Regionalverkehr

Bahnhofsentwicklung zwischen Oder und Havel

Das vom Land Brandenburg und der Deutschen Bahn AG initiierte „Bahnhofsprogramm“ kommt erst langsam in Gang

Fragt man den Bürger auf der Straße, was er von den neuen Bahnangeboten hält, antwortet er oft: die kenne ich nicht, und in den Bahnhof komme ich sowieso nie. Es ist offensichtlich, daß die Gestaltung des Bahnhofs und seines Umfeldes entscheidend zum Gesamteindruck und zur Akzeptanz des Verkehrssystems Bahn beiträgt. Die schnellsten Gleise und besten Bahnkonzepte nutzen wenig, wenn der Zugang dazu unattraktiv ist.

Schon zur landesweiten Eröffnungsveranstaltung zu einem Bahnhofsprogramm Ende März 1996 in Potsdam war klar: dieses Programm ist kein neuer Fördermitteltopf, sondern die Bündelung vorhandener Programme von Bund, Ländern, Kommunen und der Deutschen Bahn AG am städtebaulichen und verkehrlichen Konfliktpunkt Bahnhof. Die Einsicht der Zusammenarbeit ist nötiger denn je. Gerade beim Thema Bahnhofsentwicklung ist man mit einer schier unüberschaubaren Kompetenzvielfalt konfrontiert. Allein innerhalb der Deutschen Bahn AG gilt es fünf Unternehmensbereiche unter einen Hut zu bekommen. Dazu kommen die kommunalen und privaten Ansprechpartner.

Bahnhof
Beispiel Hennigsdorf: Der neue Vorplatz ist fertiggestellt, durch die neugestaltete Innenstadt rückt der Bahnhof ins Zentrum der Stadtentwicklung. Nachteilig ist die fehlende Beziehung zwischen Bahnhof und Busbahnhof, der 200 m vom Bahnhof hinter dem Kaufhaus angelegt wurde. Das Bahnhofsgebäude selbst soll spätestens 1998 einem Neubau mit hohem Einzelhandelsanteil weichen. Foto: Stephan Müller

Ziel des Bahnhofsprogramms ist die Koordination von Planungen und Baumaßnahmen der Bahn und der Kommunen, ein effektiver Einsatz von öffentlichen Fördermitteln sowie die stärkere Einbeziehung von privaten Investitionen. Das Land Brandenburg und die DB AG wählten dazu 25 Orte mit besonderer strukturpolitischer oder touristischer Bedeutung aus. Schwerpunkte waren dabei die regionalen Entwicklungszentren (REZ) des Städtekranzes, Städte an der Regional-Express-Linie 1, Kurorte und wichtige Knotenbahnhöfe.

Schon heute zeigt sich aber, daß trotz vielfach vorhandener kommunaler Konzepte und mittelfristig absehbarer Investitionen der DB AG in ihre Infrastruktur der damals aufgestellte Zeitplan zur Umsetzung des Bahnhofsprogrammes bei der Mehrzahl der Standorte nicht zu halten ist. Ursachen sind vor allem eine immer noch unzureichende Maßnahmenkoordination der Beteiligten sowie eine zögerliche und auf das notwendigste beschränkte Entscheidungsfindung bei der Mittelfreigabe für die Sanierung der Bahnhofsgebäude. Das Brandenburger Verkehrsministerium legte deshalb fest, daß 1999 lediglich ein "Zwischenstand" der Umsetzung dargestellt wird.

Liste
Reisende = Summe der täglichen Ein- und Aussteiger Tabelle: DBV Brandenburg nach Angaben des ISW im “Sachstandsbericht Bahnhofsprogramm” vom Oktober 1996

Die fachliche Begleitung des Bahnhofsprogrammes erfolgt durch den "Landesarbeitskreis Regionalbahn und Stadtentwicklung" unter Federführung des Institutes für Stadtentwicklung und Wohnen (ISW). Dem Arbeitskreis gehören die Fachministerien, die zuständigen Landesämter, die DB AG sowie weitere Gäste, so z.B. Landesarbeitsgemeinschaften, Entwicklungsträger und der Bahnkunden-Verband Brandenburg e.V. an. Als Rahmen für zukünftige kommunale Bahnhofsplanungen gab das ISW im März 1996 den "Leitfaden zur Entwicklung von Bahnhofsumfeldern" heraus.

Aufgrund der unterschiedlichen Maßnahmenträger ist auch die Umsetzung des Bahnhofsprogramms nach heutigem Stand differenziert vorangeschritten.

Bahnhof
Beispiel Frankfurt (Oder): Bahnhof oder Burger King? Das Bahnhofsareal wartet dringend auf Neugestaltung. Die Wege zwischen Zügen, Bussen und Straßenbahnen sind heute sehr lang, das Bahnhofsgebäude im 50er Jahre-Charme. Foto: Stephan Müller

Das Investitionsgebaren des DB-Bereiches Netz in die Streckeninfrastruktur ist dabei noch am berechenbarsten. So sind die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit entweder schon abgeschlossen (Ausbau Berlin - Magdeburg) oder zur Zeit in der Bauphase (Anhalter Bahn, Hamburger Bahn). Die Umgestaltung der Gleisanlagen und die Instandsetzung der Bahnsteige sind damit erfolgt (Brandenburg/Havel, Bad Wilsnack) oder werden in absehbarer Zeit beendet (Jüterbog). Weitere Bahnhofsumgestaltungen an diesen Strecken werden mit der Neuordnung der Gleis- und Bahnsteiganlagen verknüpft und bis 1999 abgeschlossen (Wittenberge, Neustadt/Dosse).

