. Herr Ludwıg, Leiter der Karlsruher Verkehrsbetriebe, referierte auf der 1. Sitzung der Berliner Verkehrswerkstatt, daß ab 5.000 Fahrgästen je Richtung und Tag die Straßenbahn betriebswirtschaftlich günstiger sei, als der Bus. Und für einzelne Streckenverästelungen könnten die Fahrgastzahlen durchaus noch niedriger sein, wenn dies die Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems verbessert, Gerade die an anderer Stelle in den Vordergrund der BVG-Argumentation geruckten wirtschaftlichen Gesichtspunkte sprechen daher für die Tram in das MV!

Während die Tram von der BVG insgesamt offensiv und zukunftsweisend vertreten wird, stellt der Betrieb das Köpenicker Netz wegen seiner Meinung nach - auch zukünftig niedriger Fahrgastzahlen unter einen betriebswirtschaftlichen Vorbehalt, ohne jedoch Überlegungen zur Attraktivitätssteigrung und zur Erhöhung der Fahrgastzahlen anzustellen. Ein Blick in das von Fahrgast- und Umweltinitiativen vorgelegte "Tra(u)mstadt Berlin"- Konzept hätte da schon weiter geholfen. Mit 300 m Neubaustrecke durch die Müggelheimer Straße würde man nicht nur eine Beschleunigung der Tram erreichen, sondern auch direkte Linienführungen zum S-Bf Spindlersfeld. Und mit einer 1 km langen Neubaustrecke ließe sich das Salvador-Allende-Viertel mit seinen 20.000 Einwohnern fast vollständig durch die Tram erschließen. Was für die Gesamtstadt gilt, muß auch für Köpenick gelten: Eine höhere Wirtschaftlichkeit des Gesamtnetzes erreicht man nicht durch Stillegung von einzelnen - eventuell auch schwach frequentierten - Streckenästen, sondern durch eine möglichst vollständige Verlagerung aller ÖPNV-Benutzer auf die Tram. Gerade Köpenick bietet die Chance dafür!

Zu diskutieren bleiben auch noch einige betriebliche Aspekte im BVG-Konzept. Die Festlegung auf Einrichtungsfahrzeuge ist auf der Grundlage des vorhandenen Netzes sicherlich zu vereteten jedoch dürfte die Durchsetzung von neuen endeschleifen zumindest bei den Verlängerungsstrecken nach West-Berlin zu Ärger und Verzögerungen führen und die Akzeptanz der Tram erschweren. Das Berliner Tramnetz ist schon heute und erst recht zukünftig groß genung, so daß die Zahl der notwendigen Fahrzeuge problemlos den Bestand von Einrichtungs- wie auch von Zweirichtungsfahrzeugen erlaubt, die nach den spezifischen Anforderungen einzelner Linien bzw. Strecken eingesetzt werden sollten. Im Interesse der kurzfristigen Realisierbarkeit der Verknüfungsstrecken nach West-Berlin sollten auf der Basis des Bremer Wagens zunächst jedoch Zweirichtuns-Wagen beschafft werden, die von den Frankfürter Stadtwerken bereits als Serienfahrzeug bestell worden sind.

Schließlich ist noch die BVG-Option zur späteren Umrüstung der Hauptradialen auf 2,65 m breite Fahrzeuge kritisch zu hinterfragen. Die Konsequenz wäre nämlich faktisch eine Aufteilung des Netzes in ein 2,30 und ein 2,65 m-Netz, da für Fahrgäste das Aus- und Einsteigen in ein 2,30 m breites Fahrzeug an einer für 2,65 m ausgelegten Haltestelle aus Sicherheitsgründen nicht zumutbar ist. Nur mit einem unverhältsmäßigen konstruktiven Aufwand an den 2,30 m- Fahrzeugen wäre dies Problem zu lösen. Deshalb ist es wahrscheinlicher, daß ein wesentliche Qualität des bestehenden Tram-Netzes, nämlich die direkte Verknüpfung der Großsiedlungen mit den radialen wie auch den tangentialen Verbindungen, zerstört würde.

Dennoch: Insgesamt ist das BVG-Tramkozept mehr als nur ein Strategiepapier, und es ist mehr als nur eine gute Grundlage für die Diskussion um die verkehrsspolitische Zukunft der Stadt. Mit der Benennung von Kerpunkten der Netzentwicklung hat die BVG im Eilverfahren nachgeholt, was die Verkehrsverwaltung in den letzten 2 Jahren versäumt hatte. Das BVG-Konzept hat die Tram in Berlin ein gutes Stück vorangebracht.

IGEB

aus SIGNAL 9/1991 (Dezember 1991), Seite 11-19