Vielleicht 2019, aber nur provisorisch
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Hier auf dem Viadukt sollte der neue S-Bf Perleberger Brücke mit Seitenbahnsteigen ergänzt werden. Links schließt die Bogenbrücke über die Perleberger Brücke an, rechts am Horizont ist der Hbf zu erkennen. Foto: Florian Müller |
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Kurz nach Erscheinen von SIGNAL 1/2014
wurde bekannt, dass der Hauptbahnhof bis
2019 nur dann mit der S 21 angefahren werden
kann, wenn nördlich der Invalidenstraße
ein provisorischer Seitenbahnsteig auf
einem der beiden Streckengleise errichtet
wird. Dieser soll einen S-Bahn-Pendelverkehr
Gesundbrunnen—Wedding—Hauptbahnhof
im 10-Minuten-Takt ermöglichen –
siehe SIGNAL 1/2014. Der Fahrzeugbedarf ist
allerdings größer, als seinerzeit angenommen,
und liegt bei drei Umläufen mit Halbzügen,
also 12 Wagen. Längere Züge sind
nicht möglich, da der provisorische Bahnsteig
nur 80 m lang sein wird. Als frühestmöglicher
Inbetriebnahmetermin gilt derzeit
Dezember 2020.
Seither hat der Berliner Fahrgastverband
IGEB dieses Projekt einer „Spielzeug-Bahn“
wiederholt kritisiert, weil der Millionenaufwand
für einen provisorischen Bahnsteig
mit temporärem Aufzug (!) in keinem Verhältnis
zum Nutzen steht.
Stopp am Hbf für unbestimmte Zeit
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Etwa da, wo der Zug eingezeichnet ist (also nördlich der Invalidenstraße), ist der provisorische Bahnsteig geplant. Der endgültige Bahnsteig soll später unter dem Hauptbahnhof entstehen. Grafik: DB-Bau-Infotafel am Hbf. |
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Waren bisher Zeitverzug und Kostenexplosion
für die S 21 mit „fehlenden Vorleistungen“
am Hauptbahnhof erklärt worden, so muss
man das inzwischen als beschönigende Formulierung
bezeichnen. Bei der Gründung
des Hauptbahnhofs wurde der Tunnel für
die S 21 offensichtlich nicht richtig berücksichtigt.
Um die S 21 unter dem Hauptbahnhof
hindurchführen zu können, müssen
deshalb nun die Fundamente verändert
werden. Wie das erfolgen kann, ohne den
Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr auf der
Stadtbahn für einen langen Zeitraum einzustellen,
ist noch unklar. Daher könnte der
Zwischenzustand „Pendelverkehr zu einem
provisorischen S-Bahnhof am Hauptbahnhof“
zu einem zumindest mittelfristigen
Dauerzustand werden.
Nutzen-Kosten-Faktor bleibt ein Risiko
Hinzu kommt, dass das Projekt der Durchbindung
der S 21 vom Hauptbahnhof zum
Potsdamer Platz noch immer nicht gesichert
ist. Zwar sind sich alle einig, dass das
S 21-Projekt nur mit dieser Durchbindung zu
rechtfertigen ist, doch Voraussetzung dafür
ist ein Nutzen-Kosten-Faktor über 1.
Während es bei anderen Projekten üblich
ist, dass nach Ermittlung eines ausreichend
hohen Nutzen-Kosten-Faktors und erst
recht nach dem Baubeginn keine Überprüfung
mehr erfolgt, wird der neue Nordsüd-Tunnel
für die Berliner S-Bahn von der Bundesregierung immer
wieder in Frage gestellt.
Deshalb wird seit 2015 an der dritten (!)
Nutzen-Kosten-Untersuchung gearbeitet.
Die erste fand 1998 statt und scheiterte.
Für eine Anbindung des Hauptbahnhofs nur
vom Nordring her waren für 2015 lediglich
24 000 S-Bahn-Fahrgäste täglich erwartet
worden. Selbst der prognostizierte Anstieg
der Fahrgastzahlen auf täglich über 100 000
nach Durchbindung zum Potsdamer Platz
verbesserte das Ergebnis nicht, da viele der
Fahrgäste keine Neukunden sein werden,
sondern bisherige S 1-Fahrgäste im alten
Nordsüd-Tunnel.
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Die S21-Brücke über die Perleberger Straße ist bereits eingebaut. Daran schließt sich der Bereich für den geplanten S-Bahnhof Perleberger Brücke an. Für dieses Projekt soll 2016 nun endlich eine Kostenschätzung gemacht werden. Die erste! Foto: Florian Müller, Juli 2016 |
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Nicht viel besser war das Ergebnis der
Nutzen-Kosten-Untersuchung 2010 mit den für
2015 prognostizierten Fahrgastzahlen. Gerechnet
wurde für den Fall der Durchbindung
ein Nutzen-Kosten-Faktor von 1,35. Dennoch
genügte der Bundesregierung dieser Wert,
um das S 21-Projekt im Herbst 2010 in das
GVFG-Bundesprogramm aufzunehmen.