Für die übrigen Haupt- und Fernverkehrsstrecken liegen nur noch teilweise konkrete Planungsund Investitionsabsichten im Rahmen des Bundesschienenwegeausbaugesetzes vor (Görlitzer Bahn). Auch die vom Bund zugesagte Finanzierung der Musterstrecken aus dem Altlastenfonds (Velten - Neuruppin, Angermünde - Schwedt) schließt Bahnhofsumgestaltungen ein. Weitaus geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß Bahnhöfe abseits der Hauptstrecken von einer leistungsfähigen Schieneninfiastruktur profitieren.

Bahnsteig
Foto: Christfried Tschepe
Reisende
Regionalbahn von Fürstenwalde (links) nach Erkner (rechts) 1992. Als 1994 der Regional Express von Frankfurt (Oder) über Fürstenwalde nach Berlin Hbf ohne Halt in Erkner eingeführt wurde, stiegen trotz weiterhin verkehrender Regionalbahn viele Reisenden auf den hochattraktiven Schnellzug um, weshalb die nebenstehende Tabelle für Fürstenwalde einen Zuwachs von 75% ausweist, während Erkner entgegen dem erfreulichen Gesamttrend einen Verlust von 45% zu verzeichnen hatte. Foto: Christfried Tschepe

Eher verlangsamt hat sich die Modernisierung der Bahnhofsgebäude in diesem Jahr. Bei Umbauten für den Kundenservice beschränkte sich der DB-Bereich Personenbahnhöfe auch hier auf die Fernbahnhöfe Potsdam Stadt und Brandenburg/Havel. Im übrigen werden die Vermarktungschancen von Bahnhofsgebäuden durch die DB AG als gering angesehen. Diese sind jedoch Voraussetzung für die Modernisierung der Gebäude. Für die Bahnhöfe in den Mittelzentren ist deshalb das Modell "Bürger-Bahnhof Neuruppin Rheinsberger Tor" empfehlenswert, wo auf Initiative des Bahnkunden-Verbandes Brandenburg e.V. ein regionaler Bahnhofsbetreiber ab Frühjahr 1997 die Funktionen Fahrkarten verkauf, Reisendenservice und Fremdenverkehrsinformation unter einem Dach verbinden und damit insgesamt wirtschaftlich arbeiten wird. Auch in Königs Wusterhausen zeichnet sich die Nutzung der Obergeschosse und Nebengebäude des Bahnhofs durch den Fremden Verkehrs verband Dahmeland e.V. ab. Die Mehrkosten für die Gebäudemodernisierung werden dabei durch Fördermitteln für die Tourismusinfrastruktur getragen. Die dritte Säule des Bahnhofsprogramms - die kommunale Vorplatz- und Umfeldgestaltung - ist ebenfalls regional unterschiedlich umgesetzt. Neue Bahnhofsvorplätze sind in Angermünde; Bad Freienwalde, Oranienburg und Königs Wusterhausen fertiggestellt oder zur Zeit im Bau. In Luckenwalde, Erkner und Frankfurt (Oder) ist der Baubeginn für 1997 vorgesehen. In Wittenberge und Neustadt (Dosse) entwickelt interessanterweise die PBDE als Bauträger für die Bahnanlagen eigene Vorstellungen zur Vorplatzgestaltung.

Fahrkartenschalter
Beispiel Warnitz: Der Service im Bahnhof des Ortes am Uckersee besteht aus einer Bank und dem Fahrplan. Der Fahrkartenschalter ist geschlossen, obwohl im selben Raum ganztägig Personal beschäftigt wird. Ist es denn undenkbar, daß der Eisenbahner des DB-Geschäftsbereiches Netz auch Fahrausweise oder Wanderkarten verkauft? Foto: Stephan Müller
Haltestelle
Beispiel Zühlsdorf: Bahnhofsentwicklung in kleinen Orten. Das Gebäude an der Heidekrautbahn ist privatisiert, der Inhaber betreibt am Bahnhof ein Ausflugsrestaurant mit Biergarten. So läßt sich das Warten auf den Zug aushalten. Foto: Stephan Müller

Probleme ergeben sich weiterhin in Jüterbog und Lübbenau bei der Finanzierung von Bahnsteigtunnelverlängerungen unter den gesamten Gleisanlagen, um jeweils zwei Stadthälften am Bahnhof zu verbinden. Hier fordert die DB AG die Beteiligung durch die Kommunen.

Die nebenstehende Tabelle gibt kurz den Sachstand der Bahnhofsentwicklung an den 25 Orten des Bahnhofsprogrammes wider. Gleichzeitig erfolgt die Darstellung der Nachfrageentwicklung im Regionalverkehr (ohne Fern- und S-Bahn-Verkehr) zwischen 1993 und 1996. Die Veränderungen bei den Reisendenzahlen sind vor allem von der Einführung neuer Angebote abhängig.

Die Umlegung der Reisenden- auf die Einwohnerzahlen verdeutlicht die Nutzungsintensität der Regionalbahn durch die Bürger. Zu berücksichtigen ist dabei, daß in der Zählung sowohl tägliche Ein- als auch Aussteiger dargestellt sind, also auch Einpendler und Umsteiger hinzugezählt werden.

Deutscher Bahnkunden-Verband Brandenburg e.V.

aus SIGNAL 8/1996 (November 1996), Seite 13-16

 

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