Vielfältige Ursachen für das Problem
Berlin wächst, die Zahl der Fahrgäste wächst,
und damit sind die U-Bahnen voller. Das ist
erfreulich und war in dem Ausmaß nicht vorhersehbar.
Unverständlich ist allerdings, dass der
BVG Fahrer und Personal in den Werkstätten
fehlen. Zwar gibt es derzeit in vielen
Bereichen Fachkräftemangel, doch beim
Fahrermangel bei der Straßenbahn waren
Managementfehler ausschlaggebend. Die
BVG konnte bisher nicht belegen, dass es
jetzt bei der U-Bahn überwiegend andere
Gründe gibt. Schlimmer noch: Der Personalmangel
wird nicht wirklich eingestanden.
Eingestanden wird lediglich ein Fahrzeugmangel
durch beschmierte Züge. Diese wurden
bisher meist gereinigt, bevor sie eingesetzt
wurden. Das muss als Regelfall auch so
bleiben, um keine zusätzlichen Anreize für
das Beschmieren zu schaffen.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage,
warum angesichts des Alters und der Vielfalt
beim U-Bahn-Fahrzeugpark nicht längst
neue Züge bestellt wurden. Schließlich hatten
einzelne Mitarbeiter der BVG vertraulich
und der Berliner Fahrgastverband IGEB u. a.
im SIGNAL jahrelang auf die Notwendigkeit
hingewiesen, rechtzeitig neue Fahrzeuge
vor allem für das Großprofilnetz (Linien U 5
bis U 9) zu bestellen. Hier sind die BVG und
mit ihr die Fahrgäste Opfer der Finanz- und
Verkehrspolitik eines vorherigen Senats, der
den Kauf neuer Fahrzeuge über Jahre verhindert
hat.
Deshalb musste die BVG versuchen, die
vorhandenen alten Fahrzeuge für eine längere
Laufleistung fit zu machen. Und da
fingen die Probleme an. Um ein Fahrzeug
modernisieren zu können, muss es dem
Fahrgastverkehr für eine längere Dauer entzogen
werden, da die Arbeiten sehr umfangreich
sind. Somit fehlten diese Fahrzeuge für
den Betrieb.
Die älteren Fahrzeuge des Großprofiltyps
F74 und F76 sind inzwischen, soweit möglich,
erfolgreich modernisiert worden. Unerwartete
Probleme gab es jedoch bei der
Modernisierung der Fahrzeuge vom Typ F79.
Bei deren Hauptuntersuchung kam heraus,
dass diese an Rissbildungen leiden. Eine Reparatur
für einen sicheren Einsatz wurde von
der BVG verneint.
Angesichts des Fahrzeugmangels war
es ein kluger Schachzug, die Option für
eine Nachbestellung neuer Fahrzeuge
für das Kleinprofilnetz zu nutzen, um 44
IK-Wagen mit Anbauten an den Türen zu
bestellen, so dass sie im Großprofilnetz
eingesetzt werden können. Wegen der
Länge eines 8-Wagen-Zuges kann dieser
allerdings nur auf der Linie U 5 eingesetzt
werden.
Nicht erfolgreich war die BVG allerdings
bei dem Versuch, über die zulässige Nachbestellung
hinaus ohne Ausschreibung
bei der Firma Stadler weitere 80 Wagen
vom Typ IK mit den Anbauten zu bestellen.
Dagegen zog die Firma Siemens vor
Gericht. Nach langem Streit kam es Ende
Juli 2018 zu einer außergerichtlichen Einigung,
und die BVG „kann bis zu“ 56 Wagen
bestellen.
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Im Bahnhof Wuhletal begegnen sich ein IK17 mit den Anbauten (links) und ein H-Zug (rechts). Deutlich ist die unterschiedliche Wagenkastenbreite zu erkennen. Wegen der geringeren Wagenbreite werden die IK17 im Großprofilnetz als eng empfunden. Foto: Michael Dittrich |
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Für das Kleinprofilnetz (Linien U 1 bis U 4)
hatte die BVG rechtzeitiger neue U-Bahn-Wagen ausgeschrieben und bestellt. Die
Fahrzeuge vom Typ IK (ohne Anbauten)
werden derzeit ausgeliefert (siehe SIGNAL 1/2017: „IK geht in Serie“). Die erhoffte Entspannung
bringen diese aber nicht, da die
BVG schon vor dem nächsten Problem steht:
U-Bahn-Wagen aus den Jahren 1992 verrosten
schneller als angenommen, es mussten
sogar schon Wagen ausgemustert werden.
Ausschreibung und Vergabe zu spät
Als endlich klar war, dass die BVG neue
U-Bahn-Wagen ausschreiben darf, zog sich
das allerdings zu lange hin. Am 15. Dezember
2016 hat sie zu einem Teilnahmewettbewerb
aufgerufen, um neue U-Bahnen
zu beschaffen. Es wurden insgesamt 346
Wagen für das Kleinprofil und 704 Wagen
für das Großprofil ausgeschrieben. Weitere
Angaben wurden in dem Wettbewerb nicht
gemacht.
Im Rahmen der Diskussion mit Siemens
erklärte die Pressesprecherin der BVG: „Wir
wollen im Sommer 2019 den Auftrag vergeben.“
Das ist eindeutig zu spät, denn man muss
davon ausgehen, dass ab Vergabe ca. 2 bis
3 Jahre vergehen, bis die ersten Fahrzeuge
da sind. Erschwerend kommt hinzu, dass
die BVG wegen der verlorenen Zeit keine
Vorserie bestellt, sondern sofort die Serienbestellung
auslöst, so dass die unvermeidlichen
„Kinderkrankheiten“ die Verfügbarkeit
der neuen Züge in der Anfangszeit sicherlich
einschränken werden.
Ein weiteres Risiko: Da die jüngsten der
Bestandsfahrzeuge aus Leichtmetall bestehen,
ist eine Modernisierung fraglich.
Somit könnte der Bedarf für neue Fahrzeuge
noch schneller eintreten. Deshalb muss
die Vergabe der Fahrzeuge noch 2018 erfolgen.
Erfreulich ist allerdings, dass im Hinblick
auf die Fahrzeugkrise einerseits und die steigenden
Fahrgastzahlen andererseits nun
insgesamt rund 1500 neue U-Bahn-Wagen
beschafft werden sollen.
Doch bis dahin sind noch viele schwierige
Jahre zu überstehen. Deshalb erwartet der
Berliner Fahrgastverband IGEB von der BVG,
dass sie die Verfügbarkeit des Fahrzeugbestandes
nicht länger beschönigt und den
Fahrplan den Möglichkeiten anpasst. Zur
Bewältigung der U-Bahn-Krise, das hat die
S-Bahn-Krise von 2009 gelehrt, gehören
Transparenz und Ehrlichkeit, um das Vertrauen
der Fahrgäste zurückzugewinnen. (md) IGEB Stadtverkehr
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