Wieso spricht kaum noch jemand
von der „Flächenbahn"?
Streckenstillegungen sind nicht das
Hauptproblem der auslaufenden 90er Jahre,
es sind die Netzabkoppelungen der
Bahnhöfe und der Verfall der Gebäude.
Was da in Kinderstuben auf HO-Größe mit
Freude zusammengeklebt wird, sieht in
natura weit weniger hübsch aus. Bahnhöfe,
Nebengebäude und die selbst an kleinen
Stationen ausufernden Bahnanlagen
haben den Zustand der Romantik längst
verlassen. Schmierereien, Verschmutzungen,
Zerstörungen und Wind und Wetter
haben manche „Schnittstelle zwischen
Bahn und anderen Verkehrsmitteln" in einen
nachkriegsähnlichen Zustand gebracht.
Und dies ist nicht nur in den neuen
Bundesländern zu besichtigen, wo viele
Menschen den Verfall mit gewissem Verständnis
und einem Schuß Genugtuung
als Denk-Mal „So-war-der-Kommunismus"
ansehen. Nein, das ist deutschlandweit so,
sobald mensch die ICE-Strecken verläßt.
Ein Denk-Mal „So-ist-der-Kapitalismus",
wenn die Marktwirtschaft nicht funktioniert.
Man erlaube diese Gedanken: In einen
solchen Zustand wären die Bahnhöfe
nicht abgerutscht, auf denen Reichsbahnerinnen
und Reichsbahner mit allen zur
Verfügung stehenden „nicht vorhandenen
Mitteln" ihren Bahnhof gepflegt haben.
Probleme sind
häufig hausgemacht
Die Teilung des Unternehmens Bahn: Das
Personal vor Ort ist nicht zuständig und
darf auch nicht aus Eigeninteresse bei erkannten
Problemen aktiv werden. Der
„Bahnhofsmanager" ist für immer mehr
Bahnhöfe verantwortlich und klappert sie
mit seinem Dienstwagen ab und bemüht
sich, einen Zusammenbruch zu verhindern
und vielleicht auch Fenster zu erneuern,
den Bahnsteig auszubessern usw.
Der „Flächenbahnhof"
als Pluspunkt?
Und immer leuchtet der „DB-Pluspunkt"
als Wunsch am Horizont, nach den sich
jede Gemeinde die Finger leckt - will man
den Vorträgen von Bahnvertretern glauben.
Die Grundeinheit mit 60.000,- DM
(fast geschenkt!), als Standardlösung
schnell hingestellt und pflegeleicht. Aber
hier scheinen sich die Geister zu scheiden.
Wir haben keine Veranstaltung erlebt, in
der nicht dieser Haltestellentyp auf heftigen
Widerstand stieß. Das muß bitter sein
für die Bahn AG. Sie haben investiert und
einen überall einsetzbaren Bahnhofstyp
entwickeln lassen, und dann sagen die
Nostalgiker: laßt uns unsere Bahnhofs-Landschaft erhalten.
Der Bahnhof: belebt und „sauber"
Die Bahnhöfe befinden sich häufig wegen
ihrer Randlage in Konkurrenz zum Gemeindezentrum
und zum „Einkauf auf der
grünen Wiese". Längerfristig abgesicherte
Nutzungen sind das größte Problem. Daneben
taucht zunehmend die soziale oder
eben unsoziale Vorstellung auf, die Bahnhöfe
zwar beleben, doch gleichzeitig unerwünschte
Personen fernhalten zu wollen.
Bahnfahren ist kein Privileg von „älteren
Damen", die nicht durch die Anwesenheit
von „rauchenden Jugendlichen" verunsichert
werden dürfen.
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Bf Zehdenick-Neuhof: auch hier sind erste Vandalismusspuren sichtbar. Foto: S. Müller |
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Wieso wird über solche Probleme nicht
auch an Tankstellen diskutiert? Wieso können
Autofahrer behaupten, die Bahn wegen
der unerträglichen Bahnhofssituation
nicht zu benutzen, während sich die bierdosenleerende
Szene an der Dorftankstelle
versammelt?