Aber die Kostensteigerungen veranlassten
den Bund, 2015 eine dritte
Nutzen-Kosten-Untersuchung zu fordern. Sollte es nicht
gelingen, diese mit einem Faktor über 1 abzuschließen,
müsste das Land Berlin bisher
gewährte Bundesgelder zurückzahlen und
das S 21-Projekt aus Landesmitteln finanzieren.
Damit bliebe das Provisorium eines
S-Bahn-Pendelverkehrs zum Hauptbahnhof
sicherlich für sehr viele Jahre erhalten.
Aber selbst bei einem Nutzen-Kosten-Wert
über 1 wäre aufgrund der technischen
Probleme bei der Unterfahrung des Hauptbahnhofs
ein 10-jähriger Pendelverkehr
zu einem provisorischen S-Bahnhof wahrscheinlich.
Dann könnte die „Spielzeug-Bahn“ vielleicht
doch zu rechtfertigen sein – unter einer
Voraussetzung:
S-Bahnhof Perleberger Brücke
jetzt bauen!
Angesichts der relativ geringen Verkehrsbedeutung
eines Pendelverkehrs Gesundbrunnen—Wedding—Hbf ist es umso
unverständlicher, dass das Land Berlin und
die Deutsche Bahn den Bau des S-Bahnhofs
Perleberger Brücke zwar planerisch berücksichtigt
haben, aber über die Realisierung
noch nicht einmal nachdenken. Denn mit
der neuen Station ließe sich der Nutzen des
Pendelverkehrs deutlich verbessern, ohne
mehr als die jetzt vorgesehenen drei Halbzüge
einsetzen zu müssen.
Schon heute gibt es im Umfeld der Perleberger
Brücke dicht bebaute Wohngebiete.
Außerdem verfolgt das Land Berlin auf den
Brachflächen beiderseits der Heidestraße
ehrgeizige Pläne für Wohnen, Büros, Einzelhandel
und Gewerbe. Bedeutung hätte der
neue S-Bahnhof außerdem als Umsteigebahnhof
zu mehreren BVG-Buslinien.
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Blick durch ein Astloch im Bretterzaun auf den S21-Tunnel nördlich der Invalidenstraße. Hier ist die Tunneldecke bereits hergestellt. In diesem Bereich soll der provisorische kurze Tunnel-Bahnsteig entstehen. Foto: Florian Müller, Juli 2016 |
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Nicht akzeptabel ist das Kostenargument.
Realisiert werden müssten für den Pendelverkehr
nur die Seitenbahnsteige auf der
Brücke. Selbst wenn man für diese mit inzwischen
rund 25 Millionen Euro rechnen
muss, ist das nicht mehr Geld, als die Bahn
am Ende für den provisorischen Tiefbaubahnhof
am Hauptbahnhof ausgegeben
haben wird. Und es ist ein geringer Betrag
im Vergleich zu den über 100 Millionen Euro,
die das Land Berlin für den Straßenbau zur
Entwicklung des Quartiers an der Heidestraße
aufwendet.
Unverständlich ist die ablehnende Haltung
des Senats auch vor dem Hintergrund
fehlender Fakten. Zwar wurde immer suggeriert,
der Bahnhof würde den Nutzen-Kosten-Faktor für die S 21 nach unten ziehen,
aber weder 1998 noch 2010 wurden Kostenschätzungen
erarbeitet und Varianten mit
einem Bau des S-Bahnhofs gerechnet.
Das soll zwar mit der dritten Untersuchung
jetzt nachgeholt werden. Aber der
Bau des S-Bahnhofs müsste sich mit seinen
Baukosten gar nicht auf den
Nutzen-Kosten-Faktor der Maßnahme S 21-Nord auswirken,
wenn das Land Berlin ihn im Rahmen der
Quartiersentwicklung aus Landesmitteln
(z. B. einbehaltenen S-Bahn-Geldern) bezahlen
und auf eine Finanzierung aus dem
GVFG-Bundesprogramm verzichten würde.
Der Senatsanspruch, rund um die Heidestraße
ein nachhaltiges Quartier zu bauen, ist nur
mit dem Bau eines S-Bahnhofs Perleberger
Brücke einzulösen. Deshalb kann und muss
jetzt umgehend mit der Planung für diesen
wichtigen S-Bahnhof begonnen werden!
Berliner Fahrgastverband IGEB
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