Fahrzeug- und Fahrermangel

Berliner U-Bahn in der Krise

Kennen Sie das auch? Sie wollen nach Feierabend mit der U-Bahn nach Hause fahren, doch diese hat erneut Verspätung. Als endlich ihr Zug kommt, ist es ein Kurzzug. Wieder kein Sitzplatz, oder – schlimmer noch – sie kommen gar nicht mehr hinein. Das ist derzeit leider kein Einzelfall und leider auch nicht auf bestimmte Linien beschränkt.

Vielfältige Ursachen für das Problem

Berlin wächst, die Zahl der Fahrgäste wächst, und damit sind die U-Bahnen voller. Das ist erfreulich und war in dem Ausmaß nicht vorhersehbar.

Unverständlich ist allerdings, dass der BVG Fahrer und Personal in den Werkstätten fehlen. Zwar gibt es derzeit in vielen Bereichen Fachkräftemangel, doch beim Fahrermangel bei der Straßenbahn waren Managementfehler ausschlaggebend. Die BVG konnte bisher nicht belegen, dass es jetzt bei der U-Bahn überwiegend andere Gründe gibt. Schlimmer noch: Der Personalmangel wird nicht wirklich eingestanden.

Eingestanden wird lediglich ein Fahrzeugmangel durch beschmierte Züge. Diese wurden bisher meist gereinigt, bevor sie eingesetzt wurden. Das muss als Regelfall auch so bleiben, um keine zusätzlichen Anreize für das Beschmieren zu schaffen.

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, warum angesichts des Alters und der Vielfalt beim U-Bahn-Fahrzeugpark nicht längst neue Züge bestellt wurden. Schließlich hatten einzelne Mitarbeiter der BVG vertraulich und der Berliner Fahrgastverband IGEB u. a. im SIGNAL jahrelang auf die Notwendigkeit hingewiesen, rechtzeitig neue Fahrzeuge vor allem für das Großprofilnetz (Linien U 5 bis U 9) zu bestellen. Hier sind die BVG und mit ihr die Fahrgäste Opfer der Finanz- und Verkehrspolitik eines vorherigen Senats, der den Kauf neuer Fahrzeuge über Jahre verhindert hat.

Deshalb musste die BVG versuchen, die vorhandenen alten Fahrzeuge für eine längere Laufleistung fit zu machen. Und da fingen die Probleme an. Um ein Fahrzeug modernisieren zu können, muss es dem Fahrgastverkehr für eine längere Dauer entzogen werden, da die Arbeiten sehr umfangreich sind. Somit fehlten diese Fahrzeuge für den Betrieb.

Die älteren Fahrzeuge des Großprofiltyps F74 und F76 sind inzwischen, soweit möglich, erfolgreich modernisiert worden. Unerwartete Probleme gab es jedoch bei der Modernisierung der Fahrzeuge vom Typ F79. Bei deren Hauptuntersuchung kam heraus, dass diese an Rissbildungen leiden. Eine Reparatur für einen sicheren Einsatz wurde von der BVG verneint.

Angesichts des Fahrzeugmangels war es ein kluger Schachzug, die Option für eine Nachbestellung neuer Fahrzeuge für das Kleinprofilnetz zu nutzen, um 44 IK-Wagen mit Anbauten an den Türen zu bestellen, so dass sie im Großprofilnetz eingesetzt werden können. Wegen der Länge eines 8-Wagen-Zuges kann dieser allerdings nur auf der Linie U 5 eingesetzt werden.

Nicht erfolgreich war die BVG allerdings bei dem Versuch, über die zulässige Nachbestellung hinaus ohne Ausschreibung bei der Firma Stadler weitere 80 Wagen vom Typ IK mit den Anbauten zu bestellen. Dagegen zog die Firma Siemens vor Gericht. Nach langem Streit kam es Ende Juli 2018 zu einer außergerichtlichen Einigung, und die BVG „kann bis zu“ 56 Wagen bestellen.

U-Bahnen an Bahnsteig
Im Bahnhof Wuhletal begegnen sich ein IK17 mit den Anbauten (links) und ein H-Zug (rechts). Deutlich ist die unterschiedliche Wagenkastenbreite zu erkennen. Wegen der geringeren Wagenbreite werden die IK17 im Großprofilnetz als eng empfunden. Foto: Michael Dittrich

Für das Kleinprofilnetz (Linien U 1 bis U 4) hatte die BVG rechtzeitiger neue U-Bahn-Wagen ausgeschrieben und bestellt. Die Fahrzeuge vom Typ IK (ohne Anbauten) werden derzeit ausgeliefert (siehe SIGNAL 1/2017: „IK geht in Serie“). Die erhoffte Entspannung bringen diese aber nicht, da die BVG schon vor dem nächsten Problem steht: U-Bahn-Wagen aus den Jahren 1992 verrosten schneller als angenommen, es mussten sogar schon Wagen ausgemustert werden.

Ausschreibung und Vergabe zu spät

Als endlich klar war, dass die BVG neue U-Bahn-Wagen ausschreiben darf, zog sich das allerdings zu lange hin. Am 15. Dezember 2016 hat sie zu einem Teilnahmewettbewerb aufgerufen, um neue U-Bahnen zu beschaffen. Es wurden insgesamt 346 Wagen für das Kleinprofil und 704 Wagen für das Großprofil ausgeschrieben. Weitere Angaben wurden in dem Wettbewerb nicht gemacht.

Im Rahmen der Diskussion mit Siemens erklärte die Pressesprecherin der BVG: „Wir wollen im Sommer 2019 den Auftrag vergeben.“

Das ist eindeutig zu spät, denn man muss davon ausgehen, dass ab Vergabe ca. 2 bis 3 Jahre vergehen, bis die ersten Fahrzeuge da sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die BVG wegen der verlorenen Zeit keine Vorserie bestellt, sondern sofort die Serienbestellung auslöst, so dass die unvermeidlichen „Kinderkrankheiten“ die Verfügbarkeit der neuen Züge in der Anfangszeit sicherlich einschränken werden.

Ein weiteres Risiko: Da die jüngsten der Bestandsfahrzeuge aus Leichtmetall bestehen, ist eine Modernisierung fraglich. Somit könnte der Bedarf für neue Fahrzeuge noch schneller eintreten. Deshalb muss die Vergabe der Fahrzeuge noch 2018 erfolgen.

Erfreulich ist allerdings, dass im Hinblick auf die Fahrzeugkrise einerseits und die steigenden Fahrgastzahlen andererseits nun insgesamt rund 1500 neue U-Bahn-Wagen beschafft werden sollen.

Doch bis dahin sind noch viele schwierige Jahre zu überstehen. Deshalb erwartet der Berliner Fahrgastverband IGEB von der BVG, dass sie die Verfügbarkeit des Fahrzeugbestandes nicht länger beschönigt und den Fahrplan den Möglichkeiten anpasst. Zur Bewältigung der U-Bahn-Krise, das hat die S-Bahn-Krise von 2009 gelehrt, gehören Transparenz und Ehrlichkeit, um das Vertrauen der Fahrgäste zurückzugewinnen. (md)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 4/2018 (November 2018), Seite 7

 

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