Die „Schiene in der Fläche"
gehört nicht zur Bahn?
Die städtische Reinigung erfolgt regelmäßig
auf den Bürgersteigen, die Straße wird
zum Mülleimer. Römische Verhältnisse?
Jetzt und heute geschieht dies im Unternehmensbereich
der DB AG: Die Gleise
werden zum Mülleimer. An der Bahnsteigkante
verläßt nicht nur der Reisende den
Ort, hier verläßt auch so manch Abfall die
lockere Hand eines Menschen ohne „Müllbewußtsein".
Das Bewußtsein des „Kümmerers"
(bei der Firma Station&Service
AG), genannt Bahnhofsmanager, hilft
nicht weiter, denn hier verläßt ihn die Zuständigkeit.
Bei der Firma Netz AG ist das
Problem leider noch nicht erkannt!
Der „Flächenbahnhof"
muß in Serie gehen!
Es gibt eine Reihe von kleineren und mittleren
Bahnhofsprojekten, die sich sehen
lassen können. Herausragend von der Größenordnung
die im Nordhessischen Verkehrsverbund,
in Baden-Württemberg die
Bodensee-Oberschwaben-Bahn, viele Projekte
in Rheinland-Pfalz, in Brandenburg
von Neuruppin, Rheinsberg bis Dannenwalde,
die in Lutherstadt Wittenberg
(Sachsen-Anhalt), Troisdorf in NRW, die
Bahnhöfe der Köln-Mindener Eisenbahn
und und....
Voraussetzungen für das Gelingen
von Bahnhofsprojekten
Es muß einen „Motor" geben. Wenn die
Gemeinde kein Interesse am Bahnhof hat,
dann ist nichts zu machen. Aufzubrechen
ist das mitunter durch „Neidgefühle": Gemeinden
ringsum basteln an ihrem Bahnhof,
der eigene verfällt. Wichtig ist auch,
einen „Arbeitskreis" zu bilden, indem alle
eingebunden werden, die am Bahnhof Interesse
haben. Nimmt das Projekt Gestalt
an, muß eine „Projektsteuerung" eingesetzt
werden, denn die Aufgaben lassen
sich nicht mehr nebenher erfüllen.
Veränderte
Schwerpunktsetzung
Die Flächenbahn-Diskussion war und ist
eine vorwiegend "politische", eine richtige
und wichtige politische Zieldiskussion. Der
Erhalt kleiner Bahnhöfe scheint erst einmal
eine praktische Angelegenheit zu sein,
aber auch ein kundenorientierter Bedarf.
Die Flächenbahn-Diskussion wird von
Verkehrsplanern und Verbänden geführt,
dagegen am „Bahnhofsrettungs-Programm"
eher Stadt- und Regionalplaner
beteiligt und die Verbände.
Häufig sind die anderen konkurrierenden
Verkehrsmittel bei der Betrachtung
ausgeklammert. Kaum ein Planer schmälert
den „Autobenutzungsgenuß". Wenn
aber nicht zur Bahnhofsrettung gleichzeitig
Zug um Zug die Autoanbindung der
Gemeinden qualitativ gemindert wird,
wird die Bahn in der Fläche kaum jemand
mehr nutzen.
Wie kann der Bedarf
stärker geweckt werden?
Zum Beispiel hat der Freizeitverkehr einen
hohen Anteil am Reisendenaufkommen.
Somit haben alle Bahnhalte einen großen
Stellenwert bei einer integrierten Entwicklung
der Tourismusförderung.
Ohne regionale Betrachtung, warum
Menschen mit der Bahn anreisen sollen,
hilft ein bißchen Bahnhofstünche herzlich
wenig. FUSS e.V.
